Strategien für die Zukunft
Ein nachhaltiges Verkehrskonzept
Der Verkehr verursacht alleine in Deutschland mehr als 5.000 Tote im Jahr, auf ihn gehen 28 Prozent unseres Energieverbrauches zurück, ein Viertel unseres Kohlendioxid-Ausstoßes, und er verursacht einen erheblichen Anteil der Luftverschmutzung, vor allem an Stickoxiden und Feinstaub. Die Situation ließe sich durch eine konsequente Verbesserung von Bussen und Bahnen und eine Abkehr von übermotorisierten Hochgeschwindigkeits-Autos wesentlich verbessern.
Nur zwei der Auswirkungen des Verkehrs: Energie-
verbrauch und Kohlendioxid-Emissionen im Personen- und
Güterverkehr. Berechnet pro Personenkilometer bzw.
Tonnenkilometer (Fahrleistung multipliziert mit Zahl der beförderten
Personen bzw. Tonnen) unter Berücksichtigung der durchschnittlichen
Auslastung, z.B. 1,4 Personen/Auto und 48 Prozent bei der Bahn. Nach
Allianz pro Schiene e.V., “Umweltschonend mobil”, 2003.
Wie wenig effizient unser Verkehr ist, kann man rund um jede Großstadt an jedem Arbeitstag selber sehen: Tausende von Menschen fahren, meist alleine im Auto, in dieselbe Richtung (und am Abend wieder zurück). Ein durchschnittlicher Autofahrer soll sechs Monate seines Lebens im Stau stehen... Technisch ist ein nachhaltiges Verkehrskonzept längst möglich; die Hindernisse sind hauptsächlich psychologischer Art: Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind (und ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, nicht nur des Deutschen). Es gilt - den sechs Monaten im Stau zum Trotz - als Symbol der Freiheit; “freie Fahrt für freie Bürger” hieß das Motto einer Kampagne gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen. Was Freiheit verspricht, wird gekauft, und wenn der Geländewagen auch noch “Explorer” oder “Touareg” heißt - umso besser. Mit Bussen und Bahnen zu fahren, gilt dagegen als Zeichen von sozialer Ausgeschlossenheit; akzeptiert allenfalls bei Pendlern und Geschäftsreisenden im ICE. Jedenfalls hat das Auto heute einen Anteil von über 80 Prozent an der gesamten (motorisierten) Personenverkehrsleistung, Busse liegen etwa über 7 Prozent und die Bahn knapp darunter (dazu kommt der Flugverkehr mit einem Anteil von 4,1 Prozent). Bei Berücksichtigung von Fahrrad- und Fußgängerverkehr kommt das Auto immer noch auf einen Anteil von 77,1 Prozent.
Hierin liegt eine Herausforderung. Gerade sind Chinesen und Inder dabei, den Motorisierungsgrad der reichen Industrieländer anzustreben, und entweder werden die schwindenden Ölvorräte (>> hier) ein Umdenken erzwingen oder der Klimawandel (>> hier). Angesichts des großen Unterschiedes in Treibstoffverbrauch und Kohlendioxidemissionen wäre es hilfreich, könnten Fußgänger- und Fahrradverkehr sowie Busse und Bahnen mehr als ihren heutigen Anteil von knapp 20 Prozent erobern.
Attraktive Busse und Bahnen
Kernpunkt eines nachhaltigen Verkehrskonzeptes sind daher attraktive Busse und Bahnen. Erst wenn diese nicht mehr als “Auffangbecken” für alle gelten, die sich kein Auto leisten können, wird sich die Verteilung der Verkehrsträger dauerhaft ändern. Ein Weg dahin sind kurze Taktzeiten - im besten Fall muss man keinen Fahrplan mehr kennen, da ohnehin alle 10 bis 15 Minuten oder sogar noch öfter ein Bus oder Zug in die gewünschte Richtung fährt. Dieses lohnt sich, wenn deutlich mehr Menschen Busse und Bahnen benutzten. Nach den Vorstellungen des englischen Ökonomen Alan Storkey könnte man die Fahrzeiten deutlich verkürzen, indem man Spuren für Busse freihält - nicht nur in den Städten, sondern auch auf Autobahnen. Da ein mit 35 Personen besetzter Bus 25 Autos ersetzt, würde sich ab einer bestimmten Busfrequenz die Situation für die Autos trotzdem nicht verschlechtern, die Transportkapazität unserer Straßen insgesamt würde sich sogar erhöhen. Damit würden aber die Fahrzeiten von Bussen und Bahnen auch in den Städten mit denen der Autos vergleichbar.
Natürlich hätten Busse und Bahnen nach wie vor Nachteile gegenüber dem Auto, eine Reise ohne Umsteigen mit allem Gepäck im Kofferraum wäre nach wie vor nicht möglich; aber dafür kann man während der Fahrt im Zug lesen, arbeiten oder ein Bier trinken - hier ist das Auto klar im Nachteil. Mit einem optimal ausgebauten System an Bussen und Bahnen könnten etwa 80 Prozent des Autoverkehrs ersetzt werden.
Güter auf die Schiene - und viel weniger Transporte
Beim Güterverkehr beträgt der Anteil der Straße an der Verkehrsleistung 70,2 Prozent, der Anteil der Eisenbahn 15,4 Prozent und jener der Schifffahrt 11,3 Prozent (dazu kommt ein Anteil von 3 Prozent durch Pipelines). Aufgrund seines pro Tonnenkilometer höheren Energieverbrauchs und seiner höheren Kohlendioxid-Emissionen verbraucht der Güterverkehr auf der Straße 90 Prozent der Energie des gesamten Güterverkehrs, und verursacht 93,5 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen. Könnte die Hälfte des Straßentransports auf Schiene und Schifffahrt verlagert werden, würde der gesamte Energieverbrauch des Güterverkehrs und seine Kohlendioxid-Emissionen um 38 Prozent zurückgehen. Dieses wäre allerdings kaum ohne gewaltige Investitionen zu bewältigen; wir werden daher um eine massive Verkürzung der Transportwege nicht herumkommen.
Für den internationalen Seetransport gibt es bereits Ansätze, zukünftig die Windkraft wieder zu nutzen - für den Transport schwerer Güter werden in Holland bereits wieder Segelschiffe (mit Hilfsmotor) gebaut; eine Hamburger Firma erprobt zur Zeit Flugdrachen als Zusatzantrieb (>> Spiegel online). “Wir werden eine Renaissance der Windnutzung als Zusatzantrieb erleben”, sagt laut ZEIT 32/2008 auch der Geschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik.
Sparsame Autos
Auch wenn Busse und Bahnen massiv ausgebaut werden; etwa 20 Prozent der Personenverkehrsleistung werden auch langfristig Autos übernehmen: Vor allem auf dem Land, aber auch für den Transport kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen. Die Nutzung von Autos müsste nicht unbedingt mit ihrem Besitz verbunden sein: Nach einer Anfahrt mit Bussen oder Bahnen könnte man in regionalen Mobilitätszentren ein Auto zur Weiterfahrt auf das Land erhalten.
Die veränderte Nutzung des Autos könnte auch andere Autos hervorbringen: Wenn diese nicht mehr für Spitzengeschwindigkeiten auf der Autobahn getrimmt werden müssten, könnten die Effizienzfortschritte dem Spritverbrauch zu Gute kommen. Autos, die für Landstraßen und die dort erlaubten 100 Stundenkilometer ausgelegt wären, könnten schon mit heutiger Technik mit 3 Liter/100 km auskommen. Aber wir dürfen sicher sein: Wenn die Kreativität unserer Ingenieure erst einmal in diese Richtung gelenkt wird, sind auch beim Treibstoffverbrauch noch enorme Fortschritte möglich: Der klassische Verbrennungsmotor ist noch nicht ausgereizt, was das Einsparpotential angeht - zur Zeit werden die Motoren wieder kleiner, bleiben aber dank Turboaufladung leistungsstark (“downsizing”). Die FAZ berichtet am 20.6.2009 vom beginnenden Testlauf des Scuderi-Motors, der nach dem Split-Cycle-Prinzip läuft (die vier Arbeitstakte sind auf zwei Zylinderpaare verteilt) und Wirkungsgrade von fast 50 Prozent erreicht - bei gleicher Leistung also sparsamer ist. Dieser soll auch als “integrierter Hybridantrieb” angeboten werden: Mit der Bremsenergie wird Luft verdichtet, die den Zylinder bei der Verdichtung “arbeitslos” macht. Hybridantriebe der zweiten Generation (der Verbrennungsmotor dient nur noch dazu, die Batterien aufzuladen, wie beim geplanten Opel Ampera) und Leichtbau werden ebenfalls Treibstoff einsparen. An den Batterien hakt noch die Umsetzung des reinen Elektroautos, ansonsten ein wichtiger Schritt in Richtung “sparsame Autos”: Elektromotoren arbeiten fast verlustfrei, und sind damit dem Verbrennungsmotor grundsätzlich überlegen. Die Fortschritte in der Batterietechnik werden wohl auch über die Zukunft der Brennstoffzelle entscheiden, die den Strom aus Wasserstoff erzeugt (>> mehr). Ein großes Hindernis auf dem Weg zum sparsamen Auto ist jedoch die PS-Protzerei der Automobilindustrie, die damit ihre Zukunft zu verspielen droht (>> Die Zukunft des Autos).