Der Mensch
Der moderne Mensch –
Homo sapiens
Auch der moderne Mensch entstand in Afrika, vor
etwa 200.000 Jahren. Im Laufe der Zeit eroberte er den ganzen
Kontinent, besiedelte vor 100.000 Jahren den Nahen Osten und vor
spätestens 50.000 Jahren den Rest der Welt. Vor 14.000 Jahren waren
alle Kontinente außer der Antarktis besiedelt, darauf folgte die
Besiedlung der ozeanischen Inselwelt, die vor 800 Jahren mit der
Besiedelung Neuseelands abgeschlossen war. Seither prägt der Mensch
der Erde seinen Stempel auf.
Felsenmalerei aus Lascaux
(Auerochsen): Bereits der Cro-Magnon-Mensch
in der späten Steinzeit schuf erste kulturelle Zentren. Abb.: Prof
saxx,
wikipedia
commons, abgerufen 30.5.2012, Lizenz: cc
3.0.
Die 1868 in den Felsen von Cro Magnon gefundenen Skelette (siehe Die
Erforschung der Entwicklungsgeschichte der Menschheit) waren
die ersten, die richtig als Skelette vorhistorischer, moderner
Menschen erkannt wurden. Ihr Alter wurde später mit 25.000 Jahren
bestimmt. Oft werden die Funde des modernen Menschen aus der
eurasischen Steinzeit seither als Cro-Magnon-Menschen bezeichnet.
(Es gab frühere Funde, etwa die Grabungen von Reverend William
Buckland, Präsident der Geologischen Gesellschaft von London, in den
1820er Jahren am walisischen Fundort Paviland durchgeführt hatte: Er
fand eine Frau mit Mammutelfenbein, die “Red Lady of Paviland”. Da
er aber nicht glauben konnte, dass die Frau zeitgleich mit den
Mammuts gelebt hatte, erklärte er, walisische Stammesangehörige
haben sie dort gegraben, dabei das Elfenbein gefunden, geschnitzt
und ins Grab gelegt. Spätere Untersuchungen zeigten aber, dass
dieses Skelett über 30.000 Jahre alt war.) Im Laufe der Zeit kamen
zahlreiche weitere Funde aus der ganzen Welt hinzu; die ältesten
Funde stammten aus Afrika: 160.000 Jahre alt ist ein Fund aus Herto
(Afar-Region, Äthiopien), weitere Funde gibt es aus Laetoli und vom
Turkana-See sowie aus Südafrika. Der große zeitliche Abstand der
afrikanischen Funde zu denen aus dem Rest der Welt legt nahe, dass
der moderne Mensch, Homo sapiens, wie
schon Homo erectus in Afrika entstanden ist.
Was wurde aus dem
asiatischen Homo erectus?
Für die Anhänger eines multiregionalen Übergangs
(siehe folgenden Abschnitt) ist Homo erectus der Vorläufer
der modernen Asiaten. Eine neue Untersuchung an 12.000 Südasiaten
zeigte aber, dass diese alle einen 50.000 Jahre alten afrikanischen
Ursprung haben – ein weiteres Ergebnis, das gegen einen
multiregionalen Übergang spricht. Die jüngsten Spuren von Homo
erectus aus China sind 100.000 Jahre alt – nach Ansicht der
meisten Anthropologen ist diese Art danach ausgestorben,
möglicherweise aufgrund einer Eiszeit, die auch Homo sapiens
an den Rand des Aussterbens brachte (auch hierzu mehr im folgenden
Abschnitt). In Indonesien entwickelte sich Homo erectus
möglicherweise zu anderen, heute ebenfalls ausgestorbenen Arten
weiter (siehe Die
Menschen von Flores).
Der moderne Mensch ist in Afrika entstanden
Zwar hat auch die Theorie eines multiregionalen Übergangs nach wie
vor Anhänger, nach der sich der moderne Mensch in verschiedenen
Regionen der Welt unabhängig voneinander entwickelt hat. (Diese lag
manchem frühen Erforscher der Erde – meist begüterten weißen Männern
– nahe, die an eine angeborene Überlegenheit ihrer eigenen “Rasse”
glaubten. Heute finden sich Anhänger vor allem in Asien: Sie soll
verschiedene asiatische Besonderheiten begründen, wie etwa die
durch eine muldenförmige Vertiefung an der Rückseite
schaufelförmigen Schneidezähne.) Aber nicht nur die Fossilienfunde,
sondern weitere Indizien stützen eindeutig die alternative „Out-of-Africa“-Theorie,
die Theorie eines afrikanischen Ursprungs des modernen Menschen.
Ursprünglich war diese von Linguisten entwickelt worden: Der
amerikanische Linguist und Ethnologe Joseph Greenberg hatte die San,
eine heute noch in Botswana und Namibia lebende Sammler- und
Jägergesellschaft (früher als „Buschmänner“ bezeichnet), anhand
Ihrer Sprache mit Klicklauten zu einer der ältesten Gruppen der Welt
gezählt. Heute werden vor allem genetische Merkmale herangezogen,
um die Ursprung des Menschen aufzuklären: molekulare Uhren helfen, Verwandtschaften
aufzuklären: Je länger Populationen voneinander getrennt sind, desto
größer sind die genetischen Unterschiede zwischen ihnen. Und
Untersuchungen zeigen, dass sie tatsächlich in Afrika am größten
sind, und dort bei den San: Hier können die genetischen
Unterschiede zwischen den Menschen in zwei 30 Kilometer voneinander
entfernten Dörfern größer sein als zwischen denen zweier
europäischer Länder! Als später ein Teil der Bevölkerung auszog,
die Welt zu erobern, begann sie dieses Abenteuer mit nur einem Teil
der genetischen Vielfalt. Dafür können später neue Veränderungen
auftreten, die nur in dem Teil der Welt zu finden sind, der nach dem
Auftreten des neuen Merkmals besiedelt wurde. Lange Zeit hat die
Forschung sich dabei wegen des geringeren Aufwandes auf
Untersuchungen der Mitochondrien-DNS und des Y-Chromosomens
konzentriert (beide werden bei den Nachkommen nicht aus der DNS von
Mutter und Vater neu zusammengestellt, sondern unverändert von der
Mutter beziehungsweise dem Vater übernommen), aufgrund des
technischen Fortschrittes wird heute zunehmend die gesamte DNS
genutzt: auf diese Weise können die Archäogenetiker
inzwischen die Besiedelung der Erde durch den modernen Menschen
auch anhand genetischer Merkmale skizzieren.
Mit der molekularen Uhr konnten die Ergebnisse genutzt werden, um
abzuschätzen, wann Homo sapiens entstanden ist: Dies war
ziemlich sicher vor über 200.000 Jahren, vielleicht aber schon
vorher (316). Als eine
möglicherweise entscheidende genetische Veränderung wird die
Vervielfältigung des Gens "BOLA2" auf dem Chromosomen 16 angesehen
(320): es spielt eine
zentrale Rolle im Eisenstoffwechsel, und seine Vervielfältigung hat
die Fähigkeit unseres Blutes (Eisen ist ein wichtiger Bestandteil
der roten Blutkörperchen, in denen das Blut Sauerstoff speichert),
Sauerstoff aufzunehmen, verbessert: der Mensch wurde damit zu einem
noch besseren Läufer, und damit erhielt er den Zugang zu Eiweißen
und Fetten, die das menschliche Gehirn
benötigt. Die ältesten eindeutigen Fossilien des modernen Menschen
wurden 1997 bei aus Herto in der Afar-Senke in Äthiopien von dem
amerikanischen Paläoanthropologen Tim White und seinem Team
gefunden; sie sind 160.000 Jahre alt (bei Omo Kibish wurde ein
195.000 Jahre altes Teilskelett gefunden, dessen Zuordnung jedoch
umstritten ist). Ein 315.000 Jahre alter Schädel aus dem
marokkanischen Jebel Irhoud weist darauf hin, dass Homo sapiens
sogar älter als 300.000 Jahre als sein könnte (322).
Womöglich ist Homo sapiens also in Afrika auch mehrfach – in
Nordafrika, am ostafrikanischen Grabenbruch und in Südafrika – in
Erscheinung getreten. Vor 100.000 Jahren lebten jedenfalls
mindestens drei Menschenarten auf der Erde: Homo sapiens
in Afrika, Homo neanderthalensis in Europa und Homo
erectus in Asien. Vielleicht auch schon Homo
floresiensis auf Flores. Überlebt hat aber alleine Homo
sapiens.
Unsere afrikanische Vergangenheit
Über die ersten 100.000 bis 200.000 Jahre, also über die ersten
zwei Drittel bis die erste Hälfte der Geschichte des modernen
Menschen Homo sapiens, wissen wir nur wenig. Dieser Teil
unserer Geschichte spielte sich weitgehend (330)
in Afrika ab. Die San oder ihre Vorläufer besiedelten damals große
Teile des afrikanischen Kontinents. Sie entwickelten neue
Steinwerkzeuge (Mikrolithen – kleine Klingen, die wohl für Pfeile,
aber auch andere Anwendungszwecke verwendet wurden), erste
Knochenwerkzeuge und die Fischerei. Die Temperaturschwankungen
der
Eiszeiten hatten einen erheblichen Einfluss auf die
Bevölkerung: Warmzeiten brachten in Afrika warmes, feuchtes Wetter,
bei dem selbst die Sahara voller Tiere war. Eine Eiszeit bedeutete
in Afrika trockenes Wetter; die Tiere müssen nach Süden in die
tropischen Regionen wandern, um genug Futter zu finden (und die
Menschen mussten ihnen folgen). Während der warmen Phase vor 125.000
Jahren nahm die Zahl der Menschen zu: sie wird auf bis zu eine
Million geschätzt. Die danach beginnende Abkühlung führte in Afrika
vermutlich zu zunehmender Trockenheit; anderseits ermöglichte der
gesunkene Meeresspiegel den Menschen eine Wanderung um die
Nordspitze des Roten Meeres oder mit Booten über die wenigen
Kilometer des südlichen Roten Meeres: Vor 100.000 Jahren verließ
der moderne Mensch erneut Afrika. Eine Gruppe gelangte nach Israel,
dort wurden Funde bei Qafzeh bei Nazareth und Skhul am Karmelgebirge
gemacht. Sie gelangte aber wohl nie weiter und starb vor 90.000
Jahren aus.
Abkühlung und Trockenheit nahmen bis vor 70.000 Jahren weiter zu. Vor 74.000 Jahren brach zudem auf der indonesischen
Insel Sumatra der Vulkan Toba aus, dessen Staubwolken den Himmel
verdunkelten und möglicherweise auf der ganzen Erde zu einem
“Vulkanwinter” führten. Die Zahl der Menschen nahm ab – vielleicht
sogar stark: genetische Analysen deuten darauf hin, dass die
Bevölkerungszahl damals auf nur etwa 10.000 Menschen zurückging, Homo
sapiens also möglicherweise kurz vor dem Aussterben stand. Im
Nachhinein mag dieses dem Menschen sogar geholfen haben, denn in
den kleinen überlebenden Populationen nimmt (aufgrund der genetischen Drift) die genetische Vielfalt
rasch zu: die Menschheit könnte aufgrund einer genetischen
Veränderung einen Sprung voran gemacht haben. Oder war dieser
kulturell bedingt? – Während die Menschen in guten Zeit vermutlich
ihr Sozialleben pflegten (siehe
hier), waren schlechte Zeiten oftmals Phasen intensiver
Neuerungen (nach dem Motto “Not macht erfinderisch”). Wieder andere
Anthropologen glauben, dass die jetzt einsetzende Entwicklung das
Ergebnis einer lang andauernden Entwicklung der menschlichen
Sprache war.
Ein großer Sprung nach vorne?
Jedenfalls denken viele Anthropologen, dass vor 70.000 Jahren die
kognitiven Fähigkeiten – Lernfähigkeit, Gedächtnis,
Kommunikationsfähigkeit – des Menschen deutlich zugelegt haben.
Erstmals in der Menschheitsgeschichte tauchten Grabstöcke,
Mühlsteine, Fischerei, Werkzeuge aus Knochen (etwa Knochennadeln mit
Ösen und Bohrer), Nutzung von Farbpigmenten und schließlich
Felszeichnungen, Perlenketten, elfenbeinerne Anhänger mit
Tiermotiven und Musikinstrumente (Flöten aus Knochen) auf – nicht
nur feinere Werkzeuge also, sondern auf einmal gab es Malerei,
figürliche Darstellungen und Musik. Zu den ältesten dieser
Fundstellen gehört die Blombos-Höhle in Südafrika, die seit 1991
ausgegraben wird. Hier wurden unter anderem über 70.000 Jahre alte
Knochenwerkzeuge, Perlen und Ockerpigmente und Mahlsteine gefunden.
Diese ersten Belege für modernes, geplantes und abstraktes
(künstlerisches) Denken des modernen Menschen zeigen eine
Entwicklung, die viele Anthropologen als “großen Sprung nach vorne”
(engl.: great leap forward) in der Menschheitsgeschichte
bewerten: Der Mensch war nicht mehr nur anatomisch dem heutigen
Menschen ähnlich, sondern dachte und sprach offenbar ähnlich wie wir
heute. (Andere Anthropologen weisen darauf hin, dass es
problematisch ist, vor allem aus hinterlassenen handwerklichen
Geräten auf das geistige Niveau schließen zu wollen und zweifeln den
"großen Sprung vorwärts" vor 70.000 Jahren daher an [340].
Sie weisen auf noch ältere Funde – etwa die 90.000 Jahre alte
Grabstätte am Fluss Semliki im Kongo, an der Harpunenspitzen
aus Knochen gefunden wurden und darauf, dass das Klima in
weiten Teilen Afrikas eher ungünstig für die Bewahrung urzeitlicher
Relikte ist (und in manchen Regionen – wie am Semliki – das
politische Klima ihre Erforschung fast unmöglich macht).
Die
Sprache war aber spätestens jetzt voll entwickelt; und damit
konnten nicht nur gemeinsame Aktivitäten besser geplant werden,
sondern auch die Werkzeuge wurden weiter entwickelt: Die
Fortschritte in der Werkzeugbearbeitung leiten zur Jungsteinzeit
über. Im südlichen Afrika wurden spätestens in dieser Zeit Speere
verwendet; die Jagdfähigkeiten hatten sich damit erheblich
verbessert – dies ist an den Knochen der erlegten Tiere abzulesen.
Der Mensch stand auf einmal an der Spitze der Nahrungskette
(sozusagen "ungelernt", was böse Folgen für seine Jagdbeute hatte,
mehr dazu hier).
Spätestens zu dieser Zeit konnte der Mensch auch Feuer selbst
entzünden – mit einer Technik ähnlich der des Bohrens -, und
beherrschte damit endgültig eine Kraft, mit der er mehr ausrichten
konnte als alleine mit seiner Muskelkraft. Mit dem Feuer veränderte
Homo sapiens erstmals großflächig seine Umwelt (mehr dazu
hier). Ohnehin führte
die kognitive Revolution, wie der "große Sprung nach vorne" auch
genannt wird, zu einer entscheidenden Veränderung: der Mensch konnte
nicht nur abstrakt denken, sondern über seine Vorstellungen auch mit
anderen Menschen reden: So entstanden Legenden, Mythen, Religionen,
Götter – sogenannte "soziale Konstrukte", auf denen gemeinsame
Werte und Normen beruhten, die das entstehen ließen, was wir heute
"Kultur" nennen. Damit konnte der Mensch in größeren Gruppen
zusammenarbeiten, vor allem aber wesentlich schneller und flexibler
auf neue Herausforderungen reagieren als alle anderen Tiere (360).
Als erstes eroberte er die Erde.
Der moderne Mensch erobert die Erde
Zu der Zeit des "großen Sprungs nach vorne", vor 70.000 Jahren
also, wurde das Klima zwischenzeitlich wieder etwas wärmer und in
Ostafrika wieder feuchter, gleichzeitig nahm auch die Zahl der
Menschen wieder zu. Ob diese Zunahme am Klima oder an der kognitiven
Revolution lag, ist umstritten. Wir wissen aber, dass der Mensch zu
dieser Zeit neue Lebensräume in Afrika erobert; und in diese Zeit
fällt auch die zweite erfolgreiche Auswanderungswelle des Menschen
aus Afrika. Sie begann vor 70.000 bis 50.000 Jahren und führte über
das in einer Eiszeit wesentlich kleinere Rote Meer an die Südküste
der arabischen Halbinsel; und vor hier aus über die nächsten
Jahrtausende entlang der Südküste Asiens bis nach Australien und
Neuguinea (siehe Abbildung).
Ausbreitung des modernen Menschen
(Homo sapiens) über die
Welt. Die Farben und Zahlen geben den Zeitraum der
Ausbreitung an, die Zahlen bedeuten Jahre vor unserer Zeit. (Die
Karte stellt die heutige
Verteilung der Landmassen und der Meere dar; zur Zeit der
Wanderungen war diese anders, so bestand
eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska.) Die Karte basiert auf
Daten von Spencer
Wells, die Jahreszahl für die Besiedlung Amerikas
aktualisiert nach 370
(siehe auch Text unten).
Waren die Menschen von Neugier getrieben? Oder sind sie einfach
wanderndem Jagdwild gefolgt, und jedes Jahr etwas weiter nach Osten
gelangt? Wir wissen es nicht. Aber sie machten auf ihrer Reise
überraschende Begegnungen, die heute nicht mehr möglich wären: So
dürften sie – etwa in Indonesien (Die
Menschen von Flores) – auf Menschen der
Die
Menschen von Flores
Im Jahr 2004 ging der Fund einer kleinwüchsigen
Menschenart auf der indonesischen Insel Flores durch die Presse: Nur
einen Meter groß, lebte Homo floresiensis noch vor 18.000
Jahren auf der Insel (366).
Anfänglich wurde bei dem Zwergenwuchs auch ein krankhafter Ursprung
für möglich gehalten, inzwischen wurden H. floresiensis
aber an mehreren anderen Stellen gefunden, so dass die Menschen von
Flores wohl tatsächliche eine eigene, vermutlich aus Homo
erectus entstandene, Menschenart gewesen sein dürften. Zum
Zwergenwuchs könnte es aufgrund der isolierten Entwicklung auf der
Insel gekommen sein; auf Inseln kommt dieses gelegentlich vor – und
auf Flores wurden auch ungewöhnlich kleine Elefanten gefunden. Die
Untersuchung des Gehirns zeigte, dass H. floresiensis ein
zwar kleines, aber komplex vernetztes Gehirn besaß, also intelligent
war.
Art Homo erectus gestoßen sein; was dabei passiert ist,
weiß niemand. Die Ausbreitung jedenfalls ging langsam voran; aber
auch wenn man jedes Jahr nur zwei Kilometer vorankommt, schafft man
in 5.000 Jahren 10.000 Kilometer. Vielleicht waren es auch die
Fischgründe an der Küste, denen die Menschen folgten; jedenfalls
gelangten sie im Laufe der Zeit den äußersten Zipfel Südostasien. Da
ihre Wanderroute heute infolge eines wieder gestiegenen
Meeresspiegels unter Wasser liegt, ist wenig über sie bekannt.
Entsprechend wissen wir auch nichts darüber, wie gut diese Menschen
mit der See zurecht kamen. Aber an der heutigen indonesischen
Inselwelt war Schluss mit der Küste, die damals gut 1.600 Kilometer
weiter ins Meer ragte. Australien war vom Festland durch mindestens
acht Meeresarme von bis zu 80 km Breite getrennt – und wurde
dennoch erreicht: Australien und Neuguinea, zu dieser Zeit zu einem
einzigen Kontinent verbunden, wurden den molekularen Uhren zufolge
vor 60.000 bis 50.000 Jahren besiedelt. Der älteste bekannte Fund, “Mungo
Man” aus dem Mungo National Park in New South Wales, ist
40.000 Jahre alt.
Die Besiedlung Australiens und Neuguineas war ein
Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Australien und
Neuguinea hatten sich vor rund 55 Millionen Jahren von der Antarktis
abgespalten (mehr dazu hier),
seine Tier- und Pflanzenwelt hatte seither eine ganz eigene
Entwicklung genommen. Und dann kam der Mensch. Um über die
Meeresarme aus der indonesischen Inselwelt nach Australien und
Neuguinea zu kommen, brauchte er auf jeden Fall Boote. Mit diesen
gelangte er erstmals über die zusammenhängende Landmasse Afrika –
Eurasien hinaus auf einen neuen Kontinent. Warum ahnten die
Menschen, dass sie jenseits des Wassers Land finden würden? Sahen
sie ziehende Vögel? Sahen sie Rauchsäulen oder nächtlichen
Feuerschein von Buschfeuern? Wir wissen es nicht; aber da auch die
Salomonen östlich von Neuguinea besiedelt wurden, war die
Besiedelung offenbar kein Zufallsereignis: Die Menschen im
australischen Raum waren bereits geübt im Umgang mit Booten –
vermutlich hochseetüchtigen Bambusflößen, wie sie noch heute an den
Küsten Südchinas benutzt werden. Auch die Besiedelung von Inseln im
Norden Australiens deutet beeindruckendes Navigationswissen an. (Den
nächsten Hinweis auf die Nutzung von Booten finden wir übrigens erst
30.000 Jahre später im Mittelmeerraum.) Einfach war die Überfahrt
aber offenbar auch für die seefahrenden Vorläufer der Australier
nicht, denn Australien und Neuguinea sollten sich weitgehend
isoliert vom asiatischen Festland entwickeln, bis gegen 1.600 v. u.
Z. austronesische Seefahrer im Zuge der Besiedelung der pazifischen
Inselwelt (mehr)
auch Neuguinea und Australien erreichten.
Die
australische "Traumzeit"
Die Menschen, die nach Australien gelangten, trafen auf dem neuen
Kontinent eine exotische Tier- und Pflanzenwelt an: Drei Meter hohe
Kängurus und andere Beuteltiere, flugunfähige Riesenvögel, sieben
Meter lange Echsen, nashorngroße Wombats und 50 Kilogramm schwere
Schlangen – das Ergebnis von 55 Millionen Jahren eigener Evolution.
In ihren mythischen Erzählungen erinnern die Aborigines sich noch an
diese Zeit; eine Zeit, als ihre Vorfahren mit einem Kanu aufs Meer
fuhren, sich am Morgenstern orientierten und die Nordküste
Australiens erreichten, von Riesenkängurus angegriffen wurden und am
Ende der letzten Eiszeit der Pegel des Meeres anstieg. Nach ihren
Vorstellungen wurde das Land während der "Traumzeit" (die nichts mit
dem Träumen im Schlaf zu tun hat, sondern eine metaphysische
Parallelwelt bezeichnet, in der die Welt geschaffen/geordnet wurde
und wird) durch Ahnen wie die Regenbogenschlange geformt, die einst
über das Land schlängelte und dabei Flüsse in die Erde kratzte und
Berge aufschüttete. Das Land (und nicht etwa ein Gott) ist die
zentrale Figur der Traumzeit, Landmarken erinnern an Geschehnisse in
der "Traumzeit", und jeder Mensch ist über ein Totem mit den Ahnen
aus der "Traumzeit" verbunden. Aus den Erzählungen aus der Traumzeit
folgen auch Regeln für das Zusammenleben. So müssen Menschen mit
demselben Totem sich unabhängig von ihrer Verwandtschaft gegenseitig
helfen (eine ideale Konstellation für Nomaden); und die Verbindung
zur Traumzeit wird durch Rituale an Kultstätten gepflegt.
Diese heiligen Orte liegen entlang der "Traumpfade",
an denen einst die Ahnenwesen die Welt ins Dasein "gesungen" haben:
anhand von Liederzyklen, die die Traumpfade beschreiben, können
sich die Aborigines selbst in unbekanntem Land orientieren. Die
Rituale, zu denen sie sehr lange Wege auf sich nehmen, stellen ein
verbindendes Element der Kultur der Ureinwohner dar, die ansonsten
sehr zerstreut leb(t)en – so hatten sich in Australien 200 bis 300
verschiedene Sprachen entwickelt, aber viele Ureinwohner sprechen
drei oder vier Sprachen und verstehen etliche mehr.
Eine zweite Wanderungswelle von Homo sapiens
startete vor 45.000 Jahren. Diesmal waren die Küstengebiete
bereits besiedelt, sie führte daher in den Nahen Osten. Von hier
gingen in den nächsten 15.000 Jahren drei weitere
Wanderungsbewegungen aus: eine nach Indien, eine nach Ostasien (von
der die Chinesen und andere asiatische Völker abstammen) und eine
nach Zentralasien, ins heutige Kasachstan. Auch nach Europa führten
Wanderungen (davon zeugen Funde im sibirischen Ust'-Ishim und in
der rumänischen Oase-Höhle), aber die genetische Zusammensetzung der
heutigen Europäer weist von diesen keine Spuren mehr auf (367).
Die erste erfolgreiche (im Sinne von: bis heute andauernde)
Besiedlung Europas durch den modernen Menschen ging vor 40.000
Jahren vom Nahen Osten aus: vermutlich gelangten diese Menschen über
das Donautal nach Europa. Die ältesten Funde dieser Siedlungswelle
kommen aus der Schwäbischen Alb; unter anderem wurde dort ein
Löwenmensch aus Mammut-Elfenbein gefunden, der 35.000 Jahre alt ist.
Auch diese ersten Siedler im heutigen Deutschland waren
dunkelhäutige "Afrikaner".
Das Ende der
Neandertaler
Als der moderne Mensch vor 45.000 Jahren im Nahen Osten in das
Gebiet gelangte, das von Neandertalern besiedelt wurde, begann deren
Niedergang. Wo immer der moderne Mensch ankam, verschwanden nach ein
paar Tausend Jahren die Neandertaler; das jüngste bisher gefundene
Vorkommen liegt in Gibraltar und ist 28.000 Jahre alt. Genetische
Analysen zeigen aber, dass im modernen Menschen, wenn er nicht aus
Afrika stammt, zwei bis zweieinhalb Prozent des Genoms vom
Neandertaler stammen: unsere Vorfahren haben offenbar vor näherer
Bekanntschaft nicht zurückgeschreckt (368),
selbst wenn es sich um andere Menschenformen handelte (ob der
Neandertaler wirklich eine andere Art war, wird durch dieses
Ergebnis in Frage gestellt: fruchtbare Nachkommen waren ja möglich).
Ganz ausgestorben ist der Neandertaler also nicht. Abgesehen davon:
War das Verschwinden des Neandertalers und die Ankunft des modernen
Menschen ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen oder verdrängte
der moderne Mensch die Neandertaler?
Dass der moderne, in den Tropen entstandene Homo sapiens
im eiszeitlichen Eurasien dem an Kälte angepassten Neandertaler
verdrängt haben soll, scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich
plausibel. Aber Untersuchungen zeigen einen entscheidenden
biologischen Unterschied: Neandertaler wurden wesentlich jünger
geschlechtsreif – was bedeutet, dass junge Neandertaler weniger Zeit
für ihre Entwicklung und fürs Lernen von älteren Gruppenmitgliedern
hatten. Dieser Unterschied, so vermuten viele Forscher, könnte dazu
geführt haben, dass der moderne Mensch vielleicht biologisch unter-,
aber kulturell überlegen war: Er entwickelte wirksamere Waffen und
Jagdtechniken (siehe folgender Abschnitt), und eine erste
Arbeitsteilung: Während bei den Neandertalern Männer und Frauen
Großtiere jagten, blieb dies beim modernen Menschen den Männern
vorbehalten – wodurch Frauen und Kinder nicht den Risiken der Jagd
ausgesetzt waren. Dass der moderne Mensch dem Neandertaler
überlegen war, wird auch daran erkennbar, dass er ein Gebiet weit
über die Verbreitung des Neandertalers hinaus besiedelte.
Bleibt noch die Frage, ob Homo sapiens den
Neandertaler “nur” verdrängte oder direkt bekämpfte? Die Antwort ist
umstritten, aber dass das Verschwinden der Neandertaler ein paar
Tausend Jahre brauchte, spricht eher dafür, dass sie in weniger
lohnende Regionen abgedrängt wurden. Die muskulöseren Neandertaler
brauchten aber mit über 4.000 kcal pro Tag etwa doppelt soviel
Nahrungsenergie wie ein moderner Mensch – möglicherweise war diese
in schlechten Zeiten dort einfach nicht zu finden, was dann
langfristig zum Aussterben führte.
Die Besiedlung Europas durch den modernen Menschen fand während
einer zunehmenden Abkühlung statt, die im letzten eiszeitlichen
(Kälte-)Maximum vor 24.000 bis 18.000 Jahren mündete. Die ersten
Siedler prägten die Aurignacien-Kultur. Sie kamen dank immer
wirksamerer Waffen und immer feinerer Werkzeuge – eine der
wichtigsten Entwicklungen war die Nähnadel, sie ermöglichte die
Herstellung von (mit Tiersehnen) genähter, eng anliegender Kleidung
und warmer Unterkünfte aus Tierfellen – mit fallenden Temperaturen
und sich ausdehnenden Eisschilden zurecht. Vor etwa 33.000 Jahren
kam dann eine neue Welle von Siedlern aus dem Osten, sie brachten
die Gravettien-Kultur mit sich. Offenbar vertrieben die
neuen Siedler ihre Vorgänger, die sich auf die Iberische Halbinsel
zurückzogen. Das sollte ihr Glück sein, denn die Temperaturen
fielen weiter, die Eisschilde dehnten sich immer weiter aus: in
Zentraleuropa war Homo sapiens, ein an die Tropen
angepasste Lebewesen (unsere “Neutraltemperatur”, bei der die
Wärmeerzeugung durch den Grundumsatz des Stoffwechsels die
Wärmeverluste genau ausgleicht, beträgt 27 °C), ein Überleben kaum
möglich. Die neuen Siedler der Gravettien-Kultur verschwanden
wieder, aber ihre Vorgänger hatte auf der Iberischen Halbinsel
überlebt, und kehrten nach dem Ende der Kältephase vor 18.000 Jahren
nach Zentraleuropa zurück. Hier trafen sie auf eine andere Gruppe
von Menschen, die zur gleichen Zeit aus der Balkanregion nach
Zentraleuropa gezogen war; beide Gruppen vermischten sich und ihre
Nachkommen prägten Europa für lange Zeit: es waren technisch hoch
entwickelte Jäger mit dunkler Haut und blauen Augen.
Besonders unwirtlich war nach der Eiszeit das östliche Sibirien;
hier sind wohl nur in warmen Jahren Gruppen von Jägern aufgetaucht.
Aber vor etwa 15.000 Jahren war es dann warm genug, dass mit Feuer
und warmer Kleidung versehene Menschen auch nordöstlich des
Baikalsees dauerhaft überleben konnten: erste Siedlungen entstanden
(ältere Angaben in der Literatur konnten mit modernen
Datierungsmethoden nicht bestätigt werden). Sie waren wohl nicht die
ersten: Mit der Erwärmung waren auch die Weidetiere immer weiter
nach Osten gezogen, und ihnen menschliche Jäger gefolgt. Da in den
riesigen Eisschilden aber immer noch viel Wasser gebunden war, lag
der Meeresspiegel viel niedriger als heute – und wo heute die
Beringstraße liegt, gab es eine Landbrücke zwischen Sibirien und
Alaska. Ohne es zu bemerken, erreichten die Jäger Amerika. Die Besiedelung
Amerikas fand wohl bald nach der dem ersten Erreichen
Ostsibiriens durch ein Gruppe statt, die nach genetischen Daten vor
rund 16.000 Jahren weiter nach Amerika zog (370).
Die ältesten Funde aus Alaska sind knapp 14.000 Jahre alt. (Auch in
Amerika gibt es angeblich ältere Funde, so sollen Felszeichnungen im
brasilianischen Pedra Furada 35.000 Jahre alt sein. Aber weder sind
die gefundenen Steinwerkzeuge eindeutig vom Menschen gemacht, noch
wurde das Alter der Pigmente bestimmt, sondern der Asche am Fundort,
die ebenso gut von Waldbränden stammen könnte.)
Nordamerika war östlich von Alaska wie das nördliche Europa zu
weiten Teilen von Eis bedeckt, aber zur Zeit der Besiedlung bildete
sich in der warmen Phase vermutlich ein eisfreier Korridor zwischen
der Eisdecke auf dem Küstengebirge und der des nordöstlichen
Amerikas; und auf diesem Korridor sind die Menschen von der
Beringstraße über Alaska wohl zu den Prärien Nordamerikas gelangt.
Ein paar Hundert Jahre später zog ein Teil von ihnen weiter nach
Südamerika. (Eine alternative Theorie vermutet, dass die ersten
Besiedler nicht über Land nach Amerika gelangt, sondern mit Booten
entlang der Pazifikküste gefahren seien – entlang der Küste gab es
eisfreie Refugien, die dies möglich gemacht hätten. Aufgrund des
angestiegenen Meeresspiegels liegen mögliche Indizien für diese
Theorie jedoch heute im Meer und sind daher schwer zu finden;
aufgrund des Fischreichtums der gesamten amerikanischen Pazifikküste
gilt auch dieser Weg aber manchem als plausibel.) Auf jeden Fall
haben die Einwanderer der Kontinent relativ schnell besiedelt, wie
der 14.700 Jahre alte chilenische Fundort Monte Verde zeigt. Sie
fanden eine reiche Tierwelt vor; in den Prärien weideten Mastodonten
(eine ursprüngliche Elefantenart), Elefanten, riesige Gürteltiere,
Säbelzahntiger, Pferde und Kamele. Und es gab keine ernsthaften
Hindernisse mehr auf dem Weg nach Süden: Ab 11.000 v. u. Z. gibt es
zahlreiche Funde der Clovis-Kultur (nach dem
ersten Fundort, Clovis im US-Bundesstaat New Mexico) mit
charakteristischen steinernen Speerspitzen über ganz Nordamerika,
und bald darauf finden sich Spuren des Menschen auch in Amazonien
und in Patagonien. Innerhalb von gut 1.000 Jahren hatten die
Einwanderer also offenbar bereits die Südspitze Südamerikas
erreicht, und sie hatten sich dabei auf einige Millionen vermehrt.
Damit waren alle Kontinente vom Menschen besiedelt; außer der
eisbedeckten Antarktis, die erst im 20. Jahrhundert mit
hochentwickelten technischen Hilfsmitteln besiedelt werden konnte.
(In Amerika folgten später noch mindestens zwei weitere
Einwanderungswellen: Eine vor 9000 Jahren, bei der die Vorfahren der
Na-Dené Indianer, zu denen die Haida, Apachen und Navajos gehören,
ebenfalls von Nordasien aus nach Amerika gelangten; und eine vor
5.000 Jahren, bei der die Aleuten und Inuit (“Eskimos”) den Norden
Amerikas besiedelten. Stark umstritten sind mögliche weitere,
womöglich sogar frühere Einwanderungswellen: Etwa von Menschen aus
Ozeanien, aus Nordostasien (vermutet aufgrund von Funden, die
japanischen Ureinwohnern vom Volk der Ainu ähneln) oder gar aus
Europa.
Das Leben in der
Steinzeit
Wie das Leben der Menschen in der Steinzeit wirklich gewesen ist,
ist bis heute kaum bekannt: schriftliche Überlieferungen gibt es
nicht, Knochen und Steinwerkzeuge erzählen nur einen kleinen Teil
ihrer Geschichte. Heutige Jäger und Sammler müssen auch mehr so
leben wie die Menschen vor 30.000 Jahren – zumal sie oft in Regionen
verdrängt worden, in denen Landwirtschaft sich nicht lohnte.
Entsprechend umstritten sind die Erkenntnisse. War man sich früher
sicher, dass die Menschen in der Steinzeit ein hartes, brutales und
kurzes Leben hatten (so Thomas Hobbes im “Leviathan”), ergaben seit
den 1960er Jahren Untersuchungen bei Jägern und Sammlern, die
weiterhin in ihren traditionellen Gebieten lebten, ein ganz anderes
Bild: Der kanadische Anthropologe Richard Borshay Lee, der
für seine Doktorarbeit Zeitaufwand und Nahrungsmengen der isoliert
als Jäger und Sammler lebenden Juǀ’hoansi (einer zu den !Kung,
früher "Buschmänner" genannt, gehörigen Ethnie) in Botswana, bei
denen er 18 Monate lebte, protokollierte, fand heraus, dass diese
allenfalls zwei bis drei Stunden für die Nahrungssuche brauchten.
Und das, obwohl in der Zeit seines Aufenthalts eine schwere Dürre in
Botswana herrschte, dass die meisten Bauern in Botswana nur Dank der
Lebenshilfen der Regierung überlebten. Die Kalorienaufnahme lag rund
10 Prozent über der notwendigen Menge für Personen von der Größe der
Juǀ’hoansi [375].
Auch der amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins war
durch das Studium vor allem von Berichten aus der Kolonialzeit über
Begegnungen mit Jägern und Sammlern zu dem Schluss gekommen, dass
diese vor der Kolonialzeit nicht wirklich litten. Er erkannte vor
allem die Gemeinsamkeit, dass die Jäger und Sammler kaum materielle
Ansprüche hatten – sie konnten ihre materiellen Wünsche leicht
erfüllen, weil sie kaum welche hatten. Für Sahlins, der 1972 sein
einflussreiches Buch "Stone Age Economics" veröffentlichte, waren
die Steinzeitgesellschaften daher die “ursprünglich reichen
Gesellschaften”. Das Werk regte auch die Beschäftigung mit älteren
Texten an, die ähnliche Erkenntnisse berichtet hatten, aber nicht
immer ernst genommen worden waren. So hatte der
britisch-amerikanische Anthropologe Colin Turnbull schon in den
1950er Jahren die Mbuti-Pygmäen im damaligen Zaire (heute Kongo)
studiert und eine "Ökonomie des Teilens" beschrieben: nach Ansicht
der Mbuti teilte die Natur ihre Früchte mit ihnen, und sie teilten
diese untereinander. Ähnliches fand der britische Anthropologe James
Woodburn bei den Hadzabe in der Serengeti (die sich ihre Nahrung
"ohne große Mühe" beschafften) – ihm fiel auf, dass die Hadzabe nie
mehr ernteten oder jagten, als sie verzehren konnten. Ihre
Weigerung, Vorräte anzulegen, wurzelte in der Überzeugung, dass die
Natur immer für sie sorgen werde, und war nach Woodburns Ansicht die
Ursache dafür, dass die Hadzabe-Gesellschaften so lange Bestand
hatten: da es kaum materiellen Besitz gab, gab es auch keine
Hierarchien, und kein Mitglied der Gruppe konnte Macht über andere
gewinnen [375].
Der australische Anthropologe Nicolas Peterson, der in den
1980er Jahren bei den Yolngu-Aborigines im Arnhemland lebte, prägte
für diese Wirtschaftsform den Begriff "Bedarfsteilung": Nahrung und
Gegenstände wurden nach Bedarf verteilt. Dabei spielten die Wünsche
der einzelnen eine zentrale Rolle. Vielen Anthropologen war schon
vorher aufgefallen (und mancher hatte sich darüber geärgert), dass
ihre Gastgeber sie offen um Geschenke angingen. Was sie nicht
wussten, dass es für die Bitten feste Regeln gab – und da jeder
(außer den Anthropologen) die Regeln kannte, gab es keine
"unangemessenen" Wünsche, sondern es ging darum, Besitz (von dem
die Anthropologen vergleichsweise viel hatten) gleichmäßig zu
verteilen. Geschenke wurden auch nicht behalten, sondern
weitergegeben; es kam auch vor, dass sie Jahre später zu ihren
ursprünglichen Besitzern zurückkamen. Auf diese Weise sorgen die
"Bedarfsteiler"-Kulturen dafür, dass jeder genug zu essen hatte und
seltene Dinge jedem zur Verfügung standen [375].
Aber auch die Theorie der "ursprünglich reichen Gesellschaften" ist
nicht unumstritten. Andere Untersuchungen kamen nämlich aber zu dem
Ergebnis, dass die Nahrung in schlechten Jahren nicht immer
ausreichend war. Das waren allerdings Untersuchungen, die außerhalb
der feuchten Tropen und Subtropen gemacht wurden. Dort musst sich
schon aufgrund des ausgeprägteren jahreszeitlichen Klimas
tatsächlich eine Art von Vorratshaltung entwickeln, womit auch die
Entstehung komplexerer Gesellschaften einherging. Wahrscheinlich
haben also beide Seiten recht – je nach Region und nach klimatischen
Verhältnissen konnte das Leben der Jäger und Sammler mal leicht, mal
aber weniger leicht. Darauf reagierten die Menschen mit der ihnen
eigenen Flexibilität – mit der Verbreitung des Menschen über die
ganze Welt und fast alle Klimazonen bildeten sich auch
unterschiedlichsten Lebensweisen und Kulturen aus, die Grundlage
der kulturellen Vielfalt der
Menschheit (die heute verloren zu gehen droht).
Gemeinsam scheint den Menschen in der Steinzeit gewesen zu sein,
dass in Verbänden von bis zu 150 Mitgliedern lebten, die zumeist als
Nomaden den Jahreszeiten und Tierwanderungen hinterherzogen und
alles Lebensnotwendige selbst herstellten. Sie waren in der Regel
gut ernährt und größer und gesünder als die späteren Bauern.
Vermutlich waren Jäger und Sammler auch die klügsten Menschen der
Geschichte: von ihren Fähigkeiten und ihren Kenntnissen über ihre
Umwelt hing ihre Überleben ab (tatsächlich begann das menschliche
Gehirn mit der Erfindung der Landwirtschaft zu schrumpfen). Sie
hatten zumindest in guten Regionen – und in den kälteren Regionen im
Winter – aber auch relativ viel “Freizeit”. Gelegentlich hatten sie
Kontakt mit anderen Verbänden, dabei wurden Geschenke und
Informationen (und wohl auch Gruppenmitglieder) ausgetauscht; damit
wurden vor allem soziale Beziehungen gepflegt. Möglicherweise
erstreckten sich diese Beziehungen auch in die nichtmenschliche Welt
– dies war dann die Aufgabe des Schamanen; mehr dazu
hier. Vermutlich hatten benachbarte Verbände gelegentlich auch
gemeinsame Mythen, Normen und Werte. Wertvolle Güter wurden auch
über große Entfernungen ausgetauscht – dies wird etwa aus den
Venusfiguren geschlossen, die vor 20.000 Jahren von den Pyrenäen bis
an den Don verbreitet waren; auch in Australien ist der Handel von
Ocker aus der Mine von Wilgie Mia quer über den Kontinent belegt.
Neben Gütern wurden dabei auch beim Fernhandel Informationen
austauscht, dafür spricht etwa die schnelle Verbreitung neuer
Waffen.
Gelegentlich – und viele Anthropologen vermuten: vor
allem in schlechten Zeiten – versagte die soziale Kontaktpflege
aber auch: Durch Axthiebe verursachte Knochenverletzungen bei
Steinzeitmenschen zeigen, dass es unter ihnen auch gewalttätige
Auseinandersetzungen gab. Das Ausmaß ist aber umstritten – wie
will man etwa Knochenverletzungen durch Unfälle von Kampfesfolgen
unterscheiden? Manche Spuren, etwa Massengräber mit Schädeln von
Frauen und Kindern mit eindeutigen Hieb- und Stichspuren, deuten
eindeutig auf Massaker; andere Untersuchungen fanden kaum Spuren von
Gewalteinwirkung. Wahrscheinlich gilt auch für die Frage nach dem
Ausmaß der Gewalt in der Steinzeit: manche Regionen werden friedlich
gelebt haben, anderswo gab es durchaus blutige Konflikte.
Mit der Besiedelung Amerikas am Ende der Eiszeiten hatte der Mensch
den letzten der damals bewohnbaren Kontinente erschlossen. Gerade
noch rechtzeitig, denn mit dem Ende der Eiszeiten stieg der
Meeresspiegel an und trennte Sibirien und Alaska wieder; ebenso
Australien, Neuguinea und Tasmanien sowie Japan von Korea. Aus der
einen Welt, die der Mensch besiedeln konnten, wurden wieder drei
durch Meere voneinander getrennte Bereiche (Afrika und Eurasien,
Amerika, Australien), zwischen denen – wenn überhaupt – kaum Kontakt
bestand. Mit dem Ende der Eiszeiten dehnten sich aber auf allen
Kontinenten die bewohnbaren Flächen aus, und die Zahl der Menschen
nahm zu.
Vor etwa 10.000 Jahren haben bereits vier
bis acht Millionen Menschen auf der Erde gelebt.
Aber die Erde war noch nicht vollständig
besiedelt: Es folgte noch die Besiedelung der mediterranen und der
ozeanischen Inselwelt. Die Mittelmeerinseln von Kreta bis Sardinien
wurden zwischen 8.500 und 4.000 v. u. Z. besiedelt; die
Karibik-Inseln ab 5.000 v. u. Z. (Trinidad). Die Arktis wurde
(vermutlich von nordamerikanischen Indianern als Vorläufern der
heutigen Inuit) um 2.000 v. u. Z. besiedelt.
Die letzte große Barriere für den Menschen waren die Ozeane: Die
Besiedelung der pazifischen Inselwelt (Polynesien, Mikronesien und
Neuseeland) begann vor 4.000 Jahren mit der Überfahrt vom heutigen
China nach Taiwan – dies war der Beginn der spektakulärsten
Siedlungswelle über die Weltmeere. Lange Zeit hatten die Historiker
geglaubt, sie sei eher zufällig erfolgt, als Fischer vom Kurs
abkamen. Heute glaubt man, sie sei gezielt erfolgt: Zum einen
erfolgte sie gegen die vorherrschende Richtung von Wind und
Meeresströmungen, zum anderen hatten die Siedler Nutzpflanzen und
Nutztiere dabei (im Unterschied zu den älteren Siedlungswellen waren
hier nicht Jäger und Sammler unterwegs, sondern Menschen, die die
Landwirtschaft kannten). Die erste Welle hat die austronesischen
Seefahrer über die indonesische Inselwelt und über Australien und
Neuguinea bis zu den Salomonen gebracht, wo vor etwa 3.200 Jahren
eintrafen. In der nächsten Siedlungswelle erreichten Bauern und
Fischer aus dem Bismarck-Archipel nordöstlich von Neuguinea und von
den Salomonen aus mit hochseetüchtigen Auslegerkanus die
Fidschi-Inseln, Samoa und Tonga – fast 1.500 Kilometer über offenes
Meer. Diese Vorfahren der Polynesier werden nach dem Stil ihrer
Keramik Lapita-Keramiker genannt. Über 1.500 Jahre später brachen
sie – nun mit großen Doppelkanus versehen – wieder auf und
erreichten zwischen 600 und 800 nach Christus die Cook-,
Gesellschafts- und Marquesas-Inseln (und von dort aus – mehr als
5.000 Kilometer über das offene Meer! – gegen 400 n. Chr. Hawaii)
sowoe gegen 900 n. Chr. die Osterinsel: Mindestens 2.100 Kilometer
über offenes Meer von der nächstgelegenen Inselgruppe, den
Pitcairn-Inseln im Westen. Vermutlich von Kalimantan in Indonesien
aus wurde um das Jahr 400 herum Madagaskar besiedelt – ebenfalls
eine 5.000 Kilometer-Reise, die wohl durch den Nordost-Monsun
ermöglicht wurde. Die Besiedelung von Neuseeland im Jahr 1.200 n.
Chr. schloss die Besiedlung der bewohnbaren Inseln im Pazifik ab –
auch diese Reise erforderte mindestens 3.200 Kilometer über offenes
Meer. (Möglicherweise haben die Austronesier sogar Amerika erreicht;
in Chile gefundene Hühner stammen nach genetischen Untersuchungen
aus Polynesien und sind im 14. Jahrhundert in die Neue Welt
gelangt.)
Dazwischen lag die Besiedlung zahlreicher Inseln im indischen Ozean
und die von Madagaskar von Indonesien aus zwischen dem vierten und
dem neunten Jahrhundert sowie im neunten Jahrhundert und zehnten
Jahrhundert die Besiedelung von Island und (des bereits von Inuit
besiedelten) Grönland durch Norweger. Wirklich von europäischen
Eroberern entdeckt wurden daher nur einige abgelegene Inseln im
Atlantik und im Indischen Ozean, wie die Azoren und die Seychellen;
alle anderen Inseln und Kontinente waren bereits bevölkert. Eine
lange Geschichte
technischer Entwicklungen ermöglichte dann im 20. Jahrhundert
auch die Besiedlung der Antarktis – und im Jahr 1969 den ersten
Besuch auf dem Mond.
Erste kulturelle Zentren
Der moderne „Cro-Magnon-Mensch“ war technisch wesentlich weiter
entwickelt als die Neandertaler: Er nutzte Knochen, um etwa
Angelhaken und Nähnadeln herzustellen; er erfand Pfeil und Bogen und
so genannte Speerschleudern. Mit diesen Waffen war die
Geschwindigkeit und Reichweite der Projektile größer; und das Töten
großer und gefährlicher Tiere wurde daher leichter. Auch die
Grabstöcke wurden mit Steingewichten versehen, die sie tiefer in den
Boden eindringen ließen. Das Klima der Eiszeiten bot Homo
sapiens südlich der Eisschilde reichlich Beute: eine offene
Graslandschaft mit vielen großen Weidetieren versprach einem derart
guten Jäger vor allem an den Zugrouten und Wasserstellen leichtes
Jagdglück. So bildeten sich an den besten Plätzen sogar erste
kulturelle Zentren heraus, etwa die Magdalénien in Südfrankreich und
Nordspanien. Hier bauten unsere Ahnen erste dorfartige Siedlungen,
die über längere Zeiträume bewohnt waren. Sie lebten offenbar von
der Jagd auf regelmäßig vorbeiziehende Herden. Dafür reichten einige
Monate im Jahr aus; und in der restlichen Zeit schufen sie dort
einige der bemerkenswertesten Kunstwerke der Altsteinzeit, die
berühmten
Bilderhöhlen von Lascaux und Altamira.
Jäger in der Eiszeit
In den Bilderbüchern für Kinder werden gerne Eiszeitjäger
dargestellt, die speerschwingend einen Mammut umringen. Nach allem
was wir wissen, hat es diese Szene nie gegeben: Zum einen wäre es
für die Steinzeitjäger viel zu gefährlich gewesen, sich mit einem
ausgewachsenen Mammut anzulegen; zum anderen würden ihnen eine
solche Mutprobe auch gar nichts nützen – ein ausgewachsenes Mammut
liefert so viel Fleisch, dass es ohne Kühlung zum großen Teil
vergammeln würde. Die Auswertung der Knochen aus steinzeitlichen
Fundstellen zeigt: Die Steinzeitjäger jagten vor allem Tiere mit
weniger als einer Tonne Lebendgewicht – darunter auch junge Mammuts.
Diese Tiere lieferten eine Fleischmenge von 400 – 500 Kilo; soviel
konnte ein Familienclan vor dem Vergammeln auch nutzen (und
nebenbei war es auch noch zarter). Gefährliche Tiere wurden dabei
gerne aus dem Hinterhalt getötet, oder auch an Orten, wo sie etwa im
tiefen Schlamm versanken und wehrlos waren. Freilich waren auch
“kleine” Tiere mit fast einer Tonne Lebendgewicht gefährlich, ihre
Jagd war nur in Gruppen möglich. Die Jäger versuchten, geschwächte
Tiere aus den Herden zu isolieren und zu Tode zu hetzen (wobei ihnen
ihre ausgezeichneten läuferischen Fähigkeiten zu Gute kamen, siehe
oben).
Mit der der Erfindung von “Distanzwaffen” wie dem Wurfspeer wurde
die Jagd erheblich erleichtert. Wilde Tiere verändern aber ihr
Verhalten bei Gefahr, und als Reaktion auf den Wurfspeer wurden sie
scheuer. Die Menschen tarnten sich daraufhin mit Tierfellen und
setzten sich Hörner oder Geweihe auf, um sie zu täuschen – so sind
vermutlich die “Hirschmenschen” in steinzeitlichen Felsmalereien zu
erklären. Diese Verkleidung scheint sich bewährt zu haben, denn
später übernahmen die Schamanen sie für die rituelle Beschwörung des
Jagdglücks.
Das erste “Haustier”: Der Hund
Bereits in der Frühzeit der Menschheit, vor 135.000
Jahren ist nach neuesten genetischen Untersuchungen der Wolf zum
Haustier geworden. Die ältesten Knochenfunde, die eindeutig keinen
Wolf, sondern einen Hund nachweisen, sind allerdings nur etwa 15.000
Jahre alt. Aber auch in diesem Fall ist der Hund immer noch das
älteste “Haustier” des Menschen. Ob der Mensch zum Hund gekommen
ist oder der Hund zum Menschen, ist umstritten: Denkbar ist sowohl,
dass Wolfsrudel die Nähe menschlicher Lager gesucht haben, wo es
Fleischreste und salz- und mineralienreiche Asche von verlassenen
Lagerfeuern gab; als auch, dass Menschen junge Welpen gefunden und
aufgezogen haben. In jedem Fall muss sich der Wolf dem Menschen als
nützlich erwiesen haben, etwa indem er ihm beim Aufspüren der Beute
half – und so fing das dauerhafte Zusammenleben an. Wölfe sind als
Rudeltiere relativ leicht zu zähmen; sie leben von Natur aus in
hierarchischen Verbänden und ordnen sich bei richtiger Behandlung
dem Menschen unter. Das Zusammenleben führte schließlich beim Wolf
zu genetischen Veränderungen, die beim Hund münden sollten. Wölfe
wurden offenbar in Vorderasien, China und Nordamerika unabhängig
voneinander zum Haustier.
Auch außerhalb Europas waren erste sesshafte
Kulturen entstanden, oft in Verbindung mit der Fischerei: Bereits
vor 45.000 Jahren siedelten Fischer an den Küsten der indonesischen
Inselgruppe. An der nordamerikanischen Pazifikküste siedelten sich
Fischer an, die von wandernden Lachsen und Walen lebten, in bis zu
35 Metern langen Langhäusern lebten und prachtvolle Totempfähle
schnitzten. Fischer siedelten sogar an der arktischen Küste, wo die
Ureinwohner durch den Walfang genug Nahrung für feste Siedlungen
erhielten – die Anpassung an das arktische Klima ist ein weiteres
beeindruckendes Zeugnis der Anpassungsfähigkeit des Menschen.
Die geistige Welt des frühen Homo
sapiens
Was die Menschen früher dachten und glaubten, lässt sich schwerer
als technische Errungenschaften oder die Ernährungsweise
nachvollziehen: Wir kennen Venusfiguren, die offensichtlich die
weibliche Fruchtbarkeit darstellen, und wir kennen die Höhlenbilder
des frühen Homo sapiens. Aber welchem Zweck dienten diese?
Gab es für die Menschen schon eine Geisterwelt, die parallel zur
menschlichen Welt bestand und Erfahrungen wie Träume, Leben und Tod
erklären konnte? Gab es bereits so etwas wie Schamanen, die mit
dieser Geisterwelt in Kontakt treten konnten, und hatten die Bilder
etwas damit zu tun (wie es der Vergleich mit heutigen Jägerkulturen
nahelegt)? Gab es erste Formen von Religion? Die meisten Forscher
denken, dass die frühen Wildbeuter wie viele heutige Jäger- und
Sammler-Kulturen animistischen Glaubensvorstellungen anhingen – der
Ausdruck ist von lateinisch anima, Seele oder Geist,
abgeleitet und bedeutet, dass die Menschen glaubten, dass die ganze
Welt beseelt sein, jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier Bewusstsein
und Empfindungen hat und man mit ihnen (über Sprache, Tanz,
Gesang, ...) in Kontakt treten kann. Der Mensch hat dabei keine
herausgehobene Rolle. Darüber hinaus wissen wir aber nichts – an
welche Mythen glaubten die Menschen, welche Geister riefen sie an?
Zehntausende Jahre Menschheitsgeschichte verbergen sich hinter einem
"Vorhang des Schweigens" (380).
Aber wer sich die Bilder aus den steinzeitlichen Höhlen von Lascaux
oder Altamira ansieht, wird auch heute noch von ihnen berührt: Die
Denkwelt des frühen Homo sapiens hatte mit der unseren
offensichtlich schon einiges gemeinsam.
Die kulturelle
Vielfalt der Menschheit
Auch wenn es offenkundig unter den Menschen eine große Vielfalt an
Merkmalen wie Hautfarbe, Gesichtszüge und anderen körperlichen
Merkmalen gibt, die kulturelle (und sprachliche) Vielfalt übertrifft
diese bei weitem. Sie war die Grundlage für den Erfolg der
Menschheit: Die Anpassung an die verschiedensten Lebensräume. Aber
die kulturelle Vielfalt der Menschheit geht zunehmend verloren.
Indigene Völker – also die, die vor Eroberungen, Kolonisation oder
Staatsgründungen in einem Gebiet lebten, die bekanntesten sind die
Yanomani in Brasilien, die Buschleute in Afrika, die Aborigines in
Australien oder die Papua-Stämme in Indonesien – werden oftmals als
rückständig angesehen und an den Rand gedrängt; vor allem, wenn sie
ein Gebiet besiedeln, in dem Bodenschätze liegen oder Großprojekte
geplant sind.
Ähnlich wie bei der biologischen Vielfalt (siehe
hier) liegt hierin eine große Gefahr: Die Vielfalt ist die
Grundlage der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Wenn
etwa die fossilen Brennstoffe, auf denen die Industrielle
Landwirtschaft basiert, zu Ende gehen, mögen Kenntnisse
traditioneller Landbaumethoden wieder hoch aktuell werden (siehe hier).
Oder ein anderes, aktuelles Beispiel: Vor tausenden von Jahren
gelang es den Ureinwohnern des Amazonasgebietes, dort mit Hilfe von
Holzkohle fruchtbare Böden herzustellen (mehr);
heute wird diese Technik als einer der Hoffnungsträger im Kampf
gegen den Klimawandel diskutiert (hier).
Aber die Ureinwohner des Amazonasgebietes, die nach schlechten
Erfahrungen in der Regel jeden Kontakt mit Weißen ablehnen, werden
durch Goldsucher, (illegale) Holzfällerei, Soja- und
Zuckerrohranbau, die Ansiedlung landloser Bauern oder christliche
Missionare immer weiter zurückgedrängt oder verlieren ihre Kultur.
(Die meisten dieser Völker leben in Brasilien und Peru; während es
in Brasilien wenigstens auf dem Papier anerkannte Schutzgebiete gibt
– die von der Indianerbehörde FUNAI nur unzureichend insbesondere
gegen agroindustrielle und forstwirtschaftliche Interessen geschützt
werden können –, werden diese in Peru gerade erst geplant.)
Ein sehr schön
beschriebenes Beispiel für eine andere Weltsicht von indigenen
Völkern und deren Bezug zur ökologischen Nachhaltigkeit liefert
Robin Wall Kimmerer: Geflochtenes Süßgras. Zur >> Besprechung
des Buches.
Organisationen zum Schutz bedrohter Völker:
Survival
International
Gesellschaft zum Schutz bedrohter
Völker
In den Tropen, und so auch in Afrika, waren die
Temperaturänderungen während der Kalt- und Warmphasen wesentlich
geringer als in höheren Breiten, aber die kalten Zeiten waren
trockener. In wärmeren Phasen kehrte der Regen zurück, nach einigen
Hundert Jahren waren die Savannen wieder grün – und selbst die
Sahara, wie Felszeichnungen aus der Lybischen Wüste zeigen. In
Afrika war wohl während der Eiszeiten auch der Grabstock erfunden
worden, ein angespitzter, gelegentlich mit einer Steinscheibe
beschwerter Stock, der beim Ausgraben von Wurzeln und Knollen half –
und auch zum Setzen von Setzlingen geeignet war; er gilt daher als
ein wesentlicher Vorläufer der Landwirtschaft (mehr)
und manchen Historiker gar als eine der wichtigsten
Erfindungen der Menschheit. In der Umgebung der 70.000
Jahre alten Klasies River Caves in Südafrika gibt es zahlreiche
Pflanzen, die ihre Reservestoffe in Zwiebeln, Knollen oder
Wurzelstöcken unter der Erde speichern, und die in einem Maße
genutzt wurden, das sich Paläobotaniker nur mit “Management” –
etwa dem Abbrennen anderer Pflanzen – erklären können. Vor 70.000
Jahren manipulierte der Mensch also schon seine Umwelt (mehr).
In Westeuropa führte das vor 15.000 Jahren wärmer werdende Klima
dazu, dass die offenen Grasländer vom Wald verdrängt wurden; eine
Entwicklung, die durch Pollenablagerungen in Sedimenten belegt ist.
Damit verschwanden aber die großen Tierherden, sie folgten der
Tundra-Vegetation nach Norden. Die Cro-Magnon-Jäger hatten die Wahl:
Entweder sie folgten ihrer bisherigen Beute; oder sie blieben vor
Ort und jagten Waldtiere wie Elch, Hirsch und Auerochse. Sie nutzten
beide Möglichkeiten. Im Norden konnten sie ihre alte Lebensweise
beibehalten, in den wärmeren Regionen wurde alles anders: Die
Waldtiere lebten nicht in großen Herden wie zuvor die Weidetiere;
und auch wenn die Erfindung von Pfeil und Bogen bei der Jagd im Wald
half – die Sicherstellung von ausreichender Nahrung wurde
schwieriger. Dorfartige Siedlungen, Höhlenbilder und Venusfiguren
gibt es aus dieser Zeit nicht mehr. Neben der Jagd spielte
pflanzliche Nahrung wieder eine größere Rolle; Wälder liefern
Knollen, Pilze, Nüsse und andere Früchte. Diese hatten auch den
Vorteil, dass sie gut aufbewahrt werden konnten, so dass Reserven
für schlechte Zeiten angelegt werden konnten. Als die Wälder immer
dichter wurden, zogen die Menschen sich an offene Stellen zurück:
Sie besiedelten bevorzugt Fluss- und Seeufer oder Sümpfe, wo die
Jagd leichter war und durch Fischfang ergänzt werden konnte.
Östlich des Mittelmeeres ...
Historisch bedeutsam sollte aber die Region östlich des
Mittelmeeres werden: Hier brachten mit dem einsetzenden Ende der
Eiszeiten vor 15.000 Jahren
feuchte Westwinde soviel Regen ins Land, dass im Gebiet des
heutigen Israels, Palästinas, Jordaniens und Syriens lockere
Eichen-Pistazienwälder über ertragreichen Grasländern entstanden, in
denen Gazellen und Wildesel weideten. Grassamen im Frühjahr,
Gazellen im Sommer und Eicheln sowie Pistazien im Herbst lieferten
reichlich – und ausgewogene – Nahrung. Aber insbesondere die
Eicheln verlangten eine aufwendige Zubereitung – die Bitterstoffe
mussten ausgewaschen werden. Die Frauen, die für ihre Zubereitung
zuständig waren, waren daher zunehmend an den Haushalt gefesselt.
Auch in dieser Region entstanden feste Siedlungen, die zur Natufien-Kultur
(nach dem Fundort Wadi an-Natuf im heutigen Westjordanland) gehörten
(390): Vor allem in der
Region des heutigen Israels und Jordaniens gelegen, bestanden diese
Siedlungen aus runden Häusern mit Sockeln aus Steinen und
luftgetrockneten Lehmziegeln. Wie wichtig die Gräser für die
Ernährung bereits waren, zeigen Mörser, Mahlsteine und
Feuersteinsicheln, die in Siedlungen des Natufien gefunden wurden.
Die Benutzung von Mörsern und Mahlsteinen haben darüber hinaus dem
Menschen wohl auch den Weg zu geschliffenen Steinwerkzeugen gezeigt
– und damit die Jungsteinzeit
(Neolithikum) eingeleitet.
Die Sesshaftigkeit konnte aber auch zum Verhängnis werden: Der
mobile frühere Mensch konnte auf Veränderungen in seiner Umwelt
reagieren, indem er einfach dahin zog, wo seine Jagdbeute hinzog.
Dieser Ausweg stand Menschen, die in einer dicht besiedelten
Region lebten, aber nicht mehr zur Verfügung – in den angrenzenden
Gebieten lebten bereits Menschen, und in schlechten Zeiten waren
Neuankömmlinge kaum willkommen. Eine solche Veränderung kam vor
13.000 Jahren mit dem Beginn der letzten Kaltphase, der Jüngeren
Dryas: Im östlichen Mittelmeerraum begann eine lang andauernde
Trockenheit; die Wälder schrumpften, die Grasländer trugen weniger
Körner. Die Menschen machten aus der Not eine Tugend: Sie
versuchten, mit der Aussaat von Gräsern die Ernte zu steigern; und
damit begann der Übergang zur Landwirtschaft – beschreiben wird
dieser auf der Seite Die
Erfindung der Landwirtschaft.
Weitere Informationen:
Genographic
Project: Gemeinsames Forschungsvorhaben der amerikanischen National
Geographic Society und von IBM, um mit Hilfe moderner
genetischer Verfahren und deren informationstechnischer Auswertung
die Geschichte der Ausbreitung des modernen Menschen über die Welt
nachzuvollziehen (englischsprachig).
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