Strategien für die Zukunft
Bevölkerung und Gesundheit
Wie 10 Milliarden Menschen auf der
Erde leben können
Die Menschheit wird, wenn nichts
Unvorhergesehenes geschieht, bis zum Jahr 2050 auf fast zehn
Milliarden Menschen anwachsen. Die Überwindung der Kluft zwischen
Arm und Reich ist eine Voraussetzung für eine lebenswerte Zukunft:
Erst muss Brot auf dem Tisch, bevor die Ärmsten anfangen werden,
sich um ihre künftige Umwelt zu sorgen. Der Kampf gegen die Armut
muss ernsthafter als in der Vergangenheit geführt werden. Dies wäre
gleichzeitig ein Baustein für eine gesündere Welt – und die
Voraussetzung für ein schnelles Ende des Bevölkerungswachstums.
Zunahme der Bevölkerung im
Industriezeitalter (>> hier)
und
mittlere Variante des UN World Population Prospects 2012
zur
Bevölkerungsentwicklung bis 2050. Eigene Abbildung.
In der Geschichte der Menschheit war das Wachstum der Menschheit
die Voraussetzung für die Entwicklung, die wir >>
genommen haben; mehr Menschen bedeuteten mehr Austausch, mehr
Kreativität, mehr >>
neue Erfindungen. Aber heute hat dieses Wachstum im
Zusammenspiel mit dem Ressourcenverbrauch eines modernen,
“westlichen” Lebensstils eine Grenze überschritten, wo mehr nicht
mehr besser ist, sondern zunehmend seine >> eigenen
Grundlagen gefährdet. Auch wenn in vielen bevölkerungsreichen
Ländern wie Indien und Bangladesch die Geburtenrate längst
zurückgeht (Phase 3 des >> demografischen
Übergangs), ist ein weiteres Wachstum der Weltbevölkerung
durch die große Zahl der heute hier lebenden jungen Menschen
vorprogrammiert: Die Hälfte der Bevölkerung in den am schnellsten
wachsenden ärmeren Ländern ist unter 25, und daher könnte
kurzfristig ein weiteres Wachstum nur durch schwere Katastrophen
verhindert werden. Mittel- und langfristig ist jedoch eine
Stabilisierung der Weltbevölkerung die Voraussetzung dafür, dass für
den einzelnen nicht auch bei erheblich gesteigerter Effizienz immer
weniger Ressourcen bleiben und der >>
ökologische Fußabdruck der Menschheit nicht endgültig zu groß
wird.
Wie viele Menschen werden wir?
Vorhersagen über das künftige Bevölkerungswachstum sind immer mit
den intimsten Entscheidungen von Menschen verknüpft: Sie hängen
davon ab, wie viele Paare sich in Zukunft für wie viele Kinder
entscheiden. Aber die >> Geschichte
des Bevölkerungswachstums nach der Industriellen Revolution
zeigt, dass es Gesetzmäßigkeiten gibt, die man mit
wissenschaftlichen Methoden erfassen kann. Das Wachstum der
Bevölkerung geht nicht unendlich weiter (>> demografischer
Übergang). Die Vereinten Nationen schätzen regelmäßig ab, wie
sich die Erdbevölkerung in den verschiedenen Regionen der Welt
vermutlich entwickeln wird. Aktuell sind die >>
World Population Prospects - The 2019 Revision
(englischsprachig), aus denen die folgenden Zahlen stammen.
Nach der mittleren Variante dieses Berichts wird die
Weltbevölkerung von 2019 gut 7,7 Milliarden Menschen
auf 8,5 Milliarden Menschen im Jahr 2030, auf 9,7
Milliarden Menschen im Jahr 2050 und auf 10,9
Milliarden Menschen im Jahr 2100 anwachsen (das
Vertrauensintervall von 95 Prozent – also der Bereich, in dem die
Angaben mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zutreffen – liegt bei
9,4 bis 10,1 Milliarden Menschen im Jahr 2050 und 9,4 bis 12,1
Milliarden Menschen im Jahr 2100). Gegenüber früheren Ausgaben des
Berichts sind diese Annahmen angestiegen – neuere Daten aus einigen
Ländern zeigen ein Bevölkerungswachstum, das höher liegt als zuvor
angenommen. Wie viele Menschen wir wirklich werden, hängt wesentlich
von der durchschnittlichen Fruchtbarkeit der
Elternpaare ab (und daneben auch vom durchschnittlichen
Sterbealter). Je nach Sterblichkeitsrate bedeutet eine
durchschnittliche Fruchtbarkeit von 2,1 (in Industrieländern) bis
2,6 (in armen Entwicklungsländern) Kindern je Elternpaar, dass die
Bevölkerung stabil bleibt. Eine höhere durchschnittliche
Fruchtbarkeit bedeutet Bevölkerungswachstum, eine niedrigere
durchschnittliche Fruchtbarkeit einen Bevölkerungsrückgang. Im
weltweiten Durchschnitt beträgt die durchschnittliche Fruchtbarkeit
heute knapp 2,5 Kinder; bei der mittleren Variante sind die
UN-Experten von einem Rückgang auf 2,2 im Jahr 2050 und auf 1,9 im
Jahr 2100 ausgegangen. Trifft diese Annahme nicht zu, hat das
Einfluss auf die künftige Weltbevölkerung: Bei einer hohen
Variante mit einer um etwa 0,5 Kinder höheren
durchschnittlichen Fruchtbarkeit würde die Bevölkerung auf 10,9
Milliarden Menschen im Jahr 2050 und 16,6 Milliarden Menschen im
Jahr 2100 anwachsen; bei einer niedrigen Variante
mit einer um etwa 0,5 Kinder niedrigeren Fruchtbarkeit würde sie auf
8,3 Milliarden Menschen im Jahr 2050 anwachsen und auf 6,8
Milliarden Menschen im Jahr 2100 zurückgehen. Dass die Bevölkerung
auch bei dieser Variante trotzt einer durchschnittlichen
Fruchtbarkeit von unter 2 zunächst noch weiter anwächst, liegt an
der hohen Zahl junger Menschen, die erst noch ins
fortpflanzungsfähige Alter kommen – die Bevölkerungszahl verhält
sich daher wie ein sehr schwerer, schnell fahrender Tanker: sie hat
einen sehr langen Bremsweg.
Das Bevölkerungswachstum ist sehr unterschiedlich verteilt, es
gibt große Unterschiede zwischen den Ländern. In
den meisten entwickelten Ländern liegt die Fruchtbarkeit seit langem
unter der Reproduktionsrate von 2,1 Kindern; hier geht die
Bevölkerung zurück (sofern der Rückgang nicht, wie zum Beispiel in
den USA, durch Einwanderung ausgeglichen wird). In den letzten
Jahren ist die Fruchtbarkeit hier leicht auf durchschnittlich 1,67
Kinder angestiegen; die UN geht von einem weiteren leichten Anstieg
(auf 1,78 im Jahr 2100) aus, da auch in wohlhabenden Ländern viele
Paare zwei Kinder wünschen und zudem die Politik diesen unterstützt,
um einen Bevölkerungsrückgang zu verhindern. In den 47 ärmsten
Ländern beträgt die Reproduktionsrate 4,31 Kinder pro Elternpaar;
die UN-Experten gehen in der mittleren Variante davon aus, dass sie
auf 2,87 Kinder im Jahr 2050 und 2,11 Kinder im Jahr 2100 fällt. In
den ärmsten Ländern dürfte die Bevölkerung also noch länger deutlich
zunehmen – die stärksten Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl haben
dabei schon heute bevölkerungsreiche Länder wie Indien, Nigeria,
Tansania oder die Demokratische Republik Kongo. Insbesondere in
Indien, wo die Geburtenrate bereits zurückgeht, könnte die
Bevölkerung aufgrund des hohen Anteils junger Menschen noch von 1
Milliarde auf über 1,6 Milliarden Menschen anwachsen; Indien könnte
damit vor China das bevölkerungsreichste Land der Erde werden. Aber
die bevölkerungsreichsten Länder wie Indien, China und die USA
befinden sich längst in Phase 3 oder 4 des >> demografischen
Übergangs; eine Herausforderung stellt das
Bevölkerungswachstum vor allem in Ländern wie Afghanistan, Angola,
Nigeria und Uganda dar, die sich in Phase 2 befinden, deren
Geburtenrate also noch sehr hoch ist.
Zwar ist das Bevölkerungswachstum alleine heute nicht die
wichtigste Ursache unserer ökologischen Probleme, sondern das
Produkt aus Anzahl an Menschen und individuellem Konsum (mehr dazu
>>
hier), und auch bei 9,7 Milliarden Menschen im Jahr 2050 wird
die durchschnittliche Bevölkerungsdichte der Erde deutlich weniger
als ein Drittel der heutigen Dichte Deutschlands betragen. Aber der
Ressourcen- und Umweltverbrauch unser Lebensstils übertrifft die
ökologische Tragfähigkeit der Erde längst (mehr dazu >> hier),
unsere Ernährung ist von Futtermittelimporten abhängig; und immer
mehr Menschen auf der Welt streben diesen Lebensstil an. Zwar haben
wir ein riesiges Potenzial, über >> effizientere
Ressourcennutzung und >>
geändertes Verhalten Verbesserungen zu erreichen, aber mittel-
und langfristig wird sich die Frage neu stellen: Soll nicht jeder
Einzelne immer weniger verbrauchen dürfen, darf die Zahl der
Menschen nicht endlos weiterwachsen. Dazu kommen andere Aspekte:
Wenn das Bevölkerungswachstum in armen, instabilen Staaten
stattfindet, werden junge Menschen, denen Grundrechte und die
Befriedigung von Grundbedürfnissen verweigert werden, in einer
vernetzten Welt Instabilität und Extremismus verstärken – der
Direktor des amerikanischen CIA sagte 2008 bei einem Vortrag, der
CIA halte inzwischen die Bevölkerungsentwicklung für gefährlicher
als den Terrorismus.
Lässt sich das Bevölkerungswachstum menschlich
bremsen?
“Bevölkerungskontrolle” ist politisch ein heikles
Thema: Zum einen mischt sich die Politik in privateste
Lebensentscheidungen ein, zum anderen wurde zu oft Missbrauch
betrieben, in dem zum Beispiel Minderheiten besonders intensiv
“kontrolliert” (z.B. durch Sterilisation) wurden. Erfreulicherweise
gibt es andere Ansätze: Die meisten Frauen wollen nämlich gar nicht
viele Kinder. Die Zahl der unbeabsichtigten Schwangerschaften
entspricht etwa dem jährlichen Bevölkerungswachstum! In vielen
Entwicklungsländern haben die Menschen aber keinen Zugang zu
Aufklärung und modernen Verhütungsmitteln. Dazu tragen auch die
Kirche und manche Industrieländer bei: So knüpften die USA unter
George Bush einen großen Teil ihrer Entwicklungsgelder an eine abstinence-only-Richtlinie
– Projektpartner mussten Enthaltsamkeit statt moderner
Verhütungsmittel empfehlen; die katholische Kirche predigt
Enthaltsamkeit und verdammt Kondome. Sein Nachfolger Barack Obama
hat die US-Politik bereits am dritten Tag seiner Amtszeit geändert,
zu recht: Zugang zu allen Methoden der Familienplanung
ist ein wichtiger Schritt aus der Armut – Familien mit weniger
Kindern investieren mehr in Nahrung, Gesundheit und Bildung für
jedes Kind; und setzen damit einen positiven Kreislauf in Gang: Je
besser die Bildung, vor allem der Mädchen, desto weniger Kinder. Das
größte Hindernis bei der weltweiten Umsetzung dieser Erkenntnis ist,
dass Themen wie Emanzipation der Frau (Mitbestimmung in der Familie
und bei der Zahl der Kinder) und Verhütung in vielen Ländern dieser
Erde aufgrund kultureller oder religiöser Traditionen nahezu ein
Tabu sind.
Armut ist der zweite Verbündete des
Bevölkerungswachstums: Arme Menschen müssen auf Kinder als
Arbeitskraft und Alterssicherung setzen – und viele Kinder haben, da
bei ihnen die Kindersterblichkeit höher ist. Hohe Geburtsraten gibt
es daher fast ausschließlich in armen Ländern oder Ländern mit einem
großen Anteil armer Menschen. Die höchsten Raten findet man in den
ärmsten afrikanischen Ländern. Das Bevölkerungswachstum fördert
wiederum die Armut: Land und Wasser müssen mit immer mehr Menschen
geteilt werden, Sozialsysteme sind der Zahl an Menschen nicht
gewachsen. Viele Mädchen werden früh schwanger, gehen nicht mehr zu
Schule – und bleiben arm. Aus diesem Grund ist auch die Bekämpfung
von extremer Armut ein grundlegender Beitrag, um das
Wachstum der Weltbevölkerung zu bremsen – die Wege dahin sind
allerdings umstritten (>>
Der Streit um die Entwicklungshilfe).
Das Jahrtausend der Städte
Inzwischen lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten
(>> mehr);
die Vereinten Nationen schätzen, dass es im Jahr 2030 bereits 60
Prozent sind. Bis 2050 könnten bereits 6 Milliarden Menschen in
Städten wohnen, fast doppelt so viele wie heute. Der Zustrom in die
besonders schnell wachsenden Städte der Schwellen- und
Entwicklungsländer wird anhalten, solange das Leben ihrer Bewohner
besser ist als das auf dem Land. Eine besondere Herausforderung wird
es daher sein, den Energie- und Ressourcenverbrauch von
Ballungsräumen nachhaltig zu gestalten und durch die Stadtplanung
sicherzustellen, dass der Flächenverbrauch nicht gleichermaßen
wächst und Ackerland verschont - Städte liegen nämlich oft in
fruchtbaren Flussniederungen, auf Land, das auch für den Ackerbau
geeignet wäre. Die andere große Herausforderung für die Stadtplanung
wird es auch sein, ein weiteres Anwachsen von Elendsvierteln zu
verhindern und den Bewohnern sauberes Wasser zu liefern, Abwässer
und Abfälle hygienisch zu entsorgen und die Luftqualität zu
verbessern. Dann bieten Städte auch Chancen für die zukünftige
Entwicklung: Der Energieverbrauch pro Einwohner ist in Städten mit
verdichtetem Wohnen, kürzeren Wegen und Massenverkehrsmitteln oft
wesentlich niedriger als im Landesdurchschnitt (ein Einwohner New
Yorks produziert zwei Drittels des Kohlendioxids eines
Durchschnittsamerikaners, ein Bewohner von São Paulo nur ein Fünftel
eines Durchschnittsbrasilianers). Der Zugang zu medizinischer
Versorgung und besserer Bildung ist einfacher, und Stadtbewohner
wollen in der Regel weniger Kinder haben.
Die Energieversorgung
der Städte bietet beste Möglichkeiten, die bei der Stromerzeugung in
Wärmekraftwerken anfallende Abwärme (>>
hier) zur Heizung zu nutzen; dazu sind aber kleine, dezentrale
Kraftwerke besser geeignet als die heute bevorzugten Großkraftwerke
(>>
hier). Durch die hohe Energiedichte bieten sich in Städten
auch exotische Lösungen an; so gewinnt der Stockholmer Stadtteil
Hammarby Sjöstad über Wärmetauscher selbst die Wärme aus dem
Abwasser zurück (>>
hier). Die Nutzbarkeit von Erdwärme mittels Tiefengeothermie
ist dagegen von Stadt zu Stadt - abhängig von der Geologie - sehr
unterschiedlich. Die direkte Stromerzeugung mittels Sonnenenergie
bleibt aufgrund beschränkter (geeigneter) Dachflächen und die aus
großen Windkraftwerken aufgrund mangelnder Akzeptanz seitens der
Bevölkerung eingeschränkt; regenerativer Strom muss auch in Zukunft
zu einem bedeutenden Anteil aus dem Umland kommen. Dort könnte auch
Biogas erzeugt werden, das die kleinen
Kraft-Wärme-Koppelungskraftwerke antreibt (mehr zum Thema >>
Energiezukunft).
Inzwischen entstehen auf der Welt bereits Hochhäuser (>>
mehr) und erste Städte nach energieeffizienten Bauprinzipien:
In Abu Dhabi entsteht die Siedlung Masdar, die die
traditionelle Bauform arabischer Siedlungen mit engen Gassen
und moderne Solartechnik verbinden will - die Stadt soll keine
fossilen Brennstoffe mehr brauchen (>> spiegel
online); China plant eine Ökostadt in Dongtan
vor Schanghai (>>
sueddeutsche.de). Zu den wichtigsten Grundsätzen, die in
solchen Häusern und Projekten angewendet werden, gehören die
Anpassung der Gebäude an das lokale Klima und die lokalen
Gegebenheiten, optimale Orientierung zur Sonne und die Nutzung neuer
Techniken, wie extrem effektive Vakuumdämmung (>>
mehr), passive (>> mehr)
oder solare Kühlsysteme (>> mehr)).
Der Streit um die
Entwicklungshilfe
Die Zahlen belegen: Eine der wichtigsten Ursachen sowohl für Hunger
als auch für Krankheiten ist Armut. Die 1,1 Milliarden Menschen, die
mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen, leiden oft
unter Hunger und sterben viel früher als der Rest der Menschheit.
Extreme Armut, Hunger und Elend sind in einer Welt, in der genug
Nahrung und genug Ressourcen für eine Basisversorgung aller Menschen
da sind, eine moralische Bankrotterklärung.
Aber welches ist der beste Weg, um Hunger und Elend zu bekämpfen?
Einen Weg vertritt >> Jeffrey
Sachs, Leiter des Millennium-Projekts der UN. Für ihn kann ein
groß angelegtes und gezieltes öffentliches Investitionsprogramm das
ganze Problem bis 2025 lösen. Nötig wären nach Sachs 160 Milliarden
US-$ pro Jahr, das Doppelte des gegenwärtigen Hilfsbudgets. Rechnet
man Kosten für humanitäre Projekte wie die Tsunami-Hilfe rund um den
Indischen Ozean hinzu, wären 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
der Geberländer nötig. Das versprechen diese seit 1980, halten es
jedoch selten ein. Das Geld sollte in die systematische Verbesserung
von Nahrungsmittelproduktion, Ernährung, Gesundheit und
Transportwesen investiert werden.
Die Kritiker, allen voran der frühere Weltbank-Mitarbeiter >>
William
Easterly, halten diesen Ansatz für technokratisch und
fürchten, dass schlüsselfertige Lösungen wie die der UN-Projekte
Sozialstrukturen, Kulturen und Traditionen der Regionen nicht genug
berücksichtigen - Ergebnis werde ein weiteres Großprojekt sein, das
scheitere. Schlimmer: Solche Projekte lähmten die Eigeninitiative in
den Empfängerländern und verstärken die Idee, dass die Rettung von
außen kommen müsste. Im Ergebnis verdoppele Sachs’ Plan nur die
Finanzflüsse in die Taschen korrupter lokaler Eliten.
Richtig ist, dass manche Reiche in den armen Ländern ihr Vermögen
lieber im Ausland anlegen, als im eigenen Land zu investieren - sie
müssen viel stärker in die Pflicht genommen werden. Richtig ist
auch, dass reiche Länder oft korrupte Regime unterstützen - aber
meist nicht, um Armen zu helfen, sondern weil diese Rohstoffe
besitzen (>> Der
Kampf um die Rohstoffe). Die Diskussion um die richtige
Entwicklungshilfe ist wichtig, um keine Fehler zu wiederholen. Der
Gegensatz ist jedoch längst nicht so stark wie oft geglaubt: Auch
Sachs fördert die Landwirtschaft und keine industriellen
Großprojekte, auch Sachs weiß, dass seine Projekte ohne die
Einbindung lokaler Autoritäten scheitern werden.
Wir dürfen aber vor allem nicht vergessen, dass unsere
Wirtschafts- und Handelspolitik (Export subventionierter
Agrarprodukte, deren Preise lokale Märkte zerstören; Zollschranken
für Entwicklungsländer; ...) erheblich zum Hunger und Elend auf der
Welt beitragen. Entwicklungshilfe kann nur dann wirksam sein, wenn
wir auch hieran etwas ändern.
Gesunde Nahrung für alle
Siehe Seite >> Die
Zukunft der Landwirtschaft
Eine gesündere Welt
Eine der Ursachen für den Anstieg der Bevölkerungszahlen in der
Vergangenheit war der >>
erfolgreiche Kampf gegen Krankheiten. Klassische
Infektionskrankheiten wie Typhus und Cholera sind heute
aus medizinischer Sicht dank Schutzimpfungen und Antibiotika
weitgehend unter Kontrolle; aber besonders die Armen leiden immer
noch unter ihnen. In den Tropen ist Malaria immer noch eine
unbesiegte Krankheit. Hier ist wieder Armutsbekämpfung (wie beim
Hunger) der wichtigste Faktor; insbesondere eine ausreichende
Ernährung von Kindern muss erste Priorität haben. Zu den oben
erwähnten Millennium-Entwicklungszielen gehört auch eine
medizinische Basisversorgung der Weltbevölkerung, etwa Impfungen für
Kinder. Beunruhigen muss es, dass sich zunehmend Resistenzen gegen
Antibiotika entwickeln, unter anderem aufgrund der massiven
Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung.
Medizinisch viel problematischer als die klassischen
Infektionskrankheiten sind aber die neuartigen,
meist auf einen Virus zurückgehenden Infektionskrankheiten.
Gegen diese hat der Mensch kaum Abwehrkräfte. Der Aids-Virus HIV hat
bereits eine globale Katastrophe ausgelöst. Zur Zeit fürchten
Infektiologen vor allem einen Ausbruch der Vogelgrippe - dies kann
dann geschehen, wenn ein mutierter Virus auftritt, der von Mensch zu
Mensch übertragen werden kann. Gegen Epidemien solcher Krankheiten
helfen vor allem Vorbeugungsprogramme; bei ausgebrochenen
Krankheiten kommt es dann darauf an, die Therapien auch armen
Menschen zugänglich zu machen. Wie aber beispielhaft die Ausrottung
der Pocken zeigt, ist die Menschheit in der Lage, solche Kampagnen
durchzuführen. Um mögliche Epidemien rechtzeitig einzudämmen, ist
insbesondere der Aufbau globaler Überwachungsstrukturen notwendig -
bestehend aus Labors, die neuartige Krankheitserreger erkennen
können.
Tödliche Begegnungen
Tiere waren seit jeher auch Krankheitsüberträger; von Tieren auf
den Menschen übertragene Infektionskrankheiten heißen Zoonosen.
Etwa 60 Prozent aller Infektionskrankheiten des Menschen stammen
ursprünglich von Tieren; die häufigste ist der Befall mit
Salmonellen, Grippe, Pest und Tollwut sind weitere Beispiele. Im
Laufe der Zeit passen sich Mensch und Krankheitserreger oftmals
soweit an, dass die Krankheit weniger tödlich wird. (Von dieser
Anpassung profitierten die Europäer bei ihrer Eroberung der Welt,
>> mehr.)
Die neuartigen Infektionskrankheiten kommen in der
Regel ebenfalls von Tieren - so ist der Aids-Virus HIV eine
veränderte Form des ähnlichen Affenvirus SIV, die Lungenkrankheit
SARS ein veränderter Katzenvirus, der Ebola-Virus wird von
Flughunden (einer mit den Fledermäusen verwandten Tiergruppe), die
Vogelgrippe von Vögeln übertragen. Als ein Grund für das Auftreten
dieser neuartigen Infektionskrankheiten wird der immer intensivere
Kontakt zwischen Mensch und Wildtieren, in deren Lebensraum wir
zunehmend eindringen, genannt: So werden in Afrika Affen, die
ebenfalls an Ebolafieber erkranken, als “bush meat” gegessen - und
dabei wird der Virus vermutlich auf den Menschen übertragen.
Anderswo begünstigt Massentierhaltung die Ausbreitung von
Krankheitserregern, wie bei der Vogelgrippe, und natürlich fördert
auch die intensive menschliche Reisetätigkeit die Ausbreitung von
Krankheiten, sobald diese es “schaffen”, von Mensch zu Mensch
übertragen zu werden. Solche “Wirtswechsel” bedeuten die Gefahr,
dass aus einer Zoonose eine
Pandemie wird: So war etwa das Virus, dass die “Spanische
Grippe” auslöste, die zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen
Todesopfer forderte, ein mutiertes Vogelgrippevirus.
Während die klassischen Infektionskrankheiten zurückgehen, nehmen
chronische Krankheiten an Bedeutung zu. Viele haben mit
ungesunder Lebensweise zu tun - Zigarettenrauchen, Übergewicht und
Bewegungsmangel führen zu Herz-, Kreislauf oder Lungenerkrankungen.
Ungesunde Lebensweise mag man im Bereich der persönlichen Freiheit
ansiedeln - Rauchen ist aber eher als Sucht anzusehen; eine
Beschränkung der Werbung für und des Verkaufs von Tabak weltweit
wäre vermutlich die wirksamste Einzelmaßnahme gegen chronische
Krankheiten überhaupt.
Chronische Krankheiten werden noch aus einem anderen Grund häufiger
werden: Sinkende Fruchtbarkeit bedeutet auch, dass das
Durchschnittsalter der Menschen zunimmt - die
Weltbevölkerung >>
wird älter. Statt heute 672 Millionen werden im Jahr 2050 fast
2 Milliarden Menschen über 60 Jahre alt sein. Die Folgen dieser
Entwicklung hängen wieder von der Gesundheit der Menschen ab, und
diese unter anderem vom erlangten Bildungsgrad - besser ausgebildete
Menschen sind in der Regel gesünder. 80 Prozent der Menschen über 60
Jahre werden im Jahr 2050 in Entwicklungsländern leben, wo sich
heute noch ausschließlich die Familie um Menschen kümmern muss, die
zu alt oder krank zum Arbeiten sind - was angesichts zunehmender
Mobilität immer schlechter funktioniert. Daher muss der Faktor Alter
bei der Armutsbekämpfung unbedingt mit einbezogen werden.
Vor allem in den Schwellenländern nimmt die Zahl tödlicher
Arbeitsunfälle und berufsbedingter Krankheiten
stark zu; ebenso nehmen mit zunehmender Motorisierung
Verkehrsunfälle als Krankheits- und Todesursache zu: Im
Jahr 2020 könnten sie bereits an dritter Stelle stehen. Die
Abhilfemaßnahmen liegen auf der Hand: Durchsetzung der
Mindeststandards zum Arbeitsschutz in der Arbeitswelt und Schulung
von Verkehrsteilnehmern sowie regelmäßige technische Kontrolle der
Fahrzeuge.
Webtipps
Bevölkerung und Armutsbekämpfung
>> Stiftung
Weltbevölkerung: Viele Informationen und Aktivitäten rund um
Bevölkerungszuwachs und Armutsbekämpfung. Ein guter Einstieg sind
die Infoblätter (http://www.weltbevoelkerung.de/publikationen-downloads/publikationen.html).
Verstädterung
Wie Städte ihren Energieverbrauch senken können, zeigt das
Städtische Energieeffizienz- Programm der Stadt Wien. >> Energiestadt
Wien (ein Artikel aus der ZEIT).
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