Einführung
Worum es auf diesen Seiten geht
Im Dezember 1968 erreichte die Apollo 8 als erster bemannter Raumflug den Mond. Bei ihrer vierten Mondumkreisung am Heiligabend sah die Besatzung als erste Menschen die Erde über dem Mond aufgehen. Sie machte davon ein Foto, das um die Welt ging. Der Blick aus dem Weltall auf die Erde eröffnete eine neue Perspektive; einer der Raumfahrer, der Astronaut James Lovell, beschrieb die Erde als “eine prachtvolle Oase in der riesigen Wüste des Weltalls”. Das Leben auf der Erde wurde als hauchdünne, zerbrechlich erscheinende Schicht erkannt. Dieser Eindruck trug wesentlich dazu bei, dass sie Wissenschaftler verstärkt für die geradezu phantastisch anmutenden "Lebenserhaltungssysteme" interessierten, die Leben auf der Erde möglich machten. Dabei erkannten sie auch immer deutlicher, dass menschliche Aktivitäten diese System mittlerweile beeinflussen, und damit unsere eigene Zukunft gefährden. Wie es dazu gekommen ist, und was wir tun können, um dieses zu ändern, ist das Thema dieser Seiten.
Erdaufgang über dem Mond. Aufgenommen
von der Besatzung der Apollo 8
am 24. Dezember 1968. Quelle: NASA.
Das "Spiel der Menschheit"
Die "prachtvolle Oase" Erde ist die Bühne für das "Spiel der Menschheit" (010): das, was die meisten von uns den größten Teil unserer wachen Zeit beschäftigt – unsere Träume, unsere Projekte, unsere Arbeit, unsere Institutionen – alles findet auf dieser Bühne statt. Dieses Spiel ist nicht nur schön; Drama, Tragödien und Trauer gehören auch dazu. Es ist auch nicht perfekt: obwohl wir mehr Nahrung produzieren, als wir für alle Menschen auf der Welt bräuchten, hungern fast eine Milliarde Menschen. Aber in der Summe lieben die meisten von uns dieses Spiel: daher wollen wir, dass auch unsere Kinder und deren Kinder es noch spielen können. Wir wissen auch, dass manches von diesem Spiel in der Vergangenheit anders abgelaufen ist – die Beschäftigung damit nennen wir "Geschichte". Und wir haben die Hoffnung, dass wir es in Zukunft besser spielen können, wenn wir seine Regeln ändern – die Bemühungen darum nennen wir "Politik". Vieles haben wir erreicht: in den reichen Ländern leben wir in nie gekanntem materiellen Wohlstand; und wir wissen auch, was wir in Zukunft noch erreichen müssen – alle Menschen auf der Erde brauchen genug zu essen, eine ihrem Klima angemessene Kleidung, ein Dach über dem Kopf (und bei kaltem Klima auch Wärme) und eine sinnvolle Beschäftigung (012). Zur Geschichte der Menschheit gehört auch eine wissenschaftlich-technische Revolution, die unseren materiellen Wohlstand, die Hoffnung, alle Menschen mit dem versorgen zu können, was sie für ein menschenwürdiges Leben brauchen und auch den Flug der Apollo 8 ermöglicht hat. Diese wissenschaftlich-technische Revolution hat dazu geführt, dass viele Aspekte unseres Lebens heute auf komplexe Weise miteinander verbunden sind (014).
Die Bühne wird zum Thema
Als das Foto des Erdaufgangs über dem Mond die Erde erreichte, hatte auch eine breitere Öffentlichkeit langsam zu ahnen begonnen, dass das "Spiel der Menschheit" auch einen Einfluss auf die Bühne hat, auf der es stattfindet. 1968 lebten auf der Erde bereits mehr als 3,5 Milliarden Menschen. Wilde Müllkippen, Ruß, Rauch und Smog in den Industriegebieten, eine Ölpest vor der kalifornischen Küste und brennende Flüsse führten in den 1960er Jahren zum Entstehen eines neuen "Umweltbewusstseins"; in den besonders betroffenen Industrieländern entstanden erste Ansätze einer "Umweltpolitik". Vor allem die Probleme, die für jeden Menschen offensichtlich waren, wurden angegangen: wilde Müllkippen wurden saniert, Ruß, Rauch und Smog in den Industriegebieten bekämpft und Einleitung in die Flüsse reguliert. Aber schon 1972 war der erste Hinweis erschienen, dass dies möglicherweise nicht reichen würde: ein Buch mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums". Die Autoren um die Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows und ihren Mann, den Wirtschaftswissenschaftler Dennis Meadows (beide am Massachusetts Institute of Technology tätig) hatten die Zukunft der Menschheit mit Computersimulationen untersucht. Diese zeigten, dass – je nach getroffener Annahme – entweder die Erschöpfung der Rohstoffe oder die Umweltverschmutzung im Verlauf der nächsten 100 Jahre das wirtschaftliche Wachstum beenden könnten. Industrieproduktion und die erzeugte Nahrungsmenge pro Kopf könnten drastisch sinken. Mit anderen Worten: die menschliche Zivilisation könnte zusammenbrechen, weil sie ihre eigenen Grundlagen zerstört. Nur wenn der Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe, das Wachstum der Weltbevölkerung und die Umweltverschmutzung begrenzt würden, so die Autoren des Buches, wäre dieser Zusammenbruch abzuwenden.
Das Buch wurde zum Bestseller, auch durch eine "Ölkrise" im Jahr 1973, die die Problematik des Verbrauchs nicht erneuerbarer, endlicher Rohstoffe ins allgemeine Bewusstsein brachte. Es änderte sich aber wenig: die Menschheit wuchs weiter, heute leben schon 8 Milliarden Menschen auf der Erde. Der Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe wuchs sogar noch schneller, da der Ressourcenverbrauch pro Kopf ebenfalls zunahm. Und auch die Umweltverschmutzung nahm weiter zu – da, wo Länder glaubten, sie als Preis für den angestrebten Wohlstand in Kauf nehmen zu müssen, und da, wo sie nicht sichtbar war. In den 1980er Jahren etwa beschäftigte ein Ozonloch über der Antarktis die Menschheit, und es begann die Beschäftigung mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel. In der Wissenschaft war schon seit den 1950er Jahren die Gefahr eines Klimawandels infolge der Freisetzung von Kohlendioxid durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe diskutiert worden, Ende der 1970er Jahre hatte die National Academy of Sciences der USA vor einer globalen Erwärmung gewarnt. Aber erst 1988 – dem bis dahin wärmsten Jahr seit Beginn der Klimaaufzeichnungen – erreichte das Thema eine breite Öffentlichkeit, als in den USA ein NASA-Wissenschaftler (James Hansen) vor einem Senatsausschuss erklärte, dass der diskutierte Treibhauseffekt "unser Klima bereits heute beeinflusst". Nicht alle nahmen die Stellungsnahme ernst (George H.W. Bush, der 1988 zum US-Präsident gewählt wurde, erklärte den "White-House-Effekt" zum wirksamen Gegenmittel gegen den Treibhauseffekt), aber das Umweltprogramm der Vereinten Nationen und die Weltorganisation für Meteorologie riefen gemeinsam den UN-Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, abgekürzt IPCC) ins Leben. Seine Aufgabe: er sollte die in der Fachliteratur verstreuten Studien zum Klimawandel finden, zusammenfassen und als Grundlage für politische Aktivitäten bewerten. Der erste “UN-Klimareport” des IPCC erschien 1990.
Der wissenschaftliche Kenntnisstand lautete, dass der Mensch durch seinen Ausstoß an Treibhausgasen die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert und so den (natürlichen) Treibhauseffekt der Erdatmosphäre verstärkt, wodurch sich die Durchschnittstemperatur der Erde erhöht. Diese Entwicklung würde sich durch den weiter stattfindenden Ausstoß von Treibhausgasen fortsetzen. Der erste UN-Klimareport trug mit dazu bei, dass im Jahr 1992 auf einem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro die UN-Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde, um einen gefährlichen, vom Menschen verursachten Klimawandel zu verhindern (siehe Seite Klimapolitik). Seither beschäftigt der Klimawandel die Menschheit; inzwischen ist der sechste UN-Klimareport erschienen, am Erkenntnisstand hat sich nichts Grundlegendes verändert. Aber die schnell anwachsende Forschung brachte immer deutlicher ins Bewusstsein, dass der Klimawandel einen Epochenwandel anzeigte: der Mensch war unbeabsichtigt und bis dahin auch unbemerkt zu einer geologischen Handlungsmacht geworden, der in grundlegende und für sein eigenes Überleben entscheidende planetarische [016] Vorgänge eingriff.
Die Entstehung der Erdsystemwissenschaft
Diese planetarischen Vorgänge waren bereits in den 1960er Jahren in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Raumflüge – namentlich des Viking-Programms, mit dem die NASA den Mars erkunden wollte – in den Blick geraten. Der als Berater beteiligte englische Naturwissenschaftler James Lovelock fragte sich, wie man außerirdisches Leben erkennen könne, und hatte folgende Idee: Durch die Aufnahme von Nahrung und die Abgabe von Abfallprodukten (ihren Stoffwechsel) verändern lebende Organismen ihre Umgebung, und diese Umgebung besteht auch in der Atmosphäre eines Planeten. Also sollte man Lebensspuren in der Atmosphäre eines Planeten erkennen können. Bald zeigten erste Untersuchungen der Atmosphäre des Mars und der Venus, dass diese hauptsächlich aus Kohlendioxid besteht, das in der Erdatmosphäre nur in geringen Mengen (als sog. "Spurengas") vorkommt. Dagegen besteht die Erdatmosphäre zu gut einem Fünftel aus Sauerstoff, einem sehr reaktionsfreudigem Gas, das schnell abgebaut wird. Die große Menge in der Erdatmosphäre lässt sich nur damit erklären, dass kontinuierlich neuer Sauerstoff nachgeliefert wird – wie wir wissen, machen dies Algen und Pflanzen mit ihrer Fotosynthese. Der Sauerstoff in der Erdatmosphäre ist also das von Lovelock vermutete Zeichen für Leben.
Zur gleichen Zeit beschäftigte sich am Jet Propulsion Laboratory der NASA der Astronom Carl Sagan mit der Frage, warum die Erde früher bei geringerer Temperatur der Sonne – die seit der Entstehung des Lebens deutlich heller und wärmer geworden war – eigentlich nicht gefroren war, was die Entstehung von Leben verhindert hätte. Er vermutete, dass die frühe Erde eine höhere Konzentration von Treibhausgasen gehabt haben müsse (die dazu führen, dass die Erde sich stärker erwärmt, als aufgrund der Sonnenstrahlung zu erwarten). Als er seine Überlegungen mit Lovelock diskutierte, hatte dieser eine Eingebung: Wenn das Leben Auswirkungen auf die Erdatmosphäre hat, kann es dann nicht auch zur Temperaturregulierung der Erde beitragen? Lovelock war mit der Systemtheorie und deren Teilgebiet der Kybernetik ausreichend vertraut, um zu wissen, dass eine solche Regulierung über Rückkoppelungsschleifen möglich ist, und veröffentlichte seine Überlegungen 1979 als GAIA-Hypothese: Das Leben beeinflusse seine Umgebung derart, dass diese für das Leben optimal sei [018]. Der Begriff GAIA war von der griechischen Erdgöttin Gaia abgeleitet. Lovelocks Hypothese stieß auf große Skepsis, weil der Begriff "optimal" eine Zielrichtung vorgab, an die Naturwissenschaftler nicht glauben. (Lovelock überarbeitete in Zusammenarbeit mit der Mikrobiologin Lynn Margulis seine Hypothese daraufhin und zeigte, dass Rückkoppelungen auch ohne "Ziel" zur Stabilisierung der Umwelt führen können.)
1981 schlugen der US-Geowissenschaftler Jim Kasting und Kollegen einen Mechanismus vor, wie das Klima auf der Erde reguliert werden könne: Das wichtige Treibhausgas Kohlendioxid ist Bestandteil eines die Erde umspannenden Kohlenstoffkreislaufs, die mit steigender Temperatur zunehmende Verwitterung von Silikatgestein bindet Kohlendioxid aus der Atmosphäre – und weniger Treibhausgas wirkt der Erwärmung entgegen. Es zeigte sich aber, dass die Silikatverwitterung nicht ausreicht, um die Wirkung der wärmer werdenden Sonne auszugleichen. Aber Lovelock wies darauf hin, dass Pflanzen durch Abgabe von Säuren die Silikatverwitterung verstärken können, das Leben also tatsächlich Einfluss auf die Temperatur der Erde nimmt. Damit war gezeigt, dass man die Erde als System verstehen kann, dass durch Rückkoppelungen zwischen seinen geologischen, chemischen, physikalischen und biologischen Komponenten reguliert wird. Zugleich war mit dem Ozonloch (zu dessen Entdeckung James Lovelock übrigens ebenfalls entscheidend beitrug) und dem Klimawandel klar geworden, dass der Mensch dieses System ebenfalls beeinflusste. 1983 rief die NASA daher ein Komitee ins Leben, um die Untersuchung diese Zusammenspiels als (die Einzelwissenschaften Geologie, Physik, Chemie und Biologie übergreifende) "Erdsystemwissenschaft" [020] in Gang zu bringen. 1986 wurde das "International Geosphere-Biosphere Programme" gegründet, mit dem die Beschreibung und das Verständnis des Erdsystems vorangebracht werden sollte.
Der Einfluss des Menschen
Bereits bei der Definition von "Erdsystem" durch das International Geosphere-Biosphere Programme wurde angemerkt, dass in "vielen Fällen ... die menschlichen Systeme inzwischen der Hauptantrieb für Veränderungen des Erdsystems [sind]." Das bekannteste Beispiel ist der Klimawandel. Der Kohlenstoffkreislauf ist ein Beispiel für einen die Erde umspannenden Kreislauf, der mit anderen Elementen des Erdsystems wechselwirkt (also von ihnen beeinflusst wird und sie beeinflusst). Kohlenstoff wird in Form von Kohlendioxid von Lebewesen in riesigen Mengen aus der Luft entnommen und abgelagert, etwa in Form von Kalkstein [der aus den Kalkschalen abgestorbener Meeresorganismen entsteht] oder von Kohle. Jenes Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht, war in vergangenen Zeiten der Erdgeschichte von Pflanzen diesem Kreislauf entzogen worden; die menschlichen Tätigkeiten brachten es jetzt in kürzester Zeit in den Kreislauf zurück.
Er ist aber längst nicht das einzige Beispiel; ein genauerer Blick auf andere globale Umweltprobleme bestätigte die Rolle des Menschen. So nutzt die Menschheit inzwischen etwa 40 Prozent der biologischen Produktion der Erde. Dadurch bleibt wenig Platz für die Natur: im Jahr 2000 machten Wildtiere nur noch drei Prozent der Masse aller landlebenden Wirbeltiere aus; 97 Prozent waren wir Menschen und unser Nutzvieh. 1988 erschien ein Buch, das auf eine weitere, hierdurch verursacht globale Umweltkrise hinwies, das massenhafte Aussterben von Tier- und Pflanzenarten: "Biodiversity", herausgegeben von dem amerikanischen Biologen Edward O. Wilson. Klimawandel und Artensterben hatten eine Gemeinsamkeit: sie waren unbeabsichtigte Folgen des menschlichen Handelns, das inzwischen ein Ausmaß angenommen hatte, das – anders als eine wilde Müllkippe – planetarische Auswirkungen hatte. Mit seinen technischen Möglichkeiten war der Mensch zu einer Kraft geworden, die den Planeten Erde so stark oder sogar stärker verändert als die natürlichen Vorgänge, die ihn zuvor maßgeblich geprägt hatten. 1994 wurde erkannt, dass der Mensch heute jedes Jahr mit seinen Aktivitäten, etwa mit Bergbau und Steinbrüchen, mehr Tonnen Erde in Bewegung setzt als alle natürlichen Prozesse zusammen. Im gleichen Jahr wurde ein sprachliches Bild für diesen Einfluss des Menschen auf seine Umwelt geschaffen: die an der University of British Columbia in Vancouver arbeitenden Forscher Matthias Wackernagel und William Rees entwickelten das Konzept des ökologischen Fußdrucks der Menschheit. Es zeigt, dass die Menschheit für ihre Produktion, ihre Energieversorgung und die Entsorgung ihrer Abfälle mehr Fläche benötigt, als auf der Erde an biologisch produktiver Fläche vorhanden ist.
Der Mensch als geologische Handlungsmacht war etwas wirklich Neues. Es waren die technologischen Entwicklungen des Menschen, die ihm diese Handlungsmacht verliehen, weshalb hierfür – in Anlehnung an die ökologischen Begriffe der Atmosphäre, Hydrosphäre, Lithosphäre, Pedosphäre und Biosphäre (mehr >> hier) – von dem US-Geologen Peter Haff der Begriff Technosphäre geprägt wurde. 2016 wurde abgeschätzt, dass diese Technosphäre (Straßen, Gebäude, Betriebe, Kraftwerke, Müllhalden, Flugzeuge, Eisenbahnen, Autos, Werkzeuge, Geräte, ...) rund 30 Billionen Tonnen wog – das sind rund 50 Kilo pro Quadratmeter Erde [022]. Konnte man vorher die Bühne für das Spiel der Menschheit als (in menschlichen Zeitmaßstäben) unveränderlichen Hintergrund betrachten, veränderte jetzt die Schaffung und Nutzung dieser Technosphäre durch den Menschen die Bühne für sein Spiel. Ihre Auswirkungen sickerten in unser Alltagsleben ein. Wenn der Klimawandel etwa "Starkregenereignisse" viel häufiger werden lässt, verlieren im Extremfall Menschen ihr Leben oder ihre Häuser; wenn trockene Regionen durch den Klimawandel noch trockener werden, werden Menschen gezwungen, ihr Land zu verlassen und anderswo ein neues Leben zu versuchen. Und die Technosphäre sorgt dafür, dass diese Auswirkungen auf unsere Alltagsentscheidungen zurückgehen – ob wir fliegen oder nicht, fossile Brennstoffe nutzen oder nicht, Fleisch essen oder nicht, ... Im Jahr 2000 schlugen der Chemiker Paul J. Crutzen (der 1995 den Chemie-Nobelpreis für seinen Beitrag zur Entdeckung des Ozonlochs erhalten hat) und der Meeresforscher Eugene F. Stoermer vor, Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Erdsystemwissenschaft zu ziehen die gegenwärtige geologische Epoche als "Anthropozän" abzugrenzen. Ihre Begründung: die Menschheit spiele mittlerweile ein zentrale Rolle in der Geologie und Ökologie der Erde.
Das planetarische Zeitalter
Der Begriff des Anthropozäns ist als geologische Epochenbezeichnung (noch) nicht offiziell von der zuständigen "Internationalen Kommission für Stratigraphie" anerkannt, unter anderem aus formalen Gründen. So ist der Beginn des Anthropozäns umstritten. Crutzen und Stoermer hatten das späte 18. Jahrhundert vorgeschlagen (dem Beginn des Industriezeitalters), andere Autoren plädieren für einen früheren (etwa dem Ende der Eiszeiten, denn im Grunde begann die Umgestaltung der Erde mit der Landwirtschaft [024]) oder späteren Beginn (etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, weil nach diesem der Einfluss des Menschen auf die Erde stark zunahm). Unabhängig von einer offiziellen Anerkennung wird der Begriff aber auch jenseits der Geologie bereits häufig verwendet, weil die geologische Handlungsmacht des Menschen in vielen Bereichen unübersehbar ist. Ohne den formalen Anspruch als offizielle geologische Epochenbezeichnung kommt der Begriff "Planetarisches Zeitalter" aus, den der indische Historiker Dipesh Chakrabarty in seinem Buch "Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter" (siehe Anm. 016) vorschlägt: "planetarisch" sind die (in der Regel ungewollten) Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf das Erdsystem. Durch diese werden drei Geschichten, die eigentlich nur in drei ganz unterschiedlichen Zeitmaßstäben verstanden werden können, zusammengebracht: die (mit der Geschichte des Universums verbundene) Geschichte des Planeten Erde, die Geschichte des Lebens auf der Erde, und die Geschichte des Menschen. Die hergebrachte Trennung zwischen (Menschheits-)Geschichte und Naturgeschichte [026] lässt sich also nicht mehr aufrecht erhalten: unser Zeitalter lässt sich nicht mehr verstehen, ohne die planetarischen Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten in den Blick zu nehmen, die bisher Untersuchungsgegenstand der Naturwissenschaften waren. Wir können den Planeten und das Erdsystem heute nicht mehr einfach als gegebene, in menschlichen Maßstäben unveränderliche Bühne für unser Leben betrachten.
Ganz im Gegenteil: Die Aktivitäten des Menschen drohen, die Bühne zu zerstören. Die Untersuchungen des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit zeigten, dass die Menschheit spätestens seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr von den Erträgen der Erde alleine lebt, sondern ihr ökologisches Kapital verzehrt. Das ist deshalb gefährlich, weil die Menschheit – allen technischen Fortschritten zum Trotz – immer noch auf Gedeih und Verderb von diesem ökologischen Kapital – von der Funktionsfähigkeit natürlicher Ökosysteme – angewiesen ist.
Wir sind auf Gedeih und Verderb von der Funktion
natürlicher Ökosysteme abhängig
Diese sind "Lebenserhaltungssysteme": Es sind die Kreisläufe der Natur, die für den Sauerstoff in der Luft sorgen, die wir atmen, die diese Luft reinigen, die das das Wasser filtern, das wir trinken, die den Boden bilden, in dem unsere Nahrung wächst und die Rohstoffe liefern, die unsere Wirtschaft braucht. Es ist der ständige Energiefluss von der Sonne, den Pflanzen mit den Nährstoffen aus dem Boden zu den Nahrungsmitteln machen, von denen wir oder die Tiere, die wir essen, leben. Nichts würde gehen ohne den ständigen Kreislauf von Stoffen in den Ökosystemen, ohne die komplexen Prozesse, die unser Klima regulieren. Das ist es, was die Erde von allen anderen Himmelskörpern unterscheidet, die wir kennen: die Erde ist selbst ein Ökosystem, sie ist tatsächlich jene von James Lovell beschriebene Oase in den Weiten des Weltraums. Mit den globalen Umweltproblemen sind ganz neue Wissenschaftsrichtungen entstanden, die "Erdsystem-Wissenschaften" wie Geophysiologie oder Biogeochemie, die sich im Grenzbereich von Geologie und Biologie mit diesem Ökosystem beschäftigen; die verstehen wollen, wie die Erde, wie die Lebenserhaltungssysteme ökologisch funktionieren. Auch die "alten" Wissenschaften haben sich des Themas angenommen, und viele neue Erkenntnisse gewonnen. Der globale Einfluss der Menschheit ist heute dank der Raumfahrt umfassend dokumentiert: Satellitenfotos zeigen für jeden frei zugänglich im Internet, wie der Mensch die Erde verändert, und in vielen Fällen ganze Ökosysteme zerstört. Die geologische Handlungsmacht der Menschheit droht, die Funktion der Lebenserhaltungssysteme so zu ändern, dass die Grundlage für unser eigenes Wohlergehen und unsere Zukunftsaussichten beeinträchtigt werden.
Die Erkenntnisse sind da, prägen aber noch nicht das Handeln der Menschheit. Die Bekämpfung des Klimawandels etwa erwies sich als weitaus schwieriger als in den 1970er und 80er Jahren die von wilden Müllkippen, dreckiger Luft oder dreckiger Flüsse. Zum einen ist der Mensch weniger gut darin, nicht unmittelbar erkennbare, sondern eher abstrakte Gefahren zu bekämpfen; zum anderen waren die früheren Umweltprobleme eher lokale Themen, die auch lokal – mit Menschen, die man kannte – bekämpft werden konnten. Es gab zudem – aus heutiger Sicht, auch damals wurde von manchem Industrievertreter das drohende Ende der Industriegesellschaft beschworen – einfache technische Lösungen für die Probleme; ein grundsätzliches Nachdenken über unseren Lebensstil war nicht erforderlich. Das Thema Klimaschutz ist zwar heute in aller Munde und an Bekenntnissen zum Klimaschutz fehlt es nicht – aber an Taten, die etwas ändern. Mehr als die Hälfte des Kohlendioxids, für das die Menschheit verantwortlich ist, ist in den letzten 30 Jahren ausgestoßen worden – also nach dem Erscheinen des ersten IPCC-Klimareports und damit der Erkenntnis, dass die Menschheit für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich ist! Andere ähnlich bedeutsame Gefährdungen der Lebenserhaltungssystem, etwa der Verlust an biologischer Vielfalt oder die Zerstörung der Böden, sind dagegen noch kaum im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angekommen.
Warum interessieren uns die ökologischen Grundlagen unseren Wohlergehens so wenig? Wie sind wir Menschen zu ökologischen Geisterfahrern geworden und was muss sich ändern, damit wir wieder auf die richtige Spur kommen?
Die Rolle des Menschen
Hinter der wirtschaftlichen Entwicklung der Menschheit stand nicht nur eine naturwissenschaftlich-technische Revolution, die den Einfluss des Menschen auf die Erde extrem erhöht hat, sondern auch ein neues gedankliches Modell, das am Beginn des Industriezeitalters stand. Hinter diesem standen ökonomische Theorien, wie sie etwa Adam Smith in seinem 1776 veröffentlichten Werk "Der Wohlstand der Nationen" formulierte (siehe Die Industrielle Revolution). Smiths Buch begründete die Fachrichtung der Wirtschaftswissenschaften, die die Funktionsweise der Wirtschaft und das Verhalten der an der Wirtschaft Beteiligten (Produzenten und Konsumenten) untersuchen. Die "Gründerväter" der Wirtschaftswissenschaften wie Adam Smith glaubten noch an objektive Wertmaßstäbe: der Wert eines Produktes wird durch die benötige Arbeitszeit zu seiner Herstellung bestimmt. Ende des 19. Jahrhundert warf die "neoklassische Theorie" diese Vorstellung über den Haufen: der Preis werde alleine durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Sie führte den rational handelnden Konsumenten in die Wirtschaftswissenschaften ein, der den Nutzen aus dem zusätzlichen Genuss eines Produktes bewertet und es dann kauft, wenn der Nutzen den Preis übersteigt. Der Produzent kann dementsprechend mehr Käufer finden, wenn er durch geschickte Gestaltung seiner Kosten diese so gering hält, dass der Preis (der natürlich noch seinen Gewinn beinhaltet) für möglichst viele Käufer attraktiv ist. Solche Modelle sind natürlich grobe Vereinfachungen, aber sie dienen dazu, die komplexe Welt überschaubar zu machen. Und das Modell der Neoklassik war erfolgreich: es hat wesentlich dazu beigetragen, die Explosion von Produktion und Konsum zu ermöglichen, der zum unvergleichlichen materiellen Reichtum in den Industrieländern und später zunehmend auch in den ihnen nacheifernden "Schwellenländern" geführt haben. Zum Erfolg trug auch bei, dass die Modelle der Wirtschaftswissenschaften immer weiter entwickelt wurden. Als etwa in der Ende der 1920er Jahre beginnenden Weltwirtschaftskrise die neoklassische Theorie nicht erklären konnte, warum es zu Arbeitslosigkeit kam (eigentlich hätte ja ein Überangebot von Arbeit auf dem Arbeitsmarkt nach dieser Theorie zu sinkenden Preisen [Löhnen] führen müssen, woraufhin es sich für die Produzenten wieder gelohnt hätte, Arbeiter einzustellen), führte John Maynard Keynes den "inflexiblen Preis" in die Theorie ein (sinken die Löhne zu stark, will niemand mehr für das Geld arbeiten, und die Nachfrage nach Arbeitsplätzen kehrt nicht zurück, weshalb kein neues Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage entsteht). In einer solchen Situation, so Keynes, müsse der Staat eingreifen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken, von der Produktion und Beschäftigung abhingen. Das tat der Staat auch, und Roosevelts "New Deal" etwa in den USA trug dazu bei, dass die Krise ein vorübergehendes Ereignis blieb. Die Idee halfen auch, im Zweiten Weltkrieg die US-amerikanische und die britische Wirtschaft anzukurbeln und damit den Alliierten, den Krieg zu gewinnen. Keynes' Theorie, der "Keynesianismus" wurde breit anerkannt und mit der neoklassischen Theorie zur "neoklassischen Synthese" verbunden. Diese ist heute die Hauptrichtung der Wirtschaftswissenschaften (eine vor allem in den 1970er und -80er Jahren einflussreiche Minderheit unter den Wirtschaftswissenschaftlern war die "Chicagoer [Denk-] Schule", die den Staat weiterhin aus der Wirtschaft heraushalten wollte).
Weil der wirtschaftliche Wohlstand der reichen Industrieländer so schnell wuchs, wurde die Idee des wirtschaftlichen Wachstums zur Religion des 20. Jahrhunderts, vor deren Altar sich alle – egal ob Nationalisten, Kapitalisten oder Kommunisten – verneigten; die Wirtschaftswissenschaftler, die wussten, wie man die Produktion ankurbelte, zu ihren Hohepriestern (030). Ein Buch mit dem Titel "Das Ende des Wachstums" klang daher in den Ohren vieler Ökonomen wie Ketzerei und wurde heftig kritisiert: die Autoren, so Kritiker wie der der "Chicagoer Schule" angehörige Julian L. Simon, hätten den technischen Fortschritt nicht berücksichtigt, der zu besserer Ressourcennutzung und weniger Umweltverschmutzung führen würden. Tatsächlich machten sich Wirtschaftswissenschaftler nun daran, die Natur in ihre Gleichungen einzubauen: 1973 prägte William D. Nordhaus, Professor an der Yale-Universität, in seinem Aufsatz "The Allocation of Energy Ressources" den Begriff "backstop technology" für technologische Fortschritte, mit denen man natürliche Ressourcen ersetzen könne. Nordhaus nannte etwa Atomkraftwerke, mit denen man Öl (aufgrund der Ölkrise von 1973 gerade besonders im Bewusstsein der Öffentlichkeit) ersetzen könne. 1974 griff Robert M. Solow auf dem 68. Jahrestreffen der American Economic Association die Idee auf und erläuterte, wie etwa durch "Schnelle Brüter" die Vorräte des Brennstoffs Uran-238 auf eine Millionen Jahre gestreckt werden und damit praktisch unendlich gemacht werden könnten. Er schloss: "Die Welt kann tatsächlich ohne natürliche Ressourcen auskommen" (032). Julian L. Simon prophezeite 1984 sieben Milliarden Jahre wirtschaftlichen Wachtums, das nur durch das Verlöschen der Sonne [immerhin ...] gefährdet werden könne (034). (Solow erhielt 1987 den Nobelpreis für seine Arbeiten über die Rolle des technischen Fortschritts beim Wirtschaftswachstum. Nordhaus wurde später Mitglied des Wirtschaftsbeirats von US-Präsident Jimmy Carter und beschäftigte sich mit der Integration des Klimawandels in die wirtschaftswissenschaftliche Analyse, hierfür erhielt er 2018 den Nobelpreis.) Naturwissenschaftler, die sich mit der ökologischen Krise beschäftigten, und auch eine Minderheit unter den Wirtschaftswissenschaftlern hielten diesen Autoren eine Art Autismus vor: die natürlichen Ressourcen kann man zwar in Gleichungen durch technische Ressourcen ersetzen, aber nicht im wirklichen Leben, da kommen die Naturgesetze ins Spiel.
Die Minderheit der Wirtschaftswissenschaftler versuchte, die Naturgesetze bei ihren Überlegungen einzubeziehen; zu den Begründern der "Ökologischen Ökonomie" gehört der rumänische Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Georgescu-Roegen. Die Ökologische Ökonomie versucht unter anderem, den finanziellen Wert der ökologischen Dienstleistungen von gesunden Ökosystemen in die wirtschaftlichen Berechnungen einzubeziehen. Alleine der ökonomische Wert der Blütenbestäubung wurde 2018 vom Bundesamt für Naturschutz auf 153 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (036); für diese und andere Leistungen von Ökosystemen muss aber niemand bezahlen, bisher finden Sie daher in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen keinen Platz. Die Zerstörung der Umwelt, die es ja unbestritten gibt, findet in der zentralen Messgröße unseres Fortschritts, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP, "Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen an, die während eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte hergestellt wurden, nach Abzug aller Vorleistungen"), keine Berücksichtigung. Im Gegenteil, wenn zur Wiederherstellung Güter und Dienstleistungen gebraucht werden, ist die Zerstörung für das BIP produktiv. Was jenseits von Waren und Dienstleistungen das Leben lebenswert macht, wird vom BIP nicht gemessen. So kann es passieren, das Wirtschaftswissenschaftler, die danach fragen, ob das Wirtschaftswachstum die Menschen denn tatsächlich glücklicher macht, die Antwort erhalten: "Schon lange nicht mehr." (Richard Easterlin, siehe Was macht Menschen wirklich glücklich?). Kann es also sein, dass wir unsere Umwelt für Dinge zerstören, die gar nicht dafür sorgen, dass es uns besser geht? Der Schweizer Schriftsteller und Unternehmer Rolf Dobelli schreibt, 90 Prozent aller Produkte sind Ramsch (038) – lohnt es sich, dafür unsere Umwelt zu zerstören? Für die Kleider und den Krempel, der inzwischen offenbar so viele Häuser und Wohnungen verstopfen, dass Aufräumratgeber wie Marie Kondos "Magic Cleaning" zu Beststellern werden?
Was Sie auf diesen Seiten erwartet
Wie oben gesehen, können wir die ökologische Krise, die die Lebenserhaltungssysteme der Erde gefährdet, nur dann wirklich verstehen, wenn wir uns mit den Wechselwirkungen zwischen der Naturgeschichte und der (Menschen)Geschichte beschäftigen [040]. Nur so können wir einschätzen, welche der diskutierten Lösungen wirklich helfen würden. Es gibt ja bereits viele Menschen, die darüber nachdenken, wie wir statt 90 Prozent Ramsch mehr hochwertige, langlebige Güter, die man auch reparieren kann, herstellen und auch bezahlbar machen können. Die Ökologische Ökonomie zeigt, wo wir falsch rechnen und schon rein wirtschaftlich auf das falsche Pferd setzen. Viele haben längst verstanden, dass eine rein auf materielle Entwicklung setzende Politik die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Menschen missachtet und jenseits einer gewissen Schwelle nicht dazu führt, dass wie wirklich besser leben. Wir haben vermutlich längst das benötigte Wissen, um eine Zukunft zu entwerfen, die auf Grundlage einer wesentlich effizienteren Nutzung der natürlichen Ressourcen und von erneuerbaren Energien der ganzen Menschheit ein gutes Leben ermöglicht, ohne die Funktionsfähigkeit natürlicher Ökosysteme zu gefährden.
Das bedeutet aber auch, dass wir bereit sein müssen, neu zu denken. Der anstehende Umbau, den die ökologischen Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern, muss sich ja nicht darauf beschränken, eins zu eins veraltete Technik durch neue zu ersetzen. Elektroautos sind vielleicht klimafreundlicher als Autos mit Verbrennungsmotor, brauchen aber jede Menge kritische Rohstoffe wie Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium. Das gleiche gilt für die Windräder, die wir brauchen, um die Autos mit grünem Strom zu versorgen. Es ist zu hoffen, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und es uns beim Autokauf nicht egal ist, wo die Hersteller diese Materialien beziehen und wie sie abgebaut werden. Vor allem aber, dass wir verstehen, dass es immer noch nicht umweltfreundlich und effizient ist, für den Transport eines Fahrers von 75 kg zwei Tonnen Auto in Bewegung zu setzen. Einen Jaguar mit Verbrennungsmotor durch einen Tesla zu ersetzen, um mit dem über die Autobahn zu heizen, macht die Welt nur unwesentlich besser. Eine echte "Verkehrswende", die dafür sorgt, dass die Menschen umweltfreundlich dorthin kommen können, wohin sie müssen oder wollen, ist viel mehr als nur die Umstellung von Verbrennungs- auf den Elektromotor. Auch die Abkehr von der (falschen) Vorstellung, dass man Glück kaufen könne, ist ein Bausteine auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Das ist vielleicht komplizierter als das bisherige Vorgehen – aber kann es uns Menschen gelingen, das "Raumschiff Erde" mit einem Handbuch zu steuern, das nicht komplexer ist als die Bedienungsanleitung für einen VW Käfer aus den 1950er Jahren (042)?
Um all das soll es auf diesen Seiten gehen – um die Naturgeschichte beginnend mit der Entstehung des Universums und der Erde (Vom Urknall zur Erde) über die Entstehung und Entwicklung des Lebens (Leben) und die Erkenntnisse der Biogeochemie über die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Leben (Ökosystem Erde) bis hin zur Naturgeschichte des Menschen (Der Mensch), deren Ergebnisse – die spezifische Eigenschaften des Menschen – nach wie vor unser Handeln entscheidend bestimmen. Weiter geht es mit der menschlichen (auch Ur-)Geschichte von der Erfindung der Landwirtschaft und deren Folgen – einer zunehmenden Prägung der Erde durch den Menschen (Agrarzeitalter) bis hin zur Industriellen Revolution und deren Folgen (Industriezeitalter). Und auch die Überlegungen über eine Zukunft, die natürliche Ökosysteme nicht gefährdet, sondern als schützenswerte Basis unseres Lebens begreift, werden auf diesen Seiten dargestellt (Zukunftsstrategien). (Eine detaillierte Darstellung finden Sie auf der Übersicht zur Gliederung dieser Seiten.)
Das ist natürlich ein (vielleicht über-)ambitioniertes Projekt für eine einzelne Person. Manche Themenbereiche wie die Entstehung und Entwicklung des Lebens oder die Darstellung des Ökosystems Erde liegen mir als Biologen näher als andere, bei denen ich nur die Ergebnisse einer längeren Beschäftigung mit ihnen und einer (bei den einzelnen Themen durchaus unterschiedlich) intensiven Lektüre der mir interessant erscheinenden Autoren als interessierter Laie, also aus einiger Entfernung präsentieren kann. Dennoch wage ich mich daran, denn ich halte einen solchen Überblick für notwendig und hoffe, mit diesen Seiten dazu beitragen zu können, allen an Umwelt- und Zukunftsfragen Interessierten einen Einstieg in die aktuelle Diskussion zu bieten. Und ich habe mich darum bemüht, dass dieser auch für Nicht-Fachleute verständlich ist. Mit der Bedeutung des Themas ist ja nicht nur die Menge der Informationen gewachsen, sondern auch die Versuche von Interessengruppen und Exzentrikern, die Menschen mit falschen Informationen zu verwirren oder mit ihnen Aufmerksamkeit zu erregen. Auch ich kann mich – und mit größerer Wahrscheinlichkeit bei den Themen, die mir weniger nahe liegen – natürlich irren, die Literatur falsch verstehen oder wichtige Informationen übersehen. Gegen falsche Informationen kann man sich nur wehren, indem man selber denkt; indem man sich bemüht, hilfreiche Informationen von offensichtlichem Unsinn zu unterscheiden. Um dabei zu helfen, versuche ich, nicht nur Informationen anzubieten, sondern immer wieder auch zu zeigen, wie welche Informationen gewonnen wurden und woher wir das eigentlich wissen, was da behauptet wird. Meine Herangehensweise stammt dabei aus den Naturwissenschaften (siehe unten).
Nicht zu allen Fragen kann ich auch Lösungen anbieten. Das trifft insbesondere die Gestaltung der Zukunft, also politische Fragen: Politik war in der Geschichte nie alleine auf Vernunft gebaut, und die Vielfalt der Meinungen und Interessen unterschiedlichster Menschen sorgt dafür, dass keine politische Lösung wohl jemals alle Menschen zufrieden stellen wird; die "Menschheit" also kaum als Träger eines "vernünftigen" Konsens in Frage kommt. Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Staaten dieser Welt verschärfen das Problem noch: eine in Arm und Reich gespaltene Menschheit wird kaum eine gemeinsame Kultur entwickeln können. Wie kann man die ökologische Krise, die die Zukunft der ganzen Menschheit gefährdet, unter der in vielen Ländern die am meisten leiden, die am wenigsten zu ihrer Entstehung beigetragen haben, dennoch gemeinsam lösen? Kann das überhaupt gelingen, ohne etwa die Spaltung zwischen Arm und Reich anzugehen (was die Aufgabe nicht einfacher macht) [044]? (Und müsste man bei Zukunftsfragen nicht auch noch die Interessen künftiger Generationen berücksichtigen, die ihre Interessen nicht selber vertreten können? Und ist ein Ansatz, der nur auf das Wohl der Menschen abzielt, angesichts der Abhängigkeit der Menschen von anderen Lebewesen und zunehmenden Erkenntnissen über tierisches Bewusstsein nicht zu kurz gegriffen [046]?)
Ein paar Worte zu den Naturwissenschaften
Der Autor dieser Seiten ist Naturwissenschaftler. Was hier dargestellt wird, ist das Ergebnis von mittlerweile ein paar Hundert Jahren (natur)wissenschaftlicher Forschung. (Natur)wissenschaftliche Forschung beruht auf der Annahme, dass es eine natürliche, materielle Welt gibt, die wir mit Naturgesetzen beschreiben können. Alles, auch das Leben und das Bewusstsein des Menschen, ist letztlich eine ("emergente", das heißt aus dem Zusammenwirken der Bestandteile dieser natürlichen Welt in Systemen entstandene) Eigenschaft dieser materiellen Welt. Wir können mit dem heutigen Stand der Wissenschaft noch längst nicht alles verstehen, aber doch erstaunlich viel. Aber wissenschaftliches Denken hat einige Voraussetzungen, die man kennen sollte, um seine Aussagen richtig verstehen zu können. Daher an dieser Stelle ein paar Worte zur Arbeitsweise der Naturwissenschaften. Zuerst gilt es zu verstehen, dass die Naturwissenschaften eine Methode sind, kein Bestand an Fakten.
Die Naturwissenschaften versuchen, sich mit Experimenten einer zutreffenden Beschreibung der Realität immer weiter anzunähern. Typischerweise wird zunächst eine Annahme (Hypothese) formuliert, aus dieser werden Vorhersagen abgeleitet, die mit Experimenten möglichst bestätigt (oder widerlegt, siehe hierzu auch unten) werden. Experimente werden möglichst so angelegt, dass es nur eine offene Frage gibt, die mit dem Experiment nachvollziehbar beantwortet werden kann. Diese Art zu denken fing mit Galileo Galilei an: Dieser vermutete (Annahme), dass alle Gegenstände unabhängig von ihrem Gewicht gleich schnell zur Erde fallen. Eine seiner Vorhersagen war, dass eine Blei- und eine Holzkugel gleich schnell fallen sollen, wenn man sie vom schiefen Turm von Pisa fallen lässt. Das konnte er aber mit den damaligen Mitteln nicht messen, deshalb untersuchte er (seine Experimente) den verlangsamten Fall auf einer schiefen Ebene. Mit dem Vergleich zweier Kugeln versuchte er zudem, den Einfluss des Luftwiderstands zu minimieren; Kugeln und Oberfläche der schiefen Ebene polierte er zudem, um auch die Reibung zu minimieren. Auch große Fragen werden in kleinere Teile zerlegt, die mit solchen Experimenten beantwortet werden können, diese Methode heißt Reduktionismus. Die Experimente werden in wissenschaftlichen Artikeln immer genau beschrieben – damit man nachvollziehen kann, welche Frage wie beantwortet werden sollte, wie andere Einflussfaktoren ausgeschaltet wurden und auf welchen Ergebnissen die anschließenden Schlussfolgerungen beruhen. Natürlich können auch Wissenschaftler dabei Fehler machen, aber bei guten wissenschaftlichen Zeitschriften werden die Beiträge schon vor der Veröffentlichung von Kollegen geprüft, die nicht wissen, wer der Autor ist (um nicht von “großen Namen” beeindruckt zu werden), und anschließend von ihren übrigen Kollegen ebenso kritisch – kann man doch eine eigene Veröffentlichung erreichen, wenn man einem Kollegen einen Fehler nachweist. Hier geht es aber – und das wird oft missverstanden – nicht um Meinungen, sondern Fehler sind objektiv nachweisbar – ein Ergebnis hat etwa deshalb keine Aussagekraft, weil der Einfluss des Faktors X nicht ausgeschlossen wurde. Wird ein Naturwissenschaftler dabei erwischt, hat er verloren (und darum sind gute Forscher oft vor der Veröffentlichung selbst die schärfsten Kritiker ihrer Arbeit).
Wie kann man hilfreiche Informationen von offensichtlichem Unsinn unterscheiden?
Ein wichtiges Hilfsmittel ist dabei quantitatives Denken: Wissenschaftler – und die Leser ihrer Ergebnisse – müssen in der Lage sein, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen und zufällige Resultate zu erkennen. Wer dieses nicht kann, fängt an, Zufälligkeiten eine verborgene Bedeutung zuzuschreiben (die Grundlage von Aberglauben): Wer kennt nicht das Beispiel von Bekannten, die einen gerade dann anrufen, wenn man an sie denkt? (Nathalie Angier berichtet in ihrem Buch Naturwissenschaften von einer Geschichte des Physikers Alan Guth, dessen Schwester seine Mutter genau in dem Augenblick anrief, als ein Polizist die Todesnachricht eines Onkels überbrachte. Musste das nicht Gedankenübertragung sein? Guth als Physiker errechnete die Wahrscheinlichkeit: Da die Schwester die Mutter einmal in der Woche vor oder nach der Arbeit anrief, und der Polizist von etwa 17 bis nach 19 Uhr bei der Mutter war, war das Zusammentreffen jedenfalls auch ohne Gedankenübertragung nicht unwahrscheinlich. Ansonsten entsteht das Phänomen dadurch, dass wir in der Regel vergessen, an wen wir im Laufe des Tages gerade denken – es sei denn, er ruft uns gerade dann an.) Quantitatives Denken kann man üben, indem man etwa Zahlenangaben immer anhand von Überschlagsrechnungen darauf prüft, ob sie wenigstens von der Größenordnung her stimmen könnten. (Wieder ein Beispiel frei nach Angier: Ihr Nachbar erzählt Ihnen, dass er in diesem Jahr so oft laufen geht, dass er zusammengerechnet einmal die Erde umrundet. Selbst wenn sie gerade nicht wissen, wie groß der Erdumfang ist, erinnern Sie sich an ihren letzten Flug nach Australien – in 24 Stunden einmal halb um die Erde. Da ein Flugzeug – sie erinnern sich an die Pilotendurchsage – 800 Stundenkilometer fliegt, macht das 19.200 Kilometer; einmal um die Erde also gut 38.000 Kilometer. Sie können stolz auf Ihren Nachbarn sein: er hat anspruchsvolle Pläne, er will im Schnitt über 100 km pro Tag laufen ...)
Ein spezieller Aspekt quantitativen Denkens sind Statistiken. Mit Statistiken kann und wird viel Schindluder getrieben, und eine Einführung in die Statistik würde diesen Text überfordern. Tückisch ist schon die Angabe von Durchschnittswerten: Wenn 21 Familien eine Steuererstattung von durchschnittlich 3.500 Euro erhalten, kann das auch bedeuten, dass 20 von ihnen eine Rückerstattung zwischen 100 und 300 Euro erhalten und eine Familie eine von 70.000 Euro – wenn solche Extreme vorliegen, wäre der Zentralwert (Median) die sinnvollere Angabe; er läge in diesem Beispiel, das wieder von Nathalie Angier stammt, bei 200 Euro. Das sind aber schon Feinheiten. Was Sie auf jeden Fall wissen müssen: Eine statistische Beziehung, eine Korrelation, ist kein Beweis! So gibt es eine Korrelation zwischen der Abnahme der Störche in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts und dem Rückgang der Geburtenrate – trotzdem sind es nicht die Störche, die die Kinder bringen. Fragen Sie sich also immer, ob eine Korrelation sich mit dem deckt, was Sie aus anderen Quellen wissen. Dann glauben Sie auch keinem mehr, der ihnen erzählt, dass die Fruchtbarkeitsrate von Frauen vom Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens abhängt (obwohl es eine statistische Korrelation gibt!); und es kann ihnen keiner erzählen, dass Sie länger in Urlaub fahren können, wenn ihre Miete erhöht wird (es gibt eine statistische Korrelation zwischen Miethöhe und Urlaubslänge, in diesem Fall dadurch bedingt, dass beide vom Einkommensniveau abhängen.) Auch die zugrunde liegenden Annahmen sollte man immer prüfen, siehe das Beispiel der Berechnung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung.
Aber all dieser Methodik und Sorgfalt zum Trotz, beweisen können Naturwissenschaftler eigentlich gar nichts. Der Philosoph Karl Popper etwa vertrat die Ansicht, dass noch so viele Einzelbelege ja nicht ausschließen, dass es einen übersehenen Einflussfaktor gibt, und man daher streng gesehen nur falsche Vermutungen widerlegen, aber niemals richtige “beweisen” kann. Naturwissenschaft ist daher immer nur eine Annäherung an die Realität. Um diese immer besser zu machen, machen Wissenschaftler Kontrollversuche, um möglichst viele Einflussfaktoren auf verschiedene Art und Weise auszuschließen (den Einfluss des Luftwiderstandes im obigen Beispiel können Sie etwa auch ausschließen, indem der Versuch im Vakuum durchgeführt wird). Und sie versuchen, ihre Ergebnisse auf andere Art und Weise zu bestätigen. Ein aktuelles Beispiel: Die Frage, ob die Erde in den letzten Jahrzehnten wirklich wärmer geworden ist, wird nicht nur durch Temperaturmessungen belegt, sondern beispielsweise auch durch Untersuchungen des Blütebeginns im Frühjahr (immer früher), der Veränderung von Höhenstufen in den Bergen (Pflanzen und Tiere wandern nach oben) und der Ausdehnung von Gletschern (geht zurück). Und so kommen wir insgesamt zu einer Beschreibung der Realität, die recht zuverlässig ist; manche Erkenntnisse sind auch so gut belegt, dass sie praktisch als sicher gelten (das heißt zum Beispiel, dass es sich praktisch nicht lohnt, immer wieder Alternativen zu prüfen – etwa die neueste Version des perpetuum mobile). Das ist auch daran zu erkennen, dass die meisten großen wissenschaftlichen Theorien ihre Vorläufer nicht ablösen, sondern ergänzen: Albert Einsteins Relativitätstheorie hat Newtons klassische Physik ja nicht als falsch abgelöst, sondern “nur” für die Anwendung auf extrem kleine und extrem große Dimensionen oder Energien erweitert. (mehr). Wenn aber heute die Bahn der Erde um die Sonne berechnet wird, werden dazu immer noch Newtons Bewegungsgesetze verwendet – in diesen Dimensionen stimmen sie und sind viel einfacher zu verwenden. Wissenschaftliche Revolutionen sind selten, und finden vor allem dort statt, wo Neuland betreten wird. Beispiele auf diesen Seiten, in denen hiervon berichtet wird, sind Darwins Evolutionstheorie (hier), die Entdeckung der Plattentektonik (hier) und die Entdeckung der DNA als “Erbmolekül” (hier).
Die Wissenschaft weiß aber recht gut, wo ihre Feststellungen hohe Aussagekraft haben (und faktisch dann doch als Tatsache gelten – die Fallgeschwindigkeit von Körpern ist unabhängig von Ihrem Gewicht, und die Lebewesen einschließlich des Menschen haben eine Evolution durchlaufen) und wo noch Revolutionen zu erwarten sind (siehe etwa hier). Wenn aber jemand behauptet, dass der menschliche Einfluss auf den Klimawandel noch nicht bewiesen ist, ja selbst der Weltklimarat nur von Wahrscheinlichkeiten spricht, dann wissen Sie: Der Weltklimarat ist einfach wissenschaftlich korrekt und kann daher nur sagen, dass der menschliche Einfluss “sehr wahrscheinlich” ist (was eine Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent bedeutet); auf einen “Beweis” aber können wir ewig warten. Was wir aus einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent für Schlussfolgerungen schließen, ist dann keine Wissenschaft mehr, sondern eine individuelle Entscheidung. Ich persönlich würde, wenn mein Haus mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent abbrennen würde, eine Feuerversicherung abschließen.