Strategien für die Zukunft

Eine kleine Geschichte des Geldes
und Überlegungen zu seiner Zukunft

Abbildung eines Ein-Dollar-Scheins

Dollarschein. Abbildung aus >> wikipedia (abgerufen 29.8.2011), public domain
(zu den Bedingungen zur Abbildung amerikanischer Banknoten siehe >> hier
[englischsprachig]).

Der Aufstieg des Geldes

Geld ist eine der – wenn nicht die – >> zentrale(n) Erfindung(en), auf der/auf denen unsere Kulturen beruhen. Als die Bevölkerung als Folge des Übergangs zur Landwirtschaft wuchs und der Handel an Bedeutung zunahm (wenn nicht überhaupt erst entstand, Anm.), wur­den die Beschränkungen des Tauschhandels immer deutlicher – beim Tausch­handel muss man einen Partner finden, der die von einem angeboten Güter oder Leistungen haben möch­te und gleichzeitig Güter oder Leistungen anbietet, die man selber haben möchte. Geld hebt diese Gleichzeitigkeit auf – man kann Güter oder Leistungen erst einmal gegen Geld tau­schen, und später dieses Geld bei anderen Partnern gegen deren Güter und Leistungen. Außerdem muss man mit Geld nicht die Wechselkurse aller möglichen Tauschobjekte mit­ein­ander im Kopf haben, sondern nur noch deren Geldwert – Geld dient auch als Rechnungs­einheit, da sich der Wert aller anderen Waren in Geldeinheiten angeben lässt. Geld erleich­tert den Handel daher enorm. Geld wurde oft und unabhängig voneinander erfunden – als Geld kann alles dienen, was so geschätzt ist, dass es als „Zwischentauschmittel“ ge­eignet ist. Dieser technische Begriff für Geld sagt eigentlich nur, das Geld das ist, womit man bezahlt. Geld sollte am besten auch noch leicht zu transportieren und nicht verderblich sein, dann dient es auch als “Wertspeicher” (man kann es liegenlassen und später tau­schen).

In der Geschichte haben viele Dinge die Funktion von Geld übernommen – von Afrika über Süd- und Ostasien bis in die Südsee waren beispielsweise die wegen ihres Glanzes und der schönen Muster und Farben beliebten Schalen der Kaurimuscheln über mehrere Tausend Jahre ein beliebtes Zahlungsmittel. Die >> Sumerer benutzten vor 5.000 Jahren Gersten­geld (Anm.) – der Wert von Waren wurde in standardisierten Gerstenmengen (die "Sila" entsprach beispielsweise etwa einen Liter) angegeben. Gerste war jedoch nur begrenzt lagerfähig und nicht leicht zu transportieren – im Unterschied zu Edelmetallen. Seit der Mensch diese abbauen und verarbeiten konnte (>> mehr), wurden Edelmetalle wie Gold und Silber als Geld genutzt – in Mesopotamien etwa der Silberschekel, ein Gewicht von 8,33 Gramm Silber. Anders als Gerste haben Silber und Gold keinen eigentlichen Wert (man kann es weder essen noch Werkzeuge daraus herstellen), sein Wert ist eine "erfundene Wirklichkeit" (oder anders gesagt: kultureller Natur). Aus den Gewichten gingen vor rund 2.600 Jahren in den griechischen Handelsstädten die ersten Münzen hervor. In diesen war das Gewicht des Edelmetalls eingeprägt; Münzen hatten daher den Vorteil, dass sie ge­zählt werden konnten und nicht mehr gewogen werden mussten – vorausgesetzt, man traute demjenigen, der die Münze geprägt hatte. Mit der Prägung gab der Ausgeber nämlich praktisch eine Garantie für den Wert der Münze; und das konnten glaubwürdig nur die Herrscher machen (die daher auch Falschmünzerei hart bestraften). In der griechischen und römischen >> Antike erleichterten die Gold- und Silbermünzen den Handel im Mittelmeer­gebiet enorm. Das Vertrauen in die römischen Münzen reichte so weit, dass sie vor der Zeitenwende selbst auf indischen Märkten akzeptiert wurden (an des Vertrauen in den "Denarius" erinnern noch heute die "Dinare", die etwa in Tunesien, Jordanien und anderen Ländern als Landeswährung dienen). Die Chinesen benutzten Bronzemünzen und Silber- und Goldbarren; und auch hier ermöglichte die gemeinsame Grundlage (Edelmetalle) einen regen Handelsaustausch.

Mit dem Ende des römischen Reiches und der Ausbreitung des Islam im Süden und Westen des Mittelmeeres (>> mehr) kam dieser Handel jedoch im Frühmittelalter fast zum Erliegen, Geld spielte kaum noch eine Rolle. Das änderte sich erst wieder, als die >> christlichen Kreuzzüge begannen: der Krieg gegen den Islam musste finanziert werden; und die Rück­eroberung von bis dahin muslimischen Mittelmeerstädten machte die oberitalienischen Städte Florenz, Venedig und Genua mit ihrer privilegierten Lage zwischen den Hansestädten im Norden Europas und dem Nahen Osten zu wirtschaftlichen Zentren. Der Seehandel wurde zu dieser Zeit zudem durch der Übernahme des von den Arabern im Mittelmeer eingeführten Kompasses erleichtert; Seereisen wurden schneller und weniger gefährlich. Aber im Mittel­meer gab es immer noch arabische Piraten, und auf dem Festland fehlte es nicht an Räuber­banden – damit war es nicht nur lästig, sondern auch gefährlich, große Mengen an Gold- und Silbermünzen bei sich zu haben. So nutzten die italienischen Händler als erste den „Wechselbrief“, der garantierte, die vereinbarte Kaufsumme an einem bestimmten Ort zu erhalten. Der Wechselnehmer schickte diesen Brief an einen an diesem Ort ansässigen Partner, bei dem er seinerseits Waren zu bezahlen hatte und der den Wechsel einlöste. So brauchten keine Münzen transportiert zu werden. Die italienischen Händler wickelten ihre Geschäfte damals unter freiem Himmel ab, dabei saßen sie auf Bänken – dies ist der Ur­sprung des Wortes Bank auch für Institute, die Zahlungsverkehr abwickeln. Durch die Vielzahl der Stadtstaaten im damaligen Italien gab es auch eine Vielzahl verschiedener Münzen, die getauscht werden mussten – dies wurde durch das indo-arabische Dezimal­system erleichtert, das der italienische Mathematiker Leonardo Fibonacci in Algerien von den Arabern gelernt und mit seinem „Buch der Rechenkunst“ im Jahr 1202 nach Europa gebracht hatte – in dem Buch erklärte er auch gleich, wie das neue System auf Buch­haltung, Währungsumrechnung und Zinsrechnung funktionierte. Die Kaufleute finanzierten in immer größeren Ausmaß den Fernhandel und Staaten, die Geld für Kriege brauchten – aus diesen Geschäften gingen zum Beispiel in Florenz die berühmten Bankhäuser der Familien Peruzzi, Bardi und später die Medici hervor.

Das größte Risiko für die Banken bestand darin, dass die Kreditnehmer ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten – die vorfinanzierten Waren der Händler etwa von Piraten gestohlen wurden oder Staaten ihre Kriege verloren. So gingen 1343 die Peruzzi und 1346 die Bardi pleite, weil Englands König Edward III. seine Schulden nicht zurückzahlen konnte – das waren die ersten spektakulären Bankenpleiten der Geschichte. Ihre Nachfolger, die Medici, sollten in Florenz allerdings bald zeigen, welche Pracht und welche Macht ein gut geführtes Handels- und Bankhaus entfalten konnte. Im Florenz des 14. Jahrhunderts wurde auch die Staatsanleihe erfunden, die damals „prestanze“ hießen: Um Söldnerheere, die für die Stadt in Kriege zogen, bezahlen zu können, wurde eine Zwangsabgabe eingeführt, die später mit Gewinn zurückerstattet werden sollte. Zahlungsnachweis waren Schuldscheine, die prestanze, die Geld wert waren und daher bald auch gehandelt wurden: sie waren umso teurer, je mehr die Bürger an die Rückzahlung glaubten.

Die Medici, deren Aufstieg bald nach der Pleite der Peruzzi und Bardi begann, besaßen schließlich nicht nur Filialen in zahlreichen wichtigen Städten im In- und Ausland, sondern beherrschten Florenz ab der Wahl Cosimo de’ Medicis zum „gran maestro“ im Jahr 1434 über 100 Jahre lang auch politisch. Als Bankiers des Papstes hatten sie auch über den Stadtstaat hinaus großen politischen Einfluss – Niccolò Machiavelli widmete sein Buch „Der Fürst“ aus gutem Grund Lorenzo II. de’ Medici. Die Zeit der Medici war auch eine Epoche, in der prachtvolle Paläste entstanden und Künstler wie Donatello, Leonardo da Vinci und Michelangelo in der Stadt arbeiteten; noch heute locken die damals entstandenen Werke zahllose Touristen in die Stadt. Zu den erfolgreichsten Bankiers im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurden die Fugger aus Augsburg; auch sie waren ähnlich wie die Medici zugewandert und durch Handel zu Geld gekommen. Ulrich Fugger finanzierte bereits die Brautwerbung des Habsburger Thronfolgers Maximilian um Maria, Tochter der Herzogs von Burgund; sie finanzierten danach auch seinen Aufstieg zum Kaiser. Als Gegenleistung erhielten sie Silber und Kupfer, später auch Ländereien, die Handelsbeziehungen der Fugger reichten bis Ungarn, Skandinavien und Spanien; sie verdienten auch daran, für den Papst die Ablassgelder einzusammeln, mit denen sich Katholiken von der Hölle freikaufen konnten. Zwischenzeitlich wurde in Europa sogar das Edelmetall für die Herstellung von Münzen knapp.

Unterdessen hatten auf der Suche nach neuen Handelswegen Kolumbus im Jahr 1492 Amerika und Vasco da Gama im Jahr 1498 den Seeweg nach Indien entdeckt (>> mehr) – dies erschloss neue Gold- und Silberquellen und löste einen weiteren Aufschwung des Fernhandels aus. Zuerst schienen davon die Entdeckerländer zu profitieren: Spanien etwa holte von 1500 bis 1540 jedes Jahr durchschnittlich 1000 bis 1500 Kilo Gold aus der Neuen Welt. 1515 waren in Joachimstal im Erzgebirge riesige Silbervorkommen entdeckt worden; die dort geschlagenen Münzen wurden im Volksmund „Taler“ genannt – eine Bezeichnung, die später zum Namenspatron des Dollar werden sollte. 1545 wurden die Silberminen am Cerro Rico im heutigen Bolivien entdeckt; die Spanier bemächtigten sich auch dieser Quelle des Reichtums und ab 1572 wurden Silbermünzen in der am Fuße des Cerro Rico gegründe­ten Stadt Potosí gepresst und nach Spanien verschifft. Dafür verreckten Hunderttausende zur Fronarbeit gezwungene Indios in den Minen; und Spanien, dessen Gold und Silber in den Bau von Kathedralen und prunkvoller Hofhaltung ging und das mit Frankreich Kriege um die Vorherrschaft in Oberitalien führte, ging 1557 und 1575 trotzt aller Gold- und Silberflüsse zweimal bankrott. Das brachte die kreditgebenden Banken, darunter die Fugger, in ernste Schwierigkeiten, aber letztlich profitieren die italienischen und nordeuropäischen Handels­städte hiervon. Die kleinen Niederlande schafften es 1568 sogar, einen Krieg um die Unab­hängigkeit gegen die Weltmacht Spanien zu gewinnen: der Sieg war finanziert durch Anleihen, die die Kaufleute aus den Handelszentren Amsterdam und Rotterdam zeichneten. In Amsterdam wurde 1602 für den Gewürzhandel im indischen Ozean die Ostindische Kompanie gegründet (>> mehr), in der Kapitalgebern den „Mitreedern“ (die Schiffsanteile besaßen) Geld gegen Beteiligung am Geschäftsgewinn überließen – die erste Kapital­gesellschaft (bei der die Gesellschafter nur das Geld geben, die Gesellschaft aber nicht vertreten – dies machen im heutigen Sprachgebrauch „angestellte Manager“). Diese war so erfolgreich, dass 1621 die Westindische Kompanie für den Handel mit Sklaven und Gold in der Karibik und der Neuen Welt gegründet wurde.

Der große Tulpen-Wahn

Der mit dem holländischen Handel einhergehende Reichtum führte im Jahr 1637 zu einem Geschehen, dass seither immer wieder als Beispiel für die erste Spekulationsblase ange­führt wird: dem „großen Tulpenwahn“. Der an der Universität Leiden tätige Botaniker Carolus Clusius hatte viel dazu beigetragen, die aus Zentralasien stammende Tulpe in Holland zu verbreiten, und bald wurde sie zur Modeblume und zum Statussymbol der Reichen. Vor allem die geflammten Farbmuster (die, wie wir heute wissen, von einem Mosaikvirus verursacht wurden) erzielten immer höhere Preise, und bald versuchten nicht nur Kenner und Liebhaber, sondern auch Händler und Anleger, an den Tulpen mit zu verdienen. 1633 wurde bereits ein Haus für drei Tulpen-Zwiebeln verkauft, und die Preise stiegen noch weiter. Bald gab es Termingeschäfte, und man konnte Anteilsscheine an noch in der Erde steckende Tulpenzwiebeln kaufen (also das, was man heute Derivate nennt); manche Zwiebel wechselte viele Male den Besitzer, bevor sie aus der Erde kam. Anfang 1937 musste man für besonders begehrte Zwiebeln soviel bezahlen wie für ein Stadthaus in bester Lage von Amsterdam. Dann platzte die Blase – als im Februar ein Auktionator nicht den geforderten Preis erzielte, wollten so viele Besitzer von Tulpen-Zwiebeln diese verkaufen, dass der Preis binnen Wochen um 95 Prozent fiel. Viele Anteils­scheine waren völlig wertlos. Um ein Übergreifen der Krise zu vermeiden, griff die Obrigkeit ein: Schlichtungskommissionen legten fest, dass offene vertragliche Verpflichtungen gegen Zahlung von 3,5 Prozent des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises abgegolten waren. Noch heute findet man die Spuren des Tulpen-Wahns in Amsterdam: auf dem „Ellendigen Kerkhof“ wurden die Selbstmörder aus dieser Zeit begraben.

Unterdessen führte im übrigen Europa der Dreißigjährige Krieg (>> mehr) zu einer „Münz­verschlechterung“: Um wertvolle Edelmetalle zu sparen, senkten die Münzherren den Gehalt an Gold und Silber und mengten stattdessen billiges Kupfer bei. Dies funktioniert solange, wie der Münzherr den Wert der Münze garantieren kann; wenn aber das Vertrauen in den Münzherrn schwindet, schwindet auch der Wert der Münze: es kommt zur Inflation. Dies geschah während des Dreißigjährigen Krieges. Allerdings sind die Gewinne der Münzherren nur scheinbar, denn sie erhalten das „schlechte“ Geld ja bald in Form von Steuern zurück; und so wurden die schlechten Münzen bald wieder eingezogen. Wenn der ausgebende Staat aber vertrauenswürdig war, funktionierte das System: der Tauschwert des Geldes musste nicht unbedingt an seinen Materialwert gebunden sein. Schon Marco Polo hatte auf seinen Reisen in China 1276 kaiserliche „Banknoten“ aus Papier gesehen, die als Zahlungs­mittel verwendet wurden; und 1694 gestattete der englische König einem schottischen Kaufmann als Gegenleistung für einen Kredit die Gründung der Bank of England und die Ausgabe von (anfänglich handgeschriebenen) Banknoten.

Größere Bedeutung erhielten die Banknoten erst in Frankreich, das nach dem Tod Louis XIV. im Jahr 1715 hochverschuldet war. Der Herzog von Orléans, der für den minderjährigen Louis XV. die Krone verwaltete, erteilte einem schottischen Geldtheoretiker John Law die Erlaubnis zur Gründung einer Bank – Aktien dieser Bank konnte man zu drei Vierteln mit Staatsanleihen bezahlen, wodurch Frankreich weniger Zinsen zu zahlen hatte. Der dankbare Regent verschaffte Law dafür das Handelsmonopol in Louisiana und am Mississippi, wo der seinem Gönner zu Ehren die Stadt La Nouvelle Orléans, das heutige New Orleans, gründete. In den Überseegebieten wollte er die dort vermuteten Gold- und Silbervorkommen aus­beuten. Zur Finanzierung verkaufte er wieder Aktien, und kaufte mit dem Geld auch gleich das Tabakmonopol und die staatliche Münze. Schon 1705 hatte er in einem Buch dargelegt, dass Banknoten besser als die von der Verfügbarkeit von Edelmetallen abhängigen Münzen geeignet seinen, mehr Geld in Umlauf zu bringen, wodurch die Produktion steigen könnte; die Banknoten sollten mit Grund und Boden abgesichert sein. Jetzt, 1718, setzte der seine Theorie in die Tat um und druckte Geld, mit dem er weitere Handelsrechte kaufte. 1719 wurde er zum Generalkontrolleur der Finanzen; auf eine Absicherung der Banknoten mit Grund und Boden verzichtete er aber, er verließ sich ganz auf das in Amerika vermuteten Bodenschätze. Nachdem die ersten Siedler aus den Überseegebieten zurückkamen und nicht von Gold und Silber, sondern von Sumpffieber und Indianerüberfällen berichteten, brach der Kurs von Laws Aktiengesellschaft ein. Um den Kurs mit Aktienrückkäufen zu stützen, druckte er immer mehr Geld – und dies führte zur Inflation. Als der Staatsrat 1720 feststellte, welche Summen Law (und heimlich auch der Herzog von Orléans) gedruckt hatte, wurde er aus dem Amt geworfen; Frankreich kehrte zu Gold- und Silbermünzen zurück.

Aber die bald florierende Kolonialwirtschaft und der Sklavenhandel konnten nichts daran ändern, dass Frankreich weiter eine erdrückende Schuldenlast vor sich her schob. Als Louis XVI. 1774 das Amt übernahm, kamen Unsummen für den höfischen Prunk seiner Gemahlin, der Habsburger-Tochter Marie-Antoinette, hinzu; und Kriegsausgaben wie die für den österreichischen Erbfolgekrieg lehrten die Staatskassen weiter. Die höheren Stände waren dennoch von Steuerzahlungen befreit, und die Mischung aus sozialer Not und Ungerechtig­keit hat mit zum Sturm auf die Bastille im Jahr 1789 und zur Französischen Revolution bei­getragen (>> mehr). (Das noch viel höher verschuldete England finanzierte sich dagegen über Staatsanleihen bei seinen eigenen Bürgern und blieb zahlungsfähig; ein Weg, der dem vom Volk als Despoten angesehenen Louis XVI. verwehrt blieb – er starb unter der Guillotine.)

Die Revolutionäre wollten die Finanzen des Staates mit dem Verkauf beschlagnahmter Kirchengüter – über ein Viertel des französischen Haus- und Grundbesitzes – sanieren. Bis es so weit war, dienten diese als Pfand für Schuldverschreibungen – so genannte Assig­naten. Angesichts des Werts der Immobilien wurden diese zunächst ein Erfolg, das einge­sammelte Geld reichte aber nicht, das Haushaltsloch zu stopfen. So druckte der Staat weitere Assignaten und erklärte diese 1790 zur offiziellen Banknote der Revolution. Auch diesmal führte die steigende Geldmenge ohne entsprechende Gegenwerte zur Inflation, und zur weitgehenden Rückkehr zum Handel mit Münzen; 1797 wurden die Assignaten für ungültig erklärt. Als Napoleon 1799 an die Macht kam, war Frankreich eigentlich immer noch pleite. Aber die französischen Revolutionäre hatten es immerhin geschafft, mit dem 1795 eingeführten Franc ihre Währung auf das aufklärerische Dezimalsystem umzustellen, während in Deutschland noch allerhand krumme Teilungen üblich waren – der Reichstaler war etwa 24 oder 28 Groschen wert.

Spekulationsfieber und Börsenkrach –
Geld und die Industrielle Revolution

Unterdessen hatte in England die >> Industrielle Revolution Fuß gefasst, und die mit Maschinen produzierten Waren mussten zu den Märkten gebracht werden. Nachdem 1829 mit Robert Stephensons „Rocket“ die Dampflokomotive wirtschaftlich lebensfähig geworden war, war dies die schnellste Möglichkeit, und zwischen 1830 und 1850 wurden fast 10.000 Kilometer Eisenbahnlinien gebaut. Es waren private Gesellschaften, die diese Eisenbahnen bauten, und das Geld hierfür sammelten sie über die Ausgabe von Aktien ein – Aktien sind Wertpapiere, mit denen ein Anteil an einer Gesellschaft verbrieft (garantiert) wird; Aktien­käufer kaufen also Anteile an der Gesellschaft. Das Modell hatte Erfolg: Ende des 19. Jahr­hunderts waren beispielsweise in den USA zwischen 40 und 50 Prozent des privaten Kapitals in Eisenbahnen angelegt. Aktien und der Ort, wo sie gehandelt wurden, die Börse, bekam eine Bedeutung wie nie zuvor in der Geschichte. Immer wieder, etwa 1836/37 oder 1847, kam es zu spektakulären Kurseinbrüchen, weil deutlich wurde, dass viel mehr Eisen­bahnlinien geplant wurden, als sich wirtschaftlich lohnen konnten. Aber viele Anleger wurden mit den Eisenbahnen auch reich, so entstand die neue Klasse der „Rentiers“, die genug verdient hatten, um auch ohne Beschäftigung leben zu können. Andere legten ihr Geld auch in Amerika an, wo ebenfalls Eisenbahnen gebaut wurden, und so konnte ein Kurseinbruch in Amerika im Jahr 1857 zur ersten „Weltwirtschaftskrise“ werden: nachdem die Bank Ohio Life Insurance Company, die mit Eisenbahnaktien spekuliert hatte, zusam­men­brach, riefen die Banken, die der Ohio Kredite gewährt hatten, ihre Darlehen bei anderen Banken und Unternehmen zurück – von denen viele dadurch zahlungsunfähig wurden. Auch Banken in London, Liverpool und Glasgow waren betroffen, und so brachte ein Kurssturz in Amerika auch England kurzzeitig ins Wanken.

In den Vereinigten Staaten von Amerika, die heute gerne als urkapitalistisches Land angesehen werden, war übrigens die Rolle der Entwicklung von Gewerbe, Industrie und Banken anfangs durchaus umstritten: Thomas Jefferson, der 1800 zum Präsidenten gewählt wurde, fürchtete, dass wie in Europa die Gesellschaft in eine reiche Elite und verarmte Massen aufgespalten werden könnte, und wollte stattdessen auf die ländliche Entwicklung setzen. Aber die in den Städten an der Ostküste einsetzende industrielle Entwicklung und die Einbindung der auch der Landwirtschaft in das Marktgeschehen sollten sich durch­setzen, und die Namen Vanderbilt (>> hier) und Rockefeller (>> hier) zu Synonymen privaten Reichtums werden. In Europa sollten die Söhne des Frankfurter Bankiers Mayer Amschel Rothschild einen multinationalen Familienkonzern bilden, jeder der fünf Söhne eine Niederlassung führen: Amschel in Frankfurt, Salomon in Wien, Nathan in London, Carl in Neapel und James in Paris. Sie finanzierten den Schienenbau und den Suezkanal, und halfen zahlreichen europäischen Staaten, mit Anleihen ihre Finanzierung zu sichern. Sie finanzier­ten Kriege – oder auch nicht, denn je reicher sie wurden, desto mehr hatten sie selbst zu verlieren (Mutter Gutle Rothschild soll im Jahr 1830 ihre Nachbarn im Judenviertel mit den Worten beruhigt haben: „Es kommt nicht zum Krieg – meine Söhne geben kein Geld dazu her“). Die Bedeutung von Privatbanken wie den Rothschilds sank nach 1880, als zunehmend Aktienbanken den Geldmarkt übernahmen.

Vorher kam es aber zum „Gründerkrach“ von 1873, der die Gründerzeit beendete. Als Gründer­zeit wurde der im damaligen Deutschland und Österreich-Ungarn mit der Industriali­sierung einhergehende Wirtschaftsaufschwung bezeichnet, bei dem Unternehmensgründer scheinbar über Nacht reich werden konnten. Als 1870 in Deutschland die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften aufgehoben wurde, kam es zur Gründung zahlreicher neuer Aktien­gesellschaften und Banken, der Wert der Aktien stieg schnell – und führte dazu, dass immer mehr Menschen hieran mitverdienen wollten. In Wien heizte eine bevorstehende Weltaus­stel­lung die Kurse und Immobilienpreise an; Aktien konnten dort auch gegen Zahlung einer Teilsumme erworben werden, die fällige Restsumme sollte mit Kurssteigerungen gedeckt werden. Als aber 1873 die Franko-Ungarische Bank die Nachzahlung der Restsumme forder­te, kamen zahlreiche Anleger in Schwierigkeiten, und nach ersten Pleiten kam es zur Panik an der Börse, die sich auf andere europäische und amerikanische Börsen ausweitete: in den USA brach die Bank Jay Cooke & Company zusammen und die New Yorker Börse musste zeitweilig geschlossen werden; in Berlin brach die Quistorpsche Vereinsbank zusammen, zahlreiche der neuen Aktiengesellschaften gingen pleite. Erst Ende der 1870er Jahre erholte sich die Wirtschaft langsam wieder von diesem Einbruch, die überlebenden neuen Banken, allen voran die Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank, profitierten davon, dass Ende der 1890er Jahre mit Chemie und Nutzung der Elektrizität (>> mehr) ein neuer Wachs­tumszyklus einsetzte. Dem Wirtschaftsliberalismus hatte der Krach von 1873 aber einen schweren Schlag versetzt, die folgenden wirtschaftspolitischen Auseinander­setzungen führten dazu, dass Bismarck den sich abzeichnenden Aufstieg der Sozial­demokraten mit Sozialgesetzgebung zu verhindern suchte, Unfall-, Alters- und Kranken­versicherung wurden in dieser Zeit eingeführt.

1873 war auch das Jahr, in dem in Deutschland die Mark mit 100 Pfennigen als Haupt­zahlungs­mittel eingeführt wurde. Sie war goldgedeckt, auch als ab 1909 Banknoten ausgegeben wurden. Goldgedeckt bedeutet, dass der Staat garantiert, jede Banknote gegen eine entsprechende Menge Gold umzutauschen. Mit dem sogenannten Goldstandard waren auch die Wechselkurse zwischen verschiedenen Währungen weitgehend festgelegt. Das bedeutete freilich nicht, dass für jede Mark Gold in einem Lager lag, aber es musste ausreichend Gold geben, um jede denkbare Nachfrage zu befriedigen. Das System geriet aber schon bald aus den Fugen: Während des ersten Weltkriegs verabschiedete Deutsch­land sich vom Goldstandard; anders wäre der Krieg nicht zu bezahlen gewesen. Es wurde viel Bargeld gedruckt, nur festgelegte Höchstpreise für wichtige Güter wie Getreide und Kohle bremsten die Inflation zunächst. Nach Ende des Krieges brach dieser Damm aber. Zunächst schien die Weimarer Republik hiervon sogar zu profitieren, machte die billige Mark deutschen Waren doch im Ausland billiger. Aber zu wachsenden Zinsdiensten kamen die Reparationslasten aus dem Friedensvertrag von Versailles; und als die Franzosen 1923 das Ruhrgebiet besetzten, mussten auch Brennstoffe teuer im Ausland eingekauft werden; die Inflation weitete sich zur Hyperinflation aus: Teilweise musste die Gehälter zweimal am Tag ausgezahlt werden, damit das Geld nicht zwischenzeitlich zu viel an Wert verlor. Im Novem­ber 1923 war der Tiefpunkt erreicht, ein Dollar 4,2 Billionen Papiermark wert. Als Mitte November die Rentenmark eingeführt wurde, hatten alle diejenigen, die über Geldvermögen verfügt hatten, dieses über Nacht verloren; Gewinner war, wer zuvor hoch verschuldet war, allen voran der deutsche Staat, aber auch diejenigen, deren Vermögen in Maschinen und Gebäuden steckte, wie Fabrikanten und Handwerker.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929

In den USA hatte die Wirtschaft während des Krieges von Großeinkäufen der Alliierten profitiert; nach dem Krieg entstand hier die weltweit erste, auf Massenproduktion basieren­de Konsumgesellschaft. Auch Arbeiter und Farmer konnten sich etwa ein Auto leisten; die Zahl der Autos stieg von 1920 bis 1930 von acht auf zwanzig Millionen. Mit den ersten kommerziellen Radiostationen begann der Siegeszug des Radios, die Amerikaner hatten genug Geld, regelmäßig in Kino zu gehen. Noch stärker als die Wirtschaft wuchsen die Kurse an der Börse, und viele Amerikaner wollten zur Not mit geliehenem Geld daran teilhaben. Auch viele Unternehmer spekulierten lieber mit Aktien, als ihr Geld in ihren Unternehmen zu investieren. Die während des Krieges und danach aufgebauten Produktionskapazitäten waren zuletzt nicht mehr ausgelastet, und als unübersehbar wurde, dass die Lage nicht so gut wie die Börsenkurse war, brachen diese Börsenkurse zusammen: über drei Jahre lang fielen die Aktienmärkte um fast 70 Prozent. Viele von denen, die Aktien auf Kredit gekauft hatten, waren ruiniert. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 25 Prozent. Die Amerikaner brauchten ihr Geld und zogen ihre Investitionen aus Europa ab, worauf auch hier die Börsen einbrach­en. Außerdem versuchten die Amerikaner, mit Importzöllen ihre Unternehmen vor ausländi­schen Konkurrenten zu schützen. In Deutschland, das nach der Einführung der Rentenmark wirtschaftlich goldene Jahre erlebt hatte, dessen Wiederaufbau aber maßgeblich aus den USA finanziert war, waren die Auswirkungen besonders drastisch: über die Hälfte aller Bau­arbeiter etwa verloren ihre Arbeit. 1931 brach die österreichische Creditanstalt als erste Bank zusammen, kurz darauf dann auch die zweitgrößte Bank Deutschlands, die Danat-Bank. Damit war es auch noch zur Bankenkrise gekommen, verunsicherte Anleger stürmten die Banken. Die Regierung schloss die Bankschalter („Bankfeiertage“) und arbeitete ein Sanierungskonzept aus (unter anderem wurde damals die Bankenaufsicht eingeführt) und sprang mit Geld ein, wofür sie im Gegenzug Aktienpakete erhielt. Die Idee funktionierte, die Bürger vertrauten dem Konzept. Die Wirtschaft litt schwerer unter der Krise, zumal nicht nur die Amerikaner ihr Geld abgezogen hatten, sondern auch der deutsche Staat als Reaktion auf die Krise eisern sparte. Auch Unternehmen mit klangvollen Namen wie Borsig oder Flick gerieten in Schieflage.

Anders in den USA: Dort folgte der 1932 gewählte Franklin D. Roosevelt einem Rat des Ökonomen John Maynard Keynes: „den Ball ins Rollen zu bringen“. Im Rahmen des „New Deal“ wurden Straßen, Staudämme und Schulen gebaut, Millionen Menschen wurden hierbei beschäftigt. Es ist heute umstritten, ob der New Deal wirklich ausschlaggebend war, Amerika aus der Krise zu führen; aber er hat in jedem Fall verhindert, dass die Stimmung in Amerika ähnlich absank wie in Deutschland, wo Reichskanzler Brüning die Menschen sogar aufgefordert hatte, „jedes Übermaß an Feiern und Vergnügungen“ zu vermeiden. Ob Brünings Kurs wirklich nur der Angst von einer neuen Inflation zu verdanken war oder ob er nicht auch, wie sein Finanzstaatssekretär Hans Schäffer später schrieb, mit dem Elend in Deutschland die Reparationen abschütteln wollte, sei dahingestellt. Viele Ökonomen glauben aber, dass Arbeitsmaßnahmen wie von Keynes vorgeschlagen womöglich gar die Nazi-Diktatur in Deutschland hätten verhindern können.

John Maynard Keynes

Der 1883 im englischen Cambridge geborene Ökonom John Maynard Keynes wurde 1919 mit seinem Buch „The Economic Consequences of Peace“ berühmt, in dem er den Ver­sailler Vertrag kritisierte: Keynes, der selbst zunächst für England an den Verhandlungen in Paris und Versailles teilgenommen, aber bald den Dienst quittiert hatte, da er das Ergebnis für absehbar wirtschaftlich unvernünftig hielt, zeigte darin, dass Deutschland die Reparationen nicht aufbringen konnte, fürchtete den Ruin Europas und sah prophetisch europäische Bürgerkriege bevorstehen. Keynes, der zur Bloomsbury-Gruppe um die Schriftstellerin Virginia Woolf gehörte und ein Kunstsammler war, heiratete 1925 die berühmte russische Balletttänzerin Lydia Lopokova; und arbeite weiter an Geldtheorien. Keynes zu seinem Privatleben passender Grundgedanke war, dass der Wohlstand eines Landes nicht auf Sparsamkeit beruhte (wie Adam Smith 1776 in seinem „Wohlstand der Nationen“ geschrieben hatte), sondern auf Konsum. Wenn nämlich keine Nachfrage da sein, würden Unternehmen nicht investieren (die “Investionsfalle” der Ökonomen). Daher müsse der Staat die unteren Einkommen stärken, denn diese würden zum großen Teil in den Konsum fließen (während bei höheren Einkommen ein größerer Teil gespart wird) und in Krisenzeiten die Nachfrage selbst über Investitionen ankurbeln. Zu Keynes Hauptwerk wurde die 1936 veröffentlichte „General Theory of Employment, Interest and Money“. Im Unterschied zu dem im weiteren Sinne zu den Neoklassikern gehörenden österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der das Auf und Ab der Wirtschaft in seiner 1911 erschie­nenen “Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung” damit erklärt hatte, das Innovationen (neue Produkte, neue Produktionsmethoden, neue Märkte, etc.) zu einem Aufschwung führen, der abflaut, wenn Nachahmer die Gewinnmargen fallen lassen und die “schöpfer­ische Zerstörung” des Bestehenden durch neue Innovationen als notwendigen Bestandteil kapitalistischer Märkte sah, bot Keynes eine Handlungsanweisung für die Politik, wie sie den Schwankungen entgegenwirken konnte – eine Anweisung, die zuerst in den angel­sächsischen Ländern aufgenommen (siehe oben) wurde.

Neue Regeln – und ihr Zusammenbruch

John Maynard Keynes gehörte auch zu denen, die sich bereits während des Zweiten Welt­kriegs Gedanken machten, wie eine neue Weltwährungsordnung aussehen könnte, mit der Europa als Handelspartner für die wirtschaftlich im Zweiten Weltkrieg noch dominanter gewordenen USA wieder aufgebaut und Geschehnisse wie die Weltwirtschaftskrise oder die deutsche Inflation zukünftig verhindert werden konnten. Das System sollte ermöglichen, Ländern mit Zahlungsbilanzdefiziten zu helfen, ohne wieder Abwertungswettläufe auszu­lösen. Beschlossen wurde es im Juli 1944 auf einer Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen im amerikanischen Bretton Woods: Der (zu einem Preis von 35 Dollar je Feinunze) an Gold gebundene US-Dollar wurde zur internationalen Leitwährung; die Kurse der anderen Währungen wurden festgelegt und mussten von den jeweiligen nationalen Notenbanken im Bereich von plus/minus einem Prozent um dieses Wechselkurs stabilisiert werden. Staaten mit wirtschaftlichen Problemen konnten unter Auflage von „Struktur­anpassungsprogrammen“ Kredite von einem neuen Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten; eine ebenfalls neue „Weltbank“ sollte den Entwicklungsländern helfen.

In den Westzonen des nach dem Krieg geteilten Deutschlands wird 1948 die Deutsche Mark eingeführt, die alte Reichsmark praktisch wertlos. Die neugegründete Bundesrepublik Deutschland trat 1949 dem Bretton-Woods-System bei. Zunächst profitierten die nicht-kommunistischen, westlichen Länder von diesem System der stabilen Wechselkurse (die Sowjetunion hatte an den Verhandlungen teilgenommen, trat aber dem System nie bei); Deutschland, dessen Industrie nicht vollständig zerstört und mit Hilfe des Marshall-Plans wiederaufgebaut wird, profitierte auch davon, dass die USA, Frankreich und Großbritannien aufrüsten, um den Koreakrieg (>> mehr) führen zu können und Deutschland, dem die Waffenproduktion verboten ist, lieferte, was an ihnen an zivilen Gütern und Anlagen fehlt. Bald ist vom deutschen “Wirtschaftswunder” die Rede, auch die Deutschen können sich jetzt Autos, Fernseher und Urlaubsreisen leisten. Die Schattenseiten des Kapitalismus sollten mit einer “Sozialen Marktwirtschaft” eingedämmt werden, so wurden etwa die Löhne von Tarifparteien (für strenge Liberale sind dies Kartelle, keine freien Märkte) fest­gesetzt. Arbeitskräfte waren knapp, und so gelang die Integration von über zehn Millionen Aus- und Übersiedlern aus dem Osten; und als diese Quelle versiegte, wurden Menschen aus Südeuropa und der Türkei angeworben. Es gab allerdings auch Reibungen: So funktio­nierte die eigentlich in Bretton Woods vereinbarte Anpassung der Wechselkurse an unter­schiedliche wirtschaftliche Produktivität durch die Regierungen nicht. Beispielsweise wehr­ten sich in den 1960er Jahren die deutschen Unternehmen gegen eine aufgrund der Handels­bilanzüberschüsse eigentlich gebotene Aufwertung der D-Mark, da diese deutsche Produkte im Ausland verteuert hätte. 1967 wuchs die Wirtschaft dennoch nicht mehr, es gab erstmals (eine halbe Million) Arbeitslose in Westdeutschland. Auch die deutsche Regierung griff jetzt die Ideen von Keynes auf und hatte, wie es im “Stabilitäts- und Wachstumsgesetz” hieß, für “angemessenes Wirtschaftswachstum” zu sorgen. Die Krise von 1967 wurde schnell überwunden.

Aber Deutschland war nicht allein auf der Welt. Die Bindung des Bretton-Woods-Systems an die Leitwährung US-Dollar dazu, dass amerikanische Geldpolitik weltweite Auswirkungen hatte: Als die USA etwa zur Finanzierung des Vietnam-Krieges Geld druckten, führte dieses durch den festen Wechselkurs in allen beteiligten Staaten zur Inflation; dieses löste ins­be­son­dere in Deutschland mit dem Trauma der Vorkriegs-Inflation Ängste aus, und Wirt­schafts­minister Karl Schiller gab im Mai 1971 den Wechselkurs der D-Mark frei. Der Wert der D-Mark steigt, was deutsche Produkte im Ausland verteuert. Als US-Präsident Richard Nixon im August 1971 die Bindung des US-Dollar an den Goldstandard aufgab, war das Bretton-Woods-System praktisch tot – nach vielen Krisentreffen wurde es 1973 offiziell aufge­geben. Wechselkurse werden seither – wenigstens in der westlichen Welt – weitgehend auf den Finanzmärkten nach den Regeln von Angebot und Nachfrage festgelegt. Ins­besondere für Unternehmen, die im- oder exportierten, wurden von vielen Fachleuten zunächst durch unkalkulierbare Preise schädliche Auswirkungen befürchtet; die Europäische Gemeinschaft begrenzte 1972 mit der sogenannten „Währungsschlange“ zunächst die Schwankungsbreiten ihrer Währungen untereinander (und führte 1979 das Europäische Währungssystem [EWS] ein, das in die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung seit dem 1. Januar 2002 mündete); um die weltwirtschaftlichen Entwicklungen zu koordinieren, erfanden Kanzler Helmut Schmidt und Frankreichs Präsident Giscard d’Estaing 1975 den Welt­wirtschaftsgipfel der sieben großen Industrieländer (G-7).

Ölkrise und Globalisierung

Die Wirtschaft kam insgesamt mit dem Auf und Ab der Wechselkurse besser als von vielen erwartet zurecht, die deutsche Wirtschaft litt aber weiter unter der stärkeren D-Mark. 1973 kam noch die erste Ölkrise hinzu (>> mehr) und verstärkte – in Deutschland durch die Aufwertung der D-Mark allerdings abgeschwächt – die Inflation. 1974 schafften es die Gewerkschaften, die Beschäftigen mit hohen Lohnabschlüssen vor diesen Preissteigerungen zu schützen (die ÖTV erreichte nach einem langen Streik 11 Prozent für den öffentlichen Dienst), aber die Konsumlust ließt trotzdem nach, es kam zu Kurzarbeit und 1975 schrumpf­te allen Konjunkturprogrammen zum Trotz die Wirtschaft wieder – bei über einer Million Arbeitslosen. Steigende Preise und knappe Arbeit – das hätte es nach Keynes gar nicht geben dürfen; und so fanden Ökonomen die der Österreicher Friedrich August von Hayek oder der Amerikaner Milton Friedman immer mehr Gehör, die staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ablehnten. Friedman hielt vor allem die Geldmenge für wirtschaftspolitisch entscheidend: Wenn das in der Wirtschaft zirkulierende Geld nicht schneller zunimmt als die Wirtschaftsleistung, könne es nicht zur Inflation kommen (diese Theorie wird Monetarismus genannt); hohe Arbeitslosigkeit entstand für ihn ohnehin nur durch schädliche Eingriffe des Staates. Mit den Amtsantritten von Margaret Thatcher 1979 in England sowie Ronald Reagan 1981 in den USA wurde diese (von ihren Kritikern "neoliberal", von ihren Anhängern lieber "revitalisierter Marktkapitalismus" genannte) Theorie praktisch zum Regierungs­programm; Preisstabilität statt Förderung von Beschäftigung und Wachstum zum wichtig­sten politischen Ziel. In Deutschland bestimmten zu dieser Zeit Nachrüstung, Atomkraft und Waldsterben die politische Diskussion, aber 1982 führte der Streit um die Wirtschaftspolitik dazu, dass die FDP zur CDU überlief und Helmut Kohl zum Kanzler machte, der die “geistig-moralische Wende” ausrief – was immer damit gemeint war. Die Haushaltsdefizite sanken, aber die Arbeitslosigkeit wuchs weiter, Mitte der 1980er Jahre auf fast 2,5 Millionen Men­schen. Bei vielen Spitzentechnologien, etwa der Optik oder Elektronik, war Deutschland längst von Japan überholt; auch bei der neuen Informations- und Kommunikationstechnik spielten wir keine entscheidende Rolle. Rationalisierung und der in die Betriebe einziehende Computer vernichteten einerseits Arbeitsplätze in der Industrie, schufen aber neue in Soft­wareentwicklung und Informationsverarbeitung. Autos und Maschinen blieben weiterhin deutsche Exportschlager, aber Textil- und Stahlindustrie sowie Werften kamen durch billigere Produktionsstandorte unter Druck.

1989 brach der Kommunismus zusammen (>> mehr), und in den ehemaligen Ländern des Ostblock, wie Polen, Tschechien und Rumänien, entstanden Marktwirtschaften – und neue Produktionsstandorte. Auch in Asien wuchsen einstige Schwellenländer rasant und inte­grierten sich in die Weltwirtschaft (>> hier); vor allem China und Indien boomten. Trans­port­kosten spielten dank immer noch billigem Öl und riesigen Containerschiffen kaum eine Rolle; mit dem Internet ließen sich Informationen und Geld ohne Zeitverlust übertragen. Die Wirtschaft näherte sich dem an, wovon die Ökonomen immer geträumt hatten: dem trans­parenten, globalen Markt. Bisher hatte Exportweltmeister Deutschland von der Globalisie­rung nur profitiert, lediglich einige Dritte-Welt-Gruppen hatten kritisiert, dass der globale Handel nicht sehr gerecht war (während wir Autos und Maschinen exportierten, durften die Entwicklungsländer nur Bananen und Kaffee liefern); jetzt wurden viele Schwellenländer auf einmal konkurrenzfähig. Ökonomen wie der gebürtige Inder Jagdish Bhagwati wiesen darauf hin, dass viele arme Länder hiervon profitierten, während in Deutschland erstmals deutlich wurde, dass ein großer Teil des bisherigen Wohlstands auf der Ausbeutung des armen Südens beruht hatte und viele Menschen – vor allem solche mit geringeren Quali­fikationen – hier zu den Verlierern gehören könnten. In unserem immer noch sehr reichen Land stellt dies eine lösbare Herausforderung für die Politik dar; aber in den aufstrebenden Produktionsstandorten sind nicht nur die Löhne niedrig, sondern auch Arbeitsschutz- und Umweltstandards; manche chinesische Fabrik erinnert an den Frühkapitalismus in Europa. Unabsehbar ist, dass die Globalisierung auch globale Regeln braucht, soll sie nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden – hierauf weist zum Beispiel der amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz immer wieder hin.

Wer macht eigentlich Geld – und wie?

Historisch musste Geld mit der Herstellung von Münzen erstmals “gemacht” werden. Weil man damit Geld verdienen kann – etwa weil die Münzen einen höheren Tauschwert haben als die darin enthaltenen Edelmetalle (noch viel größer wurde der Unterschied bei Bank­noten) –  behielten sich historisch die Feudal- und Lehnsherren dieses Recht vor; und heute halten ihre Nachfolger, die Nationalstaaten, dieses Monopol. Allerdings überlassen diese einen großen Teil der eigentlichen “Geldschöpfung” den Banken und beschränken sich darauf, hierfür Regeln festzusetzen. Geld entsteht auf zwei Wegen: Zum einen, indem die Zentralbank des Staates (in Deutschland früher die Bundesbank, heute im Euroraum die Europäische Zentralbank, EZB) Geld drucken oder Münzen prägen lässt; zum anderen – und mengenmäßig viel wichtiger – ist entsteht Geld bei der Vergabe von Krediten durch die Geschäftsbanken. Jedes Mal, wenn eine Bank einen Kredit vergibt und dem Kredit­nehmer Geld aufs Konto überweist, muss sie im Gegenzug für die Einlage auf dem Giro­konto nur einen kleinen Teil der Einlage (aktuell zwei Prozent) als Reserveguthaben bei der Zentralbank anlegen – für einen Kredit von 10.000 Euro, der auf ein Girokonto über­wiesen wird, also einen Betrag von 200 Euro. Alternativ kann die Bank den Kredit auch bar auszahlen, dann braucht sie 10.000 Euro Bargeld. Beides, Bargeld und Reserveguthaben, sind die sogenannte Geldbasis, auf deren Grundlage Banken Kredite vergeben können. (Das Bargeld wird ja mit hoher Wahrscheinlichkeit auch irgendwann auf einem Bankkonto landen, und kann dann als Reserveguthaben dienen – für 500.000 Euro Kredit.) Diese Geldbasis wird von der Zentralbank in der Regel in Form von „Refinanzierungskrediten“ geschaffen, die sie den Banken gegen Hinterlegung von Wertpapieren als Sicherheit und gegen Zahlung eines Zinses, dem „Leitzins“ anbietet. Mit dem Leitzins kann die Bank, so die Theorie, die Nachfrage nach der Geldbasis und damit die Möglichkeit zur Kreditvergabe (und so letztlich auch diesen Teil der Geldschöpfung) beeinflussen: ein niedriger Leitzins sollte eine hohe Nachfrage auslösen, ein hoher Leitzins eine niedrige Nachfrage. Alternativ kann die Zentralbank den Banken Wertpapiere abkaufen, auch dies weitet die Geldbasis aus.

Und wer verdient heute an der Produktion von Geld? Bei der Herstellung von Bank­noten und Münzen profitiert vor allem der Staat (und daneben natürlich die beteiligten Unternehmen, die Druckerei, die Farben- und Papierhersteller, etc.); bei der Geld­schöp­fung durch Kreditvergabe vor allem die Banken, die Zinsen für die Kredite erhalten und für einen kleine Teil davon die niedrigeren Leitzinsen zahlen müssen. Einen Teil dieses Gewinns werden die Banken, zumindest wenn im Bankenwesen Konkurrenz herrscht, als Zinsen an die Inhaber von Sparguthaben weitergeben müssen.

Geld verdient Geld – die neue Rolle der Finanzmärkte

Stiglitz weist auch immer wieder darauf hin, dass die Finanzmärkte nicht alles bestimmen dürften: Ihre Akteure seien weder heilig noch objektiv, sondern würden eigene Interessen verfolgen. Tatsächlich waren mit der Freigabe der Wechselkurse ganz neue Märkte ent­standen, von denen vor allem die Banken profitierten, die etwa in den USA ab 1972 Risiken aus Währungsgeschäften mit Futures sicherten. Die zunehmende Bedeutung marktliberaler Ökonomen hatte auch im Finanzsektor seit Mitte der 1980er Jahre dazu geführt, dass nach und nach viele Regelungen beseitigt wurden. Märkte, so glaubten sie, seien die beste Methode, Preise für Wertpapiere und Rohstoffe festzulegen; für die Lehre von den effizi­enten Märkten gab es Nobelpreise. 1986 beseitigte Margareth Thatcher in Großbritannien Gebühren und Zulassungsbeschränkungen im Börsenhandel, 1999 hob Bill Clinton den Glas-Steagall-Act auf, der Banken bis dahin verboten hatte, klassisches Kreditgeschäft und Investmentbanking gleichzeitig zu betreiben. 2001 senkte die amerikanische Börsenaufsicht den kleinsten zu handelnden Wert auf einen Cent, wodurch die Geschäftsgrundlage für den Hochgeschwindigkeitshandel (siehe unten) geschaffen wird, 2005 wird in allen Börsen der USA der elektronische Handel eingeführt. Der Deregulierungswettlauf war auch davon motiviert, dass Regierungen ihre Länder als Standorte für die wachsende Finanzindustrie attraktiver machen wollten; England konnte so seinen wirtschaftlichen Abstieg stoppen, London wurde zum europäischen Finanzzentrum.

Die Finanzwirtschaft nahm die Vorlagen dankend an. Sie erfand laufend neue “Produkte” und machte immer höhere Umsätze und Gewinne. In den USA betrug im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends der Anteil der Finanzwirtschaft an den Gewinnen aller amerikanischen Firmen über 40 Prozent; im Jahr 2010 übertraf alleine das Volumen der Devisengeschäfte mit 955 Billionen Dollar den Wert aller auf der Welt produzierten Güter und Dienstleistungen um mehr als das 15fache. Nach Schätzungen lag etwa zwei Prozent dieser Transaktionen ein realer Austausch von Gütern und Dienstleistungen zugrunde, 98 Prozent waren reine Spekulation. Geld ist nur noch dazu da, mehr Geld zu verdienen, auf den “Umweg” mit Fabriken, Produktion und Arbeitsplätzen, aus dem der gesellschaftliche Nutzen im Sinne von Adam Smith entstehen sollte, wird von vornherein verzichtet. Möglich wurde dieser gigan­tische Handelsumfang erst durch die Informationstechnologie: Der Handel wird längst zum größten Teil vollautomatisch von Computerprogrammen abgewickelt. Die Computer können in der Sekunde Tausende von Wertpapieren kaufen und verkaufen und so blitzschnell kleinste Kursunterschiede ausnutzen (“Hochgeschwindigkeitshandel”) – diese aber so auch  automatisch verstärken. Wenn etwa beim Erreichen vorher festgelegter Marken Wertpapiere verkauft oder gekauft werden, führen sinkende oder steigende Preise zu Kettenreaktionen.

Dass hinter den so produzierten Kursausschlägen irgendeine “Weisheit der Finanzmärkte” steckt, glaubt heute kaum noch jemand. Aber sie haben Auswirkungen auf die Real­wirtschaft: Fällt das Vermögen der Anleger, geht auch der Konsum zurück; und Manager werden bei Investitionsentscheidungen von Börsenkursen beeinflusst. Wenn ein George Soros im Jahr 1995 bei Spekulationen gegen das Britische Pfund angeblich eine Milliarde Pfund verdienen konnte, hat jemand anderes dieses Geld verloren; Spekulationsgewinne sind in der Summe immer eine Umverteilung von Vermögen von denen, die produzieren, zu denen, die spekulieren. Die Rechnung wird von den Verlierern aber nicht direkt gezahlt, sondern indirekt, zum Beispiel über höhere Preise. Darunter leiden auch die Ärmsten der Armen: Wenn die Spekulation die Getreidepreise nach oben treibt, reicht das Geld bei vielen von ihnen nicht mehr für eine ausreichende Ernährung (>> mehr). Sie machen aber auch das Handelssystem selbst immer instabiler; erste Warnungen waren die “Tequila-Krise” in Mexiko 1994, die Krise der asiatischen Tigerstaaten 1997 oder das Platzen der „Dotcom-Blase“ im Jahr 2000.

Der Stimmung auf den Finanzmärkten tat dies keinen Abbruch. Nach dem Platzen der “Dotcom-Blase”, die auf  überhöhte Erwartungen an Internet-Unternehmen beruhte, verloren aber viele in Aktiengeschäften unerfahrene Kleinanleger ihr Geld. Um die Konjunktur zu stützen, senkte die US-Zentralbank die Zinsen. Nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 und dem Börseneinbruch nach Beginn des Irak-Kriegs im März 2003 wurde diese Politik fortgesetzt – schließlich lag der Leitzins im Juni 2003 bei einem Prozent. Immer mehr Amerikaner nutzten billige Kredite, um mit ihrer Hilfe Häuser zu kaufen; von 2000 bis 2005 stiegen die Hauspreise um mehr als die Hälfte. Gleichzeitig sorgten neue Finanz­produkte dafür, dass die Banken ihre Kreditforderungen an Investoren weiterverkaufen konnten – damit standen sie nicht mehr in den Büchern, die Banken brauchten hierfür kein Reserveguthaben mehr und konnten weitere Kredite vergeben; die Investoren hatten eine – wie sich zeigen sollte, scheinbar – sichere Geldanlage. Um aber überhaupt genug Kredit­nehmer zu finden, erhielten jetzt auch Menschen Kredite, deren Einkommen hierfür eigentlich nicht reichte („Subprime-Kredite“) –  mitunter reichte die Ratenzahlung in den ersten beiden Jahren nicht einmal für die Zinstilgung. Den ausstellenden Banken war das egal, sie kassierten Provisionen und verkauften die Subprime-Kredite im Paket mit anderen Krediten an Investoren weiter. Diese, darunter deutsche Banken wie die IKB und die Bayerische Landesbank, kauften gerne, offenbar ohne genau zu wissen, was sie da eigentlich erwarben, aber beruhigt von positiven Ratings großer Rating-Agenturen wie Standard & Poors. Wer ahnte, dass ein Teil der Kredite platzen könnte, kaufte Credit Default Swaps (CDS), eine Art Kreditausfallsicherung, dazu; ein Markt, in den der US-Versicherungskonzern AIG groß einstieg.

Subprime-Krise 2007 und drohende Staatspleiten

Im Jahr 2006 konnten eine Millionen Hausbesitzer, davon viele, deren Raten nach den ersten zwei Jahren stiegen, ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen; Mitte 2007 waren es schon anderthalb Millionen. Die Hauspreise begannen zu fallen; und damit waren die Hypotheken nicht mehr durch den Wert der Häuser abgesichert. Ende Juli brachen zwei Fonds zusammen, die in Kredite investiert hatten; die Hypothekenpapiere verloren ebenfalls an Wert. Die AIG musste 2007 11 Milliarden Dollar auf ihre CDS abschreiben, im Jahr 2008 benötigte sie staatliche Unterstützung in Höhe von 150 Milliarden Dollar und wurde de facto notverstaatlicht – die AIG hatte nicht annähernd genug Kapital vorgesehen, um Kredit­ausfälle wirklich absichern zu können, sie hatte diese nicht ernsthaft für möglich gehalten (weshalb diese “Kreditausfallversicherungen” der AIB von vielen auch schlicht als Betrug bezeichnet wurden). Auch Investmentbanken, die auf Hypothekenpapiere gesetzt hatten, gerieten in Schwierigkeiten. Die Investmentbank Bear Stearns wurde im Frühjahr 2008 noch vom Staat gerettet, aber am 15.9.2008 ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite. Über Nacht trocknete das Finanzsystem aus, Banken liehen sich untereinander kein Geld mehr; die Aktienkurse brachen ein und die Realwirtschaft folgte. In den USA meldete General Motors Konkurs an, auch in Deutschland traf es zahlreiche Unternehmen, darunter Rosenthal oder Märklin. Um weitere Bankzusammenbrüche zu verhindern, unterstützten Staaten jetzt ihre in Not geratenen Banken – alleine das deutsche Rettungspaket umfasste fast 500 Milliarden Euro an Hilfen und Garantien. Weltweit nahmen die Banken 994 Milliarden Euro an Staatsgarantien in Anspruch; mit Konjunkturpaketen und anderen Hilfen haben die Rettungsaktionen über 15.000 Milliarden Dollar gekostet. Diese Summen brachten auch manche Staaten an den Rand der Leistungsfähigkeit; insgesamt haben sie weltweit mehr als 39.000 Milliarden Dollar an Schulden aufgehäuft. Ganz vorne liegen dabei die USA mit 10.040 Milliarden Dollar und Japan mit 9.840 Milliarden Dollar, aber auch viele europäische Staaten sind an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen: 2010 konnte Griechenland auf dem Kapitalmarkt keine neuen Kredite zu tragbaren Zinskosten mehr erhalten, Irland und 2011 Portugal folgten; auch Spanien und Italien wurden im Euroraum zu Krisenländern.

Warum Staatsschulden schlecht sind

Hohe Schulden bedeuten hohe Zinszahlungen: Wenn sie nicht für Investitionen verwendet werden, die diese Zinszahlungen wieder einspielen, schränken Staaten mit ihnen ihre Spielräume für Investitionen und Politikgestaltung ein, und sie machen sich abhängig von den Finanzmärkten, die ihnen das Geld zur Verfügung stellen müssen (wenn sie nicht selber Geld drucken und ihre Schulden über die Geldentwertung reduzieren wollen, was einer Enteignung der Sparer gleichkäme). Wie konnte es dazu kommen, dass gerade die reichsten Länder der Welt, die USA, Japan und Europa solche Schulden aufbauten? Kurz gesagt: Die meisten Märkte sind hier nahe der Sättigung, die meisten Menschen haben, was sie brauchen und haben wollen. Seit zwei Jahrzehnten verlieren daher die alten Industrieländer global an Bedeutung, in den Schwellenländern, wo Nachholbedarf besteht, wächst die Wirtschaft viel schneller. Von 2000 bis 2007 ist in Deutschland das Brutto­inlandsprodukt um 381 Milliarden Euro gewachsen – und die deutsche Staatsverschuldung um die gleiche Summe. Schon vor der Banken- und Staatsschuldenkrise war das deutsche Wachstum also vollständig auf Pump finanziert. Dazu kommen jetzt noch die Summen, mit denen wir die Verluste des Finanzsektors bezahlen, der eigentlich einmal das in der Produktion ausbleibende Wachstum ersetzen sollte.

Langfristig bedeuten Schulden viel mehr als nur eine vorübergehende Einschränkung der Spielräume der Politik: Sie gefährden die ökologische Nachhaltigkeit ebenso wie die soziale Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Zum einen sind Schulden die wichtigste Trieb­kraft für Wirtschaftswachstum – wenn die Wirtschaftsleistung schneller wächst als die Zinsen, gehen die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zurück, ansonsten mindert Wirtschaftswachstum wenigstens den zinsbedingten Anstieg der Verschuldung -; zum anderen belasten Schulden genauso wie der Raubbau an der Natur und die Umwelt­zerstörung kommende Generationen. Eine nachhaltige Politik muss daher solche Staats­schulden abbauen, die nicht für Investitionen dienten, sondern dazu, den Menschen trotzt ausbleibendem Wachstum wachsenden Wohlstand vorzugaukeln. Dies ist übrigens nicht mit dem Abbau des Sozialstaats zu verwechseln (sonst wären die USA nicht der höchst verschuldete Staat), sondern mit der Einsicht, dass in einer Welt mit Grenzen nicht automatisch immer mehr, und auch nicht immer mehr Geld, die Lösung für alle Probleme sein kann. Wenn die nächste Generation nicht noch reicher wird, sondern wir nur unseren Wohlstand erhalten – was wäre daran eigentlich so schlimm? (Siehe auch >> hier.)

Geld und Nachhaltigkeit

Seit Richard Nixon 1971 den Dollar endgültig vom Goldstandard gelöst hat, ist Geld an keine materielle Wirklichkeit mehr gebunden. Geld wird von privaten Banken praktisch aus dem Nichts geschaffen (>> hier), soll aber der Wertmaßstab für die Weltwirtschaft sein. Ins­besondere ein Widerspruch beschäftigt seit langem viele Denker und heute vor allem jene Wirtschaftswissenschaftler, die an einer ökologischen Ökonomie interessiert sind: Wie kann Geld, dass sich durch Zinsen exponentiell vermehrt, Wertmaßstab in der realen, endlichen Welt sein, in der ein exponentielles Wachstum nicht dauerhaft möglich ist (>> hier)? Auf diese Frage kam bereits in den 1920er und 30er Jahren der Chemie-Nobelpreisträger Frederick Soddy, der sich fragte, warum die Erkenntnisse der Naturwissenschaften nicht zuerst zum Wohle der Menschheit, sondern im Krieg eingesetzt wurden. Dabei beschäftigte er sich auch mit dem Bankwesen, und untersuchte den Widerspruch zwischen Geld, dessen Wert alleine mathematischen Gesetzen folgend steigt, und realen Gütern wie etwa Schwei­nen, die sterben können, gefüttert werden müssen und deren Vermehrung von biologischen Gesetzen abhängig ist. Geld, das nicht an die materielle Wirklichkeit gebunden ist, war für Soddy nur “virtueller Wohlstand”, und dürfte eigentlich bei der Betrachtung des Wohl­standes einer Gesellschaft gar nicht berücksichtigt werden. Als Chemiker wurde Soddy von den Wirtschaftswissenschaftlern nicht sonderlich ernst genommen, aber 1965 unterschied beispielsweise auch der Wirtschaftswissenschaftler (und Nobelpreisträger) James Tobin zwischen realen Gütern, die neben den Menschen den eigentlichen Wert einer Gesellschaft ausmachen, und den Papier”gütern”, die eine Regierung aus dem nichts entstehen lasse und das eigentliche eine Illusion sei, an die lediglich alle glauben. Heute fordert beispiels­weise der Schweizer Volkswirtschaftler Hans Christoph Binswanger, dass nur noch die Zentralbanken Geld schöpfen dürfen.

Für Binswanger steht dabei ein anderer Aspekt im Vordergrund: Wenn Geld durch Kredit­vergabe geschöpft wird, wird etwa einem Unternehmen Geld gegeben, für das es den Gegen­wert erst in Zukunft schaffen kann. Ähnlich ist es, wenn ein Unternehmen Geld durch Aktienverkäufe einsammelt. Durch den Zins oder die Renditeerwartungen der Aktionäre wächst entsteht ein Wachstumszwang (der noch dadurch angetrieben wird, dass Aktien­besitzer ihre Gewinne wieder anlegen und damit die “Wachstumsspirale” (der Titel von Binswangers Spätwerk) in Gang halten). Dieser Zwang zum Wirtschaftswachstum ist es aber, der mit einer endlichen Welt nicht vereinbar ist (>> hier), Binswanger will daher nicht nur die Geldschöpfung ändern, sondern schlägt auch vor zu prüfen, ob Aktiengesellschaften etwa durch Stiftungsformen für Unternehmen ersetzt werden könnten.

Zinsen wirken aber nicht nur als Wachstumstreiber, sondern machen kurzfristiges Denken in der Wirtschaft profitabel: 100 Euro, mit 10 Prozent abgezinst, sind in 100 Jahren auch ohne Inflation nur noch 7 Cent wert, und solche Vorgehensweisen tragen nicht dazu bei, langfristige ökologische und soziale Folgen heutigen Handels zu berücksichtigen. Außerdem tragen Zinsen dazu bei, Geld anzusammeln und nicht als Tauschmittel zu verwenden. Wirtschaftswissenschaftler wie der Belgier Bernard Lietaer schlagen daher vor, die Zentralbankwährungen mit Zinsen durch lokale Währungen zu ergänzen, bei denen es keine Zinsen gibt, sondern im Gegenteil für die Nutzung eine kleine Gebühr zu entrichten ist. Damit würden diese lokalen Währungen nicht mehr als “Wertspeicher” taugen, sie wären reines Tauschmittel und Rechnungseinheit, würden aber gerade dadurch die lokale Wirt­schaft stärken und Arbeitslosigkeit bekämpfen. Sie würden so soziales Kapital schaffen und das Zentralbankgeld ergänzen. Zur Zeit gibt es etwa 2.700 lokale Währungen auf der Welt.

>> Quellen und Literaturtipps

Hauptseite:
>> Wirtschaften auf einem endlichen Planeten

Siehe auch:
>> Was macht Menschen wirklich glücklich?

© Jürgen Paeger 2006 – 2014