Das Leben
Die Geschichte des Lebens auf der Erde – 2
Das
Zeitalter der Fossilien (Erdaltertum) I
Von der Erfindung des Skeletts bis zur Besiedelung des Festlands
„Zeitalter der Fossilien“ sagt es eigentlich
schon: Mit Beginn des Kambriums vor 541 Millionen Jahren tauchen
plötzlich Fossilien (siehe Kasten) in den Gesteinen auf – es waren
diese Fossilien, die es den >> Geologen
im 19. Jahrhundert ermöglicht hatten, Gesteinsschichten
verschiedener Regionen einander zuzuordnen. Mit der Erkenntnis, dass
in Sedimentschichten das jüngere Material weiter oben liegt, konnten
sie anhand der sogenannten Leitfossilien (Fossilien, die für einen
Zeitraum typisch sind) eine erste geologische Zeitskala aufstellen –
genaue Jahreszahlen kannten sie noch nicht; aber was unten lag,
musste älter sein. Auf dieser Basis wurde die Erdgeschichte in
Abschnitte eingeteilt, wobei oftmals geographische Bezeichnungen
übernommen wurde: Der erste Abschnitt des Erdaltertums heißt
Kambrium nach dem lateinischen Namen für Wales. (Dass
englische Regionen besonders häufig zu Namensgebern von
Gesteinsschichten wurden, ist eine Folge der Bedeutung englischer
Geologen im 19. Jahrhundert.) Als im 20. Jahrhundert das Alter von
Gesteinen bestimmt werden konnte (mehr dazu >>
hier), wurde die geologische Zeitskala mit Jahreszahlen
versehen (zur >>
aktuellen Fassung).
Fossilien
Ammonit. Foto: GD Berlin,
aus wikipedia >> Fossil,
abgerufen 13.1.2009. Lizenz: >> cc
2.0
Fossilien sind Zeugnisse vergangenen Lebens aus der Erdgeschichte.
Die für die Erforschung der Geschichte des Lebens bedeutenden
Fossilien sind meist Versteinerungen: Bei deren
Entstehung dringt mineralstoffhaltiges Wasser in Knochen oder
andere, zumeist feste Strukturen ein; die Mineralien lagern sich ab
und ersetzen im Laufe der Zeit die Gewebe. Ebenso kann Gestein
Hohlräume ausfüllen und so Abgüsse schaffen. Nur unter besonderen
Umständen kann es auch zur Versteinerung von Weichteilen kommen; vor
allem dann, wenn Lebewesen unter Sauerstoffabschluss – etwa in
tiefen Seen oder am Meeresgrund – “eingelagert” werden; ein
Sauerstoffmangel, der am besten auch noch Räuber tötet, die sich
sonst über die abgestorbenen Lebewesen hermachen würden. Weil dann
auch Weichtiere ohne Skelette erhalten bleiben, verdankt die
Paläontologie (die Wissenschaft von der Erforschung vergangener
Erdzeitalter) solchen Lagerstätten viel; eine der berühmtesten ist
der Burgess-Schiefer in den kanadischen Rocky Mountains – mehr im
folgenden Kapitel. Zusammen mit den molekularen Uhren stellen Fossilien die
wichtigste Erkenntnisquelle über die Geschichte des Lebens auf der
Erde dar.
Siehe zu Fossilien auch >> hier.
Die Erfindung des Skeletts: Das
Kambrium
Die ältesten Fossilien
In Kalksteinformationen aus dem Unteren Kambrium (wie die ältesten
Schichten des Kambriums, das vor 541 Millionen Jahren begann,
heißen) finden sich auf der ganzen Welt kleine Röhren, die sich
nicht in verdünnter Säure lösen: Winzige Schalen und Panzer aus
Kalziumphosphat. Es sind die Wohnröhren eines nach dem
amerikanischen
Paläontologen Preston Cloud als Cloudina benannten
Tieres. Zum ersten Mal lassen sich also Tiere mit einem
Skelett nachweisen – als Skelett bezeichnen Biologen alle
biologischen Strukturen, in die Mineralien eingelagert werden (wie
unsere Knochen, die aus dem Protein Kollagen bestehen, in das das
Mineral Apatit, ein Kalziumphosphat, eingelagert ist).
Kalziumphosphat ist nicht das einzige Mineral, die meisten Schalen
von Meerestieren bestehen aus Kalziumkarbonat, die Skelette der
Schwämme aus Siliziumdioxid. Und alle drei Mineralien finden sich
auch schon bei den kleinschaligen Fossilien des unteren Kambrium.
Dabei ist nicht gesagt, dass “kleinschalige Fossilien” auch kleine
Tiere bedeutet: 1990 wurde in der grönländischen
Sirius-Passet-Fundstätte ein Tier namens Halkieria
gefunden, das eine Art Panzerhemd aus in Reihen angeordneten
Skelettplatten trägt, die man zuvor für eigene Arten gehalten hatte.
Trilobit. Foto: Gryffindor, aus wikipedia >>
Trilobit,
abgerufen 13.1.2009, Lizenz: >>
FDL 1.2.
Gleich über diesen kleinschaligen Fossilien findet man dann die
häufigsten aller Fossilien: die Trilobiten. Diese
an Asseln erinnernden Tiere gehören zu den Gliederfüßern, die alle
gegliederte, durch Gelenke bewegliche Gliedmaßen besitzen und zu
denen heute etwa Krebse und Insekten gehören. Ihren Namen
(“Dreilapper”) verdanken sie dem längs in drei Abschnitten
unterteilten Rücken (siehe Foto rechts). Die Flachmeere des
Kambriums müssen vor Trilobiten nur so gewimmelt haben, sonst wären
die Fossilien nicht so häufig. Lange Zeit waren die Trilobiten die
einzigen bekannten Gliederfüßer aus dem Kambrium. Aber im Jahr 1909
entdeckte der amerikanische Paläontologe Charles Doolittle Walcott
in den kanadischen Rocky Mountains eine Lagerstätte mit vielen
ausgesprochen gut erhaltenen Fossilien aus dem frühen Kambrium: den
über 500 Millionen Jahre alten Burgess-Schiefer. Die Lebewesen waren
unter einem Erdrutsch begraben worden – ihr Pech, aber unser Glück,
denn dadurch blieben auch Weichteile erhalten. So wurden Schwämme,
Seetang und Quallen konserviert; viele wurmähnliche Tiere; das
fischartige, aber keinen Kopf besitzende Pikaia, das
damals älteste >>
Chordatier – vor allem aber jede Menge Gliederfüßer. Die
Trilobiten waren also Mitglieder einer damals schon artenreichen
Gruppe. Andere Lebewesen ließen sich zunächst nicht zuordnen, und
sie sollten den Fundort weltberühmt machen: 1989 veröffentlichte
Stephen Jay Gould sein Buch “Zufall Mensch”, in dem er über
zahlreiche unbekannte Tierstämme in der Lagerstätte berichtete,
darunter solchen, die später wieder ausstarben.
Gab es eine “kambrische
Explosion”?
Diese Phase mutmaßlich besonderer Kreativität der Natur mit
plötzlich auftauchender und später wieder verschwindender Vielfalt
wurde als “kambrische Explosion” bezeichnet. Inzwischen konnten
jedoch die Paläontologen, darunter insbesondere Simon Conway Morris
– einem der “Helden” in Stephen Jay Goulds Buch – viele dieser
Lebensformen bekannten Tierstämmen zugeordnen (wie Walcott es von
Anfang an getan hatte). Auch zeigten die inzwischen gefundenen
>> Ediacara-Organismen,
dass die Entwicklung neuer Tierstämme so plötzlich wohl nicht war.
Die Auswertung der molekularen Uhren deutet heute auf eine
Entstehung der heutigen Tierstämme bereits vor mindestens 650 bis
600 Millionen Jahren, also noch tief im Präkambrium, hin (mehr dazu
>>
hier).
Für die Täuschung gab es aber einen guten Grund: Die Vorfahren aus
dem Präkambrium wurden vor 541 Millionen Jahren auf einmal sichtbar,
da sie größer wurden und harte Schalen und Panzer entwickelten
– also leichter als Fossilien erhalten blieben und zu finden
waren. Größenwachstum und harte Schalen und Panzer hängen scheinbar
zusammen, offenbar hatte das Größenwachstum stützende Skelette
notwendig gemacht (>> mehr).
Die Frage lautet also heute: Was löste diesen Entwicklungsschub zu
Beginn des Kambriums aus? Da alle drei heute verbreiteten
Skelettbaustoffe etwa zur gleichen Zeit auftraten, liegt es nahe,
die Ursache nicht innerhalt einzelner Lebewesen, sondern in der
Umwelt zu suchen. Lag es am steigenden Sauerstoffgehalt in der Luft,
der das Größenwachstum ermöglichte? Lag es an einer durch veränderte
Meeresströmungen verbesserten Versorgung mit dem Nährstoff Phosphat?
Ursache könnte eine geologisch unruhige Umwelt gewesen sein: Der
Superkontinent Gondwana war zerbrochen; Nordamerika, Sibirien und
Baltica abgetrennt worden, der Iapetus-Ozean (ein Vorläufer des
Atlantik) entstanden, und der Meeresspiegel stieg an. Dadurch wurden
der Tierwelt auch die nährstoffreichen Kontinentalsockel zugänglich
– was ihrem Größenwachstum ebenfalls zuträglich gewesen sein könnte.
Verteilung der Landmassen im frühen Kambrium vor
ca. 540 Millionen Jahren. Eigene Abbildung auf Basis einer Karte von
Dr. Ron Blakey, >> Global
Paleographic Views of Earth History.
Vielleicht war aber auch die Entwicklung des Lebens selbst der
Auslöser: Im Kambrium bekamen zwei ökologische Stufen eine neue
Qualität: jene Organismen, die sich von Bakterien und Algen
ernährten (die Primärverbraucher) und solche, die wiederum von
diesen lebten – die „Räuber“ oder Sekundärverbraucher. Ein Beispiel
sind die Trilobiten. Sie besitzen die ältesten bekannten Augen
– Facettenaugen wie die heutigen Insekten. Der
Wissenschaftsjournalist Volker Arzt nannte die Entstehung von Augen
einmal “Die Erfindung des Lichts”: Sonnenstrahlung hat es schon
vorher gegeben, aber sichtbar, Licht, wurde sie erst mit der
Erfindung des Auges. (Wobei es lichtempfindliche Gewebe schon bei
früheren Lebensformen gegeben hat, die verschiedenen Augentypen
haben sich hieraus entwickelt. Das Rezeptormolekül Opsin in den
Lichtsammelzellen der Netzhaut lässt sich sogar bis zu den Bakterien
zurückverfolgen.) Die Vorteile des Sehens für Räuber liegen auf der
Hand: Sie helfen ihnen als “phantastisches Erkundungssystem” (wieder
Volker Arzt), ihre Beute zu finden. Und sie zwangen ihre Beute
geradezu, ebenfalls Augen zu entwickeln – als Frühwarnsystem. Die
mit dem Sehen mögliche Wahrnehmung der Umwelt hatte offenbar so
viele Vorteile, dass sich im Laufe der Zeit aus einem Grundmodell
immer bessere Sinnesorgane entwickelt haben – natürliche
Entwicklungen haben ja kein Ziel, sondern müssen sich im tägliche
Leben bewähren und die Chancen ihres Trägers erhöhen, sich
fortzupflanzen (>> Die
Evolutionstheorie); mit genügend Zeit kann diese Entwicklung
aber – wie die Augen zeigen – zu ganz außerordentlichen Ergebnissen
führen.
Mit den sehenden Räubern aber änderte sich das Leben auf der Erde.
Das friedliche Leben von Cyanobakterien, Algen und Bakterien war zu
Ende; auf einmal gab es Lebewesen, die darauf aus waren, sie zu
verschlingen. Es entstanden Ökosysteme, wie wir sie noch heute im
Meer finden; mit Jägern und Gejagten. Waren die Panzer und Schalen
möglicherweise eine Anpassung an das Auftreten von Räubern? Im Sinne
eines „Wettrüstens“ entwickelten Räuber und Beute nach dieser
Hypothese immer ausgefeiltere Angriffs- und Verteidigungsstrategien,
die sich gegenseitig in die Höhe schaukelten und schließlich zur
Vielfalt der Organismen geführt hätten. Über die Gründe darf
spekuliert werden, eines sagen die Steine: Im Meer entwickelten sich
Ökosysteme, die den heutigen Meeresökosystemen ähnelten; es gab
Algengärten mit reicher Tierwelt in belichteten Küstenzonen,
Plankton im oberen Teil des offenen Meeres, der aus photosynthetisch
aktiven Algen und von ihnen lebenden Tieren besteht; eine Tierwelt
in dunklen tiefen Meeresgebiete, die vom herabsinkenden
abgestorbenen Plankton lebt und schließlich in warmen, flachen
Meeren Riffe, die im Kambrium aus Schwämmen und schwammähnlichen
Tieren bestanden.
Inzwischen wurden zwei noch etwas ältere Fundstellen als die
Burgess-Schiefer gefunden, Sirius Passet in Grönland und
Chengjiang in China (siehe Kasten). Auch hier gibt es schon eine
erstauliche Vielfalt an Organismen; auch hier konnten die meisten
Arten heutigen Tierstämmen zugeordnet werden. Um auf die Frage aus
der Überschrift zurückzukommen: Der Begriff “kambrische Explosion”
scheint falsch zu sein – die Vielfalt ist nicht auf einmal
entstanden, sondern aufgrund des Größenwachstums der Lebewesen nur
erkennbar geworden.
Die
Fundstätte von Chengjiang
Die Fundstätte von Chengjiang liegt in den etwa 525
bis 520 Millionen Jahre alten Maotianshan-Schiefer der chinesischen
Provinz Yunnan. Sie wurde 1984 durch einen sehr gut erhaltenen
Trilobiten berühmt – auch hier sind Weichteile erhalten, die
Lebewesen wurden wohl von an unterseeischen Hängen abgerutschtem
Sediment (“Trübeströme”) verschüttet. Bisher wurden 185 Arten
beschrieben, etwa die Hälfte davon Gliederfüßer. Viele von ihnen
besitzen noch relativ weiche Außenskelette aus Chitin, wie die
heutigen Insekten – harte Schalen entstanden wohl erst als zweiter
Schritt. In Chengjiang wurde – wie auch im Burgess-Schiefer – der
bis zu zwei Meter lange Anomalocaris, ein
trilobitenähnlicher Räuber gefunden. Ein Achtel der Arten lässt sich
nicht klar heutigen Stämmen zuordnen. Der erstaunlichste Fund ist
vielleicht Myllokunmingia, der älteste (kieferlose) Fisch
– und damit das älteste Wirbeltier – der Erde. Über 500 Exemplare
dieses drei Zentimeter langen Fischchens wurden bisher gefunden.
Bisher einzigartig für Chengjiang sind die Vetulicolia,
die einer eingeschnürten Wurst mit dicker und dünner Hälfte ähneln;
die systematische Einordung dieses Tierstamms ist noch umstritten.
Korallenriffe und Linien auf Steinen: das
Ordovizium
Im Ordovizium (nach den Ordovicern, einem in Wales lebenden
keltischem Volksstamm), das auf das Kambrium folgte und vor 485
Millionen Jahren begann, hielten die Korallen Einzug in die Riffe;
sie sollten im Karbon eine Blütezeit erleben. Korallenriffe stellen
mit ihrer Vielfalt an Arten so etwas wie das marine Gegenstück zu
den Regenwäldern an Land dar.
Neben den Korallen tauchten im Ordovizium die „Graptolithen“ auf:
Sie sehen aus wie gezeichnete Linien (ihr Name bedeutet „auf Stein
geschrieben“). Sie stellten sich als Kolonien von Kragentieren
(Hemichordaten) heraus, die als Primärverbraucher vom Plankton der
Meere lebten; im Stammbaum des Lebens liegen sie irgendwo vor den
Chordatieren (die gleich erklärt werden) – sie sind also unsere
(sehr …) weit entfernten Vorfahren. Im Ordovizium tauchten auch
große Räuber wie die Nautiloiden (Verwandte des heutigen Nautilus)
auf, im Wasser lebende Riesenskorpione, Seeigel und Seesterne sowie
weitere kieferlose Fische auf. Diese
kieferlosen Fische stellen eine frühe Gruppe der Wirbeltiere dar,
die wohl schon im frühen Kambrium aus Chordatieren entstanden sind.
Chordatiere, wie die
heute noch lebenden “Lanzettfischchen”, besitzen einen “Notochord”
genannten Stützstab, der sich durch den Rücken zieht. Die
Chordatiere “erfanden” also das Innenskelett; bei den Wirbeltieren
wird der Stützstab beim erwachsenen Tier durch die Wirbelsäule
ersetzt, das Notochord bildet die Bandscheiben. Zu den Chordatieren
gehören neben den Lanzettfischen auch die heute noch lebenden
Seescheiden, die festgewachsen an einem Felsen ihre Nahrung aus dem
Wasser filtern. An Wirbeltiere erinnern nur ihre kaulquappenartigen
Larven. Schon Charles Darwin vermutete, dass die Seescheiden
Vorfahren hatten, die stärker den Larven ähnelten, und aus denen
sich einerseits eine sesshafte Gruppe entwickelte, aus denen die
heutigen Seescheiden hervorgingen, und andererseits die heutigen
Wirbeltiere. Darwins Vermutung wird heute durch molekularbiologische
Befunde gestützt. Traditionell wird das Tierreich in Wirbeltiere und
Wirbellose unterteilt, für Systematiker sind die Wirbeltiere jedoch
“nur” ein Unterstamm der Chordatiere. (Neben dem Stamm der
Chordatiere stehen etwa 30 Stämme der Wirbellosen, zu denen etwa die
Weichtiere (mit den Tintenfischen), die Platt-, Rund- und
Ringelwürmer (die jeweils einen eigenen Stamm darstellen), die
Gliederfüßler (mit den Insekten, Spinnen, Krebstieren, ...) und die
Stachelhäuter (mit den Seesternen) gehören).
Das Ende des Ordoviziums wurde durch eine erneute Eiszeit
eingeläutet: Die Abkühlung führte dazu, dass über die Hälfte aller
lebenden Arten ausstarben. Dieses ist ein wiederkehrendes Muster:
Auch Katastrophen haben die Erde geformt (siehe >> hier).
Die Vielfalt der Lebensformen wurde von Zeit zu Zeit durch große
Ereignisse reduziert, und danach war die Erde auf immer eine andere.
Das Leben musste mehrfach durch solche „Filter“ gehen. Über die
Ursache der Eiszeit am Ende des Ordoviziums wird noch gerätselt;
eine neuere Theorie geht davon aus, dass der bei einer kosmischen
Supernova entstandene Gammablitz das Leben geschädigt und über
chemische Reaktionen eine Smogschicht ausgelöst habe, die wiederum
für die Abkühlung verantwortlich gewesen sein soll.
Der Schritt an Land: das Silur
Trilobiten und Graptolithen konnten sich von dem Massenaussterben
nicht wieder erholen; es sind andere Arten, die nun gefunden werden.
Prägend für das Silur (der Name geht wie das Ordovizium auf einen
keltischen Volksstamm in Wales zurück), das vor 443 Millionen Jahren
begann, ist aber der Schritt des Lebens an Land. Bisher spielte die
Geschichte des Lebens ja ausschließlich im Wasser – wenn die Erde
ein hundertjähriger Mensch wäre, wäre Leben mit 22 Jahren
entstanden; aber erst mit über 88 Jahren an Land gegangen! Den
ersten Schritt an Land machten, noch im Ordovizium vor etwa 470
Millionen Jahren, die Pflanzen: Viele Paläontologen glauben, dass es
es Grünalgen waren, denen der Sprung an Land gelang (sie kommen noch
heute von allen Algen in der Gezeitenzone in den trockensten
Bereichen vor); möglicherweise auch in einer Symbiose mit Pilzen: Die so gebildeten
Flechten kommen auch heute noch in extremen Lebensräumen vor, in
denen keiner der Partner alleine überleben könnte. Von den
allerersten “echten” Landpflanzen sind nur Bruchteile bekannt.
Lediglich die Sporen verraten, dass sie zu den Landpflanzen
gehören müssen, da sie vor Austrocknung geschützt waren. Die
Sporensäcke ähneln denen der heutigen Lebermoose; daher glauben auch
viele Paläontologen, dass diese die ersten Landpflanzen waren. Warum
es überhaupt zur Besiedelung des Landes kam, lässt sich nur
vermuten: Möglicherweise geschah es als Anpassung an durch eine
Erderwärmung austrocknende Lebensräume im Küstenbereich; eine
Anpassung, die dann einen riesigen Lebensraum eröffnete, das
weitgehend unbesiedelte Land (Bakterien und Archaeen an heißen
Quellen und Vulkanen mögen neben Flechten- und Cyanophytenkrusten am
Meeresrand weitere Vorläufer gewesen sein).
Der Gang an Land erforderte viele Anpassungen: Im Wasser lebende
Pflanzen nahmen Nährstoffe über ihre gesamte Oberfläche auf; die
Lebensvorgänge aller Lebewesen waren an das Wasser angepasst – daher
musste das feuchte Innere vor der trockenen Umwelt an Land geschützt
werden. In Wasser können Lebewesen schweben, an Land brauchen sie
aber einen Körper, der der Schwerkraft trotzen kann (mehr im Kasten
rechts). Als die Besiedelung gelungen war, veränderte sie das
Gesicht der Erde: Aus dem Weltall prägen die grünen Pflanzen mehr
als jedes andere Lebewesen das Gesicht der Erde; auf der nur aus
Felsen und seinen Verwitterungsprodukten bestehenden Erdoberfläche
entstanden Böden (>> mehr);
kurz: Die Erde wurde zu der, die wir heute kennen. Die Besiedelung
des Landes hatte noch eine andere Auswirkung: Der größte Teil der
heute bekannten biologischen Vielfalt (>> mehr)
findet sich auf dem Festland, was nur teilweise mit der viel
schlechteren Kenntnis des Lebens im Meer zusammenhängt. Die
Besiedelung des Festlandes verschaffte dem Leben also einen weiteren
Entwicklungsschub.
Eine Rekonstruktion von Cooksonia. A
zeigt die Pflanze, B einen Querschnitt durch den Stängel mit
erkennbaren Gefäßen und C zeigt die Sporangien, in denen die Sporen
ausgebildet wurden. © University of California Museum of
Paleontologie, Verwendung mit freundlicher Genehmigung.
Die älteste ohne Mikroskop sichtbare Landpflanze ist die 425
Millionen Jahre alte, nur wenige Zentimeter hohe, gabelig verzweigte
Cooksonia; ein Urfarn. Dass sie – im Unterschied zu den
Algen – aufrecht stehen konnte, verdankte sie der Einlagerung des
Makromoleküls Lignin in der Zellwand – Lignin ist der Stoff, aus dem
Holz gemacht ist. Im Inneren der Triebe besaß Cooksonia
bereits Gefäße, in denen Wasser aus dem Boden in die oberen
Pflanzenteile transportiert wurde (und die gleichzeitig die
Festigkeit der Triebe weiter erhöhten); die Sporen, mit denen sie
sich ausbreitete, wurden durch den Wind verbreitet. Mit stabilen
Zellwänden und Gefäßen waren alle Voraussetzungen gegeben, dass die
Pflanzen in die Höhe wachsen konnten – in dichteren Beständen ein
Vorteil, denn dadurch entgehen sie der Beschattung durch ihre
Nachbarn.
Mit den Pflanzen, oder kurz darauf, kamen auch die Tiere und Pilze
an Land (die beweglichen Tiere hatten zuvor schon Ausflüge an Land
unternommen, wie 500 Millionen Jahre alte Tierspuren zeigen;
vermutlich aber dort nichts Interessantes gefunden). Die ältesten
fossil bekannten Landtiere sind die Gliederfüßer,
vor allem Arten, die den heutigen Tausendfüßern ähnelten und
Trigonotarbiden, die den heutigen Spinnen ähneln. Ihr Außenskelett
stabilisierte diese Tiergruppen und schützte sie einigermaßen vor
Austrocknung; kräftige Beine, mit denen sie zuvor auf dem
Meeresgrund liefen, erlaubten die Fortbewegung an Land. Pilze
hatten wahrscheinlich schon die Grünpflanzen an Land begleitet:
Bodenpilze konnten Nährstoffe aus dem Gestein herauslösen und wurden
im Gegenzug von den Grünpflanzen mit organischen Nährstoffen
versorgt; noch heute leben die weitaus meisten Pflanzen in einer
Symbiose mit Pilzen (der Mykorrhiza). Aber mit der Besiedlung des
Landes durch Tiere und Pflanzen konnten die Pilze auch alleine
überleben: Sie bauten organisches Material abgestorbener Tiere und
Pflanzen ab. So entstanden auch an Land Lebensgemeinschaften:
produzierende Pflanzen, pflanzen- und tierfressende Tiere und
abbauende Pilze, die organische Materie verwerten und erneut dem
Boden zufügen. Im Silur müssen auch die Fische den Übergang vom Meer
in Brack- und Süßwasser geschafft haben, und eine dieser Fischarten
sollte zum Vorläufer der landlebenden Wirbeltiere werden. Auch der
Übergang der Wirbeltiere an Land war nicht einfach: Im Wasser
funktionieren Atmung und Bewegung ganz anders als auf Land. Dass
dieser Übergang aber möglich ist, zeigen unter anderem die
Lungenfische; sie haben – der Name verrät es – eine Lunge und zudem
fleischige Flossen, mit denen sie sich an Land bewegen können
(>> mehr).
Der Sprung an Land sollte so erfolgreich sein, dass „schon“ 65 Mio.
Jahre später die Wälder der Karbonzeit große Teile der Kontinente
bedeckten (>> mehr).
Diese Wälder hatten Ähnlichkeit mit heutigen tropischen
Regenwäldern; tatsächlich lag das sich gerade bildende Europa damals
am Äquator. Im Silur war der Kontinent Baltica (das heutige Nord-
und Osteuropa) mit Laurentia, dem Nordamerika-Vorläufer, kollidiert;
dabei entstand „Avalonia“ als Gegenstück zum weiter bestehenden
Gondwana. Bei dieser Kollision verschwand der Iapetus, und es wurden
die kaledonischen Gebirge aufgefaltet – die Appalachen, die Gebirge
im Nordwesten Großbritanniens und die westskandinavischen
Hochgebirge.
Weiter mit:
>> Das
Zeitalter der Fossilien II: Vom Zeitalter der Fische bis zur
großen Katastrophe