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Das Leben

Immer noch ein Rätsel:
Die Entstehung des Lebens

Wir wissen noch nicht, wie und wann das Leben auf der Erde entstanden ist; und vielleicht werden wir es auch niemals herausfinden: Die Entstehung des Lebens war ein historischer Vorgang. Wir können aber untersuchen, wie es entstanden sein könnte und die Mechanismen verstehen, die dazu führen, dass aus anorganischer Materie Leben entsteht. Dazu gibt es plausible Erklärungsansätze. Und eines ist sicher: Seit irgendwann vor 4,4 bis 3,3 Milliarden Jahren gab es Leben auf der Erde...

Foto eines "weißen Rauchers"

Weißer Raucher”: Solche alkalinen Tiefseequellen gelten als ein möglicher Entstehungsort des Lebens, da mögliche Zellvorläufer hier relativ geschützt waren vor den unwirtlichen Bedingungen der Erdfrühzeit und reichlich chemische Energie zur Verfügung stand. Foto: US-National Oceanic and Atmospheric Administration, Ocean Explorer Website >> hier, public domain.

Irgendwann vor etwa 4 Milliarden Jahren ...

Die Erde vor 4 Milliarden Jahren war ein Planet, den wir kaum erkannt hätten: Ein Tag dauerte weniger als sechs Stunden; wenn es hell war, schien eine rötliche Sonne schwach durch einen dunstigen, rötlichen Himmel; nachts wäre der riesige Mond kaum und von den Sternen nichts zu sehen gewesen. Aus einem riesigen Ozean ragten nur erste Proto-Konti­nen­te, die von gewaltigen Gezeitenwellen umtost waren. Auf dieser Erde, irgendwann vor 4,4 bis 3,3 Milliarden Jahren, begann das Leben. Wie genau das Leben entstanden ist, oder ob es gar aus dem Weltall auf die Erde kam, wissen wir noch nicht. Die Suche nach dem Ursprung des Lebens gleiche dem Versuch, die Geschichte der Menschheit nur aus ein paar Faustkeilen und den Ruinen des Industriezeitalters zu rekonstruieren, schrieb der Spiegel einmal. Da ist etwas dran: Die ersten Lebewesen haben nicht bis heute überdauert – sie wurden vermutlich von ihren Nachfolgern gefressen. Die Wissenschaftler, die die Ursprünge des Lebens untersuchen, sind also auf Indizien angewiesen. 1996 berichtete der ameri­ka­nische Geologe Stephen Mojzsis in der Fachzeitschrift Nature von geochemischen Lebens­spuren in den 3,8 Milliarden Jahre alten Isua-Gneisen auf Grönland: einen hohen Anteil des Kohlenstoff-Isotops 12C (0105); 2015 wurden ähnliche Anzeichen in 4,1 Milliarden Jahre alten Zirkon-Kristallen aus Westaustralien gefunden (0110).

Diese Anzeichen sind ein hohes 12C/13C-Verhältnis in dem Kohlenstoff, der in den Zirkon-Kristallen eingeschlossen ist. Das leichte Kohlenstoff-Isotop 12C wird bei der Fotosyn­these etwas stärker als das schwerere Isotop 13C in organische Moleküle eingebaut. Es findet sich daher mit erhöhtem Anteil in Algen und Pflanzen, und in der Folge auch in allen Pflanzenfressern und gilt normalerweise als Beleg für organische Entstehung. Demnach hätte es also schon vor 3,8 Milliarden Jahren nicht nur Leben, sondern auch schon eine Form der Fotosynthese geben müssen. Aber biologische Prozesse sind nicht die einzig mögliche Ursache für ein hohes 12C/13C-Verhältnis (0110), und die Funde sind daher ein Hinweis, aber kein Beweis für Leben zu dieser Zeit. Umstritten sind auch 3,5 Milliarden Jahre alte fossile Cyanobakterien, die der amerikanische Geologe James William (Bill) Schopf 1993 in den westaustralischen Apex Cherts gefunden zu haben glaubt – für andere Forscher ähneln seine „fossilen Bakterien“ eher Hohlräumen, die auch durch geologische Prozesse entstanden sein könnten. Schopf selber, einer der führenden Paläontologen, hält aber nach Messungen der Isotopen-Komposition seiner Funde an seiner Interpretation fest. Sein schärfster Kritiker, der englische Paläontologe Martin Brasier, glaubt nun auch selbst, nur 30 Kilometer entfernt rund 3,4 Milliarden Jahre alte "Fossilien" gefunden zu haben. (Wenn das Leben aus chemischen Vorläufern – siehe unten – entstanden ist, gibt es ohne­hin ein Kontinuum zwischen nicht lebendig und lebendig. Daher sollte es auch nicht ver­wundern, dass die Einstufung möglicher Frühformen umstritten ist.) Als älteste weitgehend unbestrittene Spuren des Lebens gelten rund 3,3 Milliarden Jahre alte Mikrofossilien (0115); spätestens zu dieser Zeit gab es also Leben auf der Erde. Wie ist es dazu ge­kommen?

Die Theorie von der Urzeugung

Die Entstehung des Lebens kann man als Resultat eines göttlichen Schöpfungsaktes sehen (an den man glauben muss) oder als Ergebnis natürlicher Prozesse: Dann wurden die ersten Lebensformen durch chemische Reaktionen aus unbelebter Materie gebildet. Die ersten Natur­forscher glaubten noch an eine “Urzeugung”, wonach mindestens kleine Lebewesen jederzeit spontan aus unbelebter Materie entstehen konnten – die Entstehung von Maden in Fleisch schien dafür ein Beispiel zu sein. Diese Theorie wurde 1668 von Francesco Redi widerlegt, einem Gelehrten am Hof der Medici in Florenz: Er zeigt, dass in Flaschen mit Fleisch keine Maden entstanden, wenn er verhinderte, dass Fliegen an das Fleisch gelang­ten. Redi schloss daraus, dass alles Leben “von Pflanzen und Tieren selbst abstammt”. Aber fast gleichzeitig erschloss das neu entwickelte Mikroskop den Biologen eine neue Welt: Lebewesen, die so klein waren, dass sie mit dem bloßen Auge nicht zu sehen waren. Diese entstanden offenbar doch von selbst, und 1748 wies der englische Pfarrer John Needham in Bratensoße scheinbar spontan entstandene Bakterien nach. Die Idee von der Urzeugung lebte wieder, blieb aber umstritten: 1768 konnte der italienische Gelehrte Lazzaro Spallan­zani zeigen, dass keine Bakterien entstanden, wenn die Soße lange genug gekocht (heute würde man sagen: sterilisiert) wurde. Das überzeugte aber nicht alle Naturforscher: Für sie hatte Spallanzani durch seine Kocherei einfach die “Lebenskraft” der Luft im Kolben zer­stört. Diese Zweifel zerstreute erst fast 100 Jahre später der französische Chemiker Louis Pasteur: Im Jahr 1862 wiederholte der Spallanzanis Experiment, sorgte aber dafür, dass Luft über einen S-förmigen Flaschenhals (der Staub und Mikroorganismen zurückhielt, die angenommene “Lebenskraft” aber nicht) in den Behälter gelangen konnte. Es entstanden keine Bakterien. Ohne Flaschenhals wuchsen diese aber sofort – das Leben kam also mit dem Staub und den Mikroorganismen in die Bouillon. Damit war die “Urzeugung” endgültig widerlegt; und während die Kirche die Zuständigkeit für die Schöpfung wieder alleine bei Gott sah, stellte sich für die Biologen die neue Frage: Wenn Leben nicht spontan entstehen kann, wie war es dann auf die Erde gekommen? Um diese Frage beantworten zu können, mussten sie aber erst einmal die Frage beantworten, was Leben eigentlich ist.

Was ist Leben?

Leben ist einfach zu erkennen: Lebewesen reagieren auf ihre Umgebung und verhalten sich zweckbestimmt (bewegen sich z.B. in Richtung auf eine Nahrungsquelle oder weg von einer Gefahr), und sie vermehren sich. Steine oder andere Dinge, die nicht leben, machen dies nicht. Aber diese Beschreibung erklärt nicht, was Leben eigentlich ist. Früher glaubte man (siehe oben) an eine magische "Lebenskraft" (vis vitalis), die hinter dem Leben ste­hen müsse, aber Pasteurs Experimente und seine Erkenntnis, die er bei der Untersuchung der Fermentation (alkoholischen Gärung) gewann, dass diese nämlich durch Hefezellen ausge­löst wird, schwächten diese Idee: wenn die Gärung, also die Umwandlung von Zucker in Alkohol und damit eine chemische Reaktion (wie ein halbes Jahrhundert vor Pasteur einer der Väter der Chemie, der französische Wissenschaftler Antoine Lavoisier, herausgefunden hatte), von einem Lebewesen ausgelöst werden kann, gibt es offenbar keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Leben und chemischen Reaktionen. Pasteur schloss daraus: "Chemische Reaktionen sind eine Lebensäußerung der Zelle". Zu diesem Zeitpunkt war aber auch der Glaube, dass die (sich mit Kohlenstoffverbindungen beschäf­tigende) "organische Chemie" grundsätzlich verschieden von der "anorganischen Chemie" sei, widerlegt: 1828 war es dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler gelungen, "orga­nischen" Harnstoff aus anorgani­schen Komponenten herzustellen.

Aber auch wenn das Leben aus den gleichen chemischen Elementen besteht wie alles andere auch (0120), so ist das Leben doch keine "gewöhnliche" Chemie, sonst wäre die Ver­mutung einer vis vitalis wohl nie entstanden. 1860 entdeckte der französi­sche Chemiker Marcelin Berthelot in zerstoßenen Hefezellen eine interessante Substanz: sie löste die Aufspaltung von Haushaltszucker (Saccharose) in Traubenzucker (Glukose) und Frucht­zucker (Fruk­tose) aus, wurde aber selbst bei dieser chemischen Reaktion nicht ver­braucht. Er nannte diese Substanz Invertase. Invertase ist ein Enzym (früher "Fer­ment" genannt): ein in Lebewesen gebildeter Katalysator – ein Katalysator ist ein Stoff, der eine chemische Reaktion (häufig extrem) beschleunigt. Und damit war man dem "chemi­schen Geheimnis" des Lebens auf die Spur gekommen. Die meisten Phänomene des Lebens entstehen durch chemische Reaktionen, die von Enzymen katalysiert (beschleu­nigt) werden. In den Zellen aller Lebewesen (mehr) laufen gleichzeitig hundert oder tausende solcher durch Enzyme katalysierter chemischer Reaktionen ab, mit denen die Strukturen der Zelle aufgebaut werden; gleichzeitig werden Stoffe abgebaut, um Energie freizusetzen und die Strukturen der Zelle zu recyceln. Die meisten Enzyme sind Proteine (Eiweiße), daneben gibt es auch katalytisch aktive Ribonukleinsäure (RNS) oder Desoxyribo­nuklein­säure (DNS) (mehr zu diesen Substanzen hier).

Proteine sind, wie die Erbmoleküle DNS und RNS und auch die Lipide, die die Zellmembra­nen bilden, Polymere. Ein Polymer ist ein kettenartiges Molekül, dass "aus vielen (gleichen) Teilen aufgebaut" ist; im Falle der Proteine sind das (20 verschiedene) Aminosäuren. So­bald eine solche Aminosäurekette entstanden ist, faltet sie sich zu einer dreidimensio­nalen Struktur. Die meisten variablen Teile der Aminosäuren finden sich an den Außenseiten dieser Struktur und führen dazu, dass jedes Protein spezifische chemische Eigenschaften hat – die dafür sorgen, dass ein Enzym eine ganz bestimmte chemische Reaktion kataly­siert. Dabei sind Wechselwirkungen zwischen den Enzymen und den chemischen Substan­zen ("Substrate" genannt), die sie "bearbeiten" extrem genau und können sich gezielt auf einzelne Atome oder chemische Bindungen beziehen. Und Enzyme können auch "zusam­men­arbeiten": das Produkt einer Reaktion wird direkt an ein anderes Enzym weitergeleitet und dort weiterbearbeitet. So werden komplexe Strukturen wie Lipidmembranen hergestel­lt oder die DNS kopiert. Neben der Rolle als Kataly­sator erfüllen andere Proteine weitere wichtige Aufgaben in der Zell­chemie. Alleine in einer Hefezelle gibt es mehr als 40 Millionen Proteinmoleküle, und jedes Enzym unter ihnen kann in jeder Sekunde abertausende oder sogar Millionen chemische Reaktion ab­wickeln. Damit dies alles geordnet abläuft, gibt es neben den Enzymen weitere Strukturen in den Zellen, z.B. die Ribosomen, an denen die Proteine hergestellt werden. Ribosomen bestehen aus mehreren Dutzend Proteinen und einigen RNS-Molekülen. In den größe­ren Eukary­oten-Zellen (siehe hier) gibt es zudem von Membranen abgegrenzte Komparti­mente wie den Zellkern (die "Organellen"). Jede einzelne Zelle eines Lebewesens ist damit um Dimensionen kom­plexer als die größte Chemiefabrik, aber alles, was hier geschieht, ge­horcht den Gesetzen der Physik und der Chemie.

Die Chemie liefert denn auch die beste Annäherung an eine Definition: Leben ist ein selbst­herstellendes, selbsterhaltendes und fortpflanzungsfähiges System, das in einem chemischen Prozess aus “nicht lebendigen” Bausteinen entsteht. (Dabei spielt der Kohlen­stoff, das Element, um das sich die organische Chemie dreht, tatsächlich eine gro­ße Rolle: das liegt vor allem daran, dass Kohlenstoff eine enorme Vielfalt unterschiedlicher stabiler chemischer Verbindungen eingehen kann [siehe auch Kohlenstoff und Leben]). Selbstherstellend bedeutet, dass die Bestandteile eines Lebewesens sich „von selbst“ zusammenfügen. Dies ist in der Natur nichts Ungewöhnliches: das Wachstum von Kristal­len, die Wolkenbildung oder bestimmte chemische Reaktionen sind „selbstherstellend“ – diese Vorgänge geschehen aufgrund der Eigenschaften des Materials und werden nicht von außen "aufgezwungen". Aber die genannten Vorgänge sind nicht selbsterhaltend; die entstandenen Systeme zerfallen früher oder später wieder. Das hat mit einem der wich­tigs­ten Naturgesetze, dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, zu tun: Sich selbst überlassen, tendieren geordnete Strukturen zum Zerfall. (Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass in der Natur bei allen Vorgängen, die von alleine ablaufen, die Entropie – ein Maß für die "Unordnung" – zunimmt; mehr dazu hier.)

Der Aufbau und Erhalt geordneter Strukturen in Lebewesen bedeutet jedoch eine Abnah­me der Entropie, und diese ist nur möglich, wenn einem System Energie zugeführt wird. Und das ist der entscheidende Punkt: Leben kann sich im Unterschied zu den anderen selbstherstellenden Systemen selbst dauerhaft erhalten, weil es sich selbst aktiv mit Energie versorgen kann. Damit wird es zum autonomen „selbsterhaltenden“ System. Wichtig ist dabei das aktiv: In der Natur gibt es auch andere selbsterhaltende Systeme, zum Beispiel ein Feuer – solange Brennstoff und Sauerstoff vorhanden sind, wird es bren­nen. Aber sobald der Brennstoff zur Neige geht, erlischt das Feuer, ist also nicht dauer­haft selbsterhaltend (0125). Dieses Problem umgeht das Leben mit der aktiven Beschaf­fung der zu seinem Erhalt notwendigen Materie und Energie. Und diese Fähigkeit des Lebens ist irgendwie durch die Wechselwirkungen zwischen seinen Bausteinen entstanden (0130). Selbst­erhaltung bedeutet natürlich nicht, dass Leben völlig unabhängig von seiner Umwelt wäre, im Gegenteil: die Materie und die Energie, die zur Aufrechterhaltung des Lebens notwendig sind, stammen aus der Umwelt. (Physikalisch gesehen muss das so sein: bei der Erzeugung der Energie, die sich ein Lebewesen zuführt, muss mehr Entropie ent­standen sein, als beim Aufbau der geordneten Strukturen in einem Lebewesen abge­baut wird, so dass in der Summe eine Zunahme der Entropie erfolgt – wie es der zweite Hauptsatz der Thermodynamik verlangt. [0132])

Heute hängt das Leben in den allermeisten Fällen von der Sonnenenergie ab; die ersten Lebensformen dürften – wie es auch heute noch einige "chemotrophe" Bakterien tun – energiereiche chemische Verbindungen genutzt haben. Die Aufnahme und Umwandlung von Energie und Materie in Lebewesen heißt „Stoffwech­sel“; und dieser ist daher eben­falls ein Merkmal des Lebens. Vom Stoffwechsel leiten sich weitere typische Eigenschaf­ten des Lebens ab. Erstens: Die Aufnahme von Stoffen und Energie muss gezielt sein – in der Umgebung eines Lebewesens können sich ja auch Stoffe oder Energie finden, die ihm schaden könnten; Lebewesen können daher immer auf Reize in der Umgebung rea­gie­ren. Zweitens: Die chemischen Reaktionen des Stoffwechsels können zudem nur statt­finden, wenn die Reaktionspartner nicht zu sehr verdünnt werden, daher finden alle Lebens­vorgänge in von der Außenwelt abgetrennte Grundeinheiten statt: den Zellen, aus denen alle Lebewesen aufgebaut sind (0135). Diese Zellen sind wiederum, wie wir oben ge­sehen haben, kompartimentiert, also in Bereiche mit bestimmten Funktionen unterteilt. Bei größeren mehrzelligen Lebewesen gibt es solche Kompartimente auch auf höherer Ebene: denn sprechen wir z.B. von Organen (wie der Leber oder dem Herz), die spezielle Auf­gaben wahrnehmen.

(Genau genommen können sich aber nur Archaeen und Cyanobakterien vollständig selbst erhalten, alle anderen Lebewesen sind wiederum von anderen Lebewesen abhängig: alle Pilz-, Pflanzen- und Tierarten einschließlich des Menschen sind für ihre Zellchemie auf deren Hilfe angewiesen. So sind Pflanzen auf Bakterien und Cyanobakterien angewiesen, die den Stickstoff aus der Luft "pflanzenverfügbar" machen [siehe >> Stickstoffkreis­lauf]. Tiere leben wiederum von den Stoffen, die Pflanzen herstellen – direkt, wenn sie Pflanzen fressen und indirekt, wenn sie andere Tiere fressen. Pilze wiederum leben von ausge­schiedenem oder aus abgestorbenen anderen Lebewesen stammendem organischen Material. Auch der Mensch ist eigentlich ein Ökosystem: auf jedem Menschen leben mehr Einzeller als er Körperzellen besitzt [und das sind etwa 30.000 Milliarden]! Und wir brauchen diese, so produzieren in unserem Darm bestimmte Bakterien Aminosäuren und Vitamine, die wir nicht selber herstellen können.

Das Leben auf der Erde ist Bestandteil eines einzigen vernetzten Ökosystems, und nur Archaeen und Cyano­bakterien könnten ohne dieses überleben.

Wenn alle Menschen diese Grundlage ihres Lebens verstanden hätten, würden sie viel­leicht öfter mal darüber nachdenken, wie clever es ist, dass wir es in Kauf nehmen, als Nebenwirkung unserer Lebensweise genau dieses Ökosystem tief­greifend zu zerstören.)

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Energiegewinnung in Lebewesen

Am Anfang jeder Nahrungskette stehen Organismen – Bakterien, Algen oder Pflanzen –, die aus Wasserstoff (oder einem anderen Elektronenspender, siehe unten) und Kohlen­dioxid organische Verbindungen herstellen (die Primärproduzenten). Kohlendioxid ist in der Luft oder im Meerwasser enthalten, Wasserstoff muss zumeist erst aus Verbindungen freigesetzt werden. Dies kann aus chemischen Verbindungen wie Schwefelwasserstoff oder Methan geschehen (wie im Falle der Schwefel- oder Methanbakterien); in den meisten Fällen werden hierfür heute jedoch mit Hilfe von Sonnenlicht Wassermoleküle gespalten, das ist der Kern der Fotosynthese, heute die wichtigste, aber aufgrund ihrer Komplexität sicher nicht die ursprüngliche Energiequelle für das Leben. Um aus Kohlen­dioxid organische Verbindungen herzustellen, muss es reduziert werden; organische Verbindungen entstehen daher zumeist (0140) mittels einer "Atmung" genannten Redox­reaktion: Kohlendioxid nimmt Elektronen auf, die aus Wasserstoff oder einem anderen "Elektronenspender" stammen. Der Elektronenfluss vom Elektronenspender zum Kohlen­dioxid verläuft dabei entlang einer Kette von Molekülen – der "Atmungskette" –; ent­scheidend ist, dass hierbei (nicht unähnlich dem Elektronentransport beim Stromfluss) Energie fließt – und diese wird in Form von Protonengradienten über Membranen in der Zelle gespeichert: positiv geladenen Wasserstoffionen (Protonen) von Protonenpumpen aus dem Zellinneren nach außen gepumpt, wodurch eine Spannungsdifferenz und ein Konzentrationsgefälle entstehen. Dieses elektrochemische Gefälle wird (nicht unähnlich den Vorgängen in einem Wasserkraftwerk) als Energiequelle genutzt: Beim Rücktransport der Protonen in das Zellinnere durch ein Enzym namens ATP-Synthase wird die Energie wieder frei und zur Herstellung von ATP (Adenosintriphosphat) aus Adenosindiphosphat (ADP), genutzt. Für die Aufklärung dieser “chemiosmotischen Koppelung” erhielt der britische Biochemiker Peter Mitchell im Jahr 1978 den Nobelpreis für Chemie. (Das gleiche Prinzip (0145) liegt auch der Fotosynthese zugrunde, diese dürfte sich daher von der Atmung ableiten.) ATP ist sehr energiereich; die in diesem Molekül gespeicherte Energie wird wieder frei, wenn eine Phosphatgruppe abgespalten wird und wieder Adenosin­diphosphat (ADP) entsteht (0150). Die hierbei freigesetzte Energie ist der mit Abstand häufigste Weg, wie die von Enzymen katalysierten Reaktionen im Zellinneren mit Energie versorgt werden – also der Aufbau des Erbmoleküls DNS, von Proteinen, von Fetten ...; alles wird durch ATP angetrieben. ATP wird in allen Lebewesen als „Energieüberträger“ genutzt und ist damit sozusagen die universelle Energiewährung der lebenden Zelle – wenn ein chemischer Vorgang in einer Zelle Energie braucht, werden energiereiche ATP-Moleküle in ADP umgewandelt, wobei die im ATP gespeicherte Energie wieder frei wird. Ein Mensch produziert und verbraucht jeden Tag etwa das dreifache seines Gewichtes an ATP, manche Bakterien sogar das sieben­tausendfache; das mag die Bedeutung dieses Moleküls für den Energiestoffwechsel ver­deutlichen.

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Eng mit Selbstherstellung und dauerhafter Selbsterhaltung in Zusammenhang steht die Fortpflanzungsfähigkeit: ein sich selbst herstellendes und dauerhaftes System wird sich auch vermehren, wenn Materie und Energie in der Umwelt vorhanden sind. Insofern ist die Fähigkeit zur Fortpflanzung eigentlich nichts anders als die logische Folge der ersten beiden Eigenschaften, hatte aber derartige Folgen und ist derart kennzeichnend für das Leben, dass sie gesondert erwähnt werden soll. Das Leben ist damit nämlich „anstek­kend“: es breitete sich auf der Erde aus. Es hat zudem alle erdgeschichtlichen Umwäl­zungen von mindestens 3,5 Milliarden Jahren überstanden, sich also als äußerst robust erwiesen; und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte. (Für einzelne Arten stellt sich die Situation allerdings ganz anders dar, mehr darüber >> hier.) Die Fortpflanzungsfähigkeit alleine ist noch kein Kennzeichen des Lebens, sondern kommt auch in anderen chemischen Systemen vor: Der – auch in Lebe­wesen sehr verbreitete – Citratzyklus etwa, bei dem Essigsäure (ein Molekül mit zwei Kohlenstoff-Atomen) mit Kohlendioxid zu Pyruvat (mit drei Kohlenstoffatomen) reagiert, das wiederum mit Kohlendioxid zu Oxalacetat reagiert – und so weiter, bis schließlich Zitronensäure (mit sechs Kohlenstoffatomen) entsteht. Wenn Zitronensäure in Essigsäure und Oxalacetat zerfällt, können aus einem Citratzylus zwei werden – der chemische Prozess vermehrt sich also.

Nun kann das Leben sich aber nicht nur vermehren, wenn Energie und Materie sowieso vorhanden sind, sondern diese aktiv suchen. Dazu muss es Informationen aus der Außen­welt sammeln und verarbeiten. Um die komplexen Reaktionen im Inneren der Zellen auf­rechtzuerhalten, ist es zudem notwendig, dass auch Informationen aus dem Zellinneren (etwa über die chemischen Bedingungen dort) gesammelt und verarbeitet werden. Für die Informationsverarbeitung in der Zelle gibt es viele gut untersuchte Bei­spiele. Eines ist etwa die Herstellung von Proteinen, bei der Information von der DNS in die Aminosäuresequenz der Proteine übersetzt wird (siehe hier). Die Gene von der DNS können zudem an- und abgeschaltet werden ("Repressoren" genannte Moleküle, schalten Gene ab, "Aktivatoren" genannte Gene schalten Gene an). Grundlagen zum Verständnis dieser Genregulation legten die beiden französischen Biologen François Jacob und Jacques Monod (die dafür 1965 den Nobelpreis für Medizin erhielten), die zeigten, dass das Darm­bakterium Escherichia coli zwei verschiedene Zucker mit zwei unterschiedlichen Enzymen abbaute. Sie konnten zeigen, dass das Gen für eines der Enzyme abgeschaltet wurde, wenn das Bakterium mit dem anderen Zucker ernährt wurde, und wieder ange­schaltet wurde, wenn das Bakterium mit dem alternativen Zucker versorgt wurde. (Wie wir heute wissen, sorgt dafür der alternative Zucker selbst: dieser bindet sich an das Repressor­molekül des Gens, ein Protein, und beeinträchtigt dessen Funktion. Das Gen wird ohne das Repressormolekül wieder aktiv und produzierte das zur Nutzung des alternativen Zuckers notwendige Enzym.) Informationstheoretisch handelt es sich hierbei um eine negative Rückkoppelung: die Anwesenheit des alternativen Zuckers führt dazu, dass dieser abge­baut wird. Die Zelle besteht aus zahlreichen solcher informationsverarbeiten­den Einheiten (in der Biologie spricht man von "Signalwegen"), die deutlich komplexer sein können, mit­ein­ander verbunden sind und in der Summe erstaunliche Dinge vollbringen – Dinge, die wir Leben nennen.

Diese erstaunlichen Fähigkeiten müssen aber nicht nur in einer Zelle vorhanden sein, son­dern an die Tochterzellen weitergegeben werden. Dazu braucht es einen Informations­speicher. Diese Rolle übernimmt bei fast allen bekannten Lebewesen (0155) zum größten Teil die Erbsubstanz DNS, die bei einer Zellteilung ebenfalls kopiert und an die Tochter­zellen weitergegeben wird. Dass fast alle bekannten Lebewesen die DNS und sogar ohne Aus­nahmen den gleichen „genetischen Code“ zur Informationsweitergabe nutzen, gilt wie auch die universelle Energiewährung ATP als Beleg dafür, dass alles heutige Leben einen gemein­samen Vorfahren hat. (Es ist dagegen kein Beweis dafür, dass Leben nur einmal entstan­den ist: es könnte auch mehrfach entstanden sein, aber nur eine Linie hätte bis heute überlebt.) Mit anderen Worten: alles Leben ist miteinander verwandt. Wir sind nicht nur – siehe oben – von anderen Lebewesen abhängig, wir sind auch mit ihnen verwandt. Soweit wir wissen, sind wir Menschen die einzigen Lebewesen, die sich dieser Verwandt­schaft bewusst sind. Ältere Kulturen (siehe etwa die Darstellung in dem Buch Gefloch­ten­es Süßgras) haben dieses längst verinnerlicht, den indigenen Potawatomi in Nord­amerika etwa gelten Pflanzen und Tiere als "nichtmenschliche Verwandte". Alten Wissen, das es auf dem Weg zur ökologischen Nachhaltigkeit wiederzuentdecken gilt (siehe >> Die kulturelle Vielfalt der Menschheit).

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Informationsspeicher DNS

Die Erbsubstanz DNS besteht aus Basen, Zucker und Phosphatgruppen; entscheidend für die Informationsspeicherung und -weitergabe sind die Basen. Von diesen gibt es vier verschiedene, von denen wir uns hier nur die Anfangsbuchstaben merken müssen: A, C, G und T (0160). Sie stellen so etwas wie das Alphabet der DNS dar, das aus diesen vier Buchstaben besteht. Die Worte der DNS-Sprache bestehen immer aus drei Buchstaben, zum Beispiel ACT, CGA oder TTC. Jedes Wort steht für eine Aminosäure, ein Satz steht für eine Erbanlage: Aminosäuren sind nämlich die Bausteine der Proteine, die als Enzyme die meisten chemischen Reaktionen in der Zelle steuern. Die Informationsweitergabe funktio­niert also über die Herstellung von Proteinen. Um aus einem DNS-Satz ein Protein herzu­stellen, wird zunächst eine Negativkopie eines Gens (Erbanlage) in Form eines mRNS ge­nannten Moleküls hergestellt – die RNS ist ein der DNS chemisch eng verwandtes, jedoch weniger stabiles Molekül. Die mRNS wird dann zu den „Proteinfabriken“ der Zelle (den „Ribosomen“) transportiert, wo mit Hilfe einer weiteren RNS (der tRNS) die Aminosäuren entsprechend der „Worte“ der DNS zu einem Protein verknüpft werden. Ob aber über­haupt ein Protein hergestellt wird, hängt von der von Jacob und Monod entdeckten Gen­regulation ab, die nicht nur zur Aufrechterhaltung von stabilen chemischen Zuständen genutzt werden: Raupen und Schmetterlinge oder die Zellen unserer Leber und unserer Haare haben ja die gleichen Gene, die Unterschiede zwischen ihnen kommt durch unter­schiedliche Muster der Genaktivierung zustande. Daher sind die Erbanlagen (die berühmten „Gene“) eher mit Sub­routinen eines Computerprogramms vergleichbar (ein Bild des eng­lischen Biologen Richard Dawkins). Wie genau dieses aber gesteuert wird, ist eines der aktuellsten Forschungsgebiete der Genetik, die DNS erweist sich dabei als komplizier­ter und vielfältiger, als früher ange­nommen – die Vererbung besteht aus einem komplexen, raumzeitlichen Zusammenspiel von DNS, Proteinen und anderen Molekülen, das noch niemand wirklich verstanden hat.

Die Teilung der DNS zur Weitergabe in die Tochterzelle ist jedoch leicht verständlich, wenn man weiß, dass die Basen in den Sprossen sich immer nur in zwei Paaren miteinan­der verbinden: C–G und A–T. Wenn sich nun die beiden Hälften der Leiter in der Mitte trennen, wird sich C immer nur mit G und A immer nur mit T verbinden, und so wird jeweils die fehlende Hälfte wieder ergänzt: es entstehen zwei identische Kopien. (Mehr zur DNS >> hier.) Dabei geschehen jedoch Fehler, von Zeit zu Zeit verändert sich dadurch die Erbinformation eines Lebewesens: Diese Variabilität ist Grundlage der Evolution, die die große Vielfalt des Lebens auf der Erde hervorgebracht hat. DNS kann aber auch extrem stabil sein, wenn auftretende Veränderungen keine Vorteile bringen: so ist die DNS, mit denen Teile der Ribosomen codiert werden, bei allen Organismen, von den Archaeen und Bakterien über die Pilze und Pflanzen bis hin zum Menschen gleich – sie ist also über drei Milliarden Jahre unverändert geblieben.

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Mit diesen Informationen über das Leben wird jetzt nachvollziehbar, welche Fragen bei der Suche nach der Entstehung des Lebens im Vordergrund stehen. Erstens: Wie gewannen die Vorläufer der ersten Lebewesen Energie, um sich selbst erhalten zu können? Wie ent­stand also der Stoffwechsel? Zweitens: Wie entstand die Fähigkeit zur Informations­weiter­gabe bei der Vermehrung? (Die DNS war mit ziemlicher Sicherheit nicht das erste System, da zu ihrer Teilung Proteine benötigt werden, die erst mit Hilfe der DNS herge­stellt werden.) Und wie kamen Stoffwechsel und Informationsweitergabe zusammen? Oder sind sie gemeinsam entstanden?

Wie könnte das Leben entstanden sein?

Die Überlegungen zur Entstehung des Lebens wurden in Zusammenhang mit Darwins Evolu­tions­theorie neu angefacht. Darwin selbst hielt sich mit Aussagen über die Entstehung des Lebens zurück (sein Stammbaum in “Die Entstehung der Arten” hatte keine Wurzeln), aber der Biologe Ernst Haeckel vertrat im Jahr 1868 in einer Vorlesungsreihe an der Universität Jena die Ansicht, das Leben könne durch spontane Vereinigung geeigneter chemischer Stoffe zu primitiven Organismen entstanden sein. (Der Unterschied zur Theorie von der “Urzeugung” ist, dass heute die “geeigneten chemischen Stoffe” vom Sauerstoff in der Atmosphäre zerstört oder von den Lebewesen aufgefressen würden; die Entstehung des Lebens also ein einmaliger historischer Vorgang war.) Aufgegriffen wurde Haeckels Idee von dem russischen Biochemiker Aleksandr Oparin, der 1924 das Buch „Ursprung des Lebens“ veröffentlichte und – unabhängig davon – von dem englischen Physiologen John B. S. Hal­dane: Beide vermute­ten, durch chemische Reaktionen in der sauerstofffreien Uratmosphäre seien organische Verbindungen entstanden, die sich in den Urozeanen angesammelt und zu primitiven Lebens­formen vereinigt hätten. Nach Oparin verlief der Weg über sogenannte „Koazervate“: kleine Anhäufungen von Biomolekülen in hohen Konzentrationen. Die Über­legungen werden heute als chemische Evolution betitelt: Ähnlich wie bei der biologi­schen Evolution wird davon ausgegangen, dass chemisch stabilere Verbindungen länger bestehen bleiben und sich durch weitere Reaktionen verändern können – und wenn die neuen Substanzen stabiler sind, übernehmen sie die Rolle der ursprünglichen Ausgangs­substanz.

Die Hypothesen von Oparin und Haldane regten den amerikanischen Chemiker und Biologen Stanley Miller im Jahr 1953 zu einem be­rühmten Experiment an, bei dem er in einem teil­weise mit Wasser gefüllten Glaskolben Gasen starken elektrischen Entladungen aussetzte: Die Gase sollten die Uratmosphäre der Erde darstellen, die elektrischen Entladungen Blitze und das Wasser den Urozean. Tat­sächlich fand Miller anschließend organische Stoffe im Wasser, darunter Aminosäuren, die Bausteine der Proteine. Dieses mit organischen Stoffen angereicherte Wasser sollte eine Art „Ursuppe“ darstellen, in der das Leben entstanden ist. Leider stellte sich später heraus, dass Millers Annahme über die Uratmosphäre nicht stim­mte (0165), und mit realistischeren Annahmen wollte die Entstehung von Aminosäuren nicht gelingen. Die Annahme einer „Ursuppe“ wurde schließlich dadurch gerettet, dass organische Stoffe, darunter Amino­säuren, in großen Mengen im Weltall entdeckt wurden. Sie könnten durchaus mit dem Kometenbombardement der jungen Erde auf unseren Planeten gelangt sein – dies hätte demnach nicht nur Wasser, sondern auch die für das Leben notwendigen organischen Baustoffe auf die Erde gebracht. Das eigentliche Problem der „Ursuppe“ ist ein ganz anderes: In dem starken Gezeiten ausgesetzten und daher aufgewühlten Urozean hätten sich kaum irgendwo derartige Konzentrationen an organischen Stoffen ansammeln können, um bedeutungsvolle chemische Reaktionen in Gang zu setzen. Miller glaubte daher später, dass das Leben in periodisch austrocknenden Tümpeln entstanden sein könnte, in denen organische Substanzen konzentriert wurden. Aber auch hier blieben noch Fragen offen: Welche Energiequelle hätte die Bildung hoch geordneter, komplexer Systeme antrei­ben können? Die Energieversorgung des heutigen Lebens beruht, wie wir oben gesehen haben, auf der Freisetzung von Wasserstoff; die Selbstherstellung und Selbsterhaltung komplexer Systeme entgegen der Tendenz zur Zunahme der Entropie hat zumindest solange eine ständige externe Versorgung mit Energie erfordert, bis das Leben zu einer aktiven Energie­versorgung (Stoffwechsel) in der Lage war. Bisher konnte aber niemand plausibel erklären, wie dies in der energiearmen Ursuppe geschehen sein könnte.

Die Hypothese von der hydrothermalen Lebensentstehung

Daher beflügelte eine Entdeckung aus dem Jahr 1977 sofort die Phantasie der Forscher, die nach den Ursprüngen des Lebens suchten: In jenem Jahr wurden erstmals die Tiefsee­quellen untersucht, die wenige Jahre zuvor vor den Galapagos-Inseln entdeckt worden waren. Es war eine bizarre Welt: Aus den Quellen stieg stark saures Wasser mit großen Mengen dunkler Metall-Schwefelverbindungen auf (daher werden sie auch „Schwarze Raucher“ genannt); vor allem aber fand sich dort, obwohl kein Sonnenlicht mehr in diese Tiefen reicht, wimmelndes Leben. Als Schlüssel stellten sich Bakterien heraus, die vom Schwefelwasserstoff lebten, der aus den Quellen austritt. Von diesen Bakterien lebten wiederum alle anderen Lebewesen. Hier war nun eine Energie- und Wasserstoffquelle gefunden, die es auch in der Frühzeit der Erdgeschichte gegeben hat. Allerdings: Die heute vom Schwefelwasserstoff lebenden Bakterien brauchen Sauerstoff, und den gab es in der Erdfrühzeit im Meereswasser nicht. Der heutige, komplexe Stoffwechsel ist aber auch kaum in einem Schritt entstanden; frühe Lebensformen haben vermutlich ohnehin Energie ganz anders genutzt. Eine Hypothese hierfür entwickelte beispielsweise der Münchener Chemiker Günther Wächtershäuser: Demnach wäre die von der Reaktion des Schwefelwasserstoffs mit Eisen aus dem Meerwasser zu Eisen-Schwefel-Verbindungen wie Pyrit („Katzengold“) freigesetzte Energie die erste Energiequelle des Lebens gewesen. Wächtershäuser zeigte auch, dass diese Energie ausreicht, aus den im Quellwasser vorhandenen Stoffen organi­sche Verbindungen aufzubauen. Offen bleibt, ob diese organischen Substanzen nicht im Meerwasser zu stark verdünnt werden, oder falls sie – wie Wächtershäuser annimmt – an der Oberfläche von Pyrit gebunden sind, wie sie dort für eine weitere Reaktion zusammen­kommen konnten. Zum anderen bestehen Schwarze Raucher höchstens ein paar Jahrzehnte lang; es ist sehr zweifelhaft, ob in so kurzer Zeit hier Leben entstehen konnte.

Neben den Schwarzen Rauchern gibt es jedoch andere Arten von Hydrothermalquellen, von denen allerdings erst wenige untersucht sind: alkaline Tiefseequellen wie die im Jahr 2000 gefundene „Lost City“ im Atlantik. An diesen tritt stark basisches Wasser aus; es ist derart mineralreich, dass sich beim Austritt poröse Kalkschlote abscheiden. Solche Tiefseequellen waren schon länger fossil bekannt, und haben Forscher wie den schottischen Geochemiker Michael ("Mike") Russell beschäftigt. Die poröse Mikrostruktur der Schlote ähnelte nämlich den Zellen von Lebewesen, und es gibt auch noch andere Parallelen zwischen den Schloten und lebenden Zellen. Die Untersuchungen in der Lost City zeigten, dass im Quellwasser reichlich freier Wasserstoff enthalten ist, dieser Wasserstoff wird bei der Reaktion des in den Schloten reichlich vorhandenen Minerals Olivin mit Wasser zu Serpentinit freigesetzt, ist also geochemischen Ursprungs. Er wird von einigen der dort lebenden Archaeen (0170) direkt verwendet, um mit Kohlendioxid aus dem Meerwasser organische Molekülen zu bilden und Energie freizusetzen. Könnte dieses, so fragte sich Russell, nicht dem Stoffwechsel ursprünglicher Organismen ähneln? Wie wir oben gesehen haben, ist die Reaktion von Wasserstoff und Kohlendioxid die Grundlage allen Stoffwechsels. Diese für das Leben zentrale Reaktion ist jedoch alles andere als einfach (0175), sondern erfordert eine hohe Aktivierungsenergie. Diese wird in Lebewesen mit Hilfe von Proteinen, die als Katalysatoren fungieren, herabgesetzt, wodurch (genau das macht Katalysatoren aus) die chemische Reaktion ermöglicht wird.

Proteine sind aber Produkte des Lebens und können daher nicht der Anfangszustand gewesen sein. In der Frühzeit der Erde – damals waren alkaline Hydrothermalquellen vermutlich weit verbreitet – dürften aufgrund des eisenhaltigen Meerwassers die dünnen Trennwände zwischen den Poren Eisen-(Nickel-)Mineralien enthalten haben. Eisen, Nickel und andere Übergangsmetalle aber sind gute Katalysatoren für organische Reaktionen. Tatsächlich zeigte sich im Labor, dass Eisennickelsulfide die Reaktion zwischen Wasserstoff und Kohlendioxid katalysieren können. Angetrieben wird diese Reaktion von einem Protonengradienten (0180), der in alkalinen Hydrothermalquellen dort entsteht, wo aufsteigendes basenreiches Wasser (mit niedriger H+-Konzentration) durch dünne, halbleitende anorganische Trennwände vom sauren (und damals aufgrund der höheren Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre deutlich saurerem als heute) Meerwasser mit hoher H+-Konzentration getrennt ist. Ein Protonengradient ist aber die Grundlage für die chemiosmotische Koppelung, einem der beiden Mechanismen (0145), mit denen alle bekannten Lebewesen ihren zentralen Energiespeicher ATP erzeugen (der andere ist die "Substratkettenphosphorylierung", dabei wird eine Phosphatgruppe aus Zwischenprodukten des Abbaus organischer Verbindungen auf das ADP übertragen). Damit ähneln die chemischen Bedingungen in den Schlotbläschen denen lebender Zellen, tatsächlich könnten die Schlotbläschen zumindest theoretisch als elektrochemische Reaktoren organische Moleküle hergestellt haben.

Die Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid ist heute noch die Kohlenstoff- und Energie­quelle für zwei Gruppen von Lebewesen, die Methanogene (die zu den Archaeen gehören) und den Acetogene (die zu den Bakterien gehören); das zeigt, dass diese Reaktion alleine ausreichend ist, um Lebewesen mit Kohlenstoff und Energie zu versorgen. Beide Gruppen verwenden zur Kohlenstofffixierung den "reduktiven Acetyl-Coenzym-A-Weg", dessen Kern das reaktionsfreudige Molekül Acetyl-Coenzym-A (Acetyl-CoA) ist, das leicht mit anderen organischen Molekülen reagiert; es kann auch direkt mit Phosphat zu Acetyl­phosphat reagieren. Dieses Molekül verhält sich ähnlich wie die universelle Energie­währung ATP, es wird auch heute noch von einigen Bakterien genutzt und kann beispielsweise Dehydratisierungsreaktionen antreiben, mit denen Aminosäuren und andere Bausteine zu Ketten zusammengeführt werden. Der reduktive Acetyl-Coenzym-A-Weg gilt als der älteste Weg der Kohlenstofffixierung, vor allem, weil die anderen fünf bekannten Wege der Kohlen­stofffixierung wesentlich komplexer sind und nicht nur von der chemiosmotischen Koppelung angetrieben werden, sondern zusätzlich mit ATP versorgt werden müssen. Aber Acetyl-CoA ist bereits ein komplexes Molekül, und muss einfachere Vorläufer gehabt haben. In alkalinen hydrothermalen Schloten entstehende einfache Moleküle wie Methylthioacetat könnten dort ursprünglich die heutige Funktion von Acetyl-CoA (dessen Reaktivität auf eine "Thioester-Bindung" zurückgeht, die Methylthioacetat genauso besitzt) übernommen haben, und so Energie und organische Bausteine für die Entstehung des Lebens geliefert haben, zumal sich die organischen Bausteine bei der Abkühlung der hydrothermalen Lösung durch einen "Thermo­phorese" genannten Vorgang (beim Abkühlen nimmt die Bewegungsenergie der Moleküle ab, und zwar umso mehr, je größer diese sind, wodurch sich die größeren organischen Verbindungen anreichern) in den Mikroporen der Kalkschlote angesammelt haben dürften, was ihre weitere Reaktion miteinander begünstigt hätte. Da alkaline Hydrothermalquellen bis zu 100.000 Jahre lang bestehen können, hätte hier nun wesentlich mehr Zeit für die Entstehung des Lebens zur Verfügung gestanden als in den Schwarzen Rauchern.

Wie dies ausgesehen haben könnte, skizzierte 2015 der britische Biochemiker Nick Lane (0185): Zu den Verbindungen, die sich in den Kalkschloten bilden konnten, gehörten demnach auch Lipiddoppelschichten (diese entstehen spontan aus Fettsäuren), die als einfache organische Membranen wiederum einfache organische Protozellen mit einem, wie wir oben gesehen haben, im Prinzip ausreichenden Energie- und Kohlenstoff-Stoffwechsel bilden konnten. In den Zellmembranen könnten auch Proteine eingebettet gewesen sein, die mit Eisen-(Nickel-)Schwefel-Mineralien aus dem Meerwasser Chelatkomplexe gebildet haben, die ganz analog der Minerale in den Trennwänden als Katalysator fungiert hätten (und einen Ansatzpunkt für die Erklärung der Entstehung membrangebundener Enzyme, die oftmals metallische Co-Faktoren besitzen, darstellt – der reduktive Acetyl-Coenzym-A-Weg der Methanogene wird beispielsweise durch ein in die Membran eingebettetes Eisen-Schwefel-Protein, eine "energieumwandelnde Hydrogenase" [ECH, von engl. energy-converting hydrogenase], angetrieben), der die durch den Protonengradienten zwischen dem Zelläußeren und Zellinneren angetriebenen Reaktion beschleunigt hätte.

Allerdings sind heutige Membranen im Unterschied zu einfachen Lipiddoppelschichten fast undurchlässig für Protonen, der Protonengradient wird aktiv – durch "Protonenpumpen" (Proteine, die in der Membran sitzen und Protonen aktiv gegen den Gradienten trans­portieren) – hergestellt. Das muss auch so sein, wenn das Leben auch an Orten stattfinden soll, wo es keinen natürlichen Protonengradienten gibt. Aber warum sollten Protozellen Zellmembranen ausbilden, die für Protonen undurchlässig sind, wenn sie sich damit von ihrem energetischen Antrieb, dem natürlichen Protonengradienten, abschneiden? Und wie sollten Protonenpumpen entstanden sein, die in einer durchlässigen Membran keinerlei Vorteil bieten (die mit Energieaufwand gepumpten Protonen könnten ja durch die Membran jederzeit wieder zurückströmen)? Bill Martin und Nick Lane sahen hierfür einen möglichen Weg: Viele Membranproteine wie die ATP-Synthase (dem Enzym, das die Herstellung der "Energiewährung" ATP katalysiert) werden nicht nur durch einen Protonenfluss, sondern auch durch einen Fluss des sehr ähnlichen Natriumions (Na+) angetrieben. Viele Zellen, so auch die Methanogene, verfügen zudem über sogenannte Antiporter, die nach Art einer Drehtür ein geladenes Ion durch ein anderes, etwa H+ durch Na+, ersetzen). Solche Antiporter lassen einen zusätzlichen Na+-Gradienten entstehen, und da der auch Enzyme antreiben kann, steht der Zelle damit mehr Energie zur Verfügung. Solche Zellen können auch bei einem weniger ausgeprägten Protonengradienten "überleben" und hätten daher größere Bereiche im Hydrothermalschlot besiedeln können. Vor allem aber lohnt es sich für Zellen mit einem Natrium-Protonen-Antiporter, Protonenpumpen zu entwickeln: Da Membra­nen um einige Größenordnungen weniger durchlässig für Na+ sind als für Protonen, kann das gepumpte Natriumion weniger leicht zurückströmen; es sollte daher bevorzugt durch die Membranproteine wieder in die Zelle strömen, wo der Einstrom chemische Reaktionen antreibt. Damit stehen mehr Ionen als Antrieb für den Energie- und Kohlenstoff-Stoff­wechsel zur Verfügung; netto bedeutet dies einen Energiegewinn von etwa 60 Prozent.

Dieser Vorteil wird noch vergrößert, wenn die Membran weniger durchlässig wird – dann fließen mehr Protonen durch den Antiporter, was den Ionengradienten weiter erhöht. Mit anderen Worten: Protonenpumpen führen zu einem Selektionsdruck für undurchlässige Membranen. Protonenpumpen und undurchlässige Membranen würden aber die Zelle unabhängig von natürlichen Protonengradienten machen, wenn sie eine andere Energie­quelle findet, die die Protonenpumpen antreibt. Diese Energiequelle dürfte die Atmung gewesen sein, bei der z.B. Nitrate oder Sulfate als Elektronenspender genutzt wurden, um anorganische Substanzen oder Gase zu oxidieren. Damit kann die Protozelle auch jenseits der Hydrothermalschlote überleben und sich im freien Meerwasser ausbreiten... Dieses Szenario ist bisher weitgehend Spekulation, aber immerhin eine, die die Biochemie ursprüng­licher Lebewesen wie der Methanogene von plausiblen geochemischen Vorgängen in alkalinen Hydrothermalquellen der Erdfrühzeit ableitet und sich prinzipiell im Labor überprüfen lässt. Für Nick Lane, einem der Verfechter dieser Hypothese (0185), könnte dieser Ansatz auch die fundamentalen Unterschiede zwischen Archaeen und Bakterien erklären, die Protonen­pumpen und undurchlässige Membranen unabhängig voneinander entwickelt hätten: Einige Acetogene hätten die ECH, die bei Methanogenen den reduktiven Acetyl-Coenzym-A-Weg antreibt, "umgedreht" (die meisten Enzyme sind reversibel, können also auch umgekehrt funktionieren) und, anstatt einströmende Protonen zu nutzen, Protonen nach außen ge­pumpt. (Für die ursprüngliche Funktion des ECH musste dann natürlich eine neue Lösung gefunden werden, was dazu führte, dass die Acetogene kein Methan, sondern Essigsäure produzieren.) Die Methanogene hätten dagegen die ECH als Enzym beibehalten, und aus einer kleinen Veränderung in einem Antiporter eine Protonenpumpe entwickelt. Alle anderen Unterschiede im Kohlenstoff-Stoffwechsel dieser beiden Gruppen leiten sich von diesem Unterschied ab; und da die Entwicklung einer undurchlässigen Zellmembran aus der mut­maß­lich ursprünglichen Lipiddoppelschicht erst auf die Protonenpumpe folgte, dürfte auch diese unabhängig voneinander erfolgt sein, wodurch die Unterschiede in der Zellmembran verständlich werden (und auch die von in der Zellmembran eingebetteten Membranproteine, die sich an die Veränderungen der Zellmembran anpassten: so kommt die ATP-Synthase in Archaeen und Bakterien vor, unterscheidet sich aber in den beiden Gruppen. Vermutlich gab es sie also bereits beim "ursprünglichen gemeinsamen Vorfahren" (LUCA, von engl. last universal common ancestor), hat sich in Anpassung an die verschiedenen Membranen aber in zwei verschiedene Richtungen verändert).

Vor dieser Entwicklung war aber ein anderer Schritt nötig: In den Hydrothermalquellen hatte es ein ständiger Energiefluss ermöglicht, Strukturen aufrechterhalten. Außerhalb der Hydrothermalquellen war hierfür ein Informationsträger notwendig. Bevor wir uns mit diesem, der DNS, beschäftigen, halten wir aber erst einmal fest: Wenn Russell, Martin und Lane recht haben, wäre das Leben am Anfang nicht viel mehr gewesen als ein Weg der Natur, die hohe Aktivierungsenergie der Reaktion zwischen Wasserstoff und Kohlendioxid aufzubringen.

Wie entstand die DNS?

Die Frage nach der Entstehung des Informationssystems, also der DNS, stand lange vor einem Henne-und-Ei-Problem: DNS ist sehr stabil, ihre Teilung bei der Vermehrung ist nur mit Hilfe eines Enzyms möglich. Dieses Enzym ist ein Protein, das aber erst mit Hilfe von DNS hergestellt wird. Was also war zuerst da, und wie ist es in die Welt gekommen? Einen Lösungsansatz bot die Entdeckung, dass die RNS, deren Rolle bei der Herstellung von Proteinen wir >> oben schon gesehen haben, sowohl als Informationsträger als auch als Enzym wirksam ist. Daraus entstand die Vorstellung, dass der heutigen DNS-Protein-Welt eine „RNS-Welt“ vorausgegangen sein könnte; der Begriff wurde 1986 von dem amerika­nischen Biochemiker Walter Gilbert geprägt.

Die RNS wäre nach dieser Vorstellung später von der chemisch eng verwandten DNS als Informationsträger und von den als Katalysatoren wirksameren Proteinen als Enzym abge­löst worden. Es gibt viele plausible Überlegungen, wie dies geschehen sein könnte. So könnten bereits RNS-Schnipsel aus nur zwei Basenpaaren die Herstellung von Aminosäuren katalysiert haben, die heutigen drei-Buchstaben-Wörter der DNS wären dann eine Ableitung aus diesen ursprünglichen RNS-zwei-Buchstaben-Wörtern; die RNS-Schnipsel die Vorläufer der t-RNS. Wo aber kam die RNS her? RNS ist wie DNS ein Polymer, besteht also aus anein­an­der­gereihten Bausteinen, die aus einer Phosphatgruppe, einem Zucker und einer Base bestehen und die Nukleotid heißen. Eines dieser Nukleotide, das mit der Base „A“, ist nichts anderes als das Energieüberträgermolekül ADP, das eine weitere Phosphatgruppe verloren hat (also Adenosinmonophosphat, AMP, heißt)! Auf einmal sind Energiestoffwechsel und Informationsträger gar nicht mehr soweit getrennt… 2009 konnte im Labor gezeigt werden, dass mindestens zwei der vier Nukleotide der RNS unter den geochemischen Bedingungen der Erdfrühzeit entstehen konnten (0190). Nukleotide bilden aber spontan längere RNS-Ketten, wenn ihre Konzentration hoch genug ist. Und hier kommen nun wieder die porösen Hydrothermalquellen ins Spiel: Hier wären die Konzentrationen von Nukleotiden hoch genug gewesen, um RNS-Ketten entstehen zu lassen; und hier könnten aus RNS und den mit ihrer Hilfe entstandenen Aminosäuren Proteine entstanden sein, die gemeinsam mit der RNS stabile Systeme ergaben, die der natürlichen Selektion ausgesetzt wären und sich daher immer weiterentwickelt hätten – so etwa ein Bild, das Russell und Martin im Jahr 2003 entwarfen. Dabei könnte auch ein Enzym entstanden sein, das die Bildung von DNS aus RNS ermöglicht. So ein Enzym gibt es heute noch in bestimmten Viren, es heißt „reverse Transkriptase“.

Auch wenn vieles an diesen Ideen noch reine Spekulation ist und viele Laborexperimente, die zu ihrer Bestätigung (oder Widerlegung) nötig sind, noch ausstehen: Ganz unmöglich erscheint es jedenfalls nicht, denkbare Mechanismen der Entstehung des Lebens – also den Übergang von geochemischen auf biochemische Prozesse – auf der Erde aufzuklären.

Oder kam das Leben aus dem Weltall?

Selbst die einst belächelte Alternative, dass organische Verbindungen oder gar die ersten Lebewesen aus dem Weltall auf die Erde gekommen seien, gilt heute nicht mehr als ausgeschlossen: Wie oben beschrieben, sind organische Verbindungen im Weltall häufig, und im Wassereis von Kometen könnten nicht nur diese transportiert werden, sondern selbst Sporen wohl überleben. Diese Vermutung soll mit der „Rosetta“-Mission der europä­ischen Raumfahrtbehörde ESA überprüft werden, die im Jahr 2014 einen Kometen erreichen und untersuchen soll. Das Rätsel von der Entstehung des Lebens wird durch diese Hypo­these allerdings nicht gelöst, sondern nur außerhalb der Erde angesiedelt.

Leben auf der Erde

Wie auch immer es entstanden oder auf die Erde gelangt ist, eins ist sicher: Seit mindes­tens 3,3 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Als komplexe Moleküle, die Stoffe und Energie aus ihrer Umgebung zu ihrer eigenen Selbsterhaltung nutzen konnten, und Moleküle, die Informationen speichern konnten, zusammenkamen, konnten Informationen über Struk­turen gespeichert werden und waren zudem der biologischen Evolution ausgesetzt. Lange Zeit hätte man das Leben auf der Erde wohl kaum bemerkt – es bestand aus Mikroben, die natürliche Vorgänge beschleunigten und die dabei freigewordene Energie für ihr eigenes Fortbestehen und ihre Vermehrung nutzten. Gelegentlich geschahen aber Fehler beim Ko­pie­ren der vererblichen Informationen. Die meisten davon schadeten ihren Trägern, aber einige brachten auch Vorteile mit sich und führten dazu, dass die Mikroben immer wirkungs­voller wurden. Die Evolution sollte ungeahnte Neuerungen schaffen sollte – und dazu führen, dass das Leben die Erde mehrfach tiefgreifend verändert hat. Aber das ist ein anderes Kapitel (und Thema der folgenden Seiten. Los geht es mit: Die Entfaltung des Lebens auf der Erde).

Webtipp:

Glasgow Origin of Life Website, Webseite des schottischen Geochemikers Mike Russell zur Theorie der Entstehung des Lebens durch Nutzung chemischer Energie am Meeres­boden.

Auf dem Weg zum künstlichen Leben

Am 20. Mai 2010 veröffentlichte die Wissenschaftszeitschrift Science einen Beitrag von Craig Venter, Hamilton Smith und Kollegen (0195), die erstmals erfolgreich die DNS eines Lebewesens durch eine vollständig künstliche DNS ersetzten; und das Lebewesen ver­mehrte sich anschließend weiter, lebte also. Auch wenn dieses Experiment nicht die Ursprünge des Lebens aufklärt – Venter und Kollegen nutzen ja den biochemischen Apparat einer bestehenden Zelle – wird damit zum einen deutlich, dass Leben ganz wesentlich von Informationen abhängt, zum anderen wird damit die Tür zur Erzeugung künstlichen Lebens ganz weit aufgestoßen. Manchen macht diese Perspektive Angst: Abgesehen von der Frage, ob wir wirklich genug über das Leben wissen, um tatsächlich die schon propagierten nützlichen Lebewesen wie hocheffiziente Algen, die Kohlendioxid aus den Abgasen der Kraftwerke in Biotreibstoff umwandeln, herzustellen, bleibt vor allem die Frage, wer uns etwa davor schützt, dass die Hacker, die heute bösartige Computer­viren programmieren, Terroristen oder feindliche Staaten in Zukunft bösartige “echte” Krankheitserreger bauen, die sich im Gegensatz zu anderen Waffen auch noch selber vermehren? Niemand, geben auch diejenigen zu, die die Technik nutzen wollen. Ihr Argument: Das Wissen lässt sich ohnehin nicht wieder aus der Welt schaffen, es sollte möglichst öffentlich gemacht werden (etwa nach Art der “open source”-Software), damit den möglichen bösartigen Nutzern möglichst viele Experten entgegenstehen, die solche Angriffe schnell abwehren können.

Diese Seite in aller Kürze ...

Alle Vorgänge in den Zellen von Lebewesen folgen physikalischen und chemischen Gesetzen; nach allem, was wir heute wissen, ist das Leben Chemie. Lebewesen als sich dauerhaft selbsterhaltende Systeme sind aufgrund des zweiten Haupt­satzes der Thermo­dynamik auf eine dauerhafte Zufuhr von Energie angewiesen – und fähig, sich selbst aktiv mit Energie zu versorgen. Wir wissen nicht, wie (und wo) das Leben entstanden ist. Über­legungen gehen dahin, dass Protonengradienten in alkalinen hydrothermalen Tiefsee­quel­len am Anfang stehen könnten; diese und dort vorkommende Eisen-(Nickel-)Schwefel-Mineralien hätten demnach die Entstehung organischer Moleküle angetrieben bzw. kata­lysiert, die sich dort angereichert und schließlich erste Protozellen mit einer Fettsäure­membran und Enzymen gebildet hätten. Ribonukleinsäuren, die eben­falls als Katalysatoren wirken, könnten als "Erbmolekül" die so entstandenen Strukturen festgehalten und der biologischen Evolution ausgesetzt haben. Mit der Erfindung von Protonenpumpen und undurchlässigen Membranen könnten die Protozellen sich von dem natürlichen Protonen­gradienten unabhängig gemacht und den freien Ozean besiedeln haben. Wenn dieses auch nur (plausible) Spekulationen sind, sicher ist: Seit über drei Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde.

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Die Entfaltung des Lebens

© Jürgen Paeger 2006 – 2021

Aufbau der DNA (vereinfacht)

Aufbau der DNS: Die „Doppelhelix“ genannte Struktur ähnelt einer verdrehten Leiter. Die „Holme“ der Leiter bestehen aus Zucker und Phosphatgruppen, die „Sprossen“ werden von den Basen gebildet. Dadurch, dass die Basenpaare im Inneren der Helix liegen, sind sie gut geschützt und sehr stabil: Forscher können manchmal auch die DNA-Sequenz von Lebewesen, die vor fast einer Million Jahre gestorben sind, noch auslesen. >> Quelle der Abbildung

Für die Entstehung des Lebens an mineralischen Oberflächen spricht auch die Chiralität vieler Naturstoffe: Es gibt oft zwei Varianten, die wie die linke und die rechte Hand spiegel-bildlich aufgebaut sind (der Begriff Chiralität stammt von griech. cheir, Hand). Diese Chiralität ist wichtig, Zellen nutzen fast nur "linkshändische" Amino­säuren und "rechts­händische" Zucker. An mineralischen Ober­flächen werden beide Varianten getrennt angelagert, und die chemische Evolution kann zwischen beiden unterscheiden; in Flüssigkeiten ist dies nicht möglich.