Strategien für die Zukunft

Ökologische Intensivierung
Wie die Erde 10 Milliarden Menschen ernähren kann, ohne die Ökosysteme zu zerstören

Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen: Mit weniger Energie und knapper werdendem Wasser und Böden muss sie im Jahr 2050 fast zehn Milliarden Menschen ernähren, und soll Energiepflanzen und Biomasse für die Chemieindustrie erzeugen. Gleichzeitig muss die Umweltbelastungen aus der Landwirtschaft deutlich verringert werden, damit sie nicht ihre eigenen ökologischen Grundlagen zerstört. Dies kann gelingen, wenn die Landwirtschaft der Zukunft in die natürlichen ökologischen Systeme eingebunden wird; nur eine solche nachhaltige Landwirtschaft kann allen Menschen eine gesunde Ernährung sichern.

Markt in Java

Vielfältige Produkte und lokale Märkte: Ein wichtiger Baustein zu einer nachhaltigen Landwirtschaft weltweit. Foto (Markt auf Java): Alex Lapuerta, aus >> wikipedia commons, abgerufen 19.9.2009, Lizenz: >> c.c. 2.0.

Die industrielle Landwirtschaft ist in eine Sackgasse geraten: Die in den letzten Jahrzehnten erfolgreichen Methoden der Produktivitätssteigerung, vor allem der Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden, haben die Umwelt schwer geschädigt (>> hier) und gehören zu den menschlichen Aktivitäten, die für die Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosystem am gefährlichsten sind (>> hier); gleichzeitig sind die Grundlagen ihrer Produktivität durch Bodenzerstörung, Wassermangel, das Ende des billigen Öls und den Klimawandel gefährdet (>> hier). Die Herausforderung der Nahrungsmittelversorgung von morgen ist gewaltig: Im Jahr 2050 müssen voraussichtlich fast 10 Milliarden Menschen ernährt werden (>> hier); die weltweite Nachfrage nach Getreide, schätzt der Welt-Agrarrat (siehe >> unten), wird vom Jahr 2000 bis 2050 um 75 Prozent wachsen; die nach Fleisch sich verdoppeln.

Wie muss eine Landwirtschaft aussehen, die 10 Milliarden Menschen ernährt, ohne die Umwelt zu zerstören?

Gleichzeitig wird Agrarfläche für Straßen, Städte und Industriegebiete zubetoniert, und gehen in den USA ein Drittel der Maisernte und in der EU die Hälfte der Pflanzenöle in die Produktion von Treibstoffen (>> hier). Die Möglichkeiten zur Ausweitung der Agrarfläche können diese Einschränkungen kaum ausgleichen; potenzielles Ackerland gibt es vor allem in Argentinien, Brasilien, Russland und der Ukraine. Die Ausweitung dort geschieht aber auf Kosten natürlicher Ökosystem, in Brasilien und Malaysia etwa auf Kosten der Regenwälder, die als Kohlenstoff- und Wasserspeicher aber wichtige Bausteine des globalen Ökosystems Erde sind und besser erhalten blieben. Mit der bisherigen Politik wird die Landwirtschaft nicht zukunftsfähig, so viel ist unübersehbar.

Wie kann eine andere Landwirtschaft aussehen? Zwei Positionen stehen sich gegenüber: Die einen setzen auf “Agro-Hightech” und “grüne Gentechnik”, die die nächste Stufe der Produktivitätssteigerungen hervorbringen sollen, die künftig die Ernährung der Menschheit sicherstellen soll (siehe auch >> hier). Die anderen setzen ganz im Gegenteil auf eine optimierte bäuerliche Landwirtschaft, die in den reichen Ländern zur Einbindung der Landwirtschaft in natürliche Ökosysteme und damit zur Nachhaltigkeit führen soll und in den armen Ländern gerade den Ärmsten zugute kommt.

Die "grüne Gentechnik"

Die “grüne Gentechnik” – die Anwendung der Gentechnik auf die Pflanzenzüchtung – beruht auf der 1973 erstmals gelungenen Herstellung künstlicher DNA (“rekombinante” oder rDNA): In einen geeigneten Überträger (“Vektor” genannt) wird ein DNA-Abschnitt, z.B. ein Gen aus einer anderen Art, eingebaut; und diese rDNA wird von dem Überträger in eine Pflanzenzelle übertragen (mehr über die Technologien finden Sie auf dem >> Hamburger Bildungsserver). So wurde etwa ein Gen aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis, das einen für Insekten giftigen Stoff produziert, in Baumwolle übertragen – die so entstandene “transgene Bt-Baumwolle” (transgen heißt, dass die Baumwolle Gene von einem anderen Organismus enthält, Bt steht für Bacillus thuringiensis) wird von Insekten verschmäht, der Pestizideinsatz sank. Eine andere Anwendung war, Nutzpflanzen gegen Herbizide resistent zu machen, etwa durch ein Gen, dass gegen Glyphosat (Markenname “Round-Up”) resistent macht. So können Felder flächendeckend gespritzt werden, ohne dass die Nutzpflanze leidet – dies spart Arbeit und damit Kosten und hat sich durchgesetzt, wo es erlaubt ist: transgene, herbizidtolerante Pflanzen machen heute etwa in USA die Hälfte des Mais- und über 90 Prozent des Sojaanbaus, weltweit über ein Viertel des Mais- und über die Hälfte des Sojaanbaus aus.

Die Anhänger der grünen Gentechnik erhoffen sich von dieser Technik in Zukunft erhebliche Steigerungen der Erträge und eine Anpassung der wichtigsten Kulturpflanzen an die Bedingungen der Landwirtschaft in Zukunft: sie sollen trockenheitsresistent werden und effizienter mit Stickstoff umgehen. Ob, und wann, diese Hoffnungen sich erfüllen, ist ungewiss, da etwa die Erträge nicht wie die bisher realisierten, oben beschriebenen Beispiele von nur einem Gen abhängen, sondern von vielen Faktoren, die zum Teil noch nicht einmal richtig verstanden sind. Pflanzen besitzen mehr Gene als Tiere (vermutlich, da sie bei ungünstigen Umweltbedingungen nicht weglaufen können, sondern eine “genetische Antwort” auf möglichst viele Situationen brauchen), und ob wir alle Auswirkungen von neuen Genen wirklich überblicken, bezweifeln viele Kritiker der “grünen Gentechnik”. Sie fürchten ungewollte Effekte bei der Übertragung fremder Gene, Lebensmittel etwa, die schädliche Stoffe enthalten oder Allergien verursachen – und bezweifeln, dass diese sich durch Produkttests nachweisen lassen (wie ja auch heute etwa die Auswirkungen mancher Zusatzstoffe umstritten bleiben). Sie fürchten, dass der Einsatz herbizidresistenter Nutzpflanzen dazu führen wird, dass der Herbizideinsatz mittelfristig steigt, und selbst die Insektenresistenz von Nutzpflanzen dazu führen wird, dass Insekten schneller gegen die dort produzierten Gifte resistent werden. Wenn sich diese oder andere Probleme herausstellten, können genmanipulierte Pflanzen zudem nicht mehr “zurückgeholt” werden; im Gegenteil können sich die veränderten Gene über den normalen genetischen Austausch auch in nicht transgene Sorten derselben Art ausbreiten.

Der Weltagrarbericht von 2008

Um eine unabhängige Antwort auf die Frage nach der Landwirtschaft der Zukunft zu finden, haben die Weltbank und die Welternährungsorganisation FAO im Jahr 2002 den Welt-Agrarrat IAASTD (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development) gegründet, der den Stand landwirtschaftlichen Wissens, Wissenschaft und Technologie untersuchen und zusammenfassen sollte (in etwa analog zur Aufgabe des Klimarates >> IPCC). Im Jahr 2008 veröffentlichte der Rat seinen >> Weltagrarbericht, in dem er seine Vorstellungen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft skizziert. Der Bericht berücksichtigt nicht nur die ökologischen Kosten der bisherigen Produktivitätssteigerungen, sondern weist auch darauf hin, dass gerade die besonders bedürftigen Ärmsten am wenigsten davon profitiert haben: Trotz kräftig gestiegener Erträge sind Hunger und Unterernährung vor allem in Afrika südlich der Sahara und Südasien nicht besiegt worden (siehe auch >> hier). Der Anteil derjenigen, die im Afrika südlich der Sahara mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssten, ist mit 50 Prozent der Bevölkerung gleich geblieben. Profitiert haben bisher vor allem die großen Produzenten in Schwellen- und Industrieländern, die billiger produzieren konnten (und die Bevölkerung in den reichen Ländern, die dadurch immer billiger an Lebensmittel kam). Bei einer Politik des “weiter so” würde diese Entwicklung noch schärfer: Der Anbau von Futtermitteln und Treibstoffen für die Reichen würde mit dem Anbau von Nahrungsmitteln für die Armen um Land konkurrieren, und wenn der Markt alleine entscheidet, werden die Reichen mit ihrer Finanzkraft gewinnen. Daher müssen der Kampf gegen Hunger und Mangelernährung ebenso wie gegen die Armut auf dem Land und Chancengleichheit für den Welt-Agrarrat als Herausforderungen ebenso ernst genommen werden wie ökologische Nachhaltigkeit.

Multifunktionale Landwirtschaft erzeugt Lebensmittel, sichert die Lebensgrundlage der Menschen und ist Teil der ökologischen Systeme

Der Weltagrarbericht betont daher die “Multifunktionalität” der Landwirtschaft: Sie dient nicht nur der Erzeugung von Lebensmitteln und anderen Produkten, sondern ist zugleich Lebensgrundlage für Menschen und Gemeinschaften und Grundlage ihrer Wirtschaft sowie ein Bestandteil ökologischer Systeme, die sie nutzt und erhalten sowie verbessern muss. Die Landwirtschaft muss eine wichtige Rolle beim Kampf gegen Hunger und Armut spielen; dies erfordert aber eine Umorientierung der bisherigen Landwirtschaftspolitik. Dabei gibt es keine technische “Wunderwaffe”, sondern es kommt zum einen darauf an, dass Wissenschaftler gemeinsam mit den Bauern vor Ort nach Pflanzen und Anbaumethoden suchten, die kulturelle, soziale und landschaftliche Besonderheiten berücksichtigen; zum anderen aber auch, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen: Zugang zu Land für die Ärmsten, Kredite, lokale Märkte.

Arbeitsintensiver Gartenbau liefert die höchsten Erträge

Die gute Nachricht ist: Anders als viel denken, ist hohe Produktivität keinesfalls nur das Kennzeichen der industriellen Landwirtschaft. Tatsächlich sind die Erträge im arbeitsintensiven Gartenbau am höchsten, und der Einsatz von Arbeitskraft und Wissen ermöglicht auch im Biolandbau Erträge, die zur Ernährung der Weltbevölkerung ausreichen. Daraus ergibt sich eine Perspektive gerade für die armen Länder, in denen Arbeitskraft reichlich vorhanden ist. Eine von Jules Pretty und Rachel Hine (University of Essex) veröffentlichte Untersuchung (>> Literatur) von 208 Projekten der nachhaltigen Landwirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika zeigt, dass nachhaltige Landwirtschaft dort die Erträge deutlich steigern kann und die Ernährungssituation von Kleinbauern deutlich verbessert (530). Die Chancen für die Kleinbauern bestehen nicht darin, beim Weizenanbau mit internationalen Agrarkonzernen zu konkurrieren, sondern neben ihrem eigenen Bedarf arbeitsintensive Kulturen wie zum Beispiel Gemüse anzubauen, mit denen sie einen Zuverdienst erwerben. Ihnen kommt zudem entgegen, dass sie beim Biolandbau keine Ausgaben für Saatgut und Chemikalien haben.

Biolandbau

Der Biolandbau nutzt die Funktionsprinzipien des Ökosystems Erde, um die Leistungsfähigkeit des bewirtschafteten Landes zu steigern; und baut damit auf die Wirkungskette “gesunder Boden – gesunde Pflanzen – gesunde Tiere – gesunde Menschen”.

Gesunder Boden

Synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind verboten; stattdessen wird das Bodenleben mit organischer Substanz gefördert. Um möglichst geschlossene Stoffkreisläufe im Betrieb zu erreichen, werden Ackerbau und Viehhaltung gekoppelt; so kann neben pflanzlichen Abfällen auch tierischer Dung auf die Ackerflächen ausgebracht werden. (Ackerbau ohne Tierhaltung ist möglich, dann wird der Dung durch Gründüngung – den Anbau von Düngerpflanzen – ersetzt; flächenlose Tierhaltung ist dagegen nicht erlaubt.) Zur Stickstoffversorgung werden spezielle Düngerpflanzen angebaut: Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen, Lupinen oder Klee, die mit Hilfe von Bakterien Luftstickstoff binden können.

Gesunde Pflanzen

Beim Anbau wird auf für den jeweiligen Standort geeignete Arten, eine ausgeklügelte Fruchtfolge und zeitgerechte Bodenbearbeitung gesetzt, um gesunde Pflanzen zu erhalten. Diese sind gegenüber Schädlingen widerstandsfähiger; wenn dennoch nötig, können Schädlinge etwa über die Förderung ihrer natürlichen Gegenspieler bekämpft werden – Blattläuse zum Beispiel mit Marienkäfern. Standortgerechte Nutzpflanzen und Fruchtfolge beugen auch Unkräutern vor, die zudem gegebenenfalls mechanisch reguliert werden können, zum Beispiel mit der Hacke.

Gesunde Tiere

Ein weiterer Grundsatz des Biolandbaus ist die artgerechte Tierhaltung und Fütterung, wozu unter anderem freier Auslauf und genügend Platz im Stall, Tageslicht und Frischluft sowie ungehinderter Zugang zu Futterstellen und Tränken gehören. Die Tierhaltung ist zudem beschränkt, um Futter überwiegend im eigenen Betrieb anbauen zu können und eine Überdüngung der Felder zu verhindern.

Gesunde Menschen

Biologische Lebensmittel enthalten weniger Nitrat und weniger Rückstände chemischer Pflanzenschutzmittel als solche aus konventioneller Landwirtschaft, verarbeitete Bio-Lebensmittel zudem keine Farbstoffe, Geschmacksverstärker und künstliche Aromastoffe. Ob Menschen, die Bio-Lebensmittel essen, tatsächlich gesünder sind, ist schwer zu beweisen, da die Gesundheit auch von zu vielen anderen Faktoren beeinflusst wird.

Kann Bio-Landbau die Welt ernähren?

Zahlreiche Studien, etwa die von Pretty und Hine (siehe oben) und der Weltagrarbericht zeigen, dass mit Bio-Landbau auch für eine wachsende Weltbevölkerung genügend Lebensmittel erzeugt werden könnten – vorausgesetzt, der durchschnittliche Fleischverbrauch sinkt unter die aktuellen 37 Kilo pro Kopf im Jahr. Ein Deutscher isst im Durchschnitt aber etwa 60 Kilo im Jahr – in einer gerechten Welt müssten wir unseren Fleischkonsum mehr als halbieren, um eine Ernährung der Weltbevölkerung mit Biolandbau möglich zu machen. Die gute Nachricht: Das ist sogar gesünder für uns (mehr >> hier).

Agro-ökologische Systeme

Zu den ertragreichen, gartenbauähnlichen Anbaumethoden gehören für den Welt-Agrarrat auch integrierte Systeme, die den Anbau von Feldfrüchten, Bäumen, Nutztieren und Fischen miteinander verbinden; solche multifunktionalen Systeme haben auch weniger negative Auswirkungen auf natürliche Ökosysteme – im Gegenteil: In vielen tropischen Ländern kann Agro-Forstwirtschaft, bei der die Produkte von Waldbäumen genutzt und darunter Nahrungspflanzen angebaut werden, sowohl abgeholztes Land wieder nutzbar machen wie auch die Nahrungssituation verbessern. Solche Systeme müssten nach den Empfehlungen des Weltagrarrates zukünftig auch in der Forschung viel stärker einbezogen werden, um etwa die Grundlagen natürlicher Schädlingsbekämpfung besser zu verstehen und diese wirksamer zu machen.

Agro-ökologische Systeme binden die Landwirtschaft in natürliche Ökosysteme ein

Solche Systeme, die auf den Energie- und Stoffflüssen der natürlichen Ökosysteme (>> hier) aufbauen, gibt es auch in anderen Klimazonen, etwa die von Takao Furuno in Japan entwickelte Aigamo-Methode des Reisanbaus: Aigamo ist eine Entenart, die Enten fressen in den jungen Reisfeldern Insekten und Unkräuter (aber nicht die Reispflanzen, die durch Silikateinlagerungen zu hart sind), ihre Ausscheidungen düngen die Felder und ihr ständiges Aufwühlen des Bodens führt dazu, dass die Reispflanzen besser verwurzeln. Wenn die Reispflanzen größer sind, werden die Enten zur Mast in Ställe gebracht und stattdessen Fische zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Der Reisertrag ist bei dieser Methode ohne Einsatz von Düngern und Pestiziden genauso hoch wie im konventionellen Reisanbau, die Bauern verdienen aber mit Enteneiern, Entenfleisch und Fisch dazu. Allen diesen Systemen gemeinsam ist eine Intensivierung biologischer Prozesse: des Bodenlebens, der Fotosynthese und der biologischen Kreisläufe. Daher können sie auch unter dem Begriff ökologische Intensivierung (380) zusammengefasst werden.

Förderung der Arten- und Sortenvielfalt

Zu den positiven Folgen einer nachhaltigen, agro-ökologischen Landwirtschaft gehören die Förderung der Arten- und Sortenvielfalt in der Landwirtschaft durch den Anbau mehrerer Arten und die geforderten Fruchtfolgen, die Schädlingen und Unkräutern das Leben schwerer machen: Dies verringert die Abhängigkeit unserer Ernährung von wenigen Arten. Auch die Landwirtschaft selbst hängt vom Erhalt der wilden Vorläufer unserer Nutzpflanzen ab, in denen sich oft Merkmale finden, die in den auf Ertrag optimierten Nutzpflanzen verloren gegangen sind, aber bei geänderten Umweltbedingungen gebraucht werden. So konnte etwa in den 1970er Jahren in den USA ein Schadpilz nur durch die Einführung von Varietäten mit neuen Genen gestoppt werden (zum Erhalt der Biodiversität siehe >> hier). Diese Gründe gelten auch für den Erhalt alter Obstsorten und Haustierrassen – ganz abgesehen davon, dass sie oft auch noch besser schmecken.

Der Nachteil dieser agro-ökologischen Methoden: Sie sind arbeitsintensiver (was für arme Länder ein Vorteil, für reiche Industrieländer jedoch ein Nachteil ist, denn Nachfrage nach Arbeitskraft steht hier in Konkurrenz zu dem der Industrie und den dort gezahlten Löhnen); zudem erfordern sie eine genaue Kenntnis der lokalen Boden- und Wasserverhältnisse sowie ein Gespür für ökologische Zusammenhänge, und sind damit das genaue Gegenteil der “Komplettlösungen” der Agroindustrie, bei der Dünger, Pestizide und das hierfür maßgeschneiderte Saatgut von wenigen großen Konzernen, und zunehmend sogar aus einer Hand, geliefert werden.

Der agro-industrielle Komplex

Als Folge der systematischen Förderung industrieller Landwirtschaft – in Europa geht heute über die Hälfte des EU-Haushalts, ca. 55 Milliarden Euro im Jahr, in den Agrarsektor, und zum großen Teil in die industrielle Landwirtschaft – ist ein agro-industrieller Komplex entstanden, der von den Herstellern von Mineraldüngern, Pestiziden und Saatgut bis hin zu den Besitzern von Massentierhaltungen reicht. Diese Förderung war erfolgreich (>> hier), dieser Erfolg beruhte aber auf nicht dauerhaften Grundlagen. Jetzt haben die Unternehmen des agro-industriellen Komplexes aber Milliardensummen in die Technologien und Methoden der industriellen Landwirtschaft investiert, und fürchten um die Rendite dieser Investitionen, sollte sich dieses Modell ändern. Sie setzen ihre finanziellen Mittel daher erfolgreich im Lobbying ein und versprechen eine Weiterentwicklung dieser Landwirtschaft mit Agro-Hightech: Gentechnik soll die Pflanzen widerstandsfähig gegen Totalherbizide und Schädlinge machen, die Erträge steigern, die Pflanzen gegen Trockenheit wappnen und länger haltbar machen (dass die Wissenschaftler im Weltagrarrat an dieses “Allheilmittel” nicht glauben, führte dazu, dass die Vertreter der Agrochemiefirmen den Rat vor der Ergebnispräsentation unter Protest verließen); precision farming mittels Computern und GPS auf den Treckern soll die Effizienz der Landwirtschaft erhöhen. Dieses Lobbying ist dort erfolgreich, wo es sich mit den Interessen der Verbrauch an niedrigen Preisen (>> hier) oder der Staatsbürokratie an Menge und der Freisetzung von Arbeitskräften für die Industrie traf: Agro-Hightech setzen vor allem die USA, aber auch die EU und China, das vermutlich mehr Geld als jedes andere Land in die grüne Gentechnik steckt.

Die Subventionen zementieren nicht nur die industrielle Landwirtschaft, sie haben noch eine weitere Wirkung: Mit ihrer Hilfe werden Überschüsse aus den reichen Ländern zu Niedrigpreisen auf die Weltmärkte gebracht. Bauern in den armen Ländern können mit diesen Preisen nicht konkurrieren und werden aus dem Geschäft gedrängt (>> hier). Gleichzeitig schützen die reichen Länder ihre eigenen Märkte (sprich: ihre Agro-Industrie) mit Zöllen für Agrarprodukte, und schädigen die armen Ländern damit zusätzlich. (Die Folgen für deren Ernährung mindern dann milliardenschweren Stiftungen wie der Rockefeller- und der Ford-Foundation, die schon die Grüne Revolution förderten. Ein neuer Mitspieler ist die Bill & Melinda Gates Foundation, die die Grüne Revolution nach Afrika bringen will – umstritten ist, ob selbst die Mittel eines Bill Gates ausreichen, transgenes Saatgut für afrikanische Kleinbauern erschwinglich zu machen.)

Im Grunde ist die Auseinandersetzung um die künftige Landwirtschaft ein Beispiel für die grundsätzliche Diskussion um unseren Umgang mit dem Ökosystem Erde: Auf der einen Seite steht ein technisches System, dass den Boden als Standort betrachtet, dem die benötigten Nährstoffe und Wasser zugeführt werden, um mit optimierten, transgenem Saatgut kostengünstig höchstmögliche Erträge zu erzielen. Damit ist es in der Vergangenheit gelungen, die Landwirtschaft in beeindruckendem Ausmaß von natürlichen Risiken abzukoppeln und Lebensmittel zu einer Ware unter vielen zu machen, die auf einem Markt verkauft werden. Alle anderen Lebewesen auf den Feldern werden aber als “Schädlinge” betrachtet. Auf der anderen Seite steht gerade die Vision, natürliche ökologische Systeme für den Anbau zu nutzen, was schon aufgrund des hierfür notwendigen Verständnisses der jeweiligen Ökosysteme nicht im bisherigen industriellen Maßstab möglich ist, und daher den Widerstand jener hervorruft, die hier ihr Geld investiert haben. (Aber nicht nur jener: auch viele kleinere Bauern, die nur als Nebenerwerbslandwirte überleben konnten, sind längst von den arbeitssparenden Segnungen der Industrie abhängig, um ihre Landwirtschaft neben einem anderen Beruf aufrecht zu erhalten.) Nahrung ist für die Anhänger dieser Vision viel mehr als irgendeine Handelsware, sondern darf als grundlegende Voraussetzung für das Überleben (ähnlich wie Wasser) nicht nur nach den Gesetzen der Kostenoptimierung behandelt werden, sondern muss unabhängig davon allen Menschen zur Verfügung stehen – und zwar nicht als Almosen, sondern möglichst selbst erzeugt. Nahrung ist zugleich eine Verbindung des Menschen zur Natur und die Grundlage lokaler Wirtschaftsstrukturen.

Je nachdem, welcher Ansicht man anhängt, werden die Entwicklungen in der Landwirtschaft eingeschätzt: Die Konzentration bei der Entwicklung und Vermarktung beim Saatgut sehen die einen als Glück, da so große Unternehmen entstehen, die die finanziellen Mittel haben, in die grüne Gentechnik zu investieren; für die anderen ist sie ein Alptraum, da das so entwickelte transgene Saatgut teuer und zudem patentiert ist, und so gerade nicht der unabhängigen Nahrungserzeugung dient, sondern Kleinbauern vom Land vertreibt. Die Frage ist also: Welcher Ansatz ist wirklich nachhaltig?

Was ist nachhaltige Landwirtschaft?

Eine nachhaltige Landwirtschaft würde in vielen Punkten auf den Prinzipien des Biolandbaus beruhen: Die Fruchtbarkeit von Böden lässt sich auf Dauer nicht mit Mineraldüngern erhalten, der Preis für die Nutzung von Pestiziden und Herbiziden ist zu hoch (>> hier). Sie ist aber nicht mit diesem identisch. Heute stammen viele Bioprodukte längst aus Großbetrieben in den USA und Lateinamerika, wo nicht die >> oben dargestellten Regeln gelten, sondern bei denen geschlossene Nährstoffkreisläufe im Betrieb längst nicht mehr zu verwirklichen sind und tierischer Dung wenig umweltfreundlich über Hunderte von Kilometern in Lastwagen transportiert wird; und Löhne gezahlt werden, von denen die Landarbeiter nicht leben können. Eine nachhaltige Landwirtschaft wird mehr Arbeitskräfte brauchen und wird daher, um gegenüber der Industrie attraktiv zu werden, höhere Löhne zahlen müssen. Zumindest eine Grundversorgung von Nahrungsmitteln sollte aus regionalen Quellen stammen (aus Gründen der Förderung der regionalen Landwirtschaft und als Schutz gegen die Auswirkungen steigender Öl-/Transportpreise); aber auch diese Forderung gilt nicht absolut: Äpfel aus Neuseeland können im Frühjahr umweltfreundlicher sein als lokale Äpfel, die den ganzen Winter über in einem Kühlhaus gelagert wurden; ohnehin würde etwa in Mitteleuropa das Gemüseangebot alleine aus regionalen Quellen im Winter eher traurig sein. Auch sind der globale Handel nicht immer und grundsätzlich falsch und umweltschädlich: Es ist ökologisch sinnvoller, etwa Getreide in Regionen mit ausreichenden Niederschlägen anzubauen und in trockene Regionen zu exportieren, als etwa in Nordafrika mit Hilfe von fossilem Grundwasser selbst anzubauen. Agrarprodukte können eine Form indirekter Wasserexporte sein und so die Unterschiede in der Wasserverfügbarkeit in der Welt ausgleichen (mehr über “virtuelles Wasser” >> hier).

Dieser Ausgleich muss abgewogen werden gegen den Beitrag zum Klimawandel, der mit dem Transport einhergeht. Aber nicht nur beim Transport, auch ansonsten muss eine nachhaltige Landwirtschaft ihren Beitrag zum Klimawandel reduzieren: Daher ist eine Ausweitung landwirtschaftlicher Nutzfläche auf Kosten von Regenwäldern kein akzeptabler Weg zu mehr Ertrag; auch der Klimaschutz erfordert weniger Nutzung von Stickstoffdünger (die die Entstehung des >> Treibhausgases Distickstoffoxid fördert); an der Verringerung der Methanerzeugung aus Rindermägen und Reisfeldern sowie an der Reduktion des Energieverbrauchs muss auch in der agro-ökologischen Landwirtschaft gearbeitet werden. Besonderes Interesse finden im Klimaschutz Techniken der Bodenbearbeitung, die auf das Pflügen verzichten (“Direktsaat”, engl.: no-till farming): Das Pflügen reduziert den Kohlenstoffgehalt im Boden, der Verzicht auf Pflügen vermindert diesen Verlust. In den USA hat der Verzicht auf Pflügen in den letzten 30 Jahren 1,4 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Ackerböden gebunden. Weitere Vorteile sind verringerte Bodenerosion durch Wind und Wasser (siehe Exkurs).

Ackerbau ohne Pflug

Pflügen spielt eine wichtige Rolle im üblichen Ackerbau: Mist und Unkräuter werden in den Boden eingearbeitet, der dabei durchlüftet wird und sich ohne isolierende Pflanzenschicht im Frühjahr schneller erwärmt. Damit findet die Saat optimale Startbedingungen vor. Aber das Pflügen hat auch einen Preis: Bis die Pflanzen groß sind, ist der Ackerboden Wind und Wasser schutzlos ausgesetzt. Durch Erosion sind viele Ackerböden mittlerweile stark geschädigt (>> hier)), und nach dem “Dust Bowl” der Jahre 1931 bis 1939 begannen in den USA Landwirte mit Ackerbau ohne Pflug zu experimentieren. Der Agrarwissenschaftler Edward Faulkner behauptete 1943, Pflügen sei verzichtbar. Vor allem in den USA, in Brasilien, Argentinien, Kanada und Australien ist die Methode heute weit verbreitet – in den USA werden über ein Fünftel des Ackerlandes pfluglos bestellt. Inzwischen gibt es dort moderne Direktsämaschinen, die nur kleine Furchen im Boden öffnen und dort die Saat einbringen. In Europa, Afrika und Asien führt der pfluglose Ackerbau dagegen bisher ein Exotendasein. Der Weltklimarat fordert nun die Ausweitung dieser Art der Bodenbearbeitung, da dann viel mehr Kohlenstoff im Boden verbleibt als beim Pflügen.

Im Biolandbau aber ist diese Technik nicht verbreitet, da das Pflügen ein wichtiger Baustein der mechanischen Unkrautbekämpfung ist und es erleichtert, die Nährstoffe aus der Tierhaltung in den Boden einzubringen. Wegen der organischen Substanz im Boden und dem Verzicht auf energieintensivem Kunstdünger ist der Biolandbau zwar klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft, >> mehr, aber die pfluglose Bodenbearbeitung zeigt, dass es auch gegensätzliche Interessen geben kann.

Die Methanproduktion im Reisanbau kann durch den “halbtrockenen Reisanbau” reduziert werden; in China wurde damit der Methanausstoß der Reisfelder schon um zwei Drittel gesenkt. Neue Methoden und Reissorten können den Wasserbedarf zukünftig weiter senken.

 Was nachhaltige Landwirtschaft für Konsumenten bedeuten würde

Zwei Dinge würden sich für die Bürger der reichen Länder, die bisher am meisten von der industriellen Landwirtschaft profitieren, ändern müssen: Nahrungsmittel würden teurer werden, denn der große Vorteil der industriellen Landwirtschaft, der kostengünstige Anbau in großem Maßstab und den am besten geeigneten (= billigsten) Regionen würde bei einer Orientierung auf ökologische Systeme und lokalere Produktion wegfallen. Die Schätzungen über die Mehrkosten schwanken; bei einem realistischen Wert von 30 Prozent würde etwa der Anteil, den ein durchschnittlicher Deutscher für Nahrung ausgibt, von 14,5 auf knapp 20 Prozent steigen – Geiz wäre nicht länger geil (siehe auch den Kasten "Unsere Rolle als Verbraucher" im Anschluss. Im übrigen könnte der Anteil wieder sinken, wenn wir weniger Lebensmittel wegwerfen würden).

Lebensmittel aus nachhaltiger Landwirtschaft werden teurer und es gibt weniger Fleisch 

Zweitens: Der heutige Anteil von Fleisch, aber auch von Milchprodukten, vom Käse bis zur Eiscreme, an der Ernährung ist nachhaltig nicht zu erzeugen. Gesundheitlich wäre weniger Fleisch sogar ein Vorteil (siehe auch den folgenden Kasten), aber Gesundheitsvorteile reichen bekanntlich nicht für ein Umstellen unserer Gewohnheiten (sonst gäbe es ja weder Raucher noch Alkoholiker).

Unsere Rolle als Verbraucher

Unsere Lust auf Fleisch

Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche sind Weideland, meist in niederschlagsarmen Regionen mit Steppenvegetation. Dort ist in der Regel Ackerbau nicht möglich oder wenig produktiv; die Rinder-, Schaf- und Ziegenherden hier sind die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen. Global gesehen sind sie "Nahrungsergänzer" und nicht Nahurngskonkurrenten des Menschen. In der industriellen Landwirtschaft sieht Tierhaltung aber anders aus: Die Tiere in den Ställen werden mit Pflanzen gefüttert, die auf den gleichen fruchtbaren Böden wachsen wie die Pflanzen für unsere Ernährung auch. Oder sogar mit den gleichen Pflanzen: 40 Prozent der Getreideernte landen in Tiermägen. Das gilt auch für Wiederkäuer, die eigentlich Gras und andere faserreiche Kost brauchen – bei den deutschen Milchkühen macht dieses Grundfutter nur noch ein Drittel der Nahrung aus, der Rest ist Kraftfutter wie Getreide und Soja (300).

Die Produktion von Futter zur Erzeugung von ein Kilo Fleisch braucht je nach Tierart die drei- bis zehnfache Fläche (im Durchschnitt die siebenfache) wie für die gleiche Menge Getreide – ein Mastschwein braucht eine Tonne Futter, bis es schlachtreif ist, ein Rinderbulle sogar sechs Tonnen. Eine Ernährung mit viel Fleisch braucht daher mehr Land als eine fleischärmere Ernährung; ein Drittel der weltweiten Ackerfläche dient bereits der Futterproduktion (300). Dazu hat die Tierhaltung eigene Umweltauswirkungen: Wasser- und Energieaufwand, Unmengen von Exkrementen, massive Anwendung von Antibiotika zur Vorbeugung und zur Therapie (>> mehr). Unsere 20 Milliarden Nutztiere belasten die Biosphäre mehr als die über sieben Milliarden Menschen (ohne Industrieproduktion).

Bis 2050 wird sich der globale Fleischverbrauch, schätzt die FAO, vor allem durch den zunehmenden Konsum in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien noch einmal verdoppeln; für das zusätzliche Fleisch würde alleine über eine 1 Milliarde Tonnen Futtergetreide gebraucht. Würden alle Menschen auf der Welt soviel Fleisch essen wie wir, müsste hierfür die gesamte Getreideernte verfüttert werden! Ist Biofleisch die Lösung? In den heute von einem durchschnittlichen Deutschen verzehrte Mengen von 60 Kilogramm Fleisch im Jahr kann Biofleisch für die ganze Menschheit schlicht nicht erzeugt werden; und Biorindfleisch trägt zwar weniger, aber immer noch spürbar zum Klimawandel bei. Eine nachhaltige Ernährung bedeutet daher in den reichen Ländern auch, weniger Fleisch zu essen – statt durchschnittlich 60 nur noch 20 Kilogramm im Jahr. Für die Gesundheit der Menschen wäre diese Einschränkung des Fleischkonsums und dafür mehr Obst und Gemüse in der Ernährung nur vorteilhaft: 20 Kilogramm Fleisch im Jahr entspricht auch den Mengen, die etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt (siehe auch >> Eine gesündere Welt). (Eine vollständig vegetarische Ernährung würde hingegen bedeuten, dass wir nur noch von dem Drittel der landwirtschaftlichen Fläche leben müssten, die als Ackerland geeignet sind.)

Geiz ist nicht geil

In Ländern mit hohen Lohnkosten führt der höhere Arbeitsaufwand im Biolandbau zu höheren Kosten für Lebensmittel – während die konventionelle Landwirtschaft von billiger Energie profitiert und auch für die Kosten der von ihr verursachten Grundwasserbelastung nicht aufkommen muss. Daher hängt die Zukunft des Landbaus auch von der Bereitschaft der Verbraucher ab, für verantwortungsbewusst erzeugte Ware höhere Preise zu akzeptieren: Wer im Supermarkt ein Hähnchen für 1,50 Euro kaufen will, darf sich über Hormonfleisch und Massentierhaltung jedenfalls nicht beschweren –  solche Preise sind mit tiergerechter Haltung und natürlichem Futter nicht zu erreichen. Für einen höheren Preis erhalten die Verbraucher nicht nur ein gutes Gewissen, sondern oft auch gesündere Nahrung: Milch und Butter von Kühen, die Weidegras fressen, enthält etwa doppelt so viele Omega-3-Fettsäuren (die unter anderem das Herzinfarkt-Risiko senken sollen) wie Milch von Stallkühen, und schmeckt auch besser. Das merken auch immer mehr Verbraucher – die irische Kerrygold-Butter (die aus Weidemilch hergestellt wird) ist in Deutschland inzwischen Marktführer und hat einen Marktanteil von 13 Prozent.

Es ist eine offene Frage, wie groß die öffentliche Unterstützung für eine Politik wäre, die zu höheren Preisen und weniger Fleisch auf dem Teller führen würde. Den agro-industriellen Komplex als alleinigen Verursacher der Probleme in der Landwirtschaft darzustellen, ist jedenfalls zu einfach. Manche Fachleute fürchten daher, dass die notwendigen Änderungen erst durch gravierende Krisen ausgelöst werden, etwa durch steigende Ölpreise, die sowohl die Herstellung von Mineraldüngern als auch den globalen Handel stark verteuern würden); andere glauben daran, dass das Umsteuern auch ohne Krisen in Gang kommen könnte, wenn die Kosten der Schäden, die bisher die Allgemeinheit trägt, sich in den Preisen der Produkte konventioneller Lebensmittel widerspiegeln würden, die Preise also die Wahrheit über die tatsächlichen Kosten sagen würden (>> mehr).

Bisher scheint unser Nahrung nur deshalb billig, weil die Preise nicht die Wahrheit sagen

Das Ende des Hungers

Noch komplexer ist die Lösung des Hungers in den armen Ländern: Dieser ist nicht alleine und nicht einmal in erster Linie eine Frage der Produktion von Nahrungsmitteln (>> hier), sondern die Folge komplexer sozialer, politischer, ökonomischer und ökologischer Probleme. Daher sieht der Welt-Agrarrat die Änderung der Subventionsstruktur als wichtigste Voraussetzung an, dass auch arme Länder vom Handel mit Agrarprodukten profitieren können. Transparente, faire Preise für die Bauern sind für ihn ein wesentlicher Beitrag auch für die soziale Entwicklung ländlicher Räume; lokale Märkte für frische Produkte könnten auch die Qualität der eingekauften Nahrung verbessern. Die Förderung solcher Märkte, Kleinkredite für Bauern, die Unterstützung von “Fair-Trade”-Initiativen und Biolandbau könnten helfen, regionale und nationale Institutionen aufzubauen, die einerseits die regionale Lebensmittelversorgung sichern und langfristig den Ländern und ihren Kleinbauern helfen, am Weltmarkt bestehen zu können. Regionale Märkte können zudem einen Teil der sogenannten "post-harvest-losses" vermeiden helfen, die auf fehlende Lagermöglichkeiten und schlechte Transportwege zurückgehen (und das Gegenstück zur Verschwendung von Lebensmitteln in den reichen Industrieländern sind).

Dass mit gezielter Forderung die Umstellung möglich ist, zeigen etwa die Programm zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft in der Schweiz, in Dänemark und Schweden (und hat die Förderung des Biolandbaus im Rahmen der Agrarwende von Renate Künast in Deutschland gezeigt). Beispiele hierfür gibt es auch aus Entwicklungsländern: In Indonesien wurden im Jahr 1986 56 Pflanzenschutzmittel für den Reisanbau verboten und mit Hilfe der FAO, der Weltbank und USAID stattdessen ein integriertes Pflanzenschutzprogramm eingeführt. Über eine Millionen Bauern wurden geschult – der Einsatz an Pflanzenschutzmitteln ging stark zurück (ein Viertel der Bauern verwendet sie überhaupt nicht mehr), die Erträge stiegen um 0,5 Tonnen pro Hektar. (Apropos Chemikalien: Der Welt-Agrarrat fordert den Verzicht auf gefährliche Chemikalien der WHO-Kategorie 1a/1b zumindest in solchen Ländern, die “eingeschränkte Möglichkeiten” haben, die Umsetzung von Arbeitsschutz- und Lebensmittelsicherheitsstandards zu gewährleisten, die Landarbeiter und Verbraucher vor den Risiken dieser Chemikalien schützen sollen.)

Die nächsten Schritte

Unabhängig von der Diskussion um die Frage, ob wir bereit sind, für eine nachhaltige Landwirtschaft mehr für Lebensmittel zu bezahlen und weniger Fleisch zu essen, liegen große Reserven auch in der Züchtung neuer Sorten und der Weiterentwicklung der in der Landwirtschaft verwendeten Technik. Eine Ausdehnung der Anbauflächen ist nur auf den zur Zeit aus ökonomischen Gründen brachliegenden Flächen in Europa und Nordamerika sinnvoll, die aber im globalen Maßstab nur einen Tropfen auf dem heißen Stein darstellen.

 Neue Züchtungen und effizientere Agrartechnik

Bei vielen Hochertragssorten ist der Ertrag wohl kaum noch zu steigern: Bei den Getreidearten machen die Körner bereits mehr als die Hälfte der Trockenmasse aus – ganz ohne Wurzeln und Blätter kann die Pflanze aber keine Körner bilden. Aber es gibt Arten, die noch Potenzial haben, etwa die südamerikanischen Quinoa und Amarant. Daneben liegt die Aufgabe der Züchtung vor allem darin, diese Erträge bei geringeren Ansprüchen an die Düngung zu erreichen (und so die Abhängigkeit von Mineraldüngern zu senken); in der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Pflanzen, etwa gegen Salz, Krankheitserreger und Schadinsekten (weniger Pestizideinsatz) und in der Anpassung an der Pflanzen an die Folgen des Klimawandels. Im weiteren Sinne geht es auch um die Entwicklung von Anbausystemen, die die Bodenfruchtbarkeit fördern und nicht zerstören; und ein großes Potenzial liegt auch in der Verbesserung von Lagerhaltung und Vertrieb: Vor allem in feuchtwarmem Klima geht ein großer Teil der Ernte auf dem Weg zum Verbraucher verloren. Für die Bewässerung gibt es bereits erprobte Verfahren in Regionen mit Wassermangel: Die Tropfenbewässerung, die etwa in Zypern oder Israel weit verbreitet ist und bei uns in Gewächshäusern verwendet wird. Ihr Nachteil: Sie ist teurer. Für arme Länder gibt es aber sehr ähnliche Verfahren, bei denen perforierte Plastikschläuche verwendet werden. Im Interesse eines nachhaltigen Umgangs mit Wasser müssen diese Verfahren viel breiter verwendet werden – selbst in Europa, wo bei zunehmenden Trockenperioden das Wasser knapp werden kann. In konnten Bangladesch Kleinbauern ihre Produktivität mit Tretpumpen zur Bewässerung verbessern und neue Zukunftsperspektiven gewinnen. Zudem tragen solche Initiativen dazu bei, den Unternehmergeist zu wecken – die Teile für die Pumpen wurden von 75 kleinen Privatfirmen hergestellt, und die Pumpen von lokalen Händlern verkauft. (Die Tretpumpen sind ein Projekt der gemeinnützigen >> International Development Enterprises).

Zukunft in den Städten?

Im Jahr 2050 leben bei Fortsetzung heutiger Trends 6 Milliarden Menschen in den Städten, zwei Drittel der Gesamtbevölkerung (>> mehr). Da das Land knapp wird (>> mehr), gibt es Überlegungen, die Landwirtschaft auch in die Städte, zu den Menschen, zu holen. Die Pflanzen könnten in zukünftigen Hochhäusern in einer Nährlösung wachsen, die aus dem Abwasser der Bewohner hergestellt wird. Dies ist jedenfalls die Vision des Vertical Farm Project in den USA. Mehr: >> www.verticalfarm.org. Auch in Chinas Öko-Stadt Dongtan (>> hier), die bei Schanghai entsteht, sollen mindestens so viele Nahrungsmittel erzeugt werden, wie das zur Errichtung der Stadt verloren gegangene Ackerland erbracht hätte (>> website).

Landwirtschaft und Klimawandel

Die zukünftigen Erträge der Landwirtschaft werden auch davon abhängen, ob wir den >> Klimawandel in den Griff bekommen. Kulturpflanzen sind von bestimmten Klimabedingungen abhängig; extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Trockenheiten oder starke Stürme schaden der Produktivität. Bis zum Jahr 2050 könnte ein Viertel der Nahrungsmittelproduktion durch Umweltschäden verloren gehen (UNEP 2009), besonders betroffen werden voraussichtlich Indien, Australien, Afrika und China sein (>> mehr). Daher sind >> Strategien gegen den Klimawandel immer auch Strategien für eine sichere Ernährung.

Landwirtschaft und (Agro)energie

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen war in seinen Leitplanken nachhaltiger Energiepolitik (>> hier) eindeutig: Der Anbau von Bioenergiepflanzen darf nicht zu Lasten der Nahrungsmittelversorgung gehen. Aber seit die USA Mais als Ausgangsstoff für die Herstellung ihres freedom fuel genannten Bioethanols entdeckt haben, ist der Weltmarktpreis um 80 Prozent gestiegen – in Mexiko hat sich der Preis für Maismehl im Jahr 2006 verdoppelt. Menschen verhungern, da sie sich Nahrung nicht leisten können (>> hier) – die Bioenergienutzung könnte zum ethischen Totalschaden der Automobilgesellschaft werden. Nachhaltig ist nur die Herstellung von Bioenergie aus Reststoffen der Lebensmittelpflanzen, etwa dem Stroh der Getreidefelder (siehe hierzu auch >> Energie aus Biomasse). Gleichzeitig ist die Landwirtschaft auch ein bedeutender Energieverbraucher. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen geht mit zurückgehender Nutzung von Kunstdüngern und Pestiziden ebenfalls zurück; in vielen anderen Bereichen (landwirtschaftliche Maschinen) und der Lebensmittelherstellung und -verteilung ist aber eine Effizienzrevolution nötig – wie auch im Rest der Gesellschaft (>> mehr).

Die Zukunft der Fischerei

Drei Viertel aller Fischbestände sind bis an die biologisch vertretbare Grenze ausgebeutet oder bereits überfischt (>> mehr), bereits seit den 1980er Jahren beruht der Zuwachs beim Fischverzehr ausschließlich auf zunehmender Fischhaltung in Aquakultur. Angesichts der zurückgehenden Fleischproduktion bei nachhaltiger Landwirtschaft könnte deren Bedeutung noch stärker zunehmen als ohnehin absehbar. Das hat Vorteile: Fisch ist ein erheblich besserer Futterverwerter als Hühner, Schweine und Rinder. Aber viele heutige Aquakulturen ähneln eher der Massentierhaltung (>> mehr); und dies ist auch bei Fisch nicht unproblematisch: Fische sind sehr stressanfällig, und für manche Fischarten bedeutet Enge Stress. Bisher wissen wir ohnehin kaum, was artgerechte Tierhaltung bei Fischen bedeuten würde; dies ist auch der Grund dafür, dass bisher nur wenige Arten überhaupt erfolgreich gezüchtet werden können. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Dafür ist bekannt, wie die Umweltauswirkungen der Aquakultur verringert werden können: Fischfarmen können in der Tiefsee betrieben werden, wo Meeresströmungen Kot und Futterreste verteilen; inzwischen wird sogar an autonom treibenden Käfigen gearbeitet (siehe Kasten rechts). Beim Futter wird daran gearbeitet, den pflanzlichen Anteil zu erhöhen. Zukünfig sollen nachhaltige Fischzuchten nach dem Vorbild des MSC (>> hier) mit einem Siegel des Aquaculture Stewardship Council (ASC) gekennzeichnet werden. Bereits heute füttern Fischfarmen, die Fischprodukte mit Biosiegel herstellen, ihre Fische mit Abfällen etwa aus Fischfilettierbetrieben (und nicht mit eigens gefangenen Futterfischen, die zur Überfischung neuer Arten führen). Zudem werden Schädlinge mit biologischen Mitteln bekämpft, etwa indem Putzerfische gegen Seeläuse eingesetzt werden. Haupthindernis auch hier wieder: Diese Methoden sind teurer; und solange die externen Kosten nicht in Produktionskosten eingerechnet werden, scheint die Umweltzerstörung billiger zu sein als die nachhaltige Aquakultur.

Webtipps

>> Nachhaltige Landwirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika: Detailinformationen zu den Projekten, die in der Studie von Pretty & Hine (2001) ausgewertet wurden (Webseite der University of Essex, Environment & Science Unit, englischsprachig); siehe zum Thema auch >> hier.

>> Informationsportal Oekolandbau.de

>> Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft:
    >> 25 Fragen und Antworten rund um Öko-Landbau und Bio-Lebensmittel

 Webseiten von Organisationen des Ökologischen Anbaus:
>> IFOAM (International Federation of Organic Agroculture Movements, englischsprachig) >> Bioland >> demeter >> Aquaculture Stewardship Council (ASC)

Weiter mit:
>> Weltagrarbericht 2008 – Der Bericht des Weltagrarrates

oder zum nächsten Thema:
>> Wasser fürs Leben, Wasser für Menschen

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>> Die industrielle Landwirtschaft
>> Übersichtsseite Strategien für die Zukunft

© Jürgen Paeger 2006 – 2019

Der Dokumentarfilm Taste the Waste von Valentin Thurn brachte im Jahr 2011 die enorme Verschwendung von Lebensmitteln ins Bewusstsein. Insgesamt werden etwa die Hälfte der erzeugten Lebensmittel ungenutzt weggeworfen, davon sind mindestens zwei Drittel vermeidbar.

Die Auswirkungen von Fischfarmen auf die Umwelt will der MIT- Forscher Cliff Goudey durch Kugelkäfige verringern, die autonom im Meer treiben – dadurch sollen Kot und Futterreste besser verteilt werden. >> mehr