Strategien für die Zukunft
Ökologische Intensivierung
Wie die Erde 10 Milliarden
Menschen ernähren kann, ohne die Ökosysteme zu zerstören
Die Landwirtschaft steht vor enormen
Herausforderungen: Mit weniger Energie und knapper werdendem Wasser
und Böden muss sie im Jahr 2050 fast zehn Milliarden Menschen
ernähren, und soll Energiepflanzen und Biomasse für die
Chemieindustrie erzeugen. Gleichzeitig muss die Umweltbelastungen
aus der Landwirtschaft deutlich verringert werden, damit sie nicht
ihre eigenen ökologischen Grundlagen zerstört. Dies kann gelingen,
wenn die Landwirtschaft der Zukunft in die natürlichen ökologischen
Systeme eingebunden wird; nur eine solche nachhaltige Landwirtschaft
kann allen Menschen eine gesunde Ernährung sichern.
Vielfältige Produkte und lokale
Märkte: Ein wichtiger Baustein zu einer nachhaltigen
Landwirtschaft weltweit. Foto (Markt auf Java): Alex Lapuerta, aus
>>
wikipedia commons, abgerufen 19.9.2009, Lizenz: >> c.c.
2.0.
Die industrielle Landwirtschaft ist in eine Sackgasse geraten: Die
in den letzten Jahrzehnten erfolgreichen Methoden der
Produktivitätssteigerung, vor allem der Einsatz von Mineraldüngern
und Pestiziden, haben die Umwelt schwer geschädigt (>>
hier) und gehören zu den menschlichen Aktivitäten, die für die
Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosystem am gefährlichsten sind
(>>
hier); gleichzeitig sind die Grundlagen ihrer Produktivität
durch Bodenzerstörung, Wassermangel, das Ende des billigen Öls und
den Klimawandel gefährdet (>>
hier). Die Herausforderung der Nahrungsmittelversorgung von
morgen ist gewaltig: Im Jahr 2050 müssen voraussichtlich fast 10
Milliarden Menschen ernährt werden (>> hier);
die weltweite Nachfrage nach Getreide, schätzt der Welt-Agrarrat
(siehe >>
unten), wird vom Jahr 2000 bis 2050 um 75 Prozent wachsen; die
nach Fleisch sich verdoppeln.
Wie muss eine
Landwirtschaft aussehen, die 10
Milliarden Menschen ernährt, ohne
die Umwelt zu zerstören?
Gleichzeitig wird Agrarfläche für Straßen, Städte und
Industriegebiete zubetoniert, und gehen in den USA ein Drittel der
Maisernte und in der EU die Hälfte der Pflanzenöle in die Produktion
von Treibstoffen (>> hier).
Die Möglichkeiten zur Ausweitung der Agrarfläche können diese
Einschränkungen kaum ausgleichen; potenzielles Ackerland gibt es vor
allem in Argentinien, Brasilien, Russland und der Ukraine. Die
Ausweitung dort geschieht aber auf Kosten natürlicher Ökosystem, in
Brasilien und Malaysia etwa auf Kosten der Regenwälder, die als
Kohlenstoff- und Wasserspeicher aber wichtige Bausteine des globalen
Ökosystems Erde sind und besser erhalten blieben. Mit der bisherigen
Politik wird die Landwirtschaft nicht zukunftsfähig, so viel ist
unübersehbar.
Wie kann eine andere Landwirtschaft aussehen? Zwei Positionen
stehen sich gegenüber: Die einen setzen auf “Agro-Hightech” und
“grüne Gentechnik”, die die nächste Stufe der
Produktivitätssteigerungen hervorbringen sollen, die künftig die
Ernährung der Menschheit sicherstellen soll (siehe auch >>
hier). Die anderen setzen ganz im Gegenteil auf eine
optimierte bäuerliche Landwirtschaft, die in den reichen Ländern zur
Einbindung der Landwirtschaft in natürliche Ökosysteme und damit zur
Nachhaltigkeit führen soll und in den armen Ländern gerade den
Ärmsten zugute kommt.
Die "grüne
Gentechnik"
Die “grüne Gentechnik” – die Anwendung der Gentechnik auf die
Pflanzenzüchtung – beruht auf der 1973 erstmals gelungenen
Herstellung künstlicher DNA (“rekombinante” oder rDNA): In einen
geeigneten Überträger (“Vektor” genannt) wird ein DNA-Abschnitt,
z.B. ein Gen aus einer anderen Art, eingebaut; und diese rDNA wird
von dem Überträger in eine Pflanzenzelle übertragen (mehr über die
Technologien finden Sie auf dem >>
Hamburger Bildungsserver). So wurde etwa ein Gen aus dem
Bakterium Bacillus thuringiensis, das einen für Insekten giftigen
Stoff produziert, in Baumwolle übertragen – die so entstandene
“transgene Bt-Baumwolle” (transgen heißt, dass die Baumwolle Gene
von einem anderen Organismus enthält, Bt steht für Bacillus
thuringiensis) wird von Insekten verschmäht, der Pestizideinsatz
sank. Eine andere Anwendung war, Nutzpflanzen gegen Herbizide
resistent zu machen, etwa durch ein Gen, dass gegen Glyphosat
(Markenname “Round-Up”) resistent macht. So können Felder
flächendeckend gespritzt werden, ohne dass die Nutzpflanze leidet –
dies spart Arbeit und damit Kosten und hat sich durchgesetzt, wo es
erlaubt ist: transgene, herbizidtolerante Pflanzen machen heute etwa
in USA die Hälfte des Mais- und über 90 Prozent des Sojaanbaus,
weltweit über ein Viertel des Mais- und über die Hälfte des
Sojaanbaus aus.
Die Anhänger der grünen Gentechnik erhoffen sich von
dieser Technik in Zukunft erhebliche Steigerungen der Erträge und
eine Anpassung der wichtigsten Kulturpflanzen an die Bedingungen der
Landwirtschaft in Zukunft: sie sollen trockenheitsresistent werden
und effizienter mit Stickstoff umgehen. Ob, und wann, diese
Hoffnungen sich erfüllen, ist ungewiss, da etwa die Erträge nicht
wie die bisher realisierten, oben beschriebenen Beispiele von nur
einem Gen abhängen, sondern von vielen Faktoren, die zum Teil noch
nicht einmal richtig verstanden sind. Pflanzen besitzen mehr Gene
als Tiere (vermutlich, da sie bei ungünstigen Umweltbedingungen
nicht weglaufen können, sondern eine “genetische Antwort” auf
möglichst viele Situationen brauchen), und ob wir alle Auswirkungen
von neuen Genen wirklich überblicken, bezweifeln viele Kritiker der
“grünen Gentechnik”. Sie fürchten ungewollte Effekte bei der
Übertragung fremder Gene, Lebensmittel etwa, die schädliche Stoffe
enthalten oder Allergien verursachen – und bezweifeln, dass diese
sich durch Produkttests nachweisen lassen (wie ja auch heute etwa
die Auswirkungen mancher Zusatzstoffe umstritten bleiben). Sie
fürchten, dass der Einsatz herbizidresistenter Nutzpflanzen dazu
führen wird, dass der Herbizideinsatz mittelfristig steigt, und
selbst die Insektenresistenz von Nutzpflanzen dazu führen wird, dass
Insekten schneller gegen die dort produzierten Gifte resistent
werden. Wenn sich diese oder andere Probleme herausstellten, können
genmanipulierte Pflanzen zudem nicht mehr “zurückgeholt” werden; im
Gegenteil können sich die veränderten Gene über den normalen
genetischen Austausch auch in nicht transgene Sorten derselben Art
ausbreiten.
Der Weltagrarbericht von 2008
Um eine unabhängige Antwort auf die Frage nach der Landwirtschaft
der Zukunft zu finden, haben die Weltbank und die
Welternährungsorganisation FAO im Jahr 2002 den Welt-Agrarrat IAASTD
(International Assessment of Agricultural Science and Technology for
Development) gegründet, der den Stand landwirtschaftlichen Wissens,
Wissenschaft und Technologie untersuchen und zusammenfassen sollte
(in etwa analog zur Aufgabe des Klimarates >> IPCC).
Im Jahr 2008 veröffentlichte der Rat seinen >>
Weltagrarbericht, in dem er seine Vorstellungen einer
zukunftsfähigen Landwirtschaft skizziert. Der Bericht berücksichtigt
nicht nur die ökologischen Kosten der bisherigen
Produktivitätssteigerungen, sondern weist auch darauf hin, dass
gerade die besonders bedürftigen Ärmsten am wenigsten davon
profitiert haben: Trotz kräftig gestiegener Erträge sind Hunger und
Unterernährung vor allem in Afrika südlich der Sahara und Südasien
nicht besiegt worden (siehe auch >>
hier). Der Anteil derjenigen, die im Afrika südlich der Sahara
mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssten, ist mit 50
Prozent der Bevölkerung gleich geblieben. Profitiert haben bisher
vor allem die großen Produzenten in Schwellen- und Industrieländern,
die billiger produzieren konnten (und die Bevölkerung in den reichen
Ländern, die dadurch immer billiger an Lebensmittel kam). Bei einer
Politik des “weiter so” würde diese Entwicklung noch schärfer: Der
Anbau von Futtermitteln und Treibstoffen für die Reichen würde mit
dem Anbau von Nahrungsmitteln für die Armen um Land konkurrieren,
und wenn der Markt alleine entscheidet, werden die Reichen mit ihrer
Finanzkraft gewinnen. Daher müssen der Kampf gegen Hunger und
Mangelernährung ebenso wie gegen die Armut auf dem Land und
Chancengleichheit für den Welt-Agrarrat als Herausforderungen ebenso
ernst genommen werden wie ökologische Nachhaltigkeit.
Multifunktionale
Landwirtschaft erzeugt Lebensmittel,
sichert die Lebensgrundlage der Menschen und ist Teil der
ökologischen Systeme
Der Weltagrarbericht betont daher die “Multifunktionalität”
der Landwirtschaft: Sie dient nicht nur der Erzeugung von
Lebensmitteln und anderen Produkten, sondern ist zugleich
Lebensgrundlage für Menschen und Gemeinschaften und Grundlage ihrer
Wirtschaft sowie ein Bestandteil ökologischer Systeme, die sie nutzt
und erhalten sowie verbessern muss. Die Landwirtschaft muss eine
wichtige Rolle beim Kampf gegen Hunger und Armut spielen; dies
erfordert aber eine Umorientierung der bisherigen
Landwirtschaftspolitik. Dabei gibt es keine technische
“Wunderwaffe”, sondern es kommt zum einen darauf an, dass
Wissenschaftler gemeinsam mit den Bauern vor Ort nach Pflanzen und
Anbaumethoden suchten, die kulturelle, soziale und landschaftliche
Besonderheiten berücksichtigen; zum anderen aber auch, die
entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen: Zugang zu Land für die
Ärmsten, Kredite, lokale Märkte.
Arbeitsintensiver Gartenbau liefert die
höchsten Erträge
Die gute Nachricht ist: Anders als viel denken, ist hohe
Produktivität keinesfalls nur das Kennzeichen der industriellen
Landwirtschaft. Tatsächlich sind die Erträge im arbeitsintensiven
Gartenbau am höchsten, und der Einsatz von Arbeitskraft und Wissen
ermöglicht auch im Biolandbau Erträge, die zur Ernährung der
Weltbevölkerung ausreichen. Daraus ergibt sich eine Perspektive
gerade für die armen Länder, in denen Arbeitskraft reichlich
vorhanden ist. Eine von Jules Pretty und Rachel Hine (University of
Essex) veröffentlichte Untersuchung (>>
Literatur) von 208 Projekten der nachhaltigen Landwirtschaft
in Afrika, Asien und Lateinamerika zeigt, dass nachhaltige
Landwirtschaft dort die Erträge deutlich steigern kann und die
Ernährungssituation von Kleinbauern deutlich verbessert (530).
Die Chancen für die Kleinbauern bestehen nicht darin, beim
Weizenanbau mit internationalen Agrarkonzernen zu konkurrieren,
sondern neben ihrem eigenen Bedarf arbeitsintensive Kulturen wie zum
Beispiel Gemüse anzubauen, mit denen sie einen Zuverdienst erwerben.
Ihnen kommt zudem entgegen, dass sie beim Biolandbau keine Ausgaben
für Saatgut und Chemikalien haben.
Biolandbau
Der Biolandbau nutzt die Funktionsprinzipien des Ökosystems Erde,
um die Leistungsfähigkeit des bewirtschafteten Landes zu steigern;
und baut damit auf die Wirkungskette “gesunder Boden – gesunde
Pflanzen – gesunde Tiere – gesunde Menschen”.
Gesunder Boden
Synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind verboten;
stattdessen wird das Bodenleben mit organischer Substanz gefördert.
Um möglichst geschlossene Stoffkreisläufe im Betrieb zu erreichen,
werden Ackerbau und Viehhaltung gekoppelt; so kann neben
pflanzlichen Abfällen auch tierischer Dung auf die Ackerflächen
ausgebracht werden. (Ackerbau ohne Tierhaltung ist möglich, dann
wird der Dung durch Gründüngung – den Anbau von Düngerpflanzen –
ersetzt; flächenlose Tierhaltung ist dagegen nicht erlaubt.) Zur
Stickstoffversorgung werden spezielle Düngerpflanzen angebaut:
Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen, Lupinen oder Klee, die mit Hilfe
von Bakterien Luftstickstoff binden können.
Gesunde Pflanzen
Beim Anbau wird auf für den jeweiligen Standort geeignete Arten,
eine ausgeklügelte Fruchtfolge und zeitgerechte Bodenbearbeitung
gesetzt, um gesunde Pflanzen zu erhalten. Diese sind gegenüber
Schädlingen widerstandsfähiger; wenn dennoch nötig, können
Schädlinge etwa über die Förderung ihrer natürlichen Gegenspieler
bekämpft werden – Blattläuse zum Beispiel mit Marienkäfern.
Standortgerechte Nutzpflanzen und Fruchtfolge beugen auch Unkräutern
vor, die zudem gegebenenfalls mechanisch reguliert werden können,
zum Beispiel mit der Hacke.
Gesunde Tiere
Ein weiterer Grundsatz des Biolandbaus ist die artgerechte
Tierhaltung und Fütterung, wozu unter anderem freier Auslauf und
genügend Platz im Stall, Tageslicht und Frischluft sowie
ungehinderter Zugang zu Futterstellen und Tränken gehören. Die
Tierhaltung ist zudem beschränkt, um Futter überwiegend im eigenen
Betrieb anbauen zu können und eine Überdüngung der Felder zu
verhindern.
Gesunde Menschen
Biologische Lebensmittel enthalten weniger Nitrat und weniger
Rückstände chemischer Pflanzenschutzmittel als solche aus
konventioneller Landwirtschaft, verarbeitete Bio-Lebensmittel zudem
keine Farbstoffe, Geschmacksverstärker und künstliche Aromastoffe.
Ob Menschen, die Bio-Lebensmittel essen, tatsächlich gesünder sind,
ist schwer zu beweisen, da die Gesundheit auch von zu vielen anderen
Faktoren beeinflusst wird.
Kann Bio-Landbau die Welt ernähren?
Zahlreiche Studien, etwa die von Pretty und Hine
(siehe oben) und der Weltagrarbericht zeigen, dass mit Bio-Landbau
auch für eine wachsende Weltbevölkerung genügend Lebensmittel
erzeugt werden könnten – vorausgesetzt, der durchschnittliche
Fleischverbrauch sinkt unter die aktuellen 37 Kilo pro Kopf im Jahr.
Ein Deutscher isst im Durchschnitt aber etwa 60 Kilo im Jahr – in
einer gerechten Welt müssten wir unseren Fleischkonsum mehr als
halbieren, um eine Ernährung der Weltbevölkerung mit Biolandbau
möglich zu machen. Die gute Nachricht: Das ist sogar gesünder für
uns (mehr >>
hier).
Agro-ökologische Systeme
Zu den ertragreichen, gartenbauähnlichen Anbaumethoden gehören für
den Welt-Agrarrat auch integrierte Systeme, die den Anbau von
Feldfrüchten, Bäumen, Nutztieren und Fischen miteinander verbinden;
solche multifunktionalen Systeme haben auch weniger negative
Auswirkungen auf natürliche Ökosysteme – im Gegenteil: In vielen
tropischen Ländern kann Agro-Forstwirtschaft, bei der die Produkte
von Waldbäumen genutzt und darunter Nahrungspflanzen angebaut
werden, sowohl abgeholztes Land wieder nutzbar machen wie auch die
Nahrungssituation verbessern. Solche Systeme müssten nach den
Empfehlungen des Weltagrarrates zukünftig auch in der Forschung viel
stärker einbezogen werden, um etwa die Grundlagen natürlicher
Schädlingsbekämpfung besser zu verstehen und diese wirksamer zu
machen.
Agro-ökologische Systeme
binden die Landwirtschaft in natürliche
Ökosysteme ein
Solche Systeme, die auf den Energie- und Stoffflüssen der
natürlichen Ökosysteme (>>
hier) aufbauen, gibt es auch in anderen Klimazonen, etwa die
von Takao Furuno in Japan entwickelte Aigamo-Methode
des Reisanbaus: Aigamo ist eine Entenart, die Enten fressen in den
jungen Reisfeldern Insekten und Unkräuter (aber nicht die
Reispflanzen, die durch Silikateinlagerungen zu hart sind), ihre
Ausscheidungen düngen die Felder und ihr ständiges Aufwühlen des
Bodens führt dazu, dass die Reispflanzen besser verwurzeln. Wenn die
Reispflanzen größer sind, werden die Enten zur Mast in Ställe
gebracht und stattdessen Fische zur Unkrautbekämpfung eingesetzt.
Der Reisertrag ist bei dieser Methode ohne Einsatz von Düngern und
Pestiziden genauso hoch wie im konventionellen Reisanbau, die Bauern
verdienen aber mit Enteneiern, Entenfleisch und Fisch dazu. Allen
diesen Systemen gemeinsam ist eine Intensivierung biologischer
Prozesse: des Bodenlebens, der Fotosynthese und der biologischen
Kreisläufe. Daher können sie auch unter dem Begriff ökologische
Intensivierung (380)
zusammengefasst werden.
Förderung der Arten- und Sortenvielfalt
Zu den positiven Folgen einer nachhaltigen, agro-ökologischen
Landwirtschaft gehören die Förderung der Arten- und Sortenvielfalt
in der Landwirtschaft durch den Anbau mehrerer Arten und die
geforderten Fruchtfolgen, die Schädlingen und Unkräutern das Leben
schwerer machen: Dies verringert die Abhängigkeit unserer Ernährung
von wenigen Arten. Auch die Landwirtschaft selbst hängt vom Erhalt
der wilden Vorläufer unserer Nutzpflanzen ab, in denen sich oft
Merkmale finden, die in den auf Ertrag optimierten Nutzpflanzen
verloren gegangen sind, aber bei geänderten Umweltbedingungen
gebraucht werden. So konnte etwa in den 1970er Jahren in den USA ein
Schadpilz nur durch die Einführung von Varietäten mit neuen Genen
gestoppt werden (zum Erhalt der Biodiversität siehe >> hier).
Diese Gründe gelten auch für den Erhalt alter Obstsorten und
Haustierrassen – ganz abgesehen davon, dass sie oft auch noch besser
schmecken.
Der Nachteil dieser agro-ökologischen Methoden: Sie sind
arbeitsintensiver (was für arme Länder ein Vorteil, für reiche
Industrieländer jedoch ein Nachteil ist, denn Nachfrage nach
Arbeitskraft steht hier in Konkurrenz zu dem der Industrie und den
dort gezahlten Löhnen); zudem erfordern sie eine genaue Kenntnis der
lokalen Boden- und Wasserverhältnisse sowie ein Gespür für
ökologische Zusammenhänge, und sind damit das genaue Gegenteil der
“Komplettlösungen” der Agroindustrie, bei der Dünger, Pestizide und
das hierfür maßgeschneiderte Saatgut von wenigen großen Konzernen,
und zunehmend sogar aus einer Hand, geliefert werden.
Der
agro-industrielle Komplex
Als Folge der systematischen Förderung industrieller Landwirtschaft
– in Europa geht heute über die Hälfte des EU-Haushalts, ca. 55
Milliarden Euro im Jahr, in den Agrarsektor, und zum großen Teil in
die industrielle Landwirtschaft – ist ein agro-industrieller Komplex
entstanden, der von den Herstellern von Mineraldüngern, Pestiziden
und Saatgut bis hin zu den Besitzern von Massentierhaltungen reicht.
Diese Förderung war erfolgreich (>>
hier), dieser Erfolg beruhte aber auf nicht dauerhaften
Grundlagen. Jetzt haben die Unternehmen des agro-industriellen
Komplexes aber Milliardensummen in die Technologien und Methoden der
industriellen Landwirtschaft investiert, und fürchten um die Rendite
dieser Investitionen, sollte sich dieses Modell ändern. Sie setzen
ihre finanziellen Mittel daher erfolgreich im Lobbying ein und
versprechen eine Weiterentwicklung dieser Landwirtschaft mit
Agro-Hightech: Gentechnik soll die Pflanzen widerstandsfähig gegen
Totalherbizide und Schädlinge machen, die Erträge steigern, die
Pflanzen gegen Trockenheit wappnen und länger haltbar machen (dass
die Wissenschaftler im Weltagrarrat an dieses “Allheilmittel” nicht
glauben, führte dazu, dass die Vertreter der Agrochemiefirmen den
Rat vor der Ergebnispräsentation unter Protest verließen); precision
farming mittels Computern und GPS auf den Treckern soll die
Effizienz der Landwirtschaft erhöhen. Dieses Lobbying ist dort
erfolgreich, wo es sich mit den Interessen der Verbrauch an
niedrigen Preisen (>>
hier) oder der Staatsbürokratie an Menge und der Freisetzung
von Arbeitskräften für die Industrie traf: Agro-Hightech setzen vor
allem die USA, aber auch die EU und China, das vermutlich mehr Geld
als jedes andere Land in die grüne Gentechnik steckt.
Die Subventionen zementieren nicht nur die
industrielle Landwirtschaft, sie haben noch eine weitere Wirkung:
Mit ihrer Hilfe werden Überschüsse aus den reichen Ländern zu
Niedrigpreisen auf die Weltmärkte gebracht. Bauern in den armen
Ländern können mit diesen Preisen nicht konkurrieren und werden aus
dem Geschäft gedrängt (>>
hier). Gleichzeitig schützen die reichen Länder ihre eigenen
Märkte (sprich: ihre Agro-Industrie) mit Zöllen für Agrarprodukte,
und schädigen die armen Ländern damit zusätzlich. (Die Folgen für
deren Ernährung mindern dann milliardenschweren Stiftungen wie der
Rockefeller- und der Ford-Foundation, die schon die Grüne Revolution
förderten. Ein neuer Mitspieler ist die Bill & Melinda Gates
Foundation, die die Grüne Revolution nach Afrika bringen will –
umstritten ist, ob selbst die Mittel eines Bill Gates ausreichen,
transgenes Saatgut für afrikanische Kleinbauern erschwinglich zu
machen.)
Im Grunde ist die Auseinandersetzung um die künftige Landwirtschaft
ein Beispiel für die grundsätzliche Diskussion um unseren Umgang mit
dem Ökosystem Erde: Auf der einen Seite steht ein technisches
System, dass den Boden als Standort betrachtet, dem die benötigten
Nährstoffe und Wasser zugeführt werden, um mit optimierten,
transgenem Saatgut kostengünstig höchstmögliche Erträge zu erzielen.
Damit ist es in der Vergangenheit gelungen, die Landwirtschaft in
beeindruckendem Ausmaß von natürlichen Risiken abzukoppeln und
Lebensmittel zu einer Ware unter vielen zu machen, die auf einem
Markt verkauft werden. Alle anderen Lebewesen auf den Feldern werden
aber als “Schädlinge” betrachtet. Auf der anderen Seite steht gerade
die Vision, natürliche ökologische Systeme für den Anbau zu nutzen,
was schon aufgrund des hierfür notwendigen Verständnisses der
jeweiligen Ökosysteme nicht im bisherigen industriellen Maßstab
möglich ist, und daher den Widerstand jener hervorruft, die hier ihr
Geld investiert haben. (Aber nicht nur jener: auch viele kleinere
Bauern, die nur als Nebenerwerbslandwirte überleben konnten, sind
längst von den arbeitssparenden Segnungen der Industrie abhängig, um
ihre Landwirtschaft neben einem anderen Beruf aufrecht zu erhalten.)
Nahrung ist für die Anhänger dieser Vision viel mehr als irgendeine
Handelsware, sondern darf als grundlegende Voraussetzung für das
Überleben (ähnlich wie Wasser) nicht nur nach den Gesetzen der
Kostenoptimierung behandelt werden, sondern muss unabhängig davon
allen Menschen zur Verfügung stehen – und zwar nicht als Almosen,
sondern möglichst selbst erzeugt. Nahrung ist zugleich eine
Verbindung des Menschen zur Natur und die Grundlage lokaler
Wirtschaftsstrukturen.
Je nachdem, welcher Ansicht man anhängt, werden die Entwicklungen
in der Landwirtschaft eingeschätzt: Die Konzentration bei der
Entwicklung und Vermarktung beim Saatgut sehen die einen als Glück,
da so große Unternehmen entstehen, die die finanziellen Mittel
haben, in die grüne Gentechnik zu investieren; für die anderen ist
sie ein Alptraum, da das so entwickelte transgene Saatgut teuer und
zudem patentiert ist, und so gerade nicht der unabhängigen
Nahrungserzeugung dient, sondern Kleinbauern vom Land vertreibt. Die
Frage ist also: Welcher Ansatz ist wirklich nachhaltig?
Was ist nachhaltige Landwirtschaft?
Eine nachhaltige Landwirtschaft würde in vielen Punkten auf den
Prinzipien des Biolandbaus beruhen: Die Fruchtbarkeit von Böden
lässt sich auf Dauer nicht mit Mineraldüngern erhalten, der Preis
für die Nutzung von Pestiziden und Herbiziden ist zu hoch (>>
hier). Sie ist aber nicht mit diesem identisch. Heute stammen
viele Bioprodukte längst aus Großbetrieben in den USA und
Lateinamerika, wo nicht die >>
oben dargestellten Regeln gelten, sondern bei denen
geschlossene Nährstoffkreisläufe im Betrieb längst nicht mehr zu
verwirklichen sind und tierischer Dung wenig umweltfreundlich über
Hunderte von Kilometern in Lastwagen transportiert wird; und Löhne
gezahlt werden, von denen die Landarbeiter nicht leben können. Eine
nachhaltige Landwirtschaft wird mehr Arbeitskräfte brauchen und wird
daher, um gegenüber der Industrie attraktiv zu werden, höhere Löhne
zahlen müssen. Zumindest eine Grundversorgung von Nahrungsmitteln
sollte aus regionalen Quellen stammen (aus Gründen der Förderung der
regionalen Landwirtschaft und als Schutz gegen die Auswirkungen
steigender Öl-/Transportpreise); aber auch diese Forderung gilt
nicht absolut: Äpfel aus Neuseeland können im Frühjahr
umweltfreundlicher sein als lokale Äpfel, die den ganzen Winter über
in einem Kühlhaus gelagert wurden; ohnehin würde etwa in
Mitteleuropa das Gemüseangebot alleine aus regionalen Quellen im
Winter eher traurig sein. Auch sind der globale Handel nicht immer
und grundsätzlich falsch und umweltschädlich: Es ist ökologisch
sinnvoller, etwa Getreide in Regionen mit ausreichenden
Niederschlägen anzubauen und in trockene Regionen zu exportieren,
als etwa in Nordafrika mit Hilfe von fossilem Grundwasser selbst
anzubauen. Agrarprodukte können eine Form indirekter Wasserexporte
sein und so die Unterschiede in der Wasserverfügbarkeit in der Welt
ausgleichen (mehr über “virtuelles Wasser” >>
hier).
Dieser Ausgleich muss abgewogen werden gegen den Beitrag zum
Klimawandel, der mit dem Transport einhergeht. Aber nicht nur beim
Transport, auch ansonsten muss eine nachhaltige Landwirtschaft ihren
Beitrag zum Klimawandel reduzieren: Daher ist eine Ausweitung
landwirtschaftlicher Nutzfläche auf Kosten von Regenwäldern kein
akzeptabler Weg zu mehr Ertrag; auch der Klimaschutz erfordert
weniger Nutzung von Stickstoffdünger (die die Entstehung des
>>
Treibhausgases Distickstoffoxid fördert); an der Verringerung
der Methanerzeugung aus Rindermägen und Reisfeldern sowie an der
Reduktion des Energieverbrauchs muss auch in der agro-ökologischen
Landwirtschaft gearbeitet werden. Besonderes Interesse finden im
Klimaschutz Techniken der Bodenbearbeitung, die auf das Pflügen
verzichten (“Direktsaat”, engl.: no-till farming): Das
Pflügen reduziert den Kohlenstoffgehalt im Boden, der Verzicht auf
Pflügen vermindert diesen Verlust. In den USA hat der Verzicht auf
Pflügen in den letzten 30 Jahren 1,4 Milliarden Tonnen Kohlenstoff
in Ackerböden gebunden. Weitere Vorteile sind verringerte
Bodenerosion durch Wind und Wasser (siehe Exkurs).
Ackerbau ohne Pflug
Pflügen spielt eine wichtige Rolle im üblichen
Ackerbau: Mist und Unkräuter werden in den Boden eingearbeitet, der
dabei durchlüftet wird und sich ohne isolierende Pflanzenschicht im
Frühjahr schneller erwärmt. Damit findet die Saat optimale
Startbedingungen vor. Aber das Pflügen hat auch einen Preis: Bis die
Pflanzen groß sind, ist der Ackerboden Wind und Wasser schutzlos
ausgesetzt. Durch Erosion sind viele Ackerböden mittlerweile stark
geschädigt (>>
hier)), und nach dem “Dust Bowl” der Jahre 1931 bis 1939
begannen in den USA Landwirte mit Ackerbau ohne Pflug zu
experimentieren. Der Agrarwissenschaftler Edward Faulkner behauptete
1943, Pflügen sei verzichtbar. Vor allem in den USA, in Brasilien,
Argentinien, Kanada und Australien ist die Methode heute weit
verbreitet – in den USA werden über ein Fünftel des Ackerlandes
pfluglos bestellt. Inzwischen gibt es dort moderne
Direktsämaschinen, die nur kleine Furchen im Boden öffnen und dort
die Saat einbringen. In Europa, Afrika und Asien führt der pfluglose
Ackerbau dagegen bisher ein Exotendasein. Der Weltklimarat fordert
nun die Ausweitung dieser Art der Bodenbearbeitung, da dann viel
mehr Kohlenstoff im Boden verbleibt als beim Pflügen.
Im Biolandbau aber ist diese Technik nicht verbreitet, da das
Pflügen ein wichtiger Baustein der mechanischen Unkrautbekämpfung
ist und es erleichtert, die Nährstoffe aus der Tierhaltung in den
Boden einzubringen. Wegen der organischen Substanz im Boden und dem
Verzicht auf energieintensivem Kunstdünger ist der Biolandbau zwar
klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft, >>
mehr, aber die pfluglose Bodenbearbeitung zeigt, dass es auch
gegensätzliche Interessen geben kann.
Die Methanproduktion im Reisanbau kann durch den “halbtrockenen
Reisanbau” reduziert werden; in China wurde damit der Methanausstoß
der Reisfelder schon um zwei Drittel gesenkt. Neue Methoden und
Reissorten können den Wasserbedarf zukünftig weiter senken.
Was nachhaltige Landwirtschaft für Konsumenten bedeuten
würde
Zwei Dinge würden sich für die Bürger der reichen Länder, die
bisher am meisten von der industriellen Landwirtschaft profitieren,
ändern müssen: Nahrungsmittel würden teurer werden, denn der große
Vorteil der industriellen Landwirtschaft, der kostengünstige Anbau
in großem Maßstab und den am besten geeigneten (= billigsten)
Regionen würde bei einer Orientierung auf ökologische Systeme und
lokalere Produktion wegfallen. Die Schätzungen über die Mehrkosten
schwanken; bei einem realistischen Wert von 30 Prozent würde etwa
der Anteil, den ein durchschnittlicher Deutscher für Nahrung
ausgibt, von 14,5 auf knapp 20 Prozent steigen – Geiz wäre nicht
länger geil (siehe auch den Kasten "Unsere Rolle als Verbraucher" im
Anschluss. Im übrigen könnte der Anteil wieder sinken, wenn wir
weniger Lebensmittel wegwerfen würden).
Lebensmittel aus
nachhaltiger Landwirtschaft werden teurer und es gibt weniger
Fleisch
Zweitens: Der heutige Anteil von Fleisch, aber auch von
Milchprodukten, vom Käse bis zur Eiscreme, an der Ernährung ist
nachhaltig nicht zu erzeugen. Gesundheitlich wäre weniger Fleisch
sogar ein Vorteil (siehe auch den folgenden Kasten), aber
Gesundheitsvorteile reichen bekanntlich nicht für ein Umstellen
unserer Gewohnheiten (sonst gäbe es ja weder Raucher noch
Alkoholiker).
Unsere Rolle als
Verbraucher
Unsere Lust auf Fleisch
Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche sind Weideland, meist
in niederschlagsarmen Regionen mit Steppenvegetation. Dort ist in
der Regel Ackerbau nicht möglich oder wenig produktiv; die Rinder-,
Schaf- und Ziegenherden hier sind die Lebensgrundlage für Millionen
von Menschen. Global gesehen sind sie "Nahrungsergänzer" und nicht
Nahurngskonkurrenten des Menschen. In der industriellen
Landwirtschaft sieht Tierhaltung aber anders aus: Die Tiere in den
Ställen werden mit Pflanzen gefüttert, die auf den gleichen
fruchtbaren Böden wachsen wie die Pflanzen für unsere Ernährung
auch. Oder sogar mit den gleichen Pflanzen: 40 Prozent der
Getreideernte landen in Tiermägen. Das gilt auch für Wiederkäuer,
die eigentlich Gras und andere faserreiche Kost brauchen – bei den
deutschen Milchkühen macht dieses Grundfutter nur noch ein Drittel
der Nahrung aus, der Rest ist Kraftfutter wie Getreide und Soja (300).
Die Produktion von Futter zur Erzeugung von ein Kilo Fleisch
braucht je nach Tierart die drei- bis zehnfache Fläche (im
Durchschnitt die siebenfache) wie für die gleiche Menge Getreide –
ein Mastschwein braucht eine Tonne Futter, bis es schlachtreif ist,
ein Rinderbulle sogar sechs Tonnen. Eine Ernährung mit viel Fleisch
braucht daher mehr Land als eine fleischärmere Ernährung; ein
Drittel der weltweiten Ackerfläche dient bereits der
Futterproduktion (300).
Dazu hat die Tierhaltung eigene Umweltauswirkungen: Wasser- und
Energieaufwand, Unmengen von Exkrementen, massive Anwendung von
Antibiotika zur Vorbeugung und zur Therapie (>>
mehr). Unsere 20 Milliarden Nutztiere belasten die Biosphäre
mehr als die über sieben Milliarden Menschen (ohne
Industrieproduktion).
Bis 2050 wird sich der globale Fleischverbrauch, schätzt die FAO,
vor allem durch den zunehmenden Konsum in bevölkerungsreichen
Schwellenländern wie China und Indien noch einmal verdoppeln; für
das zusätzliche Fleisch würde alleine über eine 1 Milliarde Tonnen
Futtergetreide gebraucht. Würden alle Menschen auf der Welt soviel
Fleisch essen wie wir, müsste hierfür die gesamte Getreideernte
verfüttert werden! Ist Biofleisch die Lösung? In den heute von einem
durchschnittlichen Deutschen verzehrte Mengen von 60 Kilogramm
Fleisch im Jahr kann Biofleisch für die ganze Menschheit schlicht
nicht erzeugt werden; und Biorindfleisch trägt zwar weniger, aber
immer noch spürbar zum Klimawandel bei. Eine nachhaltige Ernährung
bedeutet daher in den reichen Ländern auch, weniger Fleisch zu essen
– statt durchschnittlich 60 nur noch 20 Kilogramm im Jahr. Für die
Gesundheit der Menschen wäre diese Einschränkung des Fleischkonsums
und dafür mehr Obst und Gemüse in der Ernährung nur vorteilhaft: 20
Kilogramm Fleisch im Jahr entspricht auch den Mengen, die etwa die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt (siehe auch >>
Eine gesündere Welt). (Eine vollständig vegetarische Ernährung
würde hingegen bedeuten, dass wir nur noch von dem Drittel der
landwirtschaftlichen Fläche leben müssten, die als Ackerland
geeignet sind.)
Geiz ist nicht geil
In Ländern mit hohen Lohnkosten führt der höhere
Arbeitsaufwand im Biolandbau zu höheren Kosten für Lebensmittel –
während die konventionelle Landwirtschaft von billiger Energie
profitiert und auch für die Kosten der von ihr verursachten
Grundwasserbelastung nicht aufkommen muss. Daher hängt die Zukunft
des Landbaus auch von der Bereitschaft der Verbraucher ab, für
verantwortungsbewusst erzeugte Ware höhere Preise zu akzeptieren:
Wer im Supermarkt ein Hähnchen für 1,50 Euro kaufen will, darf sich
über Hormonfleisch und Massentierhaltung jedenfalls nicht beschweren
– solche Preise sind mit tiergerechter Haltung und natürlichem
Futter nicht zu erreichen. Für einen höheren Preis erhalten die
Verbraucher nicht nur ein gutes Gewissen, sondern oft auch gesündere
Nahrung: Milch und Butter von Kühen, die Weidegras fressen, enthält
etwa doppelt so viele Omega-3-Fettsäuren (die unter anderem das
Herzinfarkt-Risiko senken sollen) wie Milch von Stallkühen, und
schmeckt auch besser. Das merken auch immer mehr Verbraucher – die
irische Kerrygold-Butter (die aus Weidemilch hergestellt wird) ist
in Deutschland inzwischen Marktführer und hat einen Marktanteil von
13 Prozent.
Es ist eine offene Frage, wie groß die öffentliche Unterstützung
für eine Politik wäre, die zu höheren Preisen und weniger Fleisch
auf dem Teller führen würde. Den agro-industriellen Komplex als
alleinigen Verursacher der Probleme in der Landwirtschaft
darzustellen, ist jedenfalls zu einfach. Manche Fachleute fürchten
daher, dass die notwendigen Änderungen erst durch gravierende Krisen
ausgelöst werden, etwa durch steigende Ölpreise, die sowohl die
Herstellung von Mineraldüngern als auch den globalen Handel stark
verteuern würden); andere glauben daran, dass das Umsteuern auch
ohne Krisen in Gang kommen könnte, wenn die Kosten der Schäden, die
bisher die Allgemeinheit trägt, sich in den Preisen der Produkte
konventioneller Lebensmittel widerspiegeln würden, die Preise also
die Wahrheit über die tatsächlichen Kosten sagen würden (>> mehr).
Bisher scheint unser
Nahrung nur deshalb billig, weil die
Preise nicht die Wahrheit sagen
Das Ende des Hungers
Noch komplexer ist die Lösung des Hungers in den armen Ländern:
Dieser ist nicht alleine und nicht einmal in erster Linie eine Frage
der Produktion von Nahrungsmitteln (>>
hier), sondern die Folge komplexer sozialer, politischer,
ökonomischer und ökologischer Probleme. Daher sieht der
Welt-Agrarrat die Änderung der Subventionsstruktur als wichtigste
Voraussetzung an, dass auch arme Länder vom Handel mit
Agrarprodukten profitieren können. Transparente, faire Preise für
die Bauern sind für ihn ein wesentlicher Beitrag auch für die
soziale Entwicklung ländlicher Räume; lokale Märkte für frische
Produkte könnten auch die Qualität der eingekauften Nahrung
verbessern. Die Förderung solcher Märkte, Kleinkredite für Bauern,
die Unterstützung von “Fair-Trade”-Initiativen und Biolandbau
könnten helfen, regionale und nationale Institutionen aufzubauen,
die einerseits die regionale Lebensmittelversorgung sichern und
langfristig den Ländern und ihren Kleinbauern helfen, am Weltmarkt
bestehen zu können. Regionale Märkte können zudem einen Teil der
sogenannten "post-harvest-losses" vermeiden helfen, die auf
fehlende Lagermöglichkeiten und schlechte Transportwege zurückgehen
(und das Gegenstück zur Verschwendung von Lebensmitteln in den
reichen Industrieländern sind).
Dass mit gezielter Forderung die Umstellung möglich ist, zeigen
etwa die Programm zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft in der
Schweiz, in Dänemark und Schweden (und hat die Förderung des
Biolandbaus im Rahmen der Agrarwende von Renate Künast in
Deutschland gezeigt). Beispiele hierfür gibt es auch aus
Entwicklungsländern: In Indonesien wurden im Jahr 1986 56
Pflanzenschutzmittel für den Reisanbau verboten und mit Hilfe der
FAO, der Weltbank und USAID stattdessen ein integriertes
Pflanzenschutzprogramm eingeführt. Über eine Millionen Bauern wurden
geschult – der Einsatz an Pflanzenschutzmitteln ging stark zurück
(ein Viertel der Bauern verwendet sie überhaupt nicht mehr), die
Erträge stiegen um 0,5 Tonnen pro Hektar. (Apropos Chemikalien: Der
Welt-Agrarrat fordert den Verzicht auf gefährliche Chemikalien der
WHO-Kategorie 1a/1b zumindest in solchen Ländern, die
“eingeschränkte Möglichkeiten” haben, die Umsetzung von
Arbeitsschutz- und Lebensmittelsicherheitsstandards zu
gewährleisten, die Landarbeiter und Verbraucher vor den Risiken
dieser Chemikalien schützen sollen.)
Die nächsten Schritte
Unabhängig von der Diskussion um die Frage, ob wir bereit sind, für
eine nachhaltige Landwirtschaft mehr für Lebensmittel zu bezahlen
und weniger Fleisch zu essen, liegen große Reserven auch in der
Züchtung neuer Sorten und der Weiterentwicklung der in der
Landwirtschaft verwendeten Technik. Eine Ausdehnung der Anbauflächen
ist nur auf den zur Zeit aus ökonomischen Gründen brachliegenden
Flächen in Europa und Nordamerika sinnvoll, die aber im globalen
Maßstab nur einen Tropfen auf dem heißen Stein darstellen.
Neue Züchtungen und effizientere Agrartechnik
Bei vielen Hochertragssorten ist der Ertrag wohl kaum noch zu
steigern: Bei den Getreidearten machen die Körner bereits mehr als
die Hälfte der Trockenmasse aus – ganz ohne Wurzeln und Blätter kann
die Pflanze aber keine Körner bilden. Aber es gibt Arten, die noch
Potenzial haben, etwa die südamerikanischen Quinoa und Amarant.
Daneben liegt die Aufgabe der Züchtung vor allem darin, diese
Erträge bei geringeren Ansprüchen an die Düngung zu erreichen (und
so die Abhängigkeit von Mineraldüngern zu senken); in der Erhöhung
der Widerstandsfähigkeit der Pflanzen, etwa gegen Salz,
Krankheitserreger und Schadinsekten (weniger Pestizideinsatz) und in
der Anpassung an der Pflanzen an die Folgen des Klimawandels. Im
weiteren Sinne geht es auch um die Entwicklung
von Anbausystemen, die die Bodenfruchtbarkeit fördern und
nicht zerstören; und ein großes Potenzial liegt auch in der Verbesserung
von Lagerhaltung und Vertrieb: Vor allem in feuchtwarmem
Klima geht ein großer Teil der Ernte auf dem Weg zum Verbraucher
verloren. Für die Bewässerung gibt es bereits erprobte Verfahren in
Regionen mit Wassermangel: Die Tropfenbewässerung, die etwa in
Zypern oder Israel weit verbreitet ist und bei uns in Gewächshäusern
verwendet wird. Ihr Nachteil: Sie ist teurer. Für arme Länder gibt
es aber sehr ähnliche Verfahren, bei denen perforierte
Plastikschläuche verwendet werden. Im Interesse eines nachhaltigen
Umgangs mit Wasser müssen diese Verfahren viel breiter verwendet
werden – selbst in Europa, wo bei zunehmenden Trockenperioden das
Wasser knapp werden kann. In konnten Bangladesch Kleinbauern ihre
Produktivität mit Tretpumpen zur Bewässerung verbessern und neue
Zukunftsperspektiven gewinnen. Zudem tragen solche Initiativen dazu
bei, den Unternehmergeist zu wecken – die Teile für die Pumpen
wurden von 75 kleinen Privatfirmen hergestellt, und die Pumpen von
lokalen Händlern verkauft. (Die Tretpumpen sind ein Projekt der
gemeinnützigen >> International
Development Enterprises).
Zukunft in den Städten?
Im Jahr 2050 leben bei Fortsetzung heutiger Trends 6 Milliarden
Menschen in den Städten, zwei Drittel der Gesamtbevölkerung
(>> mehr).
Da das Land knapp wird (>>
mehr), gibt es Überlegungen, die Landwirtschaft auch in die
Städte, zu den Menschen, zu holen. Die Pflanzen könnten in
zukünftigen Hochhäusern in einer Nährlösung wachsen, die aus dem
Abwasser der Bewohner hergestellt wird. Dies ist jedenfalls die
Vision des Vertical Farm Project in den USA. Mehr: >> www.verticalfarm.org.
Auch in Chinas Öko-Stadt Dongtan (>>
hier), die bei Schanghai entsteht, sollen mindestens so viele
Nahrungsmittel erzeugt werden, wie das zur Errichtung der Stadt
verloren gegangene Ackerland erbracht hätte (>> website).
Landwirtschaft und Klimawandel
Die zukünftigen Erträge der Landwirtschaft werden auch davon
abhängen, ob wir den >>
Klimawandel in den Griff bekommen. Kulturpflanzen sind von
bestimmten Klimabedingungen abhängig; extreme Wetterereignisse wie
Starkregen und Trockenheiten oder starke Stürme schaden der
Produktivität. Bis zum Jahr 2050 könnte ein Viertel der
Nahrungsmittelproduktion durch Umweltschäden verloren gehen (UNEP
2009), besonders betroffen werden voraussichtlich Indien,
Australien, Afrika und China sein (>>
mehr). Daher sind >> Strategien
gegen den Klimawandel immer auch Strategien für eine sichere
Ernährung.
Landwirtschaft und (Agro)energie
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen war in seinen Leitplanken nachhaltiger
Energiepolitik (>>
hier) eindeutig: Der Anbau von Bioenergiepflanzen darf nicht
zu Lasten der Nahrungsmittelversorgung gehen. Aber seit die USA Mais
als Ausgangsstoff für die Herstellung ihres freedom fuel genannten
Bioethanols entdeckt haben, ist der Weltmarktpreis um 80 Prozent
gestiegen – in Mexiko hat sich der Preis für Maismehl im Jahr 2006
verdoppelt. Menschen verhungern, da sie sich Nahrung nicht leisten
können (>>
hier) – die Bioenergienutzung könnte zum ethischen
Totalschaden der Automobilgesellschaft werden. Nachhaltig ist nur
die Herstellung von Bioenergie aus Reststoffen der
Lebensmittelpflanzen, etwa dem Stroh der Getreidefelder (siehe
hierzu auch >> Energie
aus Biomasse). Gleichzeitig ist die Landwirtschaft auch ein
bedeutender Energieverbraucher. Die Abhängigkeit von fossilen
Brennstoffen geht mit zurückgehender Nutzung von Kunstdüngern und
Pestiziden ebenfalls zurück; in vielen anderen Bereichen
(landwirtschaftliche Maschinen) und der Lebensmittelherstellung und
-verteilung ist aber eine Effizienzrevolution nötig – wie auch im
Rest der Gesellschaft (>> mehr).
Die Zukunft der Fischerei
Drei Viertel aller Fischbestände sind bis an die biologisch
vertretbare Grenze ausgebeutet oder bereits überfischt (>> mehr),
bereits seit den 1980er Jahren beruht der Zuwachs beim Fischverzehr
ausschließlich auf zunehmender Fischhaltung in Aquakultur.
Angesichts der zurückgehenden Fleischproduktion bei nachhaltiger
Landwirtschaft könnte deren Bedeutung noch stärker zunehmen als
ohnehin absehbar. Das hat Vorteile: Fisch ist ein erheblich besserer
Futterverwerter als Hühner, Schweine und Rinder. Aber viele heutige
Aquakulturen ähneln eher der Massentierhaltung (>>
mehr); und dies ist auch bei Fisch nicht unproblematisch:
Fische sind sehr stressanfällig, und für manche Fischarten bedeutet
Enge Stress. Bisher wissen wir ohnehin kaum, was artgerechte
Tierhaltung bei Fischen bedeuten würde; dies ist auch der Grund
dafür, dass bisher nur wenige Arten überhaupt erfolgreich gezüchtet
werden können. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Dafür
ist bekannt, wie die Umweltauswirkungen der Aquakultur verringert
werden können: Fischfarmen können in der Tiefsee betrieben werden,
wo Meeresströmungen Kot und Futterreste verteilen; inzwischen wird
sogar an autonom treibenden Käfigen gearbeitet (siehe Kasten
rechts). Beim Futter wird daran gearbeitet, den pflanzlichen Anteil
zu erhöhen. Zukünfig sollen nachhaltige Fischzuchten nach dem
Vorbild des MSC (>> hier)
mit einem Siegel des Aquaculture Stewardship Council (ASC)
gekennzeichnet werden. Bereits heute füttern Fischfarmen, die
Fischprodukte mit Biosiegel herstellen, ihre Fische mit Abfällen
etwa aus Fischfilettierbetrieben (und nicht mit eigens gefangenen
Futterfischen, die zur Überfischung neuer Arten führen). Zudem
werden Schädlinge mit biologischen Mitteln bekämpft, etwa indem
Putzerfische gegen Seeläuse eingesetzt werden. Haupthindernis auch
hier wieder: Diese Methoden sind teurer; und solange die externen
Kosten nicht in Produktionskosten eingerechnet werden, scheint die
Umweltzerstörung billiger zu sein als die nachhaltige Aquakultur.
Webtipps
>>
Nachhaltige Landwirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika:
Detailinformationen zu den Projekten, die in der Studie von
Pretty & Hine (2001) ausgewertet wurden (Webseite der
University of Essex, Environment & Science Unit,
englischsprachig); siehe zum Thema auch >>
hier.
>> Informationsportal
Oekolandbau.de
>> Bund Ökologische
Lebensmittelwirtschaft:
>> 25
Fragen und Antworten rund um Öko-Landbau und Bio-Lebensmittel
Webseiten von Organisationen des Ökologischen Anbaus:
>> IFOAM (International
Federation of Organic Agroculture Movements, englischsprachig)
>> Bioland
>> demeter >> Aquaculture
Stewardship Council (ASC)
Weiter mit:
>>
Weltagrarbericht 2008 – Der Bericht des Weltagrarrates
oder zum nächsten Thema:
>> Wasser
fürs Leben, Wasser für Menschen
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Die industrielle Landwirtschaft
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Strategien für die Zukunft