Der Mensch

Der moderne Mensch –
Homo sapiens

Auch der moderne Mensch entstand in Afrika, vor etwa 200.000 Jahren. Im Laufe der Zeit eroberte er den ganzen Kontinent, besiedelte vor 100.000 Jahren den Nahen Osten und vor spätestens 50.000 Jahren den Rest der Welt. Vor 14.000 Jahren waren alle Kontinente außer der Antarktis besiedelt, darauf folgte die Besiedlung der ozeanischen Inselwelt, die vor 800 Jahren mit der Besiedelung Neuseelands abgeschlossen war. Seither prägt der Mensch der Erde seinen Stempel auf.

Felsenmalerei von Auerochsen in der Höhle von Lascaux

Felsenmalerei aus Lascaux (Auerochsen): Bereits der Cro-Magnon-Mensch
in der späten Steinzeit schuf erste kulturelle Zentren. Abb.: Prof saxx,
wikipedia commons, abgerufen 30.5.2012, Lizenz: cc 3.0.

Die 1868 in den Felsen von Cro Magnon gefundenen Skelette (siehe Die Erforschung der Entwicklungsgeschichte der Menschheit) waren die ersten, die richtig als Skelette vor­historischer, moderner Menschen erkannt wurden. Ihr Alter wurde später mit 25.000 Jahren bestimmt. Oft werden die Funde des modernen Menschen aus der eurasischen Steinzeit seither als Cro-Magnon-Menschen bezeichnet. (Es gab frühere Funde, etwa die Grabungen von Reverend William Buckland, Präsident der Geologischen Gesellschaft von London, in den 1820er Jahren am walisischen Fundort Paviland durchgeführt hatte: Er fand eine Frau mit Mammutelfenbein, die “Red Lady of Paviland”. Da er aber nicht glauben konnte, dass die Frau zeitgleich mit den Mammuts gelebt hatte, erklärte er, walisische Stammesangehörige haben sie dort gegraben, dabei das Elfenbein gefunden, geschnitzt und ins Grab gelegt. Spätere Untersuchungen zeigten aber, dass dieses Skelett über 30.000 Jahre alt war.) Im Laufe der Zeit kamen zahlreiche weitere Funde aus der ganzen Welt hinzu; die ältesten Funde stammten aus Afrika: 160.000 Jahre alt ist ein Fund aus Herto (Afar-Region, Äthio­pien), weitere Funde gibt es aus Laetoli und vom Turkana-See sowie aus Südafrika. Der große zeitliche Abstand der afrikanischen Funde zu denen aus dem Rest der Welt legt nahe, dass der moderne Mensch, Homo sapiens, wie schon Homo erectus in Afrika entstanden ist.

Was wurde aus dem asiatischen Homo erectus?

Für die Anhänger eines multiregionalen Übergangs (siehe folgenden Abschnitt) ist Homo erectus der Vorläufer der modernen Asiaten. Eine neue Untersuchung an 12.000 Süd­asiaten zeigte aber, dass diese alle einen 50.000 Jahre alten afrikanischen Ursprung haben – ein weiteres Ergebnis, das gegen einen multiregionalen Übergang spricht. Die jüngsten Spuren von Homo erectus aus China sind 100.000 Jahre alt – nach Ansicht der meisten Anthropologen ist diese Art danach ausgestorben, möglicherweise aufgrund einer Eiszeit, die auch Homo sapiens an den Rand des Aussterbens brachte (auch hierzu mehr im folgenden Abschnitt). In Indonesien entwickelte sich Homo erectus möglicherweise zu anderen, heute ebenfalls ausgestorbenen Arten weiter (siehe Die Menschen von Flores).

Der moderne Mensch ist in Afrika entstanden

Zwar hat auch die Theorie eines multiregionalen Übergangs nach wie vor Anhänger, nach der sich der moderne Mensch in verschiedenen Regionen der Welt unabhängig voneinander entwickelt hat. (Diese lag manchem frühen Erforscher der Erde – meist begüterten weißen Männern – nahe, die an eine angeborene Überlegenheit ihrer eigenen “Rasse” glaubten. Heute finden sich Anhänger vor allem in Asien: Sie soll verschiedene asiatische Besonder­heiten begründen, wie etwa die durch eine muldenförmige Vertiefung an der Rückseite schaufelförmigen Schneidezähne.) Aber nicht nur die Fossilienfunde, sondern weitere Indizien stützen eindeutig die alternative „Out-of-Africa“-Theorie, die Theorie eines afrika­nischen Ursprungs des modernen Menschen. Ursprünglich war diese von Linguisten ent­wickelt worden: Der amerikanische Linguist und Ethnologe Joseph Greenberg hatte die San, eine heute noch in Botswana und Namibia lebende Sammler- und Jägergesellschaft (früher als „Buschmänner“ bezeichnet), anhand Ihrer Sprache mit Klicklauten zu einer der ältesten Gruppen der Welt gezählt. Heute werden vor allem genetische Merkmale heran­ge­zogen, um die Ursprung des Menschen aufzuklären: molekulare Uhren helfen, Verwandt­schaften aufzuklären: Je länger Populationen voneinander getrennt sind, desto größer sind die genetischen Unterschiede zwischen ihnen. Und Untersuchungen zeigen, dass sie tatsäch­lich in Afrika am größten sind, und dort bei den San: Hier können die genetischen Unter­schiede zwischen den Menschen in zwei 30 Kilometer voneinander entfernten Dörfern größer sein als zwischen denen zweier europäischer Länder! Als später ein Teil der Bevöl­kerung auszog, die Welt zu erobern, begann sie dieses Abenteuer mit nur einem Teil der genetischen Vielfalt. Dafür können später neue Veränderungen auftreten, die nur in dem Teil der Welt zu finden sind, der nach dem Auftreten des neuen Merkmals besiedelt wurde. Lange Zeit hat die Forschung sich dabei wegen des geringeren Aufwandes auf Unter­such­ungen der Mitochondrien-DNS und des Y-Chromosomens konzentriert (beide werden bei den Nachkommen nicht aus der DNS von Mutter und Vater neu zusammengestellt, sondern un­verändert von der Mutter beziehungsweise dem Vater übernommen), aufgrund des techni­schen Fortschrittes wird heute zunehmend die gesamte DNS genutzt: auf diese Weise kön­nen die Archäogenetiker inzwischen die Besiedelung der Erde durch den moder­nen Men­schen auch anhand genetischer Merkmale skizzieren.

Mit der molekularen Uhr konnten die Ergebnisse genutzt werden, um abzuschätzen, wann Homo sapiens entstanden ist: Dies war ziemlich sicher vor über 200.000 Jahren, vielleicht aber schon vorher (316). Als eine mög­licher­weise entscheidende genetische Veränderung wird die Vervielfältigung des Gens "BOLA2" auf dem Chromosomen 16 angese­hen (320): es spielt eine zentrale Rolle im Eisenstoffwechsel, und seine Vervielfältigung hat die Fähigkeit unseres Blutes (Eisen ist ein wichtiger Bestandteil der roten Blutkörperchen, in denen das Blut Sauerstoff speichert), Sauerstoff aufzunehmen, verbessert: der Mensch wurde damit zu einem noch besseren Läufer, und damit erhielt er den Zugang zu Eiweißen und Fetten, die das menschliche Gehirn benötigt. Die ältesten eindeutigen Fossilien des modernen Menschen wurden 1997 bei aus Herto in der Afar-Senke in Äthiopien von dem amerika­ni­schen Paläoanthropologen Tim White und seinem Team gefunden; sie sind 160.000 Jahre alt (bei Omo Kibish wurde ein 195.000 Jahre altes Teilskelett gefunden, dessen Zu­ord­nung je­doch umstritten ist). Ein 315.000 Jahre alter Schädel aus dem marokkanischen Jebel Irhoud weist darauf hin, dass Homo sapiens sogar älter als 300.000 Jahre als sein könnte (322). Womöglich ist Homo sapiens also in Afrika auch mehrfach – in Nordafrika, am ostafrikani­schen Grabenbruch und in Südafrika – in Erscheinung getreten. Vor 100.000 Jahren lebten jedenfalls mindestens drei Menschenarten auf der Erde: Homo sapiens in Afrika, Homo neanderthalensis in Europa und Homo erectus in Asien. Vielleicht auch schon Homo floresiensis auf Flores. Überlebt hat aber alleine Homo sapiens.

Unsere afrikanische Vergangenheit

Über die ersten 100.000 bis 200.000 Jahre, also über die ersten zwei Drittel bis die erste Hälfte der Geschichte des modernen Menschen Homo sapiens, wissen wir nur wenig. Dieser Teil unserer Geschichte spielte sich weitgehend (330) in Afrika ab. Die San oder ihre Vor­läufer besiedelten damals große Teile des afrikanischen Kontinents. Sie entwickelten neue Steinwerkzeuge (Mikrolithen – kleine Klingen, die wohl für Pfeile, aber auch andere Anwen­dungszwecke verwendet wurden), erste Knochenwerkzeuge und die Fischerei. Die Tempe­ra­tur­schwankungen der Eiszeiten hatten einen erheblichen Einfluss auf die Bevölkerung: Warmzeiten brachten in Afrika warmes, feuch­tes Wetter, bei dem selbst die Sahara voller Tiere war. Eine Eiszeit bedeutete in Afrika trockenes Wetter; die Tiere müs­sen nach Süden in die tropischen Regionen wandern, um genug Futter zu finden (und die Menschen mussten ihnen folgen). Während der warmen Phase vor 125.000 Jahren nahm die Zahl der Menschen zu: sie wird auf bis zu eine Million geschätzt. Die danach beginnende Abkühlung führte in Afrika vermutlich zu zunehmender Trockenheit; anderseits ermöglichte der gesunkene Meeres­spiegel den Menschen eine Wanderung um die Nordspitze des Roten Meeres oder mit Booten über die wenigen Kilo­meter des südlichen Roten Meeres: Vor 100.000 Jahren verließ der moderne Mensch erneut Afrika. Eine Gruppe gelangte nach Israel, dort wurden Funde bei Qafzeh bei Nazareth und Skhul am Karmelgebirge gemacht. Sie gelangte aber wohl nie weiter und starb vor 90.000 Jahren aus.

Abkühlung und Trockenheit nahmen bis vor 70.000 Jahren weiter zu. Vor 74.000 Jahren brach zudem auf der indonesischen Insel Sumatra der Vulkan Toba aus, dessen Staub­wolken den Himmel verdunkelten und möglicherweise auf der ganzen Erde zu einem “Vulkan­winter” führten. Die Zahl der Menschen nahm ab – vielleicht sogar stark: genetische Analy­sen deuten darauf hin, dass die Bevölkerungszahl damals auf nur etwa 10.000 Menschen zurückging, Homo sapiens also möglicherweise kurz vor dem Aussterben stand. Im Nach­hinein mag dieses dem Menschen sogar geholfen haben, denn in den kleinen überlebenden Populationen nimmt (aufgrund der genetischen Drift) die genetische Vielfalt rasch zu: die Menschheit könnte aufgrund einer genetischen Veränderung einen Sprung voran gemacht haben. Oder war dieser kulturell bedingt? – Während die Menschen in guten Zeit vermutlich ihr Sozialleben pflegten (siehe hier), waren schlechte Zeiten oftmals Phasen intensiver Neuerungen (nach dem Motto “Not macht erfinderisch”). Wieder andere Anthropologen glauben, dass die jetzt einsetzende Entwicklung das Ergebnis einer lang andauernden Ent­wicklung der menschlichen Sprache war.

Ein großer Sprung nach vorne?

Jedenfalls denken viele Anthropologen, dass vor 70.000 Jahren die kognitiven Fähigkeiten – Lern­fähigkeit, Gedächtnis, Kommunikationsfähigkeit – des Menschen deutlich zugelegt ha­ben. Erstmals in der Menschheitsgeschichte tauchten Grabstöcke, Mühlsteine, Fischerei, Werkzeuge aus Knochen (etwa Knochennadeln mit Ösen und Bohrer), Nutzung von Farb­pigmenten und schließlich Felszeichnungen, Perlenketten, elfenbeinerne Anhänger mit Tier­motiven und Musikinstrumente (Flöten aus Knochen) auf – nicht nur feinere Werkzeuge also, sondern auf einmal gab es Malerei, figürliche Darstellungen und Musik. Zu den ältesten dieser Fund­stellen gehört die Blombos-Höhle in Südafrika, die seit 1991 ausgegraben wird. Hier wurden unter anderem über 70.000 Jahre alte Knochenwerkzeuge, Perlen und Ocker­pigmente und Mahlsteine gefunden. Diese ersten Belege für modernes, geplantes und abstraktes (künst­lerisches) Denken des modernen Menschen zeigen eine Entwicklung, die viele Anthropologen als “großen Sprung nach vorne” (engl.: great leap forward) in der Menschheitsgeschichte bewerten: Der Mensch war nicht mehr nur anatomisch dem heu­tigen Menschen ähnlich, sondern dachte und sprach offenbar ähnlich wie wir heute. (Andere Anthropologen weisen darauf hin, dass es problematisch ist, vor allem aus hin­terlassenen handwerklichen Geräten auf das geistige Niveau schließen zu wollen und zweifeln den "großen Sprung vorwärts" vor 70.000 Jahren daher an [340]. Sie weisen auf noch ältere Funde – etwa die 90.000 Jahre alte Grabstätte am Fluss Semliki im Kongo, an der Harpunenspitzen aus  Knochen gefunden wurden und darauf, dass das Klima in weiten Teilen Afrikas eher ungünstig für die Bewahrung urzeitlicher Relikte ist (und in manchen Regionen – wie am Semliki – das politische Klima ihre Erforschung fast unmöglich macht).

Die Sprache war aber spätestens jetzt voll entwickelt; und damit konnten nicht nur ge­meinsame Aktivi­tä­ten besser geplant werden, sondern auch die Werkzeuge wurden weiter entwickelt: Die Fortschritte in der Werkzeugbearbeitung leiten zur Jungsteinzeit über. Im südlichen Afrika wurden spätestens in dieser Zeit Speere verwendet; die Jagdfähigkeiten hatten sich damit erheblich verbessert – dies ist an den Knochen der erlegten Tiere abzu­lesen. Der Mensch stand auf einmal an der Spitze der Nahrungskette (sozusagen "unge­lernt", was böse Folgen für seine Jagdbeute hatte, mehr dazu hier). Spätestens zu dieser Zeit konnte der Mensch auch Feuer selbst entzünden – mit einer Technik ähnlich der des Bohrens -, und beherr­schte damit endgültig eine Kraft, mit der er mehr ausrichten konnte als alleine mit seiner Muskelkraft. Mit dem Feuer veränderte Homo sapiens erstmals groß­flächig seine Umwelt (mehr dazu hier). Ohnehin führte die kognitive Revolution, wie der "große Sprung nach vorne" auch genannt wird, zu einer entscheidenden Veränderung: der Mensch konnte nicht nur abstrakt denken, sondern über seine Vorstellungen auch mit anderen Menschen reden: So entstanden Legenden, Mythen, Religionen, Götter – sogenan­nte "soziale Konstrukte", auf denen gemeinsame Werte und Normen beruhten, die das entstehen ließen, was wir heute "Kultur" nennen. Damit konnte der Mensch in größeren Gruppen zusammenarbeiten, vor allem aber wesentlich schneller und flexibler auf neue Herausforderungen reagieren als alle anderen Tiere (360). Als erstes eroberte er die Erde.

Der moderne Mensch erobert die Erde

Zu der Zeit des "großen Sprungs nach vorne", vor 70.000 Jahren also, wurde das Klima zwischenzeitlich wieder etwas wärmer und in Ostafrika wieder feuchter, gleichzeitig nahm auch die Zahl der Menschen wieder zu. Ob diese Zunahme am Klima oder an der kognitiven Revolution lag, ist umstritten. Wir wissen aber, dass der Mensch zu dieser Zeit neue Lebensräume in Afrika erobert; und in diese Zeit fällt auch die zweite erfolgreiche Auswan­derungswelle des Menschen aus Afrika. Sie begann vor 70.000 bis 50.000 Jahren und führte über das in einer Eiszeit wesentlich kleinere Rote Meer an die Südküste der arabischen Halbinsel; und vor hier aus über die nächsten Jahrtausende entlang der Südküste Asiens bis nach Australien und Neuguinea (siehe Abbildung).

Ausbreitung des Homo sapiens über die Erde 

Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens) über die Welt. Die Farben und Zahlen geben den Zeitraum der Ausbreitung an, die Zahlen bedeuten Jahre vor unserer Zeit. (Die Karte stellt die heutige
Verteilung der Landmassen und der Meere dar; zur Zeit der Wanderungen war diese anders, so bestand
eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska.) Die Karte basiert auf Daten von Spencer Wells, die Jahreszahl für die Besiedlung Amerikas aktualisiert nach 370 (siehe auch Text unten).

Waren die Menschen von Neugier getrieben? Oder sind sie einfach wanderndem Jagdwild gefolgt, und jedes Jahr etwas weiter nach Osten gelangt? Wir wissen es nicht. Aber sie machten auf ihrer Reise überraschende Begegnungen, die heute nicht mehr möglich wären: So dürften sie – etwa in Indonesien (Die Menschen von Flores) – auf Menschen der

Die Menschen von Flores

Im Jahr 2004 ging der Fund einer kleinwüchsigen Menschenart auf der indonesischen Insel Flores durch die Presse: Nur einen Meter groß, lebte Homo floresiensis noch vor 18.000 Jahren auf der Insel (366). Anfänglich wurde bei dem Zwergenwuchs auch ein krankhafter Ursprung für möglich gehalten, inzwischen wurden H. floresiensis aber an mehreren ande­ren Stellen gefunden, so dass die Menschen von Flores wohl tatsächliche eine eigene, vermutlich aus Homo erectus entstandene, Menschenart gewesen sein dürften. Zum Zwergenwuchs könnte es aufgrund der isolierten Entwicklung auf der Insel gekommen sein; auf Inseln kommt dieses gelegentlich vor – und auf Flores wurden auch ungewöhn­lich kleine Elefanten gefunden. Die Untersuchung des Gehirns zeigte, dass H. floresiensis ein zwar kleines, aber komplex vernetztes Gehirn besaß, also intelligent war.

Art Homo erectus gestoßen sein; was dabei passiert ist, weiß niemand. Die Ausbreitung jedenfalls ging langsam voran; aber auch wenn man jedes Jahr nur zwei Kilometer voran­kommt, schafft man in 5.000 Jahren 10.000 Kilometer. Vielleicht waren es auch die Fischgründe an der Küste, denen die Menschen folgten; jedenfalls gelangten sie im Laufe der Zeit den äußersten Zipfel Südostasien. Da ihre Wanderroute heute infolge eines wieder gestiegenen Meeresspiegels unter Wasser liegt, ist wenig über sie bekannt. Entsprechend wissen wir auch nichts darüber, wie gut diese Menschen mit der See zurecht kamen. Aber an der heutigen indonesischen Inselwelt war Schluss mit der Küste, die damals gut 1.600 Kilometer weiter ins Meer ragte. Australien war vom Festland durch mindestens acht Meeres­arme von bis zu 80 km Breite getrennt – und wurde dennoch erreicht: Australien und Neuguinea, zu dieser Zeit zu einem einzigen Kontinent verbunden, wurden den molekularen Uhren zufolge vor 60.000 bis 50.000 Jahren besiedelt. Der älteste bekannte Fund, “Mungo Man” aus dem Mungo National Park in New South Wales, ist 40.000 Jahre alt.

Die Besiedlung Australiens und Neuguineas war ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Australien und Neuguinea hatten sich vor rund 55 Millionen Jahren von der Antarktis abgespalten (mehr dazu hier), seine Tier- und Pflanzenwelt hatte seither eine ganz eigene Entwicklung genommen. Und dann kam der Mensch. Um über die Meeresarme aus der indonesischen Inselwelt nach Australien und Neuguinea zu kommen, brauchte er auf jeden Fall Boote. Mit diesen gelangte er erstmals über die zusammenhängende Landmasse Afrika – Eurasien hinaus auf einen neuen Kontinent. Warum ahnten die Menschen, dass sie jenseits des Wassers Land finden würden? Sahen sie ziehende Vögel? Sahen sie Rauch­säulen oder nächtlichen Feuerschein von Buschfeuern? Wir wissen es nicht; aber da auch die Salomonen östlich von Neuguinea besiedelt wurden, war die Besiedelung offenbar kein Zufallsereignis: Die Menschen im australischen Raum waren bereits geübt im Umgang mit Booten – vermutlich hochseetüchtigen Bambusflößen, wie sie noch heute an den Küsten Südchinas benutzt werden. Auch die Besiedelung von Inseln im Norden Australiens deutet beeindruckendes Navigationswissen an. (Den nächsten Hinweis auf die Nutzung von Booten finden wir übrigens erst 30.000 Jahre später im Mittelmeerraum.) Einfach war die Überfahrt aber offenbar auch für die seefahrenden Vorläufer der Australier nicht, denn Australien und Neuguinea sollten sich weitgehend isoliert vom asiatischen Festland entwickeln, bis gegen 1.600 v. u. Z. austronesische Seefahrer im Zuge der Besiedelung der pazifischen Inselwelt (mehr) auch Neuguinea und Australien erreichten.

Die australische "Traumzeit"

Die Menschen, die nach Australien gelangten, trafen auf dem neuen Kontinent eine exo­tische Tier- und Pflanzenwelt an: Drei Meter hohe Kängurus und andere Beuteltiere, flug­unfähige Riesenvögel, sieben Meter lange Echsen, nashorngroße Wombats und 50 Kilo­gramm schwere Schlangen – das Ergebnis von 55 Millionen Jahren eigener Evolution. In ihren mythischen Erzählungen erinnern die Aborigines sich noch an diese Zeit; eine Zeit, als ihre Vorfahren mit einem Kanu aufs Meer fuhren, sich am Morgenstern orientierten und die Nordküste Australiens erreichten, von Riesenkängurus angegriffen wurden und am Ende der letzten Eiszeit der Pegel des Meeres anstieg. Nach ihren Vorstellungen wurde das Land während der "Traumzeit" (die nichts mit dem Träumen im Schlaf zu tun hat, sondern eine metaphysische Parallelwelt bezeichnet, in der die Welt geschaffen/geordnet wurde und wird) durch Ahnen wie die Regenbogenschlange geformt, die einst über das Land schlängelte und dabei Flüsse in die Erde kratzte und Berge aufschüttete. Das Land (und nicht etwa ein Gott) ist die zentrale Figur der Traumzeit, Landmarken erinnern an Geschehnisse in der "Traumzeit", und jeder Mensch ist über ein Totem mit den Ahnen aus der "Traumzeit" verbunden. Aus den Erzählungen aus der Traumzeit folgen auch Regeln für das Zusammenleben. So müssen Menschen mit demselben Totem sich unabhängig von ihrer Verwandtschaft gegenseitig helfen (eine ideale Konstellation für Nomaden); und die Verbindung zur Traumzeit wird durch Rituale an Kultstätten gepflegt.

Diese heiligen Orte liegen entlang der "Traumpfade", an denen einst die Ahnenwesen die Welt ins Dasein "gesungen" haben: anhand von Liederzyklen, die die Traumpfade beschrei­ben, können sich die Aborigines selbst in unbekanntem Land orientieren. Die Rituale, zu denen sie sehr lange Wege auf sich nehmen, stellen ein verbindendes Element der Kultur der Ureinwohner dar, die ansonsten sehr zerstreut leb(t)en – so hatten sich in Australien 200 bis 300 verschiedene Sprachen entwickelt, aber viele Ureinwohner sprechen drei oder vier Sprachen und verstehen etliche mehr.

Eine zweite Wanderungswelle von Homo sapiens startete vor 45.000 Jahren. Diesmal waren die Küstengebiete bereits besiedelt, sie führte daher in den Nahen Osten. Von hier gingen in den nächsten 15.000 Jahren drei weitere Wanderungsbewegungen aus: eine nach Indien, eine nach Ostasien (von der die Chinesen und andere asiatische Völker abstammen) und eine nach Zentralasien, ins heutige Kasachstan. Auch nach Europa führten Wanderun­gen (davon zeugen Funde im sibirischen Ust'-Ishim und in der rumänischen Oase-Höhle), aber die genetische Zusammensetzung der heutigen Europäer weist von diesen keine Spuren mehr auf (367). Die erste erfolgreiche (im Sinne von: bis heute andauernde) Besiedlung Europas durch den modernen Menschen ging vor 40.000 Jahren vom Nahen Osten aus: vermutlich gelangten diese Menschen über das Donautal nach Europa. Die ältesten Funde dieser Siedlungswelle kommen aus der Schwäbischen Alb; unter anderem wurde dort ein Löwenmensch aus Mammut-Elfenbein gefunden, der 35.000 Jahre alt ist. Auch diese ersten Siedler im heutigen Deutschland waren dunkelhäutige "Afrikaner".

Das Ende der Neandertaler

Als der moderne Mensch vor 45.000 Jahren im Nahen Osten in das Gebiet gelangte, das von Neandertalern besiedelt wurde, begann deren Niedergang. Wo immer der moderne Mensch ankam, verschwanden nach ein paar Tausend Jahren die Neandertaler; das jüngste bisher gefundene Vorkommen liegt in Gibraltar und ist 28.000 Jahre alt. Gene­tische Analysen zeigen aber, dass im modernen Menschen, wenn er nicht aus Afrika stammt, zwei bis zweieinhalb Prozent des Genoms vom Neandertaler stammen: unsere Vorfahren haben offenbar vor näherer Bekanntschaft nicht zurückgeschreckt (368), selbst wenn es sich um andere Menschenformen handelte (ob der Neandertaler wirklich eine andere Art war, wird durch dieses Ergebnis in Frage gestellt: fruchtbare Nachkommen waren ja möglich). Ganz ausgestorben ist der Neandertaler also nicht. Abgesehen davon: War das Verschwinden des Neandertalers und die Ankunft des modernen Menschen ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen oder verdrängte der moderne Mensch die Neander­taler?

Dass der moderne, in den Tropen entstandene Homo sapiens im eiszeitlichen Eurasien dem an Kälte angepassten Neandertaler verdrängt haben soll, scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich plausibel. Aber Untersuchungen zeigen einen entscheidenden biologischen Unterschied: Neandertaler wurden wesentlich jünger geschlechtsreif – was bedeutet, dass junge Neandertaler weniger Zeit für ihre Entwicklung und fürs Lernen von älteren Gruppenmitgliedern hatten. Dieser Unterschied, so vermuten viele Forscher, könnte dazu geführt haben, dass der moderne Mensch vielleicht biologisch unter-, aber kulturell überlegen war: Er entwickelte wirksamere Waffen und Jagdtechniken (siehe folgender Abschnitt), und eine erste Arbeitsteilung: Während bei den Neandertalern Männer und Frauen Großtiere jagten, blieb dies beim modernen Menschen den Männern vorbehalten – wodurch Frauen und Kinder nicht den Risiken der Jagd ausgesetzt waren. Dass der moder­ne Mensch dem Neandertaler überlegen war, wird auch daran erkennbar, dass er ein Gebiet weit über die Verbreitung des Neandertalers hinaus besiedelte.

Bleibt noch die Frage, ob Homo sapiens den Neandertaler “nur” verdrängte oder direkt bekämpfte? Die Antwort ist umstritten, aber dass das Verschwinden der Neandertaler ein paar Tausend Jahre brauchte, spricht eher dafür, dass sie in weniger lohnende Regionen abgedrängt wurden. Die muskulöseren Neandertaler brauchten aber mit über 4.000 kcal pro Tag etwa doppelt soviel Nahrungsenergie wie ein moderner Mensch – möglicherweise war diese in schlechten Zeiten dort einfach nicht zu finden, was dann langfristig zum Aussterben führte.

Die Besiedlung Europas durch den modernen Menschen fand während einer zunehmenden Abkühlung statt, die im letzten eiszeitlichen (Kälte-)Maximum vor 24.000 bis 18.000 Jahren mündete. Die ersten Siedler prägten die Aurignacien-Kultur. Sie kamen dank immer wirksamerer Waffen und immer feinerer Werkzeuge – eine der wichtigsten Entwicklungen war die Nähnadel, sie ermöglichte die Herstellung von (mit Tiersehnen) genähter, eng anliegender Kleidung und warmer Unterkünfte aus Tierfellen – mit fallenden Temperaturen und sich ausdehnenden Eisschilden zurecht. Vor etwa 33.000 Jahren kam dann eine neue Welle von Siedlern aus dem Osten, sie brachten die Gravettien-Kultur mit sich. Offenbar vertrieben die neuen Siedler ihre Vorgänger, die sich auf die Iberische Halbinsel zurück­zogen. Das sollte ihr Glück sein, denn die Temperaturen fielen weiter, die Eisschilde dehnten sich immer weiter aus: in Zentraleuropa war Homo sapiens, ein an die Tropen angepasste Lebewesen (unsere “Neutraltemperatur”, bei der die Wärmeerzeugung durch den Grund­umsatz des Stoffwechsels die Wärmeverluste genau ausgleicht, beträgt 27 °C), ein Über­leben kaum möglich. Die neuen Siedler der Gravettien-Kultur verschwanden wieder, aber ihre Vorgänger hatte auf der Iberischen Halbinsel überlebt, und kehrten nach dem Ende der Kältephase vor 18.000 Jahren nach Zentraleuropa zurück. Hier trafen sie auf eine andere Gruppe von Menschen, die zur gleichen Zeit aus der Balkanregion nach Zentraleuropa gezogen war; beide Gruppen vermischten sich und ihre Nachkommen prägten Europa für lange Zeit: es waren technisch hoch entwickelte Jäger mit dunkler Haut und blauen Augen.

Besonders unwirtlich war nach der Eiszeit das östliche Sibirien; hier sind wohl nur in warmen Jahren Gruppen von Jägern aufgetaucht. Aber vor etwa 15.000 Jahren war es dann warm genug, dass mit Feuer und warmer Kleidung versehene Menschen auch nordöstlich des Baikalsees dauerhaft überleben konnten: erste Siedlungen entstanden (ältere Angaben in der Literatur konnten mit modernen Datierungsmethoden nicht bestätigt werden). Sie waren wohl nicht die ersten: Mit der Erwärmung waren auch die Weidetiere immer weiter nach Osten gezogen, und ihnen menschliche Jäger gefolgt. Da in den riesigen Eisschilden aber immer noch viel Wasser gebunden war, lag der Meeresspiegel viel niedriger als heute – und wo heute die Beringstraße liegt, gab es eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska. Ohne es zu bemerken, erreichten die Jäger Amerika. Die Besiedelung Amerikas fand wohl bald nach der dem ersten Erreichen Ostsibiriens durch ein Gruppe statt, die nach geneti­schen Daten vor rund 16.000 Jahren weiter nach Amerika zog (370). Die ältesten Funde aus Alaska sind knapp 14.000 Jahre alt. (Auch in Amerika gibt es angeblich ältere Funde, so sollen Felszeichnungen im brasilianischen Pedra Furada 35.000 Jahre alt sein. Aber weder sind die gefundenen Steinwerkzeuge eindeutig vom Menschen gemacht, noch wurde das Alter der Pigmente bestimmt, sondern der Asche am Fundort, die ebenso gut von Wald­bränden stammen könnte.)

Nordamerika war östlich von Alaska wie das nördliche Europa zu weiten Teilen von Eis bedeckt, aber zur Zeit der Besiedlung bildete sich in der warmen Phase vermutlich ein eisfreier Korridor zwischen der Eisdecke auf dem Küstengebirge und der des nordöstlichen Amerikas; und auf diesem Korridor sind die Menschen von der Beringstraße über Alaska wohl zu den Prärien Nordamerikas gelangt. Ein paar Hundert Jahre später zog ein Teil von ihnen weiter nach Südamerika. (Eine alternative Theorie vermutet, dass die ersten Besiedler nicht über Land nach Amerika gelangt, sondern mit Booten entlang der Pazifikküste gefahren seien – entlang der Küste gab es eisfreie Refugien, die dies möglich gemacht hätten. Aufgrund des angestiegenen Meeresspiegels liegen mögliche Indizien für diese Theorie jedoch heute im Meer und sind daher schwer zu finden; aufgrund des Fischreichtums der gesamten amerikanischen Pazifikküste gilt auch dieser Weg aber manchem als plausibel.) Auf jeden Fall haben die Einwanderer der Kontinent relativ schnell besiedelt, wie der 14.700 Jahre alte chilenische Fundort Monte Verde zeigt. Sie fanden eine reiche Tierwelt vor; in den Prärien weideten Mastodonten (eine ursprüngliche Elefantenart), Elefanten, riesige Gürteltiere, Säbelzahntiger, Pferde und Kamele. Und es gab keine ernsthaften Hindernisse mehr auf dem Weg nach Süden: Ab 11.000 v. u. Z. gibt es zahlreiche Funde der Clovis-Kultur (nach dem ersten Fundort, Clovis im US-Bundesstaat New Mexico) mit charakteris­tischen steinernen Speerspitzen über ganz Nordamerika, und bald darauf finden sich Spuren des Menschen auch in Amazonien und in Patagonien. Innerhalb von gut 1.000 Jahren hatten die Einwanderer also offenbar bereits die Südspitze Südamerikas erreicht, und sie hatten sich dabei auf einige Millionen vermehrt. Damit waren alle Kontinente vom Menschen besiedelt; außer der eisbedeckten Antarktis, die erst im 20. Jahrhundert mit hochentwickel­ten technischen Hilfsmitteln besiedelt werden konnte. (In Amerika folgten später noch mindestens zwei weitere Einwanderungswellen: Eine vor 9000 Jahren, bei der die Vorfahren der Na-Dené Indianer, zu denen die Haida, Apachen und Navajos gehören, ebenfalls von Nordasien aus nach Amerika gelangten; und eine vor 5.000 Jahren, bei der die Aleuten und Inuit (“Eskimos”) den Norden Amerikas besiedelten. Stark umstritten sind mögliche weitere, womöglich sogar frühere Einwanderungswellen: Etwa von Menschen aus Ozeanien, aus Nordostasien (vermutet aufgrund von Funden, die japanischen Ureinwohnern vom Volk der Ainu ähneln) oder gar aus Europa.

Das Leben in der Steinzeit

Wie das Leben der Menschen in der Steinzeit wirklich gewesen ist, ist bis heute kaum bekannt: schriftliche Überlieferungen gibt es nicht, Knochen und Steinwerkzeuge erzählen nur einen kleinen Teil ihrer Geschichte. Heutige Jäger und Sammler müssen auch mehr so leben wie die Menschen vor 30.000 Jahren – zumal sie oft in Regionen verdrängt worden, in denen Landwirtschaft sich nicht lohnte. Entsprechend umstritten sind die Erkenntnisse. War man sich früher sicher, dass die Menschen in der Steinzeit ein hartes, brutales und kurzes Leben hatten (so Thomas Hobbes im “Leviathan”), ergaben seit den 1960er Jahren Untersuchungen bei Jägern und Sammlern, die weiterhin in ihren traditionellen Gebieten lebten, ein ganz anderes Bild: Der kanadische Anthropologe Richard Borshay Lee, der für seine Doktorarbeit Zeitaufwand und Nahrungsmengen der isoliert als Jäger und Sammler lebenden Juǀ’hoansi (einer zu den !Kung, früher "Buschmänner" genannt, gehörigen Ethnie) in Botswana, bei denen er 18 Monate lebte, protokollierte, fand heraus, dass diese allen­falls zwei bis drei Stunden für die Nahrungssuche brauchten. Und das, obwohl in der Zeit seines Aufenthalts eine schwere Dürre in Botswana herrschte, dass die meisten Bauern in Botswana nur Dank der Lebenshilfen der Regierung überlebten. Die Kalorienaufnahme lag rund 10 Prozent über der notwendigen Menge für Personen von der Größe der Juǀ’hoansi [375].

Auch der amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins war durch das Studium vor allem von Berichten aus der Kolonialzeit über Begegnungen mit Jägern und Sammlern zu dem Schluss gekommen, dass diese vor der Kolonialzeit nicht wirklich litten. Er erkannte vor allem die Gemeinsamkeit, dass die Jäger und Sammler kaum materielle Ansprüche hatten – sie konnten ihre materiellen Wünsche leicht erfüllen, weil sie kaum welche hatten. Für Sahlins, der 1972 sein einflussreiches Buch "Stone Age Economics" veröffentlichte, waren die Steinzeit­gesellschaften daher die “ursprünglich reichen Gesellschaften”. Das Werk regte auch die Beschäftigung mit älteren Texten an, die ähnliche Erkenntnisse berichtet hatten, aber nicht immer ernst genommen worden waren. So hatte der britisch-amerika­nische Anthropologe Colin Turnbull schon in den 1950er Jahren die Mbuti-Pygmäen im damaligen Zaire (heute Kongo) studiert und eine "Ökonomie des Teilens" beschrieben: nach Ansicht der Mbuti teilte die Natur ihre Früchte mit ihnen, und sie teilten diese untereinander. Ähnliches fand der britische Anthropologe James Woodburn bei den Hadzabe in der Serengeti (die sich ihre Nahrung "ohne große Mühe" beschafften) – ihm fiel auf, dass die Hadzabe nie mehr ernteten oder jagten, als sie verzehren konnten. Ihre Weigerung, Vorräte anzulegen, wurzelte in der Überzeugung, dass die Natur immer für sie sorgen werde, und war nach Woodburns Ansicht die Ursache dafür, dass die Hadzabe-Gesellschaften so lange Bestand hatten: da es kaum materiellen Besitz gab, gab es auch keine Hierarchien, und kein Mitglied der Gruppe konnte Macht über andere gewinnen [375].

Der australische Anthropologe Nicolas Peterson, der in den 1980er Jahren bei den Yolngu-Aborigines im Arnhemland lebte, prägte für diese Wirtschaftsform den Begriff "Bedarfs­teilung": Nahrung und Gegenstände wurden nach Bedarf verteilt. Dabei spielten die Wünsche der einzelnen eine zentrale Rolle. Vielen Anthropologen war schon vorher aufge­fallen (und mancher hatte sich darüber geärgert), dass ihre Gastgeber sie offen um Geschenke angingen. Was sie nicht wussten, dass es für die Bitten feste Regeln gab – und da jeder (außer den Anthropologen) die Regeln kannte, gab es keine "unangemes­senen" Wünsche, sondern es ging darum, Besitz (von dem die Anthropologen vergleichs­weise viel hatten) gleichmäßig zu verteilen. Geschenke wurden auch nicht behalten, sondern weitergegeben; es kam auch vor, dass sie Jahre später zu ihren ursprünglichen Besitzern zurückkamen. Auf diese Weise sorgen die "Bedarfsteiler"-Kulturen dafür, dass jeder genug zu essen hatte und seltene Dinge jedem zur Verfügung standen [375].

Aber auch die Theorie der "ursprünglich reichen Gesellschaften" ist nicht unumstritten. Andere Untersuchungen kamen nämlich aber zu dem Ergebnis, dass die Nahrung in schlech­ten Jahren nicht immer ausreichend war. Das waren allerdings Untersuchungen, die außerhalb der feuchten Tropen und Subtropen gemacht wurden. Dort musst sich schon aufgrund des ausgeprägteren jahreszeitlichen Klimas tatsächlich eine Art von Vorrats­haltung entwickeln, womit auch die Entstehung komplexerer Gesellschaften einherging. Wahrscheinlich haben also beide Seiten recht – je nach Region und nach klimatischen Verhältnissen konnte das Leben der Jäger und Sammler mal leicht, mal aber weniger leicht. Darauf reagierten die Menschen mit der ihnen eigenen Flexibilität – mit der Ver­breitung des Menschen über die ganze Welt und fast alle Klimazonen bildeten sich auch unterschied­lichsten Lebensweisen und Kulturen aus, die Grundlage der kulturellen Viel­falt der Menschheit (die heute verloren zu gehen droht).

Gemeinsam scheint den Menschen in der Steinzeit gewesen zu sein, dass in Verbänden von bis zu 150 Mitgliedern lebten, die zumeist als Nomaden den Jahreszeiten und Tier­wanderungen hinterherzogen und alles Lebensnotwendige selbst herstellten. Sie waren in der Regel gut ernährt und größer und gesünder als die späteren Bauern. Vermutlich waren Jäger und Sammler auch die klügsten Menschen der Geschichte: von ihren Fähigkeiten und ihren Kenntnissen über ihre Umwelt hing ihre Überleben ab (tatsächlich begann das menschliche Gehirn mit der Erfindung der Landwirtschaft zu schrumpfen). Sie hatten zumindest in guten Regionen – und in den kälteren Regionen im Winter – aber auch relativ viel “Freizeit”. Gelegentlich hatten sie Kontakt mit anderen Verbänden, dabei wurden Geschenke und Informationen (und wohl auch Gruppenmitglieder) ausgetauscht; damit wurden vor allem soziale Beziehungen gepflegt. Möglicherweise erstreckten sich diese Beziehungen auch in die nichtmenschliche Welt – dies war dann die Aufgabe des Schama­nen; mehr dazu hier. Vermutlich hatten benachbarte Verbände gelegentlich auch gemein­same Mythen, Normen und Werte. Wert­volle Güter wurden auch über große Entfernungen ausgetauscht – dies wird etwa aus den Venusfiguren geschlossen, die vor 20.000 Jahren von den Pyrenäen bis an den Don ver­brei­tet waren; auch in Australien ist der Handel von Ocker aus der Mine von Wilgie Mia quer über den Kontinent belegt. Neben Gütern wurden dabei auch beim Fernhandel Informationen austauscht, dafür spricht etwa die schnelle Verbreitung neuer Waffen.

Gelegentlich – und viele Anthropologen vermuten: vor allem in schlechten Zeiten – ver­sagte die soziale Kontaktpflege aber auch: Durch Axthiebe verursachte Knochen­ver­letz­ungen bei Steinzeitmenschen zeigen, dass es unter ihnen auch gewalttätige Ausein­ander­setzungen gab. Das Ausmaß ist aber umstritten – wie will man etwa Knochen­verletzungen durch Unfälle von Kampfesfolgen unterscheiden? Manche Spuren, etwa Massengräber mit Schädeln von Frauen und Kindern mit eindeutigen Hieb- und Stich­spuren, deuten eindeutig auf Massaker; andere Untersuchungen fanden kaum Spuren von Gewalteinwirkung. Wahr­scheinlich gilt auch für die Frage nach dem Ausmaß der Gewalt in der Steinzeit: manche Regionen werden friedlich gelebt haben, anderswo gab es durchaus blutige Konflikte.

Mit der Besiedelung Amerikas am Ende der Eiszeiten hatte der Mensch den letzten der da­mals bewohnbaren Kontinente erschlossen. Gerade noch rechtzeitig, denn mit dem Ende der Eiszeiten stieg der Meeresspiegel an und trennte Sibirien und Alaska wieder; ebenso Aus­tra­lien, Neuguinea und Tasmanien sowie Japan von Korea. Aus der einen Welt, die der Mensch besiedeln konnten, wurden wieder drei durch Meere voneinander getrennte Be­rei­che (Afrika und Eurasien, Amerika, Australien), zwischen denen – wenn überhaupt – kaum Kontakt bestand. Mit dem Ende der Eiszeiten dehnten sich aber auf allen Kontinenten die bewohnbaren Flächen aus, und die Zahl der Menschen nahm zu.

Vor etwa 10.000 Jahren haben bereits vier bis acht Millionen Menschen auf der Erde gelebt.

Aber die Erde war noch nicht vollständig besiedelt: Es folgte noch die Besiedelung der mediterranen und der ozeanischen Inselwelt. Die Mittelmeerinseln von Kreta bis Sardinien wurden zwischen 8.500 und 4.000 v. u. Z. besiedelt; die Karibik-Inseln ab 5.000 v. u. Z. (Trinidad). Die Arktis wurde (vermutlich von nordamerikanischen Indianern als Vorläufern der heutigen Inuit) um 2.000 v. u. Z. besiedelt.

Die letzte große Barriere für den Menschen waren die Ozeane: Die Besiedelung der pazifi­schen Inselwelt (Polynesien, Mikronesien und Neuseeland) begann vor 4.000 Jahren mit der Überfahrt vom heutigen China nach Taiwan – dies war der Beginn der spektakulärsten Siedlungswelle über die Weltmeere. Lange Zeit hatten die Historiker geglaubt, sie sei eher zufällig erfolgt, als Fischer vom Kurs abkamen. Heute glaubt man, sie sei gezielt erfolgt: Zum einen erfolgte sie gegen die vorherrschende Richtung von Wind und Meeres­strömun­gen, zum anderen hatten die Siedler Nutzpflanzen und Nutztiere dabei (im Unterschied zu den älteren Siedlungswellen waren hier nicht Jäger und Sammler unterwegs, sondern Menschen, die die Landwirtschaft kannten). Die erste Welle hat die austronesischen See­fahrer über die indonesische Inselwelt und über Australien und Neuguinea bis zu den Salomonen gebracht, wo vor etwa 3.200 Jahren eintrafen. In der nächsten Siedlungswelle erreichten Bauern und Fischer aus dem Bismarck-Archipel nordöstlich von Neuguinea und von den Salomonen aus mit hochseetüchtigen Auslegerkanus die Fidschi-Inseln, Samoa und Tonga – fast 1.500 Kilometer über offenes Meer. Diese Vorfahren der Polynesier werden nach dem Stil ihrer Keramik Lapita-Keramiker genannt. Über 1.500 Jahre später brachen sie – nun mit großen Doppelkanus versehen – wieder auf und erreichten zwischen 600 und 800 nach Christus die Cook-, Gesellschafts- und Marquesas-Inseln (und von dort aus – mehr als 5.000 Kilometer über das offene Meer! – gegen 400 n. Chr. Hawaii) sowoe gegen 900 n. Chr. die Osterinsel: Mindestens 2.100 Kilometer über offenes Meer von der nächstgelegenen Inselgruppe, den Pitcairn-Inseln im Westen. Vermutlich von Kalimantan in Indonesien aus wurde um das Jahr 400 herum Madagaskar besiedelt – ebenfalls eine 5.000 Kilometer-Reise, die wohl durch den Nordost-Monsun ermöglicht wurde. Die Besiedelung von Neuseeland im Jahr 1.200 n. Chr. schloss die Besiedlung der bewohnbaren Inseln im Pazifik ab – auch diese Reise erforderte mindestens 3.200 Kilometer über offenes Meer. (Möglicherweise haben die Austronesier sogar Amerika erreicht; in Chile gefundene Hühner stammen nach genetischen Untersuchungen aus Polynesien und sind im 14. Jahrhundert in die Neue Welt gelangt.)

Dazwischen lag die Besiedlung zahlreicher Inseln im indischen Ozean und die von Madagas­kar von Indonesien aus zwischen dem vierten und dem neunten Jahrhundert sowie im neun­ten Jahrhundert und zehnten Jahrhundert die Besiedelung von Island und (des bereits von Inuit besiedelten) Grönland durch Norweger. Wirklich von europäischen Eroberern entdeckt wurden daher nur einige abgelegene Inseln im Atlantik und im Indischen Ozean, wie die Azoren und die Seychellen; alle anderen Inseln und Kontinente waren bereits bevölkert. Eine lange Geschichte technischer Entwicklungen ermöglichte dann im 20. Jahrhundert auch die Besiedlung der Antarktis – und im Jahr 1969 den ersten Besuch auf dem Mond.

Erste kulturelle Zentren

Der moderne „Cro-Magnon-Mensch“ war technisch wesentlich weiter entwickelt als die Neandertaler: Er nutzte Knochen, um etwa Angelhaken und Nähnadeln herzustellen; er erfand Pfeil und Bogen und so genannte Speerschleudern. Mit diesen Waffen war die Geschwindigkeit und Reichweite der Projektile größer; und das Töten großer und gefähr­licher Tiere wurde daher leichter. Auch die Grabstöcke wurden mit Steingewichten versehen, die sie tiefer in den Boden eindringen ließen. Das Klima der Eiszeiten bot Homo sapiens südlich der Eisschilde reichlich Beute: eine offene Graslandschaft mit vielen großen Weidetieren versprach einem derart guten Jäger vor allem an den Zugrouten und Wasser­stellen leichtes Jagdglück. So bildeten sich an den besten Plätzen sogar erste kulturelle Zentren heraus, etwa die Magdalénien in Südfrankreich und Nordspanien. Hier bauten unsere Ahnen erste dorfartige Siedlungen, die über längere Zeiträume bewohnt waren. Sie lebten offenbar von der Jagd auf regelmäßig vorbeiziehende Herden. Dafür reichten einige Monate im Jahr aus; und in der restlichen Zeit schufen sie dort einige der bemerkens­wertesten Kunstwerke der Altsteinzeit, die berühmten Bilderhöhlen von Lascaux und Altamira.

Jäger in der Eiszeit

In den Bilderbüchern für Kinder werden gerne Eiszeitjäger dargestellt, die speerschwingend einen Mammut umringen. Nach allem was wir wissen, hat es diese Szene nie gegeben: Zum einen wäre es für die Steinzeitjäger viel zu gefährlich gewesen, sich mit einem aus­ge­wachsenen Mammut anzulegen; zum anderen würden ihnen eine solche Mutprobe auch gar nichts nützen – ein ausgewachsenes Mammut liefert so viel Fleisch, dass es ohne Kühlung zum großen Teil vergammeln würde. Die Auswertung der Knochen aus steinzeit­lichen Fundstellen zeigt: Die Steinzeitjäger jagten vor allem Tiere mit weniger als einer Tonne Lebendgewicht – darunter auch junge Mammuts. Diese Tiere lieferten eine Fleisch­menge von 400 – 500 Kilo; soviel konnte ein Familienclan vor dem Vergammeln auch nut­zen (und nebenbei war es auch noch zarter). Gefährliche Tiere wurden dabei gerne aus dem Hinterhalt getötet, oder auch an Orten, wo sie etwa im tiefen Schlamm versanken und wehrlos waren. Freilich waren auch “kleine” Tiere mit fast einer Tonne Lebendgewicht gefährlich, ihre Jagd war nur in Gruppen möglich. Die Jäger versuchten, geschwächte Tiere aus den Herden zu isolieren und zu Tode zu hetzen (wobei ihnen ihre ausgezeich­neten läuferischen Fähigkeiten zu Gute kamen, siehe oben). Mit der der Erfindung von “Distanzwaffen” wie dem Wurfspeer wurde die Jagd erheblich erleichtert. Wilde Tiere verändern aber ihr Verhalten bei Gefahr, und als Reaktion auf den Wurfspeer wurden sie scheuer. Die Menschen tarnten sich daraufhin mit Tierfellen und setzten sich Hörner oder Geweihe auf, um sie zu täuschen – so sind vermutlich die “Hirschmenschen” in stein­zeitlichen Felsmalereien zu erklären. Diese Verkleidung scheint sich bewährt zu haben, denn später übernahmen die Schamanen sie für die rituelle Beschwörung des Jagdglücks.

Das erste “Haustier”: Der Hund

Bereits in der Frühzeit der Menschheit, vor 135.000 Jahren ist nach neuesten genetischen Untersuchungen der Wolf zum Haustier geworden. Die ältesten Knochenfunde, die ein­deutig keinen Wolf, sondern einen Hund nachweisen, sind allerdings nur etwa 15.000 Jahre alt. Aber auch in diesem Fall ist der Hund immer noch das älteste “Haustier” des Men­schen. Ob der Mensch zum Hund gekommen ist oder der Hund zum Menschen, ist umstrit­ten: Denkbar ist sowohl, dass Wolfsrudel die Nähe menschlicher Lager gesucht haben, wo es Fleischreste und salz- und mineralienreiche Asche von verlassenen Lagerfeuern gab; als auch, dass Menschen junge Welpen gefunden und aufgezogen haben. In jedem Fall muss sich der Wolf dem Menschen als nützlich erwiesen haben, etwa indem er ihm beim Aufspüren der Beute half – und so fing das dauerhafte Zusammenleben an. Wölfe sind als Rudeltiere relativ leicht zu zähmen; sie leben von Natur aus in hierarchischen Verbänden und ordnen sich bei richtiger Behandlung dem Menschen unter. Das Zusammenleben führte schließlich beim Wolf zu genetischen Veränderungen, die beim Hund münden sollten. Wölfe wurden offenbar in Vorderasien, China und Nordamerika unabhängig voneinander zum Haustier.

Auch außerhalb Europas waren erste sesshafte Kulturen entstanden, oft in Verbindung mit der Fischerei: Bereits vor 45.000 Jahren siedelten Fischer an den Küsten der indone­sischen Inselgruppe. An der nordamerikanischen Pazifikküste siedelten sich Fischer an, die von wandernden Lachsen und Walen lebten, in bis zu 35 Metern langen Langhäusern lebten und prachtvolle Totempfähle schnitzten. Fischer siedelten sogar an der arktischen Küste, wo die Ureinwohner durch den Walfang genug Nahrung für feste Siedlungen erhielten – die Anpassung an das arktische Klima ist ein weiteres beeindruckendes Zeugnis der Anpas­sungs­fähigkeit des Menschen.

Die geistige Welt des frühen Homo sapiens

Was die Menschen früher dachten und glaubten, lässt sich schwerer als technische Errun­genschaften oder die Ernährungsweise nachvollziehen: Wir kennen Venusfiguren, die offen­sichtlich die weibliche Fruchtbarkeit darstellen, und wir kennen die Höhlenbilder des frühen Homo sapiens. Aber welchem Zweck dienten diese? Gab es für die Menschen schon eine Geisterwelt, die parallel zur menschlichen Welt bestand und Erfahrungen wie Träume, Leben und Tod erklären konnte? Gab es bereits so etwas wie Schamanen, die mit dieser Geister­welt in Kontakt treten konnten, und hatten die Bilder etwas damit zu tun (wie es der Vergleich mit heutigen Jägerkulturen nahelegt)? Gab es erste Formen von Religion? Die meisten Forscher denken, dass die frühen Wildbeuter wie viele heutige Jäger- und Sammler-Kulturen animistischen Glaubensvorstellungen anhingen – der Ausdruck ist von lateinisch anima, Seele oder Geist, abgeleitet und bedeutet, dass die Menschen glaubten, dass die ganze Welt beseelt sein, jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier Bewusstsein und Empfin­dun­gen hat und man mit ihnen (über Sprache, Tanz, Gesang, ...) in Kontakt treten kann. Der Mensch hat dabei keine herausgehobene Rolle. Darüber hinaus wissen wir aber nichts – an welche Mythen glaubten die Menschen, welche Geister riefen sie an? Zehntausende Jahre Menschheitsgeschichte verbergen sich hinter einem "Vorhang des Schweigens" (380). Aber wer sich die Bilder aus den steinzeitlichen Höhlen von Lascaux oder Altamira ansieht, wird auch heute noch von ihnen berührt: Die Denkwelt des frühen Homo sapiens hatte mit der unseren offensichtlich schon einiges gemeinsam.

Die kulturelle Vielfalt der Menschheit

Auch wenn es offenkundig unter den Menschen eine große Vielfalt an Merkmalen wie Hautfarbe, Gesichtszüge und anderen körperlichen Merkmalen gibt, die kulturelle (und sprachliche) Vielfalt übertrifft diese bei weitem. Sie war die Grundlage für den Erfolg der Menschheit: Die Anpassung an die verschiedensten Lebensräume. Aber die kulturelle Vielfalt der Menschheit geht zunehmend verloren. Indigene Völker – also die, die vor Eroberungen, Kolonisation oder Staatsgründungen in einem Gebiet lebten, die bekann­testen sind die Yanomani in Brasilien, die Buschleute in Afrika, die Aborigines in Australien oder die Papua-Stämme in Indonesien – werden oftmals als rückständig angesehen und an den Rand gedrängt; vor allem, wenn sie ein Gebiet besiedeln, in dem Bodenschätze liegen oder Großprojekte geplant sind.

Ähnlich wie bei der biologischen Vielfalt (siehe hier) liegt hierin eine große Gefahr: Die Vielfalt ist die Grundlage der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Wenn etwa die fossilen Brennstoffe, auf denen die Industrielle Landwirtschaft basiert, zu Ende gehen, mögen Kenntnisse traditioneller Landbaumethoden wieder hoch aktuell werden (siehe hier). Oder ein anderes, aktuelles Beispiel: Vor tausenden von Jahren gelang es den Ureinwohnern des Amazonasgebietes, dort mit Hilfe von Holzkohle fruchtbare Böden herzustellen (mehr); heute wird diese Technik als einer der Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel diskutiert (hier). Aber die Ureinwohner des Amazonasgebietes, die nach schlechten Erfahrungen in der Regel jeden Kontakt mit Weißen ablehnen, werden durch Goldsucher, (illegale) Holzfällerei, Soja- und Zuckerrohranbau, die Ansiedlung land­loser Bauern oder christliche Missionare immer weiter zurückgedrängt oder verlieren ihre Kultur. (Die meisten dieser Völker leben in Brasilien und Peru; während es in Brasilien wenigstens auf dem Papier anerkannte Schutzgebiete gibt – die von der Indianerbehörde FUNAI nur unzureichend insbesondere gegen agroindustrielle und forstwirtschaftliche Interessen geschützt werden können –, werden diese in Peru gerade erst geplant.)

 Ein sehr schön beschriebenes Beispiel für eine andere Weltsicht von indigenen Völkern und deren Bezug zur ökologischen Nachhaltigkeit liefert Robin Wall Kimmerer: Geflochtenes Süßgras. Zur >> Besprechung des Buches.

Organisationen zum Schutz bedrohter Völker:
Survival International
Gesellschaft zum Schutz bedrohter Völker

In den Tropen, und so auch in Afrika, waren die Temperaturänderungen während der Kalt- und Warmphasen wesentlich geringer als in höheren Breiten, aber die kalten Zeiten waren trockener. In wärmeren Phasen kehrte der Regen zurück, nach einigen Hundert Jahren waren die Savannen wieder grün – und selbst die Sahara, wie Felszeichnungen aus der Lybischen Wüste zeigen. In Afrika war wohl während der Eiszeiten auch der Grabstock erfunden worden, ein angespitzter, gelegentlich mit einer Steinscheibe beschwerter Stock, der beim Ausgraben von Wurzeln und Knollen half – und auch zum Setzen von Setzlingen geeignet war; er gilt daher als ein wesentlicher Vorläufer der Landwirtschaft (mehr) und manchen Historiker gar als eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit. In der Umgebung der 70.000 Jahre alten Klasies River Caves in Südafrika gibt es zahlreiche Pflanzen, die ihre Reservestoffe in Zwiebeln, Knollen oder Wurzelstöcken unter der Erde speichern, und die in einem Maße genutzt wurden, das sich Paläobotaniker nur mit “Mana­ge­ment” – etwa dem Abbrennen anderer Pflanzen – erklären können. Vor 70.000 Jahren manipulierte der Mensch also schon seine Umwelt (mehr).

In Westeuropa führte das vor 15.000 Jahren wärmer werdende Klima dazu, dass die offenen Grasländer vom Wald verdrängt wurden; eine Entwicklung, die durch Pollenablagerungen in Sedimenten belegt ist. Damit verschwanden aber die großen Tierherden, sie folgten der Tundra-Vegetation nach Norden. Die Cro-Magnon-Jäger hatten die Wahl: Entweder sie folgten ihrer bisherigen Beute; oder sie blieben vor Ort und jagten Waldtiere wie Elch, Hirsch und Auerochse. Sie nutzten beide Möglichkeiten. Im Norden konnten sie ihre alte Lebensweise beibehalten, in den wärmeren Regionen wurde alles anders: Die Waldtiere lebten nicht in großen Herden wie zuvor die Weidetiere; und auch wenn die Erfindung von Pfeil und Bogen bei der Jagd im Wald half – die Sicherstellung von ausreichender Nahrung wurde schwieriger. Dorfartige Siedlungen, Höhlenbilder und Venusfiguren gibt es aus dieser Zeit nicht mehr. Neben der Jagd spielte pflanzliche Nahrung wieder eine größere Rolle; Wälder liefern Knollen, Pilze, Nüsse und andere Früchte. Diese hatten auch den Vorteil, dass sie gut aufbewahrt werden konnten, so dass Reserven für schlechte Zeiten angelegt werden konnten. Als die Wälder immer dichter wurden, zogen die Menschen sich an offene Stellen zurück: Sie besiedelten bevorzugt Fluss- und Seeufer oder Sümpfe, wo die Jagd leichter war und durch Fischfang ergänzt werden konnte.

Östlich des Mittelmeeres ...

Historisch bedeutsam sollte aber die Region östlich des Mittelmeeres werden: Hier brachten mit dem einsetzenden Ende der Eiszeiten vor 15.000 Jahren feuchte Westwinde soviel  Regen ins Land, dass im Gebiet des heutigen Israels, Palästinas, Jordaniens und Syriens lockere Eichen-Pistazienwälder über ertragreichen Grasländern entstanden, in denen Gazellen und Wildesel weideten. Grassamen im Frühjahr, Gazellen im Sommer und Eicheln sowie Pistazien im Herbst lieferten reichlich – und ausgewogene – Nahrung. Aber insbeson­dere die Eicheln verlangten eine aufwendige Zubereitung – die Bitterstoffe mussten ausge­waschen werden. Die Frauen, die für ihre Zubereitung zuständig waren, waren daher zu­nehmend an den Haushalt gefesselt. Auch in dieser Region entstanden feste Siedlungen, die zur Natufien-Kultur (nach dem Fundort Wadi an-Natuf im heutigen Westjordanland) gehörten (390): Vor allem in der Region des heutigen Israels und Jordaniens gelegen, be­standen diese Siedlungen aus runden Häusern mit Sockeln aus Steinen und luftgetrock­neten Lehm­ziegeln. Wie wichtig die Gräser für die Ernährung bereits waren, zeigen Mörser, Mahlsteine und Feuersteinsicheln, die in Siedlungen des Natufien gefunden wurden. Die Benutzung von Mörsern und Mahlsteinen haben darüber hinaus dem Menschen wohl auch den Weg zu ge­schliffenen Steinwerkzeugen gezeigt – und damit die Jungsteinzeit (Neo­lithikum) einge­leitet.

Die Sesshaftigkeit konnte aber auch zum Verhängnis werden: Der mobile frühere Mensch konnte auf Veränderungen in seiner Umwelt reagieren, indem er einfach dahin zog, wo seine Jagdbeute hinzog. Dieser Ausweg stand Menschen, die in einer dicht besiedelten Region lebten, aber nicht mehr zur Verfügung – in den angrenzenden Gebieten lebten bereits Menschen, und in schlechten Zeiten waren Neuankömmlinge kaum willkommen. Eine solche Veränderung kam vor 13.000 Jahren mit dem Beginn der letzten Kaltphase, der Jüngeren Dryas: Im östlichen Mittelmeerraum begann eine lang andauernde Trockenheit; die Wälder schrumpften, die Grasländer trugen weniger Körner. Die Menschen machten aus der Not eine Tugend: Sie versuchten, mit der Aussaat von Gräsern die Ernte zu steigern; und damit begann der Übergang zur Landwirtschaft – beschreiben wird dieser auf der Seite Die Erfindung der Landwirtschaft.

 

Weitere Informationen:

Genographic Project: Gemeinsames Forschungsvorhaben der amerikanischen National Geographic Society und von IBM, um mit Hilfe moderner genetischer Verfahren und deren informationstechnischer Auswertung die Geschichte der Ausbreitung des modernen Menschen über die Welt nachzuvollziehen (englischsprachig).

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© Jürgen Paeger 2006 – 2021

Eine fast schon klass­ische Untersuchung über die Bedeutung der Kunst für die Entwick­lung des menschlichen Bewusstseins ist die von David Lewis-Williams: The Mind in the Cave (nur in Eng­lisch erhältlich).

Der literarische Klassiker über die Mythologie der australischen Urein­woh­ner ist Bruce Chatwins lesenswertes Buch "Traumpfade"; eine kurzgefasste Sachdar­stellung findet sich in Gerhard Leitner: Die Aborigines Austra­liens, Beck, 2. Aufl. 2010.

Wer das Buch Gefloch­tenes Süßgras gelesen hat, wird viele Ähnlich­keiten zum Umgang mit Geschenken bei den Potawatomi in Amerika feststellen.