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Das Leben

Die Entfaltung des Lebens auf der Erde – 2

Der Weg zum vielzelligen Organismus

Die Eukaryoten entstehen

Eukaryoten kommt von griech. eu, “echt” und karyotos, “nussartig”, “Kern” – gemeint ist der Zellkern, der alle Eukaryoten von den Bakterien und Archaeen unterscheidet, die auch als Prokaryoten bezeichnet werden (Pro- von griech. pro, “vor”, also Organismen “vor dem Zellkern”). In diesem Zellkern der Eukaryoten, der durch eine Membran vom übrigen Zellinhalt abgegrenzt ist, befindet sich die DNS. Eukaryoten sind viel größer als Prokaryoten – im Durchschnitt 10.000 bis 15.000 Mal; in ihrem Zellkern befindet sich bis 1.000 Mal mehr DNS. Diese liegt auch nicht wie bei den Bakterien als einfacher Ring vor, sondern ist mit Proteinen zu Chromosomen verpackt (>> mehr). Daneben gibt es aber noch weitere Unterschiede: Typisch für Eukaryoten sind auch die Organellen, die ähnlich den Organen im Körper spezielle Aufgaben in der Zelle übernehmen. Dazu gehören etwa die Mitochondrien, die “Kraftwerke der Zellen”, in denen die universelle Energiewährung ATP hergestellt wird, oder die Chloroplasten der Pflanzen, in denen die Photosynthese stattfindet. Auch in ihrem Verhalten unterscheiden sie sich: Eukaryotenzellen können beispielsweise andere Zellen “fressen” – diese Fähigkeit heißt Phagocytose; diese Fähigkeit ist etwa in den Zellen unseres Immunsystem anzutreffen.

Zeichnung einer Eukaryotenzelle (Pflanzenzelle)

Eukaryoten- (hier: Pflanzen-)Zelle: Die DNS ist weitgehend im Zellkern eingeschlossen; die Zelle besitzt mehrere Organellen wie Mitochondrien und (bei Pflanzen) Plastiden wie die Chloroplasten. Siehe Text. Abbildung von Mariana Ruiz Villarreal, aus wikipedia commons, >> Abb. Pflanzenzelle (abgerufen 23.7.2008), Public Domain

Prokaryoten und Eukaryoten unterscheiden sich also deutlich, und Zwischenstufen gibt es nicht. Wenn irgendwo in der Evolution von “missing links” (fehlenden Verbindungen) gesprochen werden kann, dann hier. Auch genetische Untersuchungen, etwa mit molekularen Uhren, haben zunächst fragwürdige Ergebnisse ergeben: Demnach wären die Eukaryoten 5 Milliarden Jahre alt – älter also als die Erde. Wenn wir nicht annehmen wollen, dass sie aus dem Weltall auf die Erde gekommen sind (was kaum jemand ernsthaft tut), kann die molekulare Uhr nicht stimmen – dies wäre damit zu erklären, dass es Zeiten in der Vergangenheit gab, in der die Evolution schneller verlaufen wäre. Genauere Untersuchungen der Gene haben dann auch noch ergeben, dass die Eukaryoten-DNS sowohl Gene enthält, die für Bakterien, als auch solche, die für Archaeen charakteristisch sind. Genetisch sind Eukaryoten Mischwesen; sie sind vermutlich nicht durch Darwinsche Evolution, sondern durch eine Art große Genfusion entstanden.

Dass so etwas grundsätzlich möglich ist, zeigt ein Blick auf den Bakterien-Sex: Bakterien vermehren sich durch Teilung, können aber auch mit Hilfe sogenannter “Sexpili” DNS auf andere Bakterien übertragen – und zwar über Artgrenzen hinweg (Biologen sprechen vom horizontalen Gentransfer – im Unterschied zum vertikalen Gentransfer, bei dem Gene von Eltern auf die Nachkommen übertragen werden). Diese Fähigkeit haben, wie die Ergebnisse genetischer Untersuchungen nahelegen, offenbar bereits die frühen Prokaryoten gehabt, und sogar in wesentlich größerem Umfang als heute. Vermutlich nahm die Bedeutung im Laufe der Zeit ab, als die Erbanlagen immer “perfekter” wurden – zufällige Genübertragung hat dann mit größerer Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen. Zur Zeit der Entstehung der Eukaryoten galt das offenbar noch nicht, damals muss es sogar zu Fusionen des kompletten Erbguts von Lebewesen gekommen sein. Dies zeigt die Entstehung der Organellen. Nach der Endosymbiontentheorie, die im Jahr 1967 von der amerikanischen Biologin Lynn Margulis vorgestellt (22) wurde, wären beispielsweise die Mitochondrien einst eigenständige Bakterien gewesen. Diese Bakterien könnten beispielsweise in der Lage gewesen sein, Sauerstoff zu nutzen, und hätte ihren Energieüberschuss im Austausch gegen andere Stoffe einem anderen Organismus zur Verfügung gestellt. Solche “symbiotischen” Beziehungen sind bei Prokaryoten nicht selten, sondern eher die Regel. Schließlich wäre in diesem Fall das Zusammenleben so eng geworden, dass schließlich eine Zelle in die andere aufgenommen wurde – dadurch wurde die Kontaktfläche zum Austausch größer.

Zeichnerische Darstellung der Endosymbiontentheorie

Die Entstehung der Eukaryoten nach der Endosymbiontentheorie: Ein Bakterium, dass Sauerstoff nutzen kann (blau), wird von einem anderen Bakterium aufgenommen, aber nicht verdaut, so dass es sich weiter vermehren kann. Im Laufe der Zeit verliert es einen Teil seines Erbguts und die Fähigkeit selbstständig zu überleben. Es wird zu einem Teil der späteren Eukaryotenzelle, dem Mitochondrium. (Anmerkung: Zur Zeit der Entwicklung der Endosymbiontentheorie war der Unterschied zwischen Archaeen und Bakterien noch nicht bekannt. Heute geht man davon aus, dass es ein Archaeon war, das ein Bakterium aufgenommen hat.) Zur Entstehung der Membran, die den Zellkern mit der DNS umgibt, gibt es verschiedene Hypothesen. Eine davon lautet, dass diese entstanden ist, da so der Transport von m-RNS zur den Ribosomen, an denen die Proteinbiosynthese stattfindet, kontrolliert werden kann. Siehe Erläuterungen im Text.

Diese Endosymbiose führte dazu, dass den Zellen wesentlich mehr Energie zur Verfügung stand als zuvor: Die Energiegewinnung bei Archaeen und Bakterien ist ja, wie wir gesehen haben, auf einen Protonengradienten über die Zellmembran angewiesen. Das Größenwachstum ist damit aus geometrischen Gründen beschränkt: die Oberfläche wächst bei einem kugelförmigen Prokaryoten im Quadrat des Radius, das Volumen aber im Kubik. Das heißt, je größer die Zelle wird, desto kleiner wird die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen. Die Oberfläche ist aber die energieproduzierende Zellmembran; eine größer werdende Zelle wird also je Volumeneinheit schlechter mit Energie versorgt. Das dürfte der Grund sein, warum die Archaeen und Bakterien zwar eine sehr große biochemische Vielfalt entwickelt haben, aber im Laufe der gesamten Erdgeschichte immer klein geblieben sind. Mit der Endosymbiose und der Entwicklung der Mitochondrien war diese energetische Beschränkung aber aufgehoben, denn jetzt fand die Energiegewinnung an den Mitochondrienmembranen statt; und eine größer werdende Zelle könnte einfach ein größere Anzahl von Mitochondrien ausbilden, so dass die Energieproduktion pro Volumeneinheit gleich blieb oder sogar ansteigen konnte (23): die strukturelle Beschränkung des möglichen Zellwachstums wurde aufgehoben, die Zellen konnten größer werden.

Endosymbiontentheorie und die Entstehung eukaryotischer Pflanzen

Die Entstehung der Chloroplasten nach der Endosymbiontentheorie II:
Eine eukaryotische Zelle nimmt ein Cyanobakterium auf; aus diesem wird
der Chloroplast einer einzelligen Alge, aus der die höheren Pflanzen
hervorgehen sollten. Eigene Abbildungen.

Eine ähnliche Symbiose sollte später zwischen Cyanobakterien, die zur Fotosynthese fähig waren, und einem Eukaryoten entstehen; aus den Cyanobakterien wurden so die Plastiden einer Alge. Diese Symbiosen brachten offenbar beiden Partnern so viel Nutzen, dass sie im Laufe der Zeit ihre Fähigkeiten, ohne den Partner zu überleben, verloren und miteinander “verschmolzen”. Aber noch heute besitzen Mitochondrien und Plastiden eigenes genetisches Material und teilen sich selbstständig; der Nachweis der Ähnlichkeit ihres Erbmaterials mit ihren mutmaßlichen Bakterienvorgängern (bei den Mitochondrien mit Alpha-Proteobakterien, bei Chloroplasten mit Cyanobakterien) verhalf der Endosymbiontentheorie zum Durchbruch – zumindest was Mitochondrien und Plastiden angeht. (Ähnlich entstanden später auch andere biologische Strukturen: Im Darm australischer Termiten lebt ein Einzeller, der diesen bei der Verdauung von Zellulose hilft. Seine Oberfläche ist mit “Haaren” bedeckt – die gar keine Haare, sondern fadenförmige Bakterien (Spirochäten), die koordiniert schlagen.) Die “Wirtszelle” war nach Ansicht der meisten Forscher ein Archaeon (wie die Archaeen im Singular heißen), was das genetische Mischwesen der heutigen Eukaryoten erklären würde. Wie aber könnte der namengebende Zellkern entstanden sein?

Lynn Margulis ging davon aus, dass auch der Zellkern die Folge eines Verschmelzens verschiedener Bakterien ist: Archaeen verschmolzen mit schwimmenden Bakterien ähnlich den heutigen Spirochaeten, die dort einige heute in Eukaryotenzellen zu findende Strukturen bildeten. Andere Wissenschaftler glauben, dass das Erbmaterial aus symbiotischen Partnerzellen beim Übergang in das der Wirtszelle derart negative Wirkungen hatte, dass im Verlauf der Evolution ein schützender Zellkern gebildet wurde. Dann stellt sich aber die Frage, warum die Bakterien sich nicht ebenfalls vor horizontalem Gentransfer schützen? Eine interessante alternative Erklärung schlugen Bill Martin und Eugene Koonin, von denen wir oben bereits eine Theorie zur Entstehung von Bakterien und Archaeen gesehen haben, vor (24): Eukaryoten besitzen in ihren Genen nichtcodierende DNS-Abschnitte, "echte" Introns. Bei Prokaryoten gibt es diese nicht, wohl aber die vermutlichen Vorgänger, "mobile" Introns (diese kommen nicht in Genen, sondern in anderen Bereichen der DNS vor, zerteilen daher keine Gene und sind damit keine "echten" Introns). Diese mobilen Introns sind einfach mobile, "egoistische" Stückchen von DNS: sie codieren Proteine wie die reverse Transkriptase, die aus RNS wieder DNS herstellt, die sich selbst wieder in die DNS der Wirtszelle einbaut. (Prokaryoten können offenbar eine gewisse Menge solcher DNS tolerieren, so dass es typischerweise etwa 30 mobile Introns in einem Bakteriengenom gibt.) Bei der Endosymbiose seien nun, so Martin und Koonin, vermutlich solche mobilen Introns aus den eingewanderten Bakterien in die Wirtszelle freigesetzt worden und hätten sich an der Entstehung des Eukaryoten-Genoms beteiligt. So wären die zerstückelten Eukaryoten-Genome erklärbar. Die von Introns sequenzierten Sequenzen müssen vor der Proteinbiosynthese entfernt werden, um keine Ressourcen an die Herstellung nicht funktionsfähiger Proteine zu verschwenden. Dieses “Herausschneiden” erfolgt durch "Spleißsomen" (die sich vermutlich aus den bakteriellen RNS-Scheren, mit denen sich die mobilen Introns aus der RNS herausschneiden, entwickelt haben); dieser Vorgang jedoch langsamer als die Proteinbiosynthese. Die Zellmembran wäre nach der Hypothese von Martin und Koonin der Weg, mit dem die Eukaryoten-Zelle den Transport der m-RNS mit den Introns von der DNS (im Zellkern) zu den Ribosomen außerhalb des Zellkerns (wo die Proteinbiosynthese stattfindet) zu kontrollieren und sicherzustellen, dass nur “reife”, gespleißte m-RNS ohne Introns zur Herstellung von Proteinen verwendet wird. Die Kernmembran ähnelt einer bakteriellen Membran; vermutlich wurden die Gene für die bakterielle Lipidherstellung für ihre Herstellung genutzt. Die übrigen Membranstrukturen wie die "Kernporen", die die Durchlässigkeit der Membran gewährleisten, werden sowohl von Bakterien- als auch Archaeengenen codiert, was dafür spricht, dass die Kernmembran sich erst nach der Endosymbiose ausgebildet hat.

Ring des Lebens: Die Abstammung von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten

Der “Ring des Lebens”: Aufgrund von horizontalem Gentransfer
und Genomfusionen lässt sich für die Entstehung der Eukaryoten
kein “Stammbaum” zeichnen, besser lässt sich die Entfaltung
des Lebens mit einem Ring darstellen: Bakterien und Archaeen
sind aus einem gemeinsamen Vorfahren entstanden, danach
sind die Genome bei der Entstehung der Eukaryoten teilweise
wieder vermischt worden. Eigene Abbildung nach >> Nick Lane,
Life Ascending, figure 4.4.

Die Endosymbiontentheorie bedeutet, dass alle heutigen Lebewesen die beiden wichtigsten biochemischen Vorgänge – die Fotosynthese zum Aufbau organischer Substanz aus Sonnenlicht und die langsame Verbrennung von Sauerstoff zur Gewinnung von Energie aus dieser organischen Substanz – gewissermaßen in ihnen lebenden Bakterienkolonien verdanken. Unser Stoffwechsel beruht in wesentlichen Bestandteilen auf chemischen Verfahren, die bereits bei Bakterien und Archaeen anzutreffen sind. (Im Detail ist die Geschichte manchmal sogar noch komplizierter: Bei manchen Pflanzen besitzen die Chloroplasten eine doppelte Membran – sie gehen möglicherweise auf eine Symbiose mit eingewanderten Algen zurück, die ihrerseits durch die Aufnahme von zur Fotosynthese fähigen Cyanobakterien in eine Archaeenzelle entstanden sind, also auf eine doppelte Einwanderungsgeschichte.)

Wie der Sex auf die Welt kam

Prokaryoten-Sex besteht, wie wir oben gesehen haben, aus horizontalem Gentransfer; alle Eukaryoten treiben “echten” Sex: Dieser besteht darin, dass spezialisierte Fortpflanzungszellen, die Keimzellen – beim Menschen große, unbewegliche Eizellen und kleine, bewegliche Spermien –, miteinander verschmelzen und den Tochterorganismus bilden. Zur Bildung der Keimzellen wird das Erbgut der Elternzelle zunächst halbiert, so dass jede Keimzelle nur die Hälfte es elterlichen Erbguts enthält (25). Bei der Verschmelzung entsteht wieder ein komplettes Erbgut, das je zur Hälfte aus den beiden Keimzellen stammt. Da echter Sex bei allen Eukaryoten vorkommt (die wenigen Ausnahmen, die ohne Sex überleben können (26), haben diesen Weg später entwickelt), kann man vermuten, dass der Sex sich sehr schnell entwickelt hat und bereits existierte, als die großen Linien der Eukaryoten, die etwa zu Algen, Pflanzen, Pilzen und Tieren führen, sich getrennt haben. Dafür sprechen auch andere Gemeinsamkeiten aller Eukaryoten, die nicht auf Archaeen oder Bakterien zurückgehen, wie das dynamische innere Zellskelett, innere Membranen und der Zellkern. Die einfachste Erklärung hierfür ist Sex: die ersten Eukaryoten haben sich untereinander gekreuzt; alle Eukaryoten gingen also auf eine kleine, sich miteinander fortpflanzende "Urpopulation" zurück, die genau diese gemeinsamen Merkmale entwickelt hat.

Warum aber ist der Sex entstanden? Die Biologen haben diese Frage lange diskutiert, denn Sex hat einige auf den ersten Blick erkennbare Nachteile. Dazu gehört etwa der hohe Aufwand, der mitunter zur Partnersuche getrieben werden muss, oder dieser: Da zur Entstehung eines neuen Organismus zwei Keimzellen verschmelzen müssen, wird die Zahl der Tochterzellen im Vergleich zur einfachen Zellteilung halbiert. Diesem Nachteil muss ein noch größerer Vorteil gegenüberstehen, sonst hätte sich der Sex in der Evolution nicht durchgesetzt. Er hat vermutlich mit der DNS zu tun, die in Eukaryoten in Chromosomen organisiert ist. Bei der Entstehung der Keimzellen und der späteren Verschmelzung zum Tochterorganismus, werden Teilstücke der Chromosomen gegeneinander ausgetauscht. Biologen nennen diesen Vorgang “Rekombination”; dabei werden die Erbanlagen der jeweiligen Elternzellen miteinander gemischt. Diese Rekombination, so vermutete der Freiburger Zoologe August Weismann schon 1904, erhöhte die genetische Vielfalt, auf die die natürliche Selektion wirken kann. Damit würden “gute” Genkombinationen auf den Chromosomen langfristig zunehmen, “schlechte” aus dem Genbestand eliminiert. Später kamen von anderen Forschern weitere Überlegungen dazu: Die Durchmischung des Erbguts dürfte auch ein wirksamer Schutz vor Parasiten aller Art zu sein, die bei der ansonsten herrschenden genetischen Monokultur ein leichtes Spiel hätten. (Im reichen Westen vergessen wir dies ja gerne: Auf der Welt sterben viel mehr Menschen an Parasiten als etwa an Raubtieren.) Diese Erklärungen ist nach wie vor anerkannt, allerdings stellte sich ein theoretisches Problem: die langfristige Zunahme der “guten” Erbanlagen mag gut für die Art sein, aber die Evolution wirkt ja immer auf Individuen. Welchen Vorteil aber hat ein Individuum von der Rekombination? Auch hier liegt die Antwort bei den Chromosomen. Ohne Rekombination könnte die natürliche Auslese immer nur ganze Chromosomen betreffen: Gäbe es auf einem Chromosom eine Mutation, die ein Gen derart vorteilhaft machen würde, dass dieses Chromosom alle anderen Varianten verdrängen würde, ginge die genetische Vielfalt der Art zurück, da alle anderen Gene auf den anderen Varianten des Chromosoms ebenfalls verdrängt würden. Die Rekombination hilft also der Evolution, einzelne Gene zu "erkennen", indem sie starre Genkombinationen aufbricht. “Gute” Gene können durch Rekombination von einem “schlechten” Chromosom gerettet werden. Von diesem Mechanismus, so konnten Populationsgenetiker zeigen (27), profitieren auch die Individuen. Der Biochemiker Nick Lane (135) vermutet, dass die Rekombination besonders bei großen Genomen und hoher Mutationsrate überlegen ist. Durch die Introns aus den eingewanderten späteren Mitochondrien ist das Genom der Wirtszelle aber gewachsen; und ihr Einbau bedeutete eine höhere Mutationsrate – das Genom war genau den Faktoren ausgesetzt, bei denen die Rekombination besser war; die Endosymbiose könnte als auch der Auslöser dafür gewesen sein, dass sich der Sex entwickelt hat.

Die zweite Frage im Zusammenhang mit der Sexualität ist die, warum es zwei Geschlechter gibt. Die Vorteile der Sexualität wären auch mit einem Geschlecht zu haben (es müsste nur die Selbstbefruchtung verhindert werden), und die Anzahl möglicher Sexualpartner würde sich verdoppeln. Auch dies könnte mit der Endosymbiose, die zur Entstehung der Mitochondrien führte, zusammenhängen: In der Regel werden die Mitochondrien nämlich nur von einem der beiden Geschlechter vererbt (beim Menschen immer von der Mutter). Da die Mitochondrien einen großen Teil ihres eigenen Genoms verloren haben, was sie ja erst zu so guten Energielieferanten machte (23), muss ihr verbliebenes Genom mit dem der Wirtszelle kooperieren. Die hierfür notwendige Anpassung wird durch die Vererbung über nur ein einziges Geschlecht (uniparentale Vererbung) erleichtert: die Varianz (Vielfalt) zwischen den befruchteten Eizellen ist dabei deutlich größer, und gute Varianten sind für die Selektion besser "erkennbar". Diese Kombination – uniparentale Vererbung der Mitochondrien in einem Organismus, der aufgrund der Rekombination eine neue Zusammensetzung des Genoms hat, ist aber nur möglich, wenn es mindestens zwei Geschlechter gibt. Dafür sollten wir dankbar sein, denn wenn der Aufwand für die Partnersuche sicher ein Preis ist, der für den Sex zu zahlen ist, so machte er die Welt auch schöner:

Sex macht schön

Die Partnerwahl beim Sex ist in der Regel nicht zufällig: Weibchen sind bei vielen Arten wählerisch, sie bevorzugen besonders farbenprächtige (etwa bei Vögeln), besonders schön zirpende (etwa bei Grillen) oder solche Männchen mit einem prächtigen Geweih (etwa beim Hirsch): Gemeinsam scheint diesen auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Auswahlkriterien zu sein, dass sie auf hohe Qualität der Gene hindeuten (>> mehr). Wie wichtig die Partnerwahl ist, erkennt man auch daran, wie sehr sie das Bild der Natur prägt: Vom Duft der Rosen über die Schmuckfedern der Pfauen oder Paradiesvögel bis zum Gesang der Lerche sind viele der schönsten Naturereignisse der sexuellen Fortpflanzung zu verdanken – und wahrscheinlich ebenso viele Ereignisse und Erfindungen der menschlichen Kultur.

Vielzelliges Leben

Bei den Eukaryoten entwickelte sich – offenbar mehrfach, aber erstmals vor etwa 1,5 Milliarden Jahren – vielzelliges Leben. Warum dies zwei Milliarden Jahre nach der Entstehung des Lebens geschah, ist ebenfalls eine viel diskutierte Frage. Möglicherweise hat auch diese Entwicklung mit dem Sauerstoff zu tun: Erst als eine gewisse Menge Sauerstoff in der Luft war und die Zellatmung viel Energie lieferte, wurde aufwändigeres vielzelliges Leben möglich. Vielleicht waren Lebewesen mit spezialisierten Zellen unter diesen Bedingungen effizienter. Möglicherweise hat die Entwicklung der Vielzelligkeit auch mit einer oben erwähnten neuen Fähigkeit der Eukaryoten zu tun: der Phagocytose. Da bei Eukaryoten mit ihren Mitochondrien zunehmende Größe der Zellen nicht mehr automatisch zu Problemen bei der Energieversorgung kam, konnten sie auch so groß werden, dass sie kleinere Zellen fressen konnten. Der Vorteil der Vielzelligkeit könnte dann darin liegen, dass größere Vielzeller sich schneller und weiter bewegen (fliehen) konnten; vielleicht, dass größere Vielzeller ohnehin nicht so leicht gefressen werden konnten. Im Laborversuch jedenfalls führte die Zugabe zu räuberischen Organismen zu Algenkolonien dazu, dass die Algen vielzellige Klumpen bildeten. Ähnlich stellt man sich auch die Entstehung der Vielzeller vor: In Kolonien einzelliger Lebewesen, die es schon bei den Prokaryoten gab (entstanden womöglich aus Zellen, die sich nach der Teilung nicht vollständig trennten), bildete sich zunächst eine „Arbeitsteilung“ und später spezialisierte Zellen heraus. Diese Verbände könnten der heutigen Volvox-Alge geähnelt haben: diese bildet kugelige Zellhaufen, bei denen manche Zellen für die Fortbewegung, andere für die Verarbeitung von Nahrung und wieder andere für die Fortpflanzung sorgen.

Echte Vielzelligkeit ist durch diese Arbeitsteilung zwischen den Zellen gekennzeichnet – unterschiedliche Zelltypen erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Auch die Entstehung der Vielzelligkeit kann nicht einfach gewesen sein: Die vielzelligen Organismen mussten einen Mechanismus entwickeln, in verschiedenen Zelltypen jeweils unterschiedliche Gene “anzuschalten”, deren Produkte ja darüber entscheiden, was die Zelle macht. Ein Weg war die Produktion bestimmter Chemikalien: Je nach Konzentration dieser Chemikalien in den Zellen werden unterschiedliche Gene aktiviert oder stillgelegt. Weiter müssen die Zellen zusammengehalten werden; diese Aufgaben übernehmen “biologische Klebstoffe”. Einer der wichtigsten ist das Eiweiß Kollagen, und das erfüllte diese Funktion bereits bei koloniebildenden Einzellern. Und es ist bereits vorher entstanden, möglicherweise diente die Ablagerung von Kollagen an den Außenwänden als Schutz vor dem Gefressenwerden. (Vom Fraßschutz zum Klebstoff – der Funktionswandel bestehender Strukturen ist ein in der Evolution immer wiederkehrendes Motiv.) Neben dem Klebstoff gibt es außen an der Zellmembran spezifische “Nieten”, die dafür sorgen, dass sich nur Zellen einer bestimmten Art verbinden, und “Rezeptoren”, die bestimmte Moleküle binden können – auf diese Art übertragen Zellen Informationen. So ist der Weg zu komplexen Körpern geebnet: ähnliche Zellen formen Gewebe, Gewebe formen Organe und Organe schließlich Körper, also Individuen. Damit ist die Entwicklung noch lange nicht zu Ende, die Individuen gehören zu Populationen und systematischen Gruppen wie Pflanzen, Pilzen und Tieren; und diese bilden Lebensgemeinschaften (Ökosysteme), siehe die Seite zur Biodiversität.

Die Evolution des höheren Lebens

Die sexuelle Fortpflanzung organisierte die genetische Variabilität und schuf neue Wege der Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt; mit zunehmendem Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre (>> mehr) konnten die Lebewesen immer größer und komplexer werden. Diese Entwicklung des höheren Lebens dauerte lange Zeit. Da ihre Geschichte vor allem aus Fossilienfunden rekonstruiert wurde, sollten wir uns zunächst klar machen, dass wir nur einen sehr kleinen Teil kennen. Der Grund: „Ein Fossil zu werden, ist nicht einfach“ (Bill Bryson) – nur einer von einer Milliarde Knochen wird vermutlich zu einem Fossil. Von allen heute in Deutschland lebenden Menschen werden also (bei 82 Millionen Menschen mit je 206 Knochen) nur ca. 17 Knochen zum Fossil werden, nicht einmal ein Zehntel eines vollständigen Skeletts. Und das muss dann auf der Fläche von gut 350.000 km² erst einmal gefunden werden... Von den geschätzt 30 Milliarden Arten, die die Erde in ihrer Geschichte hervorgebracht hat, sind ca. 250.000 als Fossilien bekannt: eine unter 120.000 Arten. Insofern darf man sich über „missing links“ (fehlende Glieder einer Kette) wirklich nicht wundern. Außerdem ist das durch Fossilien vermittelte Bild des Lebens verzerrt: Tiere mit Gehäusen werden viel leichter zu Fossilien als Weichtiere; große Organismen sind leichter zu finden als mikroskopisch kleine.

Diese Schwierigkeiten führen zu einem unklaren Bild in der ersten Phase der Entwicklung von den ersten vielzelligen Organismen zu den Lebensformen, die wir heute kennen. Debatten lösten unber den Fachleuten vor allem Funde wie im Burgess-Schiefer in British Columbia aus, wo in Gesteinsschichten aus dem Kambrium, das vor 543 Millionen Jahren begann, auf einmal fossile Reste zahlreicher Tierstämme mit Gehäusen auftauchten. Aufgrund dieser Funde wurde auch von der „kambrischen Explosion“ (>> mehr) gesprochen, um das plötzliche Auftauchen zu beschreiben. Vermutlich ist diese “Explosion” aber eine Täuschung, da die plötzliche Vielfalt über einen längeren Zeitraum entstanden sein dürfte – was auch durch Erkenntnisse der molekularen Uhren bestätigt wird. Zudem wurden inzwischen ältere Fossilien (die sog. Ediacara-Fauna, >> mehr) entdeckt. Als Gründe für das scheinbar plötzliche Auftauchen dieser Fauna werden heute ein Größenwachstum der Organismen (so dass sie auf einmal erkennbar werden); vor allem aber die Ausbildung von festen Skeletten (die leichter als Fossilien erhalten bleiben) diskutiert. Ein Skelett ist eine feste Stützstruktur, die sich außerhalb (beispielsweise Muschelschalen) oder innerhalb des Körpers (etwa unser Knochenskelett) befinden kann; Skelette werden nicht nur in verschiedenen Formen, sondern auch aus den verschiedensten Materialien gebildet. Das plötzliche Auftauchen von Skeletten braucht also eine Begründung, die nicht nur für eine, sondern für viele Lebensformen gilt. Dieses könnten ökologische Veränderungen sein, etwa Veränderungen in der Atmosphäre oder das Auftauchen von Fressfeinden, die die Ausbildung von Gehäusen erzwangen (>> mehr).

Seit der “kambrischen Explosion” ist die weitere Entwicklung des Lebens besser durch Fossilien belegt. Vor 520 Millionen Jahren tauchten die ersten Wirbeltiere auf (kiefernlose Fische wie die heutigen Neunaugen), Kieferfische vor 450 Millionen Jahre, Amphibien vor 370 Millionen Jahre, Reptilien vor 310 Millionen Jahre, und schließlich Vögel und Säugetiere vor 225 Millionen Jahren. Die ältesten Landpflanzen, die man als Fossilien fand, stammen aus dem Devon. Im Karbon bestimmten Bärlappgewächse und Farnpflanzen die Landschaft), später dann Nacktsamer (zu denen die heutigen Nadelgehölze gehören) und ab der Kreidezeit (vor rund 125 Millionen Jahren) beherrschten die Blütenpflanzen die Erde. All dies, und wie es weiterging, steht mit mehr Details auf den Seiten zur Geschichte des Lebens auf der Erde.

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Evolution
Die Geschichte des Lebens auf der Erde

© Jürgen Paeger 2006 – 2017

Wie alt sind die Eukaryoten? In verschiedenen Quellen gibt es höchst unterschiedliche Altersangaben; dies liegt unter anderem daran, dass die Eukaryoten nach der Endosymbiontentheorie (>> hier) in mehreren, möglicherweise hunderttausende Jahre auseinanderliegenden Schritten entstanden sind. Da sie aus Archaeen und Echten Bakterien entstanden sind, helfen auch biochemische Marker nicht – nach deren Ergebnissen sind sie einfach genauso alt wie Archaeen und Echte Bakterien. Die ältesten fossilen Eukaryoten sind 2,1 Milliarden Jahre alt, spätestens dann waren sie also entstanden.

Horizontaler Gentransfer trägt heute unter anderem zur Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen bei Bakterien bei.

Symbiose heißt: Zusammenleben von Individuen unterschiedlicher Arten zum beiderseitigen Vorteil. Endosymbiose heißt: einer der Partner wird in den Körper des anderen aufgenommen.

Aus welchen Vorläufern entstanden Pflanzen, Pilze und Tiere? Mehr zur Vielzelligkeit finden Sie >> hier