Strategien für die Zukunft

Der Weltagrarbericht 2008
Eine Zusammenfassung

Der im April 2008 vorgestellte Weltagrarbericht, der unter Federführung von Weltbank und Welternährungsorganisation (FAO) erstellt wurde, ist eine umfassende Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation und der wichtigsten Herausforderungen in der Landwirtschaft sowie eine Untersuchung darüber, was getan werden muss, damit die Landwirtschaft dauerhaft die Ernährung der Weltbevölkerung sichern kann.

Multifunktionalität der Landwirtschaft (nach Weltagrarbericht)

Die verschiedenen Rollen und Funktionen der Landwirtschaft und ihre Schnittstellen mit anderen Themen globaler Bedeutung. Abb. aus Weltagrarbericht, Synthesis Report, eigene Übersetzung.

Hintergrund

Der Weltagrarbericht geht auf eine Initiative zurück, die die Weltbank und die Welternährungsorganisation FAO im Jahr 2002 auf dem Erdgipfel in Johannisburg vor dem Hintergrund der Diskussion um die “grüne Gentechnik” (>> hier) vorstellten: Ein Weltagrarrat sollte “die Bedeutung von Wissen, Wissenschaft und Technologie in der Landwirtschaft für die Entwicklung” bewerten. Nach zweijährigen Beratungen wurde die Durchführung im Jahr 2004 beschlossen; neben Weltbank und FAO beteiligten sich auch die Entwicklungs- und Umweltprogramme der Vereinten Nationen (UNDP, UNEP), die UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation an dem Bericht, den etwa 400 Wissenschaftler aus der ganzen Welt erarbeiteten und der einen globalen und fünf regionale Teilberichte (für Zentral-, Nord- und Westafrika; für Ost- und Südasien und den Pazifikraum; Lateinamerika und die Karibik; Nordamerika und Europa, Afrika südlich der Sahara) umfasst. Vor der Veröffentlichung wurden die Entwürfe zwei Begutachtungsprozessen unterzogen; der fertige Bericht im April 2008 in Johannisburg vorgestellt.

Die Aufgabenstellung

Der Bericht soll die Bedeutung von Wissen, Wissenschaft und Technologie in der Landwirtschaft für die Entwicklung bewerten, insbesondere für:

  • Bekämpfung von Hunger und Armut,
  • bessere Lebensbedingungen auf dem Land und Verbesserung der Gesundheit,
  • gerechte sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung.

Gegenwärtige Situation und Herausforderungen

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der Landwirtschaft hat die Produktivität in der Landwirtschaft erhöht, hatte aber unbeabsichtigte soziale und ökologische Folgen. Heute können wir diese Folgen verstehen und die Aufgabe des zukünftigen Fortschritts umfassender definieren: Als die Sicherstellung ausreichender Ernährung in Zeiten zunehmender ökologischer Einschränkungen und einer globalisierten Wirtschaft. Dabei hat die Landwirtschaft viele Funktionen und Schnittstellen mit anderen Themen von globaler Bedeutung (siehe Abbildung oben); und daher muss sich der Weltagrarbericht auch mit Themen beschäftigen wie:

  • soziale und wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb und zwischen den Staaten, die die Entwicklung behindert,
  • sich ändernde Ernährungsgewohnheiten und die steigende Bedeutung von Agrotreibstoffen (siehe auch >> Thema: Bioenergie)),
  • die Auswirkungen des Klimawandels auf die landwirtschaftliche Produktion (siehe auch >> Themen: Klimawandel)),
  • das wachsende Bewusstsein über den Einfluss der Landwirtschaft auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit natürlicher Ökosysteme.

Daher versteht der Bericht unter “Wissen, Wissenschaft und Technologie in der Landwirtschaft” nicht nur klassische landwirtschaftliche Technologie, sondern bezieht auch Erkenntnisse der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften mit ein. Angesichts der neuen Herausforderungen muss ohnehin das gegenwärtige Forschungsmodell verändert werden, um die Vielfalt von landwirtschaftlichen Produktionssystemen und Produzenten besser widerzuspiegeln.

Verbesserte Ernährung – und Vernachlässigung der Kleinbauern

Wissen, Wissenschaft und Technologie in der Landwirtschaft haben zu enormen Produktivitäts- und Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft und damit zur Verbesserung der Ernährungssituation beigetragen – in Amerika und Europa seit den 1940er Jahren, in anderen Regionen seit den 1960er, 70er und 80er Jahren, und mancherorts hat dieser Wandel noch gar nicht begonnen. Die in der Welt verwendeten modernen Technologien (hochertragreiches Saatgut, Kunstdünger, Pestizide, Landmaschinen) werden vor allem in Nordamerika und Europa entwickelt; und die Orientierung der zukünftigen Forschung (auch) an die Bedürfnisse von Kleinbauern in armen Ländern stellt eine große Herausforderung für die Zukunft dar. Die bisherige Situation hat dazu geführt, dass sich global die Ernährungslage verbessert hat (2360 kcal/Kopf in den 1960ern, 2803 kcal/Kopf in den 1990ern); aber gerade dort, wo über 60 Prozent der Bevölkerung (und davon zwei Drittel Frauen) als Kleinbauern leben, immer noch am meisten Menschen hungern: über 500 Millionen in Süd- und Ostasien und über 200 Millionen in Afrika südlich der Sahara. Auch ist der Anteil der Menschen, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, im Afrika südlich der Sahara in den letzten 20 Jahren gleich geblieben (nämlich etwa der Hälfte der Bevölkerung). In ganz Afrika ist zudem Mangelernährung eine bedeutende Krankheitsursache; zu viel der falschen Nahrung trägt dagegen zu der in vielen Ländern (auch unter den Reichen in armen Ländern) feststellbaren Zunahme von Übergewicht, Fettleibigkeit und chronischen Krankheiten bei.

Die Konzentration der Forschung auf die industrialisierte Landwirtschaft fand statt, obwohl bäuerliche, diversifizierte Landwirtschaft bei entsprechender Unterstützung sowohl auf die Fläche als auch auf den Energieeinsatz bezogen produktiver ist als die industrialisierte Landwirtschaft. Damit könnte die landwirtschaftliche Forschung, anders ausgerichtet, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Hunger und Armut leisten. Festzustellen ist darüber hinaus weltweit ein Zusammenhang zwischen Kapitaleinsatz und Produktivität in der Landwirtschaft: Mehr Geld fördert die Produktivität. Da bisher vor allem die industrialisierte Landwirtschaft gefördert wird, wirft dieses die Kleinbauern in armen Ländern in einer globalisierten Wirtschaft noch weiter zurück.

Handelsmacht und Preisentwicklung

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Weltmarktpreise für Lebensmittel (mit großen Schwankungen) deutlich gefallen; in den letzten Jahren deutet sich eine Umkehr dieses Trends an. Der Weltagrarrat befürchtet, dass Ressourcenknappheit und die wachsende Konzentration der Handelsmacht in den Händen weniger Ketten dazu führen, dass Getreide- und Fleischpreise auf die Dauer deutlich steigen werden. Das wiederum führt dazu, dass die Ärmsten sich eine ausreichende Ernährung nicht mehr leisten können. Die Märkte in den armen Ländern werden durch Produkte aus der staatlich geförderten und subventionierten Landwirtschaft der reichen Länder zerstört –  und damit schwinden die Anreize, in bessere und ertragreichere Anbaumethoden zu investieren. Als Abwehrreaktion ist schon heute ein wachsendes Misstrauen gegen globale Handelsregelungen zu beobachten. Dennoch können Märkte ein wichtiges Instrument zur Armutsbekämpfung sein, sofern sie durch staatliche Unterstützung und Regelungen abgefedert sind (siehe auch >> Themen: Märkte).

Multifunktionalität, Ressourcennutzung, Ökosysteme

Der “multifunktionelle Ansatz” des Weltagrarrats bedeutet, dass Landwirtschaft nicht nur als Produzent von Lebensmitteln und anderen Gütern gesehen wird, sondern auch in ihrer Bedeutung als Lebensgrundlage und Einkommensquelle für die Bauern und Quelle von weiteren Dienstleistungen für die Gesellschaft, etwa für die Erhaltung von Ökosystemen. Bisher wurde in der landwirtschaftlichen Forschung der Schwerpunkt auf die Produktion gelegt, und nicht auf ein optimales Ergebnis unter Berücksichtigung aller Funktionen. Dies ist aber notwendig, um eine nachhaltige und effektive Nutzung von Ressourcen zu gewährleisten. Hier sind viele Fragen offen, etwa:

  • Wie kann die notwendige Steigerung der Produktionsmenge mit dem Erhalt und der Verbesserung kultureller und ökologischer Funktionen von Agrarökosystemen vereinbart werden?
  • Wie kann die Ressourcenbasis der Landwirtschaft (gesunde Böden, Wasser, Artenvielfalt) erhalten werden und wie können die negativen Einflüsse der Landwirtschaft selbst auf diese Ressourcenbasis vermindert werden?
  • Wie können arme Bauern ermutigt und befähigt werden, auch die kulturellen und ökologischen Dimensionen von Agrarökosystemen zu erhalten?

Die Landwirtschaft hat insbesondere mit Intensivproduktion zur Bodendegradation beigetragen, zur Wasserverschmutzung und zum Klimawandel. Die Situation wurde dadurch verschlimmert, dass technische Lösungen eingesetzt wurden, die nicht immer für die jeweilige Situation und Ressourcenbasis angemessen waren. In anderen Ländern trägt die Armut zur Übernutzung und Zerstörung natürlicher Ressourcen bei; und obwohl zumeist bessere Lösungen bekannt sind, haben Agrarforschung und Politik wenig unternommen, diese auf andere Agrarökosysteme zu übertragen und durchzusetzen (siehe auch >> Themen: Der Schutz natürlicher Ressourcen).

Auch die zunehmende soziale Ungleichheit, bedingt durch die von Nordamerika und Europa dominierte Agrarforschung und Handelsmacht, fördert den Ausschluss armer Landbewohner aus dem globalen Agrarsystem. Diese Menschen besitzen aber oftmals traditionelle Kenntnisse über lokale Ökosysteme und den Umgang mit ihnen, die für die Zukunft bedeutend wären (siehe auch >> Themen: Traditionelles Wissen und lokale Innovationen). Andere Menschen sind als Frauen oder wegen ihrer Kastenangehörigkeit von der Landwirtschaft ausgeschlossen; auch diese Ungleichheit muss von der Entwicklungs- und Landwirtschaftspolitik angegangen werden.

Die Rolle der Agrarforschung

Die Agrarforschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf die “klassische” industrielle Landwirtschaft (vor allem auf Getreideanbau und Viehhaltung) konzentriert; andere landwirtschaftliche Systeme, etwa in trockenen Regionen oder im Gebirge, wurden im Vergleich vernachlässigt. Dieses geschah unabhängig von der Tatsache, dass solche Forschung in den meisten Fällen auch wirtschaftlich sehr lohnend ist; andererseits kann eine rein wirtschaftliche Bewertung etwa die Bedeutung für die soziale oder ökologische Entwicklung nicht darstellen. Eine stärkere Einbeziehung traditionellen Wissens, ökologischer und sozialer Fragen in die Agrarforschung ist dringend notwendig, wenn diese in die Lage gebracht werden soll, Antworten auf die zukunftsrelevanten Fragen geben zu können. Durchbrüche in Spitzentechnologie werden nicht zu nachhaltigen Entwicklungen führen, solange nicht auch in die lokalen Fähigkeiten zu ihrer Nutzung investiert wird.

Was getan werden muss

Ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln

Die Agrarforschung muss sich in Zukunft in Zusammenarbeit mit den Bauern und anderen Wissensträgern stärker um die Verbesserung der von Kleinbauern angebauten Arten und der von ihnen genutzten Anbausysteme mit niedrigem Ressourcen-Input kümmern; dazu gehört auch die Verbesserung des Umgangs mit Boden, Wasser und Nährstoffen und der Erhalt der Artenvielfalt. Die Vielfalt dieser Agrarökosysteme sollte durch Einbeziehung von Viehhaltung, Fischzucht, einheimischen Früchten und Nüssen etc. erhöht werden. Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln kann auch durch die Entwicklung neuer Technologien für die Verarbeitung, Konservierung und Verteilung von Lebensmitteln verbessert werden. Die Sicherheit von Lebensmitteln (Schutz vor Pestizidrückständen, Krankheitserregern etc.) kann durch Schulungen auf allen Ebenen und den Aufbau lokaler Kontrollmöglichkeiten verbessert werden.

Schaffung von Lebensgrundlagen und Einkommen

Damit auch Kleinbauern in armen Ländern von der Landwirtschaft leben können, brauchen sie Unterstützung in Form a) einer an ihren Bedürfnissen orientierten Forschung und b) von Mikrokrediten, Zugang zu Wissen, Düngetechniken, Lagerungsmöglichkeiten, Transport etc. Dazu gehören z.B. Verkehrsverbindungen zwischen dem Land (wo die Erzeuger wohnen) und der Stadt (wo die Märkte sind) und Unterstützung bei der Einhaltung von Marktanforderungen (z.B. der Regeln zur Lebensmittelsicherheit). Eine an den Bedürfnissen armer Kleinbauern orientierte landwirtschaftliche Forschung wird öffentlich finanziert werden müssen (private Firmen werden dort investieren, wo sie mehr Geld verdienen können – also im industriellen Agrobusiness); und dann am erfolgreichsten sein, wenn moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse und traditionelles Wissen zusammengebracht werden. Vorbilder könnten die Feldschulen für Bauern in Afrika oder die Campesino a Campesino-Bewegung in Lateinamerika sein. Da gerade in den ärmsten Ländern ein großer Anteil der Arbeit auf dem Land von Frauen erbracht wird, ist eine Ausbildung und die Beteiligung von Frauen an diesen Programmen von besonderer Bedeutung (siehe auch >> Themen: Frauen in der Landwirtschaft). Notwendig sind aber auch institutionelle Rahmenbedingungen, die Kleinbauern nicht benachteiligen, etwa die Überwindung historisch begründeten Großgrundbesitzes in Lateinamerika (Landreform) und gerechter Zugang zu Wasser; oder international der Schutz vor subventionierten Produkten aus industrieller Landwirtschaft und die Förderung besonderer Vermarktungsformen (fair trade, ökologischer Landbau, zertifizierte nachhaltige Forstwirtschaft). Die Arbeit auf dem Land muss dadurch so attraktiv werden, dass junge Leute nicht mehr automatisch in die Städte abwandern.

Umwelt

Um die ökologische Nachhaltigkeit der Landwirtschaft zu sichern, müssen die chemischen Inputs – insbesondere Kunstdünger und Pestizide – vermindert werden und Energie, Wasser und Land effizienter genutzt werden. Das Mittel dazu ist die intensive Erforschung agro-ökologischer Systeme: Insbesondere der ökologischen Wirkungsweise von Mosaiken aus natürlichen und Agrarökosystemen, um Synergien besser nutzen und negative Auswirkungen begrenzen zu können; der Wechselwirkungen zwischen ökologischen Prozessen in Böden, Wasser und Pflanzen; und die Förderung einer Vielfalt von Agrarökosystemen, um vielfältigere Lebensräume für wilde Arten und als Grundlage von ökologischen Dienstleistungen zu schaffen. Dabei sollte auch die Vielfalt traditionell genutzter Pflanzen- und Tierarten genutzt und traditionelles Wissen und Können genutzt werden. Neue Technologien wie die “grüne Gentechnik” müssen vor ihrem Einsatz auf ökologische, gesundheitliche und soziale Auswirkungen hin untersucht und im Vergleich zu anderen, etwa agro-ökologischen Methoden, bewertet werden (siehe auch >> Themen: Biotechnologie). Für die landwirtschaftliche Forschung bedeutet dies vor allem eine (Wieder-)Anerkennung traditioneller und lokaler Kenntnisse sowie die Notwendigkeit einer interdisziplinären, systembasierten Herangehensweise an die Wissensproduktion und -weitergabe.

Mehr Geld für die Agrarforschung

Die Ziele einer nachhaltigen, zukunftssicheren Landwirtschaft werden nur mit mehr Forschung erreicht werden können. Insbesondere die Umorientierung auf die Bedürfnisse von Kleinbauern und die Einbeziehung sozialer und ökologischer Ziele wird dabei nicht von privaten Investoren (den großen Saatgut- und Chemiefirmen) erwartet werden können, sondern muss mit öffentlichen Geldern geschehen. Die Schwerpunkte sollten dabei auf den Pflanzen liegen, die von Kleinbauern angebaut werden, aber bisher von der Pflanzenzucht nicht beachtet wurden; auf der Verbesserung alternativer Anbausysteme mit geringem Dünger- und Pestizideinsatz oder auf Basis des Ökolandbaus sowie auf die Anpassung an den Klimawandel.

Themen

Bioenergie

Bioenergie hat in jüngster Zeit aus guten Gründen – Stichworte >> Peak Oil, >> Klimawandel – viel Aufmerksamkeit erfahren; erfordert jedoch eine sorgfältige Abwägung, um eine insgesamt nachhaltige Produktion von Lebens- und Futtermitteln, Fasern und Bioenergie möglich zu machen. In vielen armen Ländern hängen die Armen von traditioneller Bioenergie (Brennholz, Holzkohle) ab, deren Gewinnung umweltschädlich und deren Nutzung gesundheitsschädlich ist. Hier kommt es darauf an, den Zugang zu modernen Energieformen zu ermöglichen. Die Herstellung von Agrotreibstoffen der ersten Generation (aus Mais, Zuckerrohr, Raps) kann den Hunger verschärfen, wenn der Anbau den Anbau von Nahrungsmitteln verdrängt; die Energiebilanz und ihr Netto-Treibhauseffekt sind zudem umstritten. Agrotreibstoffe der zweiten Generation versprechen Besserung, da sie aus Resten erzeugt werden können; sind aber noch nicht verfügbar und ihre Umweltfolgen müssen ebenfalls geprüft werden – die Umwandlung organischer Reste in Treibstoff entzieht beispielsweise den Böden organisches Material. Die Nutzung von moderner Bioenergie (z.B. Biogas) zur Erzeugung von Strom und Wärme ist effizienter als die Herstellung von Treibstoff und kann ausgebaut werden, auch hier müssen ökologische Kosten und realistischer Nutzen aber mit dem anderer erneuerbarer Energien verglichen werden.

Siehe auf diesen Seiten auch: >> Energie aus Biomasse

Biotechnologie

Biotechnologie umfasst traditionelle Methoden wie die klassische Pflanzen- und Tierzucht bis hin zu modernen molekulargenetischen Methoden, wobei insbesondere die Übertragung von Genen von einem Organismus auf einen anderen (“Gentechnik”) sehr umstritten ist (>> hier). Die moderne Biotechnologie stellt die Spitze der landwirtschaftlichen Forschung dar, und die Bewertung der Folgen dieser Technologie hinkt den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterher – Unsicherheiten über mögliche Folgen und Nutzen sind daher unvermeidbar. Eine Konzentration auf die Gentechnik unter Vernachlässigung anderer Forschungsfelder würde die heutige Schere in der Forschung weiter aufklaffen lassen und das wissenschaftlich-technische Know-how in wenigen Köpfen konzentrieren; nötig wäre jedoch eine Forschung, die an den Problemen orientiert multifunktionale und aufgrund der unterschiedlichen lokalen Bedingungen vielfältige agroökologische Lösungen erarbeitet. Der Beitrag der Biotechnologie hierzu muss in jedem Fall mit seinen technischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen und in einer öffentlichen Diskussion bewertet werden.

Klimawandel

Die Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Landwirtschaft ist beidseitig: Zum einen trägt die Landwirtschaft zum Klimawandel bei (>> hier), zum anderen gefährdet der Klimawandel die Ressourcenbasis der Landwirtschaft (>> hier). Insbesondere zunehmender Wassermangel und Extremwetter (Überflutungen, Dürren) werden die landwirtschaftliche Produktion vermindern; Schädlinge und Krankheitserreger können sich ausbreiten. Neben einem Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen aus fossilen Brennstoffen muss die Landwirtschaft effizienter mit Stickstoff- und anderen Düngern umgehen und kann durch die Entwicklung von Methoden der Agro-Forstwirtschaft zum Erhalt / zur Wiederaufforstung von Wäldern beitragen und kann mehr Kohlenstoff in Böden einbinden (>> mehr). Land- und Forstwirtschaft sollten in die Regelungen von Kyoto-II (>> mehr) einbezogen werden. Die Landwirtschaft muss sich auch an die Folgen des Klimawandels anpassen, etwa durch die Zucht salzresistenter Sorten, die besser mit zunehmender Trockenheit zurechtkommen.

Siehe auf diesen Seiten auch: >> Klimawandel; >> Klimawandel beenden

Gesundheit

Obgleich die Bedeutung ausreichender und guter Ernährung für die menschliche Gesundheit offensichtlich ist, war diese bisher kein zentraler Ausgangspunkt der Landwirtschaftspolitik. Trotzt gestiegener Produktion ist Unterernährung weltweit für über 15 Prozent aller Erkrankungen verantwortlich; und bleibt damit eine Herausforderung für die Menschheit. Daneben steht die Fehlernährung durch billige, aber nährstoffarme Lebensmittel und einseitige Ernährung als Ursache chronischer Erkrankungen: Hier müssen die Orientierung auf Qualität und Information der Verbraucher über Nährwert und Inhaltsstoffe Abhilfe schaffen. Immer bedeutender wird in einer Welt globalen Lebensmittelhandels auch die Lebensmittelsicherheit, vor allem der Schutz vor Pestiziden, Hormonen, Antibiotika, Schwermetallen und Krankheitserregern in Nahrungsmitteln. Verstärkter Aufmerksamkeit bedarf auch die Arbeitssicherheit in der Landwirtschaft, die mit mindestens 170.000 tödlichen Arbeitsunfällen die Hälfte aller tödlichen Arbeitsunfälle insgesamt verursacht. An erster Stelle bei den Ursachen stehen Unfälle mit Landmaschinen, dann folgen Vergiftungen durch Pestizide und auf den Menschen übertragbare Tierkrankheiten.

Der Schutz natürlicher Ressourcen

Boden, Wasser, Tier- und Pflanzenarten, Klima und andere Dienstleistungen natürlicher Ökosysteme sind Basis der Landwirtschaft wie überhaupt des Lebens auf der Erde (>> hier). Bisher hat in der Landwirtschaft das Augenmerk auf dem Ertrag gelegen; in Zukunft wird es auch darauf ankommen, die Landwirtschaft in die verschiedenen Ökosysteme, Orte und Kulturen einzupassen. Zum Teil sind die nötigen Techniken, etwa zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit durch synthetische Inputs oder natürliche Prozesse, bekannt; zum Teil müssen sie besser erforscht werden. Dabei kommt es auch darauf an, das Wissen um die Bedeutung funktionsfähiger Ökosysteme für den Ertrag zu verbessern und die (sozialen) Kosten ihrer Zerstörung ins Bewusstsein zu rufen. Mit angepassten agroökologischen Technologien kann die Landwirtschaft dazu beitragen, das Naturkapital zu regenerieren und Gewässer, Böden, Artenvielfalt und die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen zu verbessern.

Siehe auf diesen Seiten auch: >> Ein grüner Planet Erde

Handel und Märkte

Die Nutzung von Märkten und der Handelspolitik, um Kleinbauern profitabel arbeiten zu lassen und so die Armut auf der Welt zu verringern, ist eine dringende Herausforderung. Bisher führen Handel und Märkte nämlich zu einer Benachteiligung der Kleinbauern, und eine weitere Öffnung nationaler Märkte für den internationalen Wettbewerb, bevor die notwendigen Institutionen und Infrastrukturen aufgebaut und marktverzerrende Subventionen abgebaut sind, wird die lokale Landwirtschaft weiter schwächen. Die faire Einbindung der Kleinbauern in lokale, regionale und globale Märkte kann aber wesentlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen und Schaffung von Einkommensmöglichkeiten auf dem Land beitragen.

Traditionelles Wissen und lokale Innovationen

Sobald die Landwirtschaftspolitik sich an ortspezifischen, in Ökosysteme eingebundenen Agrarsystemen orientiert, wird die Einbindung traditionellen Wissens und lokaler, auf Erfahrungen basierender Kenntnisse unverzichtbar. Auch traditionelles Wissen und Kenntnisse sind dynamisch, und kann daher mit moderner naturwissenschaftlicher Forschung zusammengebracht werden: Ein Beispiel sind die Farmer-Forscher-Gruppen in den Anden. Schwerpunkte dieser Zusammenarbeit können in der Erhaltung, Nutzung und Verbesserung lokaler Sorten und traditioneller Anbausysteme liegen. Dabei muss durch entsprechende rechtliche Regelungen sichergestellt werden, dass nicht – wie in der Vergangenheit bereits geschehen – traditionelle Kenntnisse und Sorten etwa durch Patente geschützt und damit ihren eigentlichen Besitzern unzugänglich werden.

Frauen in der Landwirtschaft

Der Anteil von Frauen in der landwirtschaftlichen Produktion und in der Verarbeitung von Lebensmitteln beträgt – je nach Land und Aktivität – 20 bis 70 Prozent, aber meist sind sie schlechter ausgebildet als die Männer und ist ihr Einkommen am niedrigsten und unsichersten. Sie leiden besonders unter der Bevorzugung von großen, exportorientierten Agrounternehmen durch die Regierungen, und sind Naturkatastrophen und Umweltveränderungen wie dem Klimawandel am schutzlosesten ausgeliefert. Der Zugang von Frauen zu Ausbildung muss daher ebenso verbessert werden wie ihre Möglichkeit, über natürliche und ökonomische Ressourcen selbst verfügen zu können. Dies erfordert unter anderem die ausdrückliche Einbeziehung von Frauen in die Maßnahmen zur Nutzung und Förderung traditionellen Wissens und lokaler Kenntnisse.

Webtipps

>> Weltagrarbericht (Möglichkeiten zum Download des globalen und der fünf Regionalberichte in verschiedenen Sprachen – aber nicht auf Deutsch.) Die deutsche Übersetzung des Synthesebandes ist bei der Hamburg University Press als Buch zu beziehen oder kann auf der Website >> hier heruntergeladen werden.

Deutschsprachige Informationen finden sich auf einer sehr informativen Website der Zukunftsstiftung Landwirtschaft: >> www.weltagrarbericht.de. Dort gibt es auch eine 52-seitige Broschüre “Wege aus der Hungerkrise” zum download, die die wichtigsten Ergebnisse des Berichts ausführlicher als diese Seite darstellt.

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>> Wasser fürs Leben, Wasser für Menschen

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© Jürgen Paeger 2006 – 2015