Strategien für die Zukunft

Wirtschaften auf einem
endlichen Planeten
Eine neue Definition von Reichtum und Lebensqualität

Damit die Produktion von Gütern und Dienstleistungen wirklich unser Leben besser macht, müssen bei der Messung wirtschaftlichen Erfolgs auch der Verbrauch an Naturkapital und die Belastungen der Umwelt berücksichtigt werden. Dann zeigt sich: In vielen Ländern richtet Wirtschaftswachstum längst Schäden an, die größer sind als sein Nutzen. Die große Herausforderung der Zukunft ist, unsere Wirtschaft in den vorgegebenen ökologischen Rahmen einzupassen.

Wirtschaft als wachsender Kreislauf aus Produktion und Konsum  Wirtschaftsmodell einer Gleichgewichts-Ökonomie

Links: Das übliche Wirtschaftsmodell: Die Wirtschaft ist eine ständig wachsende Spirale aus Produktion und Konsum. Rohstoffe und Energieträger kommen von außen, und Abfälle werden nach außen abgegeben, dieses "außen" (die Welt ...) wird aber nur betrachtet, wenn es mit Kosten verbunden ist. Rechts: Ein ökologisches Wirtschaftsverständnis geht davon aus, dass auf einem endlichen Planeten kein unendliches Wachstum der Produktion möglich ist und auf Dauer in einer Gleichgewichts-Ökonomie ein dynamisches Gleichgewicht zwischen menschlicher Wirtschaft und dem zugrunde liegenden Naturkapital erreicht werden muss. Eigene Abbildungen, verändert nach Daly 1992. Hintergrundbild © NASA/Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio, http://svs.gsfc.nasa.gov/vis/a000000/a000300/a000314/index.html.

Geht Wirtschaft ohne Wachstum?

Als unser heutigen Wirtschaftssystem sich entwickelt hat, litt die Menschheit unter einem Mangel an Gütern. Die Befriedigung materieller Bedürfnisse, daran zweifelte kaum jemand, war das Mittel zur Steigerung des menschlichen Wohlbefindens. Mit der Industriellen Revolution wurden die technischen Möglichkeiten geschaffen, diesen Mangel abzustellen. Die Umsetzung wurde anfangs vor allem durch einen Mangel an Kapital erschwert, das gebraucht wurde, um die neuen Techniken anschaffen und einsetzen zu können. Daher wurden Regeln geschaffen, die die Ansammlung von Kapital erleichterten; und so begann die große Zeit der Aktiengesellschaften. Schließlich wurde das Geld weitgehend von der Bindung an reale Werte befreit und durch Kreditvergabe geschaffen (mehr); hierdurch entstand ein Wachstumszwang, der schließlich mit dem ursprünglich angestrebten Steigerung des menschlichen Wohlbefindens verknüpft wurde: der in Geld zu messende, stetig steigende Wohlstand des Menschen war zum Ziel aller Anstrengungen geworden (siehe auch hier). Wachstum war vom Mittel zum Ziel an sich geworden. Dieses Denken herrscht bis heute vor, obwohl sich die Bedingungen längst geändert haben: Güter sind in den reichen Ländern längst im Überfluss vorhanden, und wir schwimmen in Kapital, das zum größten Teil längst nicht mehr der Produktion, sondern Spekulationszwecken dient (hier). Dabei haben wir aber übersehen, dass uns in den reichen Ländern mehr Güter längst nicht mehr zufriedener machen (hier); und dass in den armen Ländern, in denen noch materieller Mangel herrscht, es nicht an Kapital fehlt, sondern an Einkommen, um vorhandene Güter kaufen zu können. Ganz so einfach, wie die Theorie glaubte, sind menschliches Wohl­befin­den und Geld nicht verknüpft. Gravierender ist aber ein anderer Mangel: Als die ökono­mische Theorie entwickelt wurde, war Natur im Überfluss vorhanden, so dass die Dienst­leistungen der Ökosysteme als gegeben vorausgesetzt werden können; die Wirtschaft war so klein, dass die Natur als unerschöpflich und unzerstörbar angesehen werden konnte. Auch dieses gilt heute nicht mehr: Die Wirtschaft hat sich derart ausgedehnt, dass wir unser Naturkapital bereits vernichten (hier). Dies ist aber, mehr noch als die von der Wirt­schaft produzierten Güter, die Grundlage unseres Lebens, das Wachstum der Wirtschaft ist damit schädlich geworden.

Aber, sagen viele Ökonomen, auf Wachstum verzichten können wir trotzdem nicht. Dabei werden immer wieder drei Gründe genannt:

  • Unternehmen sind oft auf Kredit finanziert, dessen Zinsen dafür sorgen, dass die Schulden ständig wachsen. Will das Unternehmen davon nicht erdrückt werden, muss es wachsen.

  • Technischer Fortschritt führt ständig zu Produktivitätssteigerungen, und diese führen zu Arbeitslosigkeit, wenn nicht mehr produziert wird; und

  • Wirtschaftswachstum ist die am wenigsten konfliktträchtigste Lösung des Verteilungsproblems (alle können mehr bekommen, und niemand muss für mehr soziale Gerechtigkeit etwas abgeben, was er schon hatte).

Falsch, sagt eine neue Generation ökologisch denkender Ökonomen. Wenn wir das aus dem 18. Jahrhundert stammende “Betriebssystem” unserer Wirtschaft an das 21. Jahrhundert anpassen, geht das sehr wohl. Wenn nicht mehr das Kapital, sondern die Natur das knappe Gut ist, muss sich das Anreizsystem ändern.

Wirtschaften in einer endlichen Welt

Ein Teil des Problems liegt schon darin, dass unsere zentralen volkswirtschaftlichen Messinstrumente versagen: Weder wird das Schwinden des Naturkapitals erkannt noch die Zielerreichung anders als in Geld gemessen. Diese zentralen Messinstrumente wie Bruttonationaleinkommen (BNE, das frühere Bruttosozialprodukt) oder Bruttoinlands­produkt (BIP) messen einfach nur die wirtschaftlichen Aktivitäten (BIP) oder das Einkommen (BNE) – wenn also etwa eine chemische Altlast teuer beseitigt werden muss, ist dieses nur eine weitere wirtschaftliche Tätigkeit. Der Verbrauch von Rohstoffen oder die Zerstörung von Ökosystemen werden also nicht nur unterschlagen, sondern mitunter sogar positiv als wirtschaftliche Aktivität oder als Einkommen gewertet! (Die Zerstörung des Ökosystemes ist ein “negativer externer Effekt”, der vernachlässigt wird.) Wenn die Messinstrumente aber derart falsch anzeigen, kann die “unsichtbare Hand des Marktes” gar nicht richtig wirken. Erst wenn der finanzielle Wert des Lebens in die Berechnung einbezogen wird, wird nicht mehr derjenige belohnt, der die Allgemeinheit am skrupellosesten beraubt – um nichts anderes handelt es sich ja bei der Aneignung von Naturkapital oder der Verschmutzung von Gütern, die eigentliche der Allgemeinheit gehören. (Die finanzielle Bewertung hat auch ihre Grenzen, denn a) sind die Beiträge aller Elemente zum Funktionieren eines Ökosystems gar nicht bekannt, b) sind nicht alle Leistungen in Geld auszudrücken – wie berechnet man den Wert eines Lebens?; und daher werden marktwirtschaftliche Lösungen immer auch durch rechtliche Regelungen ergänzt werden.)

Wirkliches wirtschaftliches Wohlergehen

Um den Verbrauch von Naturkapital und bei der Produktion entstehende Schäden bei der Bewertung wirtschaftlicher Aktivitäten zu berücksichtigen, wurden seit den 1990er Jahren zahlreiche Alternativen zu BIP und BNE entwickelt. Zum Beispiel der “Index nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlergehens”: Dieser Index zeigt für die reichen Industriestaaten, dass seit den 1970er Jahren die Kosten des Wachstums schneller steigen als die Erträge, das tatsächliche wirtschaftliche Wohlergehen also stagniert:

Bruttonationaleinkommen USA und nachhaltiges wirtschaftliches Wohlergehen

Vergleich des Bruttonationaleinkommens pro Kopf (grün) und des
nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlergehens (blau) für die USA,
Angaben in US-$ (2000); nach “Genuine Progress Indicator 2006”.

Dieses liegt daran, dass bei steigender Produktion der Wert der produzierten Waren immer geringer wird (die dringendsten Bedürfnisse werden zuerst befriedigt), die von steigender Produktion verursachten Schäden aber zunehmen und schließlich sogar größer werden als der Nutzen (ökologische Ökonomen sprechen dann von unwirtschaftlichem Wachstum):

Wirtschaftswachstum kann unwirtschaftlich werden

Bei abnehmendem Nutzen und zunehmenden Schäden richtet Wirtschaftswachstum irgenwann Schäden an, die den Nutzen übersteigen. Dann wird das Wachstum unwirtschaftlich. Abbildung verändert nach >> Daly 2006.

Für unsere Zukunftsaussichten ist dieses aber sogar eine gute Nachricht: Die Umstellung der Wirtschaft auf eine zukunftsfähige Wirtschaft müsste unser wirtschaftliche Wohlergehen gar nicht schmälern – zwar würden die Erträge sinken, aber eben auch die Kosten.

Die Erde ist, was Materialien und nicht-erneuerbare Energieträger angeht, ein geschlossenes System. Für geschlossene Systeme gilt folgendes: Je mehr Produkte wir herstellen, desto weniger bleibt vom ursprünglichen Naturkapital übrig. Ähnliches gilt für nicht-erneuerbare Energieträger: Je mehr wir verbrauchen, desto weniger bleibt übrig. Diese triviale Erkenntnis hat eine Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft: Je schneller wir Materialien und Energieträger verbrauchen, desto weniger haben kommende Generationen davon. Je effizienter wir sie nutzen, desto länger reichen sie (Wie dieses geht, siehe Wirtschaften mit viel weniger Rohstoffen). Ähnliches gilt für Ökosysteme: Hier kommt es darauf an, ihre Kapazität zu erhalten, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen und Abfälle aufzunehmen. Diese Dienstleistungen der Ökosysteme, Materialien und Energieträger sind das Naturkapital unseres Lebens und unserer Wirtschaft. Dieses Kapital kann mit effizienter Rohstoffnutzung und umweltfreundlichen Produktionsverfahren und Produkten zwar erheblich gestreckt werden, aber auch damit wird auf einem endlichen Planeten kein unendliches Wachstum ermöglicht: Die immer auftretenden Verluste setzen dem Wachstum eine Grenze.

Daher denken ökologische Ökonomen heute über den Übergang in eine Gleichgewichts- Ökonomie nach, in der nicht mehr Rohstoffe verbraucht werden, als die Ökosysteme ohne Einschränkung ihrer Funktion zur Verfügung stellen und nicht mehr Abfall erzeugt wird, als von den Ökosystemen verarbeitet werden kann (siehe Abbildung).

Wirtschaften innerhalb der ökologischen Kapazität der Erde

Während die klassische Ökonomie davon ausgeht, dass man Naturkapital durch Kapital von Menschenhand ersetzen kann, halten die ökologischen Ökonomen das Naturkapital zu Recht für unersetzlich. Man kann den Mangel an Fisch in den Weltmeeren nicht durch immer größere Fangflotten ausgleichen. Für die Nutzung von Naturkapital müssen daher Obergrenzen festgesetzt werden. Das Recht, innerhalb dieser Grenzen Naturkapital nutzen zu dürfen, kann auf einem freien Markt gehandelt werden. Die optimale Aufteilung der knappen Ressourcen wird so den Märkten überlassen; die Festlegung der Obergrenzen für eine nachhaltige Nutzung des Naturkapitals ist dagegen eine politische Aufgabe. Dieses System ist unter Ökonomen als “cap-and-trade” bekannt (cap steht für Obergrenze, trade für den Handel).

Zum Thema siehe auch:
Wirtschaften mit viel weniger Rohstoffen – Die Faktor-10-Strategie

Der steinige Weg zu einem zukunftsfähigen Wirtschaftssystem

Dass das Ergebnis nicht schlechter wäre, garantiert noch keinen einfachen Umstieg auf ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem. Auch wenn manche der im Bruttoinlandsprodukt gemessenen Leistungen Reparaturen für angerichtete Schäden darstellen: Auch an diesen verdienen Menschen Geld, und die werden sich gegen Änderungen wehren. Zum anderen lassen sich manche Maßnahmen nur schwer mit einem freien Handel vereinbaren: Wie kann ein Land Naturkapital mit Kosten belegen, solange andere dies nicht tun, ohne seine Wirtschaft im internationalen Wettbewerb zu benachteiligen? Mit diesem Argument lehnten die USA lange die Beteiligung am Kyoto-Protokoll zur Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen ab; auf eine Einsicht aller Länder zu warten, wird aber die Umsetzung dieser Maßnahmen erheblich verzögern. Helfen könnte in der Übergangszeit eine insgesamt kostenneutrale Umverteilung, etwa indem die Besteuerung von Arbeit durch die Besteuerung von Energie- und Rohstoffverbrauch ersetzt wird. Es ist sinnvoll, zu besteuern, wovon wir weniger haben wollen, und nicht mehr das, wovon wir mehr haben wollen. Diese Umstellung könnte auch dabei helfen, ausreichend Arbeitsplätze in einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft zu halten – in Zukunft wäre das erste Ziel nicht mehr die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern der Energie- und Rohstoffproduktivität. Aber natürlich gibt es auch hier Gewinner und Verlierer – energie- und rohstoffintensive Branchen werden zu den Verlierern, und auch sie werden sich gegen Änderungen wehren.

Wer kann uns retten – der Staat oder die Privatwirtschaft?

Märkte sollten im Idealfall frei sein. Aber manchmal kann es nötig sein, die Interessen der Allgemeinheit Regeln durchzusetzen. Bestimmte Schadstoffe können etwa verboten werden – oder besteuert. Gegen Verbote wehrt sich die Industrie unter Einsatz gewaltiger Geldmengen oft sehr erfolgreich (hier); “grüne Steuern” werden von Ökonomen seit 1920 vorgeschlagen: Damals schrieb der in Cambridge tätige britische Ökonom Arthur Pigou, dass die Verschmutzung geringer ausfallen werde, wenn Steuern erhoben werden. Heute hält etwa der Economist eine Steuer auf Kohlendioxid für das wirksamste Instrument gegen den Klimawandel, da sie weniger Verwaltungsaufwand erfordert als der Emissionshandel. Aber Kritiker wie Peter Barnes glauben, dass für eine ausreichend Wirkung nötige hohe Steuern weder gegen die Wirtschaft noch gegen die Konsumenten, die höhere Preise für umweltbelastende Güter zahlen müssten, durchsetzbar wäre. (Diese Skepsis teilt der Economist, der davon ausgeht, dass sich beim Kohlendioxid die zweitbeste Lösung, der Emissionshandel, durchsetzen wird.) Beim Emissionshandel kann die Politik wenigstens nicht für die Preise, die am Markt gebildet werden, verantwortlich gemacht werden. Barnes Kritik ist aber grundsätzlicher: Den Weg, Emissionen über höhere Preise zu reduzieren, hält er für einen (unnötigen) Umweg.

Liberale Ökonomen sehen die Lösung eher in der Privatisierung der letzten Gemeingüter: Eigentümer würden sich schon aus Eigeninteresse für ihren Schutz einsetzen. Die Frage ist aber, wie und wem die Eigentumsrechte etwa an der Atmosphäre zugeteilt werden sollen – wenn eine Regierung etwa wie beim europäischen Kohlendioxid-Emissionshandel kostenlose Emissionsrechte verteilt, verschenkt sie Eigentumsrechte; für Barnes gleicht dies der kostenlosen Vermietung von Büroräumen (mit dem besonderen Clou, dass man nicht gebrauchte Emissionsrechte weiterverkaufen kann, also für die kostenlosen Büroräume auch noch Miete von seinen Untermietern kassiert). Auch an einen Wandel der Unternehmen durch aufgeklärte Manager oder verantwortungsvolle Gesellschafter glaubt Barnes nicht: Unternehmen, die auf möglichen Profit zugunsten der Natur verzichten würden, würden auf dem Aktienmarkt bestraft (er zitiert das Beispiel Pacific Lumber Company: Das Unternehmen betrieb eine nachhaltige Ausbeutung alter Redwood-Bestände, wobei es die Hälfte der Bäume stehenließ, um das Regendach der Baumkronen zu erhalten; dies kostete aber Gewinn und schadete seinem Aktienkurs. So konnte eine Holding, unter Androhung einer Klage wegen Verletzung der Treuepflicht gegenüber den Aktionären (Kapitalgesellschaften sind verpflichtet, den finanziellen Interessen der Aktionäre höchste Priorität einzuräumen), die Pacific Lumber Company übernehmen – und diese finanzierte den Kauf mit dem Abholzen der stehengelassenen Bäume).

Barnes schlägt daher eine dritte Lösung vor: Die Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter (zu ihrer Privatisierung siehe >> hier): Unser gemeinsames Erbe wie Luft, Wasser, Lebensräume und Ökosysteme (aber auch kulturelle und gesellschaftliche Gemeinschaftsgüter) sollen getrennt von den auf Märkten gehandelten Produkten verwaltet werden, da sie eines besonderen Schutzes bedürfen. So würden für sie Eigentumsrechte geschaffen (der Ansatz liberaler Ökonomen), ohne dass der Zwang zur Profitmaximierung in Konflikt mit dem Schutzziel geraten müsste (der größte Nachteil privatwirtschaftlicher Lösungen). Die Verwaltung der Gemeinschaftsgüter sollte durch Treuhandgesellschaften erfolgen, die genau definierten Vorgaben unterliegen. Insofern ähnelt ihre Aufgabe der der Bundesbank (und heute der Europäischen Zentralbank), die unabhängig von kurzfristigen politischen Interessen die Geldstabilität gewährleisten soll; oder der Gerichte, die die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze sicherstellen. Die Treuhänder hätten den Schutz von Natur und Ökosystemen im Interessen nachfolgender Generationen zu schützen. Diese Lösung vermeidet den Nachteil direkter staatlicher Eingriffe (ihre Abhängigkeit von kurzfristigem Wählerwillen und den Einfluss von Lobbyisten) und würde der Natur und nachfolgenden Generationen eine Stimme geben. Die Nutzung von Gemeinschaftsgütern ist auch das Thema der Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom, die 2009 als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis bekam: Sie hat zahlreiche Fälle regionaler Bewirtschaftungsformen untersucht und aus geglückten wie gescheiterten Beispielen Lehren gezogen: Unter anderem müssen die Nutzer Regeln vereinbaren (die im Bedarfsfall geändert werden können), deren Einhaltung überwacht und gegen die Verstöße bestraft werden. (Ostroms bekanntestes Werk ist das 1990 erschienene “Govering the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action.)

In einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft würde, selbst wenn der Schwerpunkt auf Energie- und Rohstoff- statt auf Arbeitsproduktivität läge, vermutlich weniger Lohnarbeit angeboten werden. Daher müsste über eine geringere Bedeutung der Lohnarbeit nachgedacht werden. Vielleicht werden wir in Zukunft nur noch 20 Stunden in der Woche für Geld arbeiten, aber unsere Fahrräder wieder selber reparieren – in anderen Worten, nützliche, aber unbezahlte Arbeit leisten. Auch dies wird nicht leicht in einer Arbeitsgesellschaft wie Deutschland, wo man sich neuen Bekanntschaften mit seinem Beruf vorstellt. Man könnte sogar den Lebensunterhalt der Menschen sichern, indem jeder Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen (“Bürgergeld”) bekommt, und so nur noch die Arbeiten annehmen müsste, die er für sinnvoll hält. Ein solches Bürgergeld könnte über die Versteigerung der Nutzungsrechte an den Gemeinschaftsgütern, also der Produktionsmittel, die sich aus natürlichen Ressourcen herleiten, finanziert werden (siehe oben). Zwar sollen diese in erster Linie die Gemeinschaftsgüter schützen, aber sie könnten etwa die mit der Funktion von Ökosystemen vereinbaren Verschmutzungsrechte verkaufen – damit wären Emissionen mit einem Preis versehen. Damit würden zwar die Preise umweltbelastender Güter steigen (was ja ein erwünschter Effekt wäre), was aber durch das Bürgergeld als “Dividende” für die Eigentümer der Gemeingüter mehr als ausgeglichen würde. Da in der Regel wohlhabende Menschen die Umwelt stärker belasten, würde diese Regelung auch eine Umverteilung bedeuten; die ärmeren Menschen würden aber keine “Almosen” erhalten, sondern ihren fairen Anteil an dem allen Menschen gemeinsamem Besitz. Damit würde die soziale Ungleichheit langsam verringert.

Auch die Rolle des Geldes wäre zu überdenken: Geld wurde einst in Gestalt von Münzen erfunden, um das Tauschen zu erleichtern; die Handelnden mussten so ihre Güter nicht immer mit sich herumschleppen. Aber auch Münzen wogen, und wer viele hatte, brachte sie zur Bank, wofür er eine “Banknote” erhielt, auf der ihr Wert notiert war. Auch diese wurden bald zum Zahlungsmittel. Heute sind aber weniger als ein Zehntel des umlaufenden Geldes Münzen oder Banknoten; der Rest ist “Buchgeld”: es existiert nur auf Computermonitoren, und wächst unkontrolliert. Es ist längst von wirklichen Werten abgekoppelt, aber an Kredite gekoppelt und zwingt daher der Welt den Wachstumszwang auf. Eine Kapitalsicherung des Geldes, also eine Wieder-Ankoppelung an wirkliche Werte, würde ebenfalls bei der Rückkehr der Wirtschaft in die wirkliche Welt helfen (und Exzesse wie die Kredit- und Finanzkrise von 2007 und 2008 vermeiden helfen; freilich auch die extremen Verdienstmöglichkeiten, die heute durch die gigantischen Hebel in der Finanzindustrie bestehen).

Weniger Lohnarbeit, ein Preis für die Nutzung von Gemeinschaftsgütern als Produktionsmittel, ein neues Geldsystem, ... viele Ideen der ökologischen Ökonomen hören sich utopisch an. Aber die Alternative zu diesem Umbau des Wirtschaftssystems ist die Verarmung der Welt – sowohl der natürlichen Welt, der Ökosysteme und der natürlichen Arten, als auch unserer Lebenswelt. Der materielle Reichtum der industriellen Welt hat uns nämlich keineswegs in gleichem Maß glücklicher gemacht, wie die nächste Seite zeigt.

Weiter mit:
Was macht Menschen wirklich glücklich?

Webtipps

casse (center for the advancement of the steady state economy) – kanadisches Institut mit vielen Informationen über eine nachhaltige Wirtschaft (englischsprachig).

Redefining Progress: Webseite des amerikanischen Instituts, dass den “Indikator für wirkliches wirtschaftliches Wohlergehen” (genuine progress indicator) entwickelt hat (englischsprachig).

Beijer Institute of Ecological Economics: Webseite einer der zentralen Adressen der ökologischen Ökonomie, die zur Schwedischen Akademie der Wissenschaften gehört (englischsprachig).

On the Commons: Amerikanische Webseite, die sich mit der Rückeroberung der Allgemeingüter beschäftigt (englischsprachig)

© Jürgen Paeger 2006 – 2021

Es gab Ausnahmen von diesem Glauben: Bereits 1862 beschrieb John Ruskin neben dem Elend und der Verzweiflung auch die Umweltverschmutzung als “Illth” (eine Wortschöpfung, die das Gegenteil von Wealth, Wohlstand, bedeutet), die das Wirtschaftssystem hervorbrachte.

Wachstum wird von manchem sogar als Mittel gegen Bevölkerungswachstum (schließlich bekommen reiche Menschen weniger Kinder) und gegen Umweltzerstörung (wenn Menschen erst reich genug sind, können sie sich auch um ihre Umwelt kümmern) gepriesen. Aber: Für die Umwelt sind das größte Problem nicht die Zahl der Menschen, sondern die reichen Menschen (hier), und die globalen Umweltprobleme werden von den reichen Ländern verursacht (hier).