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Das Leben

Der Weg zur Vielfalt des Lebens:
Die Evolution

Die Evolutionstheorie besagt, dass die ganze Vielfalt des Lebens durch allmähliche Veränderungen und Artbildungen aus einem ursprünglichen Lebewesen hervor­gegangen ist. Zahlreiche Belege aus den unterschiedlichsten Gebieten zeigen, dass die Evolution eine Tatsache ist, und der von Charles Darwin entdeckte Prozess der natürlichen Auslese ihre wichtigste Antriebskraft. 

Radschlagender Pfau

Radschlagender Pfau: Pfauenhähne müssen schön sein, sonst haben sie keine Chance bei den Hennen – auch die “sexuelle Auslese” (>> hier) trägt zur Evolution bei. Foto: “BS Thurner Hof”, aus >> wikipedia, Lizenz: >> cc 3.0.

Die Evolutionstheorie geht auf die bahnbrechenden Entdeckungen Charles Darwins (>> hier) zurück und wurde durch Theodosius Dobzhansky, Ernst Mayr und anderen durch die Einarbeitung der nach Darwin gewonnenen Erkenntnisse der modernen Genetik zur heutigen “synthetischen Evolutionstheorie” weiterentwickelt: Durch Mutationen (und weitere Mechanismen wie die Durchmischung des Erbmaterials bei der sexuellen Fort­pflanzung, “genetische Drift” und Wanderungen) entstehen Unterschiede in den Merkmalen der Lebewesen (“Variabilität des Phänotyps”), auf die die natürliche Selektion wirkt. Genetische Veränderungen, die die Fähigkeit ihrer Träger zur Vermehrung erhöhen, werden sich auf Dauer durchsetzen; und da die Fähigkeit zur Vermehrung von einer besseren An­passung an die Umwelt abhängt, wird diese Art der Auslese zu einer immer besseren Anpas­sung von Arten an die Umwelt führen. Wenn etwa die Umwelt ab­kühlt, werden Tiere mit dichtem Haarkleid länger leben – und dadurch größere Chancen haben, sich zu vermehren, wodurch im Laufe der Zeit das Haarkleid dieser Art immer dichter wird – solange, bis eine weitere Verdichtung keine Vorteile mehr bietet. Die natürliche Selektion wirkt also auf den Genpool (die Gesamtheit der Gene einer Population) ein: Gene, die zur Ausprägung begüns­tigter Merkmale führen, werden häufiger; Gene, die ungünstige Merkmale verursachen, wer­den seltener verschwinden schließlich ganz. Die heute lebenden Arten gab es also nicht immer, sie sind aus Vorgängerarten entstanden. Die Vorgänger des Menschen etwa waren Arten, die affenartig waren (aber nicht die heutigen Affen, die sich ebenfalls weiterent­wickelt haben; >> mehr).

Diese Veränderungen erfolgen allmählich, aus einem Reptilienei schlüpfte nicht etwa plötz­lich ein Vogel, sondern die Vögel haben sich durch zahlreiche Entwicklungsschritte aus den Reptilien entwickelt. (Die Geschwindigkeit dieser Veränderungen ist von Art zu Art unter­schiedlich: Veränderungen in der Umwelt können die Evolution beschleunigen, in einer sta­bilen Umwelt kann eine Art auch sehr lange scheinbar unverändert bleiben, wie die soge­nan­nten “lebenden Fossilien”). Über die unvorstellbar langen Zeiträume (Biologen sprechen auch von "Tiefenzeit"), in denen die Evolution stattfand, konnten aber dennoch große Veränderungen entstehen: die gesamte Vielfalt des Lebens auf der Erde ist so entstanden. Beigetragen dazu hat, dass es durch die Veränderungen zur Artbildung kommen kann: Zwischen den Abkömmlingen einer Art wird der genetische Austausch unterbunden (sei es, dass sie genetisch unverträglich werden, sei es, dass sie unterschiedliche Lebensräume besiedeln), so dass sie fortan unterschiedliche Wege gehen. Dadurch sind aus einer zwei Arten ent­standen, und die oftmalige Wieder­holung dieses Vorgangs führte zur heutigen Artenvielfalt. Alle heutigen Arten gehen also auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, und dies er­klärt, warum alle heutigen Lebewesen einen gemeinsamen genetische Code und einheitliche biochemische Vorgänge der Energie­gewinnung besitzen – es sind die jenes gemeinsamen Vorfahrens.

Inzwischen sind die Belege für die Evolution derart zahlreich, dass sie unter Naturwissen­schaftlern als Tatsache gilt (siehe auch >> hier). Für die Evolution sprechen Befunde aus den unterschiedlichsten Gebieten der Biologie.

Die Belege für die Evolution

Fossilienfunde (>> mehr) sind der vielleicht wichtigste Beleg für die Evolution: In den ältesten Gesteinen finden sich einfache Lebensformen, in jüngeren Gesteinen werden sie allmählich immer komplexer. Die jüngsten Fossilien ähneln den heutigen Lebensformen am meisten. Aus den Daten der Fossilien lässt sich die Entfaltung des Lebens nachvollziehen (Übersicht >> hier, Beschreibung >> hier); an Fossilien lassen sich evolutionäre Verän­derungen einer Art und die Entstehung neuer Arten nachvollziehen. Besonders eindrucksvoll gelingt dies bei mikroskopischem Plankton aus dem Meer: Durch die große Anzahl von Individuen und die Ablagerung abgestorbener Individuen im Meeressediment kann die Entwicklung oftmals über Millionen Jahre verfolgt werden. Aber auch bei größeren Lebe­wesen konnten in einigen Fällen Abstammungslinien bemerkenswert vollständig in fossilen Reihen abgebildet werden, etwa die von den Fischen zu den Amphibien (>> mehr), von den Reptilien zu den Säugetieren (>> mehr), die von den Huftieren zu den Walen oder die Geschichte des Pferdes. Ein Beispiel ist auch die Evolutionsgeschichte des Menschen (>> mehr). Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus Fossilienfunden ist, das neue Strukturen in der Regel aus bereits bestehenden Strukturen abgeleitet werden, so sind etwa die Beine der Säugetiere nicht anderes als umgebildete Fischflossen oder die Flügel der Vögel aus den Vorderbeinen der Dinosaurier entstanden.

Die Evolution liefert damit eine Erklärung für etwas, das die Biologen schon zuvor als Homo­logie beschrieben hatten – sich entsprechende Strukturen bei verschiedenen Organismen: Die Flügel von Vögeln und die Vorderbeine der Säugetiere ähneln sich, da beide aus den Vorderbeinen der Dinosaurier hervorgingen, und diese aus den Knochen­ansätzen der Fischflossen. Die Entwicklung neuer Strukturen auf Basis der bestehenden ist auch die einzige sinnvolle Erklärung eine Reihe anderer Erscheinungen: Das Auftreten von Rudimenten, Strukturen, die im Laufe der Evolution ihre ursprüngliche Funktion verloren haben, oder von Atavismen, dem gelegentlichen Auftreten von Merkmalen oder Eigen­schaften, die im Laufe der Evolution eigentlich längst verloren gegangen sind. Bekannte Beispiele für Rudimente sind das menschliche Steißbein, ein Überbleibsel des Schwanzes der Säugetiere, oder der Blinddarm, der Rest eines Darmanhangs. Bestehende Strukturen werden zurückgebildet, da ihr Erhalt unnötig Energie kostet, wenn ihre Funktion wegfällt – so verloren Vögel auf Inseln, auf denen keine Raubtiere leben und Nahrung leicht zu finden ist, oftmals die Funktionsfähigkeit ihrer Flügel. Mitunter bekommen solche Strukturen auch neue Funktionen, so wurden die Flügel der Pinguine zu Flossen, mit deren Hilfe sie zu ausgezeichneten Schwimmer wurden. Atavismen, etwa das gelegentlich vorkommende Auswachsen des Steißbeins zu einem echten Schwanz oder die Bildung mehrerer Zehen bei Pferden (der Huf ist aus einem ursprünglich fünfzehigen Vorfahren entstanden), zeigten den Biologen, dass die Gene für überflüssig gewordene Merkmale nicht aus den Erbanlagen entfernt werden, sondern nur abgeschaltet werden; Atavismen entstehen, wenn sie aus irgendeinem Grund wieder aktiviert werden. Moderne genetische Untersuchungen bestätig­ten, dass etwa der Mensch mehrere tausend abgeschaltete Gene besitzt. So besitzen wir etwa wie alle Primaten ein abgeschaltetes Gen zur Herstellung eines Enzyms, mit dem wir Vitamin C herstellen könnten: Offenbar hat ein gemeinsamer Vorfahre aller Primaten diese Fähigkeit verloren, und wurde aufgrund seiner Vitamin-C-reichen Ernährung hierfür nicht bestraft – auch abgeschaltete Gene wären ohne Evolution nur schwer zu erklären.

Die Evolution erklärt auch ein altes Rätsel, das den Biologen vor Darwin großes Kopf­zerbrechen machte: Das Auftauchen und spätere Verschwinden von Strukturen in der Embryonalentwicklung. So bilden die Embryonen von Säugetieren Kiemenbögen und einen fischartigen Schwanz aus, die später wieder verschwinden; menschliche Embryos sind ab dem sechsten Monat bis etwa einen Monat vor der Geburt dicht behaart. Inzwischen konnten zahlreiche Entwicklungen detailliert nachvollzogen werden – ein Schulbuchbeispiel ist etwa die Entstehung der Gehörknöchelchen Hammer und Amboss aus dem 1. Kiemen­bogen und des Steigbügels aus dem 2. Kiemenbogen der Fische (über einen “Umweg” von Hammer und Amboss als Knochen im Unterkiefer von Reptilien und des Steigbügels als Knochen im Oberkiefer der Fische und Amphibien). Die Strukturentwicklung im Embryo vollzieht ansatzweise diese Evolutionsgeschichte nach. Offensichtlich ist ein Teil des genetischen “Entwicklungsprogramms” unserer Vorfahren noch in uns aktiv; manche der in der Evolutionsgeschichte umgebildeten Strukturen müssen sich im Individuum vermutlich erst einmal ausbilden, bevor sie umgebildet werden können. Die Embryonalentwicklung und die große Ähnlichkeit bei Embryonen verwandter Tiergruppen (siehe >> hier) sind dann sinnvoll zu erklären, wenn man um die Ableitung neuer Strukturen aus alten Struk­turen in der Evolutionsgeschichte weiß, und daher ebenfalls ein Beleg für die Evolution.

DDie Entstehung neuer aus alten Strukturen beschränkt aber auch die Möglichkeiten der Evolution und führt zu zahlreichen Kompromissen (und ist ein Widerspruch zur Vermutung eines “intelligenten Designs”): Eine S-förmige Wirbelsäule mit Bandscheiben oder unser Kniegelenk etwa kann man erklären, wenn ein weiß, dass sich hier ein vierbeiniges Wirbeltier aufgerichtet hat; häufige Bandscheibenvorfälle und häufige Schäden an Innenmeniskus, Innenband oder vorderem Kreuzband im Knie zeigen aber, dass sie nicht “perfekt” sind. Mit der Evolution kann man auch Probleme wie Schluckauf (eine Folge der Kiemenatmung von Kaulquappen), Verschlucken (eine Folge der Mundhöhle, die gleichzeitig zum Sprechen, Schlucken und Atmen dient) und Schlafapnöe (auch eine Folge der Sprache: der flexible Rachen kann im Schlaf die Luftwege blockieren) erklären, bei einem “intelligenten Designer” müsste man aber von Konstruktionsfehlern sprechen.

Schon Charles Darwin war von der geografischen Verbreitung von Pflanzen und Tieren wesentlich zu seiner Theorie angeregt worden; im Zusammenspiel mit den seither gewonnen Erkenntnissen insbesondere zur >> Plattentektonik ist die Evolution die beste Erklärung für biogeographische Fragen. Sie erklärt sowohl die Unterschiede – warum sind sowohl Flora (Eukalyptuswälder ...) als auch Fauna (Beuteltiere ...) von Australien so anders als im Rest der Welt? Weil Australien sich als erstes von den übrigen Kontinenten abgetrennt hat -, als auch die Ähnlichkeiten – warum ist die Tierwelt von Nordamerika und Europa sich ähnlicher als die von Südamerika und Afrika? Weil letztere schon seit 80 Millionen Jahren voneinander getrennt sind, erstere aber vor 40 Millionen Jahren durch eine breite Landbrücke verbunden waren. Interessant ist auch die Frage, wie es kommt, dass unterschiedliche Arten sich sehr ähnlich entwickeln können, so dass etwa die Kakteen aus Nord- und Südamerika für den Laien kaum von den sehr ähnlichen Wolfsmilchgewächsen aus der alten Welt zu unter­scheiden sind oder viele Beuteltiere in Australien den Säugetieren anderswo ähneln? Die Evolution liefert eine Antwort: Die Arten waren einer sehr ähnlichen natürlichen Auslese ausgesetzt, die letztlich zu sehr ähnlichen Ergebnissen führte. Biologen nennen dieses “konvergente Evolution”. (Aber warum sollte ein Schöpfer sich die Arbeit machen, zwei unterschiedliche, aber sehr ähnliche Arten mit sehr ähnlichen ökologischen Vorlieben zu schaffen?). Einen weiteren Beleg für die Evolution liefert die Tier- und Pflanzenwelt von ozeanischen Inseln: Auf vielen solcher weit abgeschiedenen, niemals mit einem Kontinent verbundenen Inseln wie Hawaii, Galapagos oder Tahiti findet man zahlreiche, oftmals endemische Pflanzen, Vögel und Insekten, aber keine Süßwasserfische, Amphibien, Reptilien oder Säugetiere. An ungeeigneten Lebensräumen kann dies nicht liegen, wie die erfolgreiche Ansiedlung all dieser Gruppen durch den Menschen zeigt. Der Unterschied: Pflanzensamen, Vögel und Insekten verbreiten sich durch die Luft; Süßwasserfische, Amphibien, Reptilien oder Säugetiere nicht. Sie haben (bevor der Mensch sie dorthin brachte) diese Inseln schlichtweg nie erreicht. (Aber warum sollte ein Schöpfer etwa darauf verzichtet haben, Tahiti mit Süßwasserfischen auszustatten?) Eine ähnlich interessante Entwicklung findet man auf Inseln, die schon sehr lange vom Festland abgetrennt sind: So konnte sich etwa auf Madagaskar eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entwickeln, die etwa 37 Arten von Lemuren umfasst, eine Tiergruppe, die anderswo nicht vorkommt (eine solche Aufspaltung einer ursprünglichen Art in zahlreiche neue Arten nennen die Biologen “adaptive Radiation” (etwa: Auffächerung als Folge von Anpassungen). Im Übrigen ähnelt die Tier- und Pflanzenwelt von Inseln immer am stärksten der der benachbarten Kontinente. Warum? Weil sie von diesen aus besiedelt wurden, und sich dann dort weiterentwickelt hat. Ein Beispiel sind die berühmten Darwinfinken; die von Darwin nur vermutete Verwandtschaft der Finken auf den Galapagos-Inseln konnte übrigens mit molekularbiologischen Techniken inzwischen nachgewiesen werden – ebenso ihre Abstammung von dem auf der Kokos-Insel verbreiteten Kokosfinken.

Ohnehin sind es in letzter Zeit molekulargenetische Belege, die die Evolution weiter untermauern: Moleküle, etwa Proteine oder die DNS der Gene, machen wie die Körper­strukturen eine Evolution durch. Je enger zwei Lebewesen verwandt sind, desto ähnlicher sind sich ihre Moleküle (und natürlich ist das universelle Vorkommen der DNS in allen Lebewesen der beste Beleg für Darwins Idee der gemeinsamen Abstammung). Molekular­genetischen Untersuchungen konnten viele paläontologische und morphologisch-anato­mische Erkenntnisse bestätigen, und zudem dort Antworten liefern, wo die klassischen Methoden keine eindeutigen Erkenntnisse brachten. Ebenso wichtig: viele Moleküle wandeln sich mit ziemlich konstanter Geschwindigkeit und können damit – an gut datierten Fossilien geeicht – als molekulare Uhren dienen, mit denen sich evolutionsbiologische Ereignisse datieren lassen. So konnte z.B. gezeigt werden, dass sich Schimpansen und Menschen vor fünf bis acht Millionen Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelten (>> Der Mensch)).

Die natürliche Auslese

Die Idee einer Evolution gab es schon vor Darwin, seine wahrhaft neue Idee war die der natürlichen Auslese (auch “natürliche Selektion”) – ein unbewusster Prozess, über den äußere Faktoren der Umwelt auf den Fortpflanzungserfolg von Individuen einer Art einwirken und diese so verändern, dass sie sich im Laufe der Zeit immer besser an die Umwelt an­passen. Dieser Prozess ersetzte in der Evolution den Schöpfer, der zuvor die einzige vo­rstellbare Ursache der in der Natur zu beobachtenden Anpassung an die Umwelt war; und er ist bis heute bei vielen Laien missverstanden. Wie kann eine solche Auslese dazu führen, dass es Tiere gibt, die Pflanzen ähneln (etwa Heuschrecken, die einem Blatt ähneln) oder Pflanzen, die Tiere ähneln (etwa die Orchideen, deren Blüten wie Insekten aussehen)?

Für die natürliche Auslese gibt es drei Voraussetzungen: Die Individuen einer Art müssen sich voneinander unterscheiden, die Unterschiede müssen vererbbar sein und die genetischen Unterschiede müssen sich auf den Fortpflanzungserfolg auswirken. Darwin glaubte an die natürliche Auslese durch die beeindruckenden Erfolge der künstlichen Auslese bei der Tierzucht, heute kann sie direkt nachgewiesen werden: An der Golfküste von Florida leben helle Strandmäuse. Dass dies eine Anpassung ist, lässt sich zeigen im Versuch zeigen: Auf dem Sandboden werden dunkle Mäuse öfter von Raubvögeln gefressen als helle Mäuse. Das wirkt sich auf den Fortpflanzungserfolg aus, da viele dunkle Mäuse vor der Geschlechtsreife gefressen werden; und der Unterschied ist vererbbar, er geht auf den Austausch eines einzigen Basenpaars in der Mäuse-DNS zurück – die Strandmäuse sind also ein Ergebnis der natürlichen Auslese (siehe auch >> hier). Die natürliche Auslese ist auch kein zufälliger Prozess: Zufällig sind nur die ihr zugrundeliegenden genetischen Mutationen – etwa diejenige, die zum Austausch des Basenpaars bei den Strandmäusen führte -; die davon verursachten Unterschiede werden dann aber nach ihrem Anpassungswert “ausge­lesen”: Individuen, die besser an ihre Umwelt angepasst sind, haben Vorteile.

Am leichtesten lässt sich die natürliche Auslese dort nachweisen, wo Generationen schnell hintereinander vorkommen, etwa bei Bakterien: Der amerikanische Bakteriologe Richard Lenski und seine Mitarbeiter untersuchen seit 1988 das Darmbakterium Escherichia coli, aufgrund der schnellen Generationenfolge (sechs bis sieben pro Tag) sind sie inzwischen bei 45.000 Generationen angelangt und konnten unter anderem die Entstehung ganz neuer Stoffwechselwege nachweisen (die Veröffentlichungen über die Ergebnisse sind unter http://myxo.css.msu.edu/cgi-bin/lenski/prefman.pl?group=aad abzurufen). Die Evolution der Bakterien geht nicht nur im Labor schnell, sondern auch in der Natur: Sie ist eine Ursache für die schnelle Anpassung von Bakterien an Antibiotika oder Penicillin, die diese Wunderwaffen der Medizin gut 60 Jahre nach ihrer Einführung schon wieder stumpf zu machen droht.

Bei größeren Tierarten ist die natürliche Auslese aufgrund der langen Generationen natur­gemäß schwerer zu zeigen: Der amerikanische Evolutionsbiologe John Endler konnte aber auch bei Guppies zeigen, dass Männchen bei Anwesenheit von für sie gefährlichen Raubfischen im Laufe der Zeit immer besser getarnt, bei deren Abwesenheiten aber immer bunter (was die Weibchen anlockt) werden. Und Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Schnabelgröße des Mittel-Grundfinken (Geospiza fortis), eines der Darwinfinken, sich selbst zwischen trockenen und feuchten Jahren verändert; die Anpassung an die Umwelt also messbare Auswirkungen hat. (Besonders spannend für Biologen ist aber, dass das gleiche Gen bei verschiedenen Tierarten ähnliche, aber unterschiedliche Auswirkungen haben kann: So bewirkt ein BMP4 genanntes Gen, dass beim Groß-Grundfink (Geospiza magnirostris, ebenfalls ein Darwinfink) der Schnabel zu seiner großen Größe heranwächst, mit dem der Fink große Samen und Nüsse öffnen kann. Das gleiche Gen gewirkt bei Buntbarschen im afrikanischen Victoriasee die Ausbildung kräftiger Kiefer, mit denen diese Muschelschalen öffnen. Genauso wird die Entwicklung von Fischflossen, Vogelflügeln und menschlichen Armen von demselben Gen gesteuert, und spielt das menschliche “Sprachgen” FOXP2 eine entscheidende Rolle auch beim Gesang von Finken. Solche Gene, die sich durch die gesamte Tierwelt wiederfinden, belegen Darwins Theorie von der gemeinsamen Abstam­mung.) Die Veränderungen bei Guppies und Darwinfinken sind zwar klein – in der Evolutions­geschichte stand millionenfach mehr Zeit zur Verfügung – belegen aber, dass die natürliche Auslese tatsächlich wirksam ist.

Im Laufe der Zeit können so sehr komplexe Strukturen, etwa das sprichwörtliche Adlerauge, entstehen (siehe auch >> hier)). Auch hier hatte schon Darwin erkannt, und zeigte, dass weniger komplexe Augen einen möglichen Entstehungsweg aufzeigten: Er verläuft über licht­empfindliche Hautsegmente (wie bei Plattwürmern zu finden), über Einbuchtungen dieses Hautsegments (schützt die lichtempfindlichen Hautsegmente und erleichtert die Bestimmung der Einfallsrichtung des Lichtes, bei manchen Schnecken zu finden) und Linsenbildung (Konzentration des Lichtes, bei Meeresschnecken) hin zum Auge der Säuge­tiere. Jeder dieser Zwischenstufen hatte für sich einen Anpassungsvorteil (eine der wichtigsten Konsequenzen der Evolution, die ja kein “Endziel” kennt, für das zwischendurch Opfer in Kauf zu nehmen wären.). Die Evolution anderer komplexer Strukturen muss noch erklärt werden, aber unsere Unwissenheit ist kein Argument, dass es sie nicht gegeben haben kann, wie die Anhänger des “intelligenten Designs” glauben: Für Naturwissenschaftler ist diese Behauptung eine Aufforderung, “die Hände in den Schoß zu legen, wenn offen­kundig ist, dass noch eine Menge zu tun ist” (Nathalie Angier) und eine Verarmung des wirklichen Geschehens, das auf nachvollziehbarem Weg zu den phantastischsten Ergebnissen führt. Sie sind “schlicht ein Zeichen intellektueller Faulheit” (ein treffender Ausdruck Richard Dawkins’).

“Intelligentes Design”

Die Hauptaussage der Evolution – dass die Vielfalt der Lebewesen auf der Erde als Ergeb­nis natürlicher Prozesse entstanden ist – ist nicht nur zu Zeiten Darwins auf Skepsis gestoßen; religiöse Fundamentalisten fordern immer noch, die biblische Version einer göttlichen Schöpfung anstelle der Evolution in den Schulen zu lehren. Die Mehrheit der Christen kann mit der Evolution leben, sie hat seit der Aufklärung gelernt, dass die Heilige Schrift kein Tatsachenbericht, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen ist. Auch viele Naturwissenschaftler sind gläubig: Sie glauben daran, dass Gott die Welt geschaffen hat – und sich in den Gesetzmäßigkeiten der Natur offenbart. Während sich die Natur­gesetze mit wissenschaftlichen Methoden erforschen lassen, ist die Frage nach Gott Glaubenssache; Glauben und Wissen müssen sich also nicht ausschließen.

Man kann aber einen Gegensatz konstruieren: In einigen US-Bundesstaaten war es über Jahrzehnte verboten, in Schulen eine “Theorie zu lehren, die der biblischen Geschichte der göttlichen Schöpfung des Menschen widerspricht” (so die Formulierung in Tennessee), und daher glauben heute viele Amerikaner, Gott habe den Menschen in der jetzigen Form geschaffen. Inzwischen sind diese Verbote zwar abgeschafft, aber dafür stellen Bibel­fundamentalisten der Evolutionstheorie jetzt eine angeblich naturwissenschaftliche Theorie vom “Intelligenten Design” gegenüber und fordern, dass sie an Schulen gelehrt wird. Wissenschaftlich kann diese “Theorie” nicht bestehen, sie besteht vor allem aus Auslassungen und Fehldeutungen –  siehe etwa die fachliche Analyse in der Aussage des Biologieprofessors Kevin Padian anlässlich des Falles “Kitzmiller vs. Dover School Area District” >> hier (englischsprachig), einer der vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen in den USA zum Thema [ein umfassender Überblick über diese findet sich auf einer (englischsprachigen) Website des >> National Center for Science Education].

Die Frage nach einem göttlichen Schöpfer wird natürlich nicht schon von naturwissen­schaftlich fehlerhaft argumentierenden Unterstützern widerlegt; aber der Glaube an die Erschaffung der Arten durch einen perfekten Schöpfer wirft einige Fragen auf, die schon Darwin stellte: Warum etwa hat ein Wal verkümmerte Handknochen? Wenn man annimmt, dass Wale vom Land ins Wasser gegangen sind, kann man die Handknochen als Reste ihres früheren Lebens verstehen, aber warum sollte Gott einen Wal mit Handknochen versehen? (In diesem Sinne würden einem schon beim Menschen noch viele weitere Fragen einfallen: nach dem Bau von Wirbelsäule, Knie (>> hier) und Leistenkanal etwa, die erklärbar sind, wenn man die Evolutionsgeschichte ansieht, aber kaum für einen perfekten Schöpfer sprechen; ebenso wenig wie Schluckauf (eine Spätfolge der Kiemen­atmung von Kaulquappen), Verschlucken (eine Folge der Mundhöhle, die gleichzeitig zum Sprechen, Schlucken und Atmen dient) und Schlafapnöe (auch eine Folge der Sprache: der flexible Rachen kann im Schlaf die Luftwege blockieren). Darwin fragte sich auch, warum der Schöpfer so hervorragend angepasste Tiere wie Kamele nicht in alle Wüsten gesetzt hat, und warum mausähnliche Tiere in Australien eher mit den Kängurus als mit den Mäusen anderswo verwandt sind. Darwins Theorie konnte hierauf Antworten geben, darum hat sie sich durchgesetzt. Das Arten sich verändern, ist eine Tatsache; eine wörtliche Auslegung der Bibel steht mit unserem Wissen im Widerspruch.

Vermutlich ist aber ohnehin nicht die sachliche Begründung eines “intelligenten Designs” entscheidend für seine Anhänger, sondern ein moralisches Unwohlsein: Wenn wir nicht von einem göttlichen Schöpfer geschaffen wurden, sondern ein Produkt der “egoistischen” Evolution sind, welche Begründung gibt es dann noch für moralisches Verhalten? Wenn wir Tiere sind, warum sollen wir uns dann nicht wie welche verhalten? Zu diesem Unwohlsein tragen Buchtitel wie “Das egoistische Gen” noch bei – wobei die meisten, die dieses Buch als Beleg anführen, es kaum gelesen haben dürften. Der Autor, Richard Dawkins, zeigt in dem Buch nämlich nur, dass Gene, die zu besseren Anpassungen führen, sich auf Kosten weniger vorteilhafter Gene durchsetzen, sich also so verhalten, als ob sie egoistisch wären. Egoistische Gene können aber auch zu uneigennützigem Verhalten führen, wenn dies die bessere Anpassung ist. Und tatsächlich ist das, was zur Sonderrolle des Menschen geführt hat, unsere Kooperationsfähigkeit (>> hier). Ohnehin ist längst der größte Teil des mensch­lichen Verhaltens nicht evolutionär, sondern kulturell bedingt, und sowohl unmoralisches als auch moralisches Verhalten können sowohl religiös als auch weltlich begründet sein. Aber zu Zeiten der Römer galt es noch als angenehme Unterhaltung, zuzusehen, wie Mitmenschen von wilden Tieren zerfleischt wurden; heute würde dies wohl überall auf der Welt als barbarisch angesehen. Wir können uns also ändern, und die Anerkennung der Evolution bedeutet nicht, dass wir hilflos einem (ohnehin zu Unrecht befürchteten) genetischen Gesetz des Dschungels ausgeliefert wären.

Die Richtung der natürlichen Auslese wird, wie Darwin richtig erkannt hatte, von der Umwelt eines Lebewesens bestimmt. Die entscheidenden Faktoren können dabei sowohl aus der unbelebten Umwelt (etwa Klimafaktoren) oder von anderen Lebewesen verursacht sein – kurz: Das gesamte Ökosystem (>> mehr) beeinflusst die natürliche Auslese. Da aber Ökosysteme sich voneinander unterscheiden, wirken auf die Lebewesen verschiedener Ökosysteme unterschiedliche Faktoren ein, die zu geographischer Variabilität führt – einem wichtigen Faktor für die Entstehung neuer Arten.

Sexuelle Auslese

Zu den wichtigsten Faktoren der Umwelt, die sich auf den Fortpflanzungserfolg auswirken, gehören mögliche Geschlechtspartner. Sie sind so wichtig, dass sie mitunter Ergebnisse hervorbringen, die auf dem ersten Blick widersinnig scheinen. Ein klassisches Beispiel, das schon Charles Darwin beschäftigte, ist die prächtige Schleppe der Pfauenhähne. Es gibt kaum etwas Schöneres in der Natur als einen Pfau, der bei der Balz ein Rad schlägt (>> Foto); aber die Schleppe behindert den Pfau beim Fliegen erheblich. Warum gibt es sie dennoch? Die Antwort ist die sexuelle Auslese: In Versuchen konnte gezeigt werden, dass Pfauenhähne Hennen Hähne bevorzugen, die bei der Balz das größte Rad schlagen, und sich damit dessen Fortpflanzungschancen erhöhen. Ähnliches gilt für viele andere Tierarten, bei denen die Männchen auffällige Merkmale haben: Immer werden diese von den Weibchen bevorzugt, oder erhöhen auf andere Weise die Chance, zur Fortpflanzung zu kommen (etwa das große Geweih beim Hirschen, mit dem dieser Rivalen aus dem Feld schlägt).

Solche auffälligen Unterschiede zwischen den Geschlechtern nennen Biologen “sexuellen Dimorphismus”, und fast immer sind dabei die Männchen schöner oder größer. Biologen erklären dies mit den unterschiedlichen Reproduktionsstrategien: Während Weibchen mit einer begrenzten Zahl von Eizellen und erheblicher Arbeit bei der Aufzucht des Nach­wuchses wählerisch bei der Auswahl des Partners sein müssen, verfügen die Männchen über derartig viele Spermien und verschwinden oft nach der Befruchtung wieder, so dass einfach möglichst viele Weibchen befruchten können und keine Mühe auf die Auswahl verschwenden müssen. Wenn Weibchen und Männchen hingegen ihren Nachwuchs gemeinsam aufziehen, gibt es oftmals keine auffälligen Unterscheide zwischen Männchen und Weibchen. (Und wenn doch, liegt dies daran, dass die Partner oft “fremdgehen”, wie genetische Untersuchungen zeigten.) In Einzelfällen sind auch die Weibchen schöner, etwa bei den Seepferdchen: Hier ziehen die männlichen Partner die Jungen auf; sind also diejenigen, die mehr in die Aufzucht investieren und also die Partnerinnen sorgfältig auswählen sollten – die Ausnahme bestätigt also die Theorie.

Warum aber suchen die (meist) Weibchen ihre Partner nach Schönheit aus? Hat dieses Verhalten einen Anpassungswert? Ja, glauben viele Evolutionsbiologen. Wenn etwa ein Pfau eine besonders prächtige Schleppe hat und trotzdem ins geschlechtsreife Alter kommt, muss er besonders gute Gene haben – über den Umweg über die Schleppe erkennt die Henne also die “Genqualität” ihres künftigen Partners. Hennen, die Hähne bevorzugten, die ein schönes Rad schlagen, wurden in der Evolution also belohnt, da diese Hähne zugleich bessere Gene hatten. Am Beispiel des im Osten der USA lebenden Grauen Laubfrosches konnten Biologen zeigen, dass tatsächlich die Männchen, die länger rufen (und von den Weibchen bevorzugt werden) bessere Gene besitzen – sie überlebten als Kaulquappen deutlich besser und brachten mehr Nachwuchs hervor. Und auch Jungpfauen von Vätern mit langer Schleppe überleben besser. In anderen Fällen gelang ein solcher Nachweis aber nicht, und manchmal ist die sexuelle Auslese möglicherweise einfach ein Ergebnis ganz anderer Vorteile: Wenn eine Tierart etwa rot mag –  was sich entwickeln kann, weil reife Beeren oft rot sind -, bevorzugen Weibchen möglicherweise auch rot gefärbte Männchen. Bei australischen Grasfinken erhöhte jedenfalls auch ein künstlich angebrachter weißer Hahnenkamm den Fortpflanzungserfolg der Männchen – es kann also nicht ein verstecktes Zeichen für bessere Gene sein, das die Weibchen hierzu brachte, sondern eine aus einem anderen Grund bestehende Vorliebe.

Manche Forscher vermuten, dass auch bei der Entwicklung des Menschen die sexuelle Selektion eine Rolle gespielt habe: Der aufrechte Gang könnte demnach dadurch entstanden sein, dass unsere weiblichen Vorfahren Männchen bevorzugten, die besonders gut aufrecht gehen konnten; und auch das Größenwachstum des Gehirns sei dadurch beschleunigt worden, dass die Fähigkeiten des Gehirns die Weibchen beeindruckt hätten. Die bevorzugten Merkmale hätten sich in größerem Fortpflanzungserfolg ihrer Träger ausgewirkt, und sich so letztendlich durchgesetzt. Daneben gibt es eine Vielzahl von Theorien, die eine Anpassung an die Umwelt als treibende Kraft für aufrechten Gang und Gehirnwachstum sehen (>> mehr); wie groß welcher Einfluss tatsächlich war, wird noch intensiv diskutiert.

Die Entstehung neuer Arten

Die Frage, wie neue Arten entstehen, konnte Darwin mit dem Wissen zu seiner Zeit noch nicht wirklich beantworten. Da die Art als die Gruppe definiert ist, deren Individuen fruchtbare Nachkommen miteinander haben können, stellen die Mitglieder einer Art eine Reproduktionsgemeinschaft dar. Neue Merkmale, die etwa durch eine Mutation entstanden sind, können sich innerhalb einer Art ausbreiten. Insofern ist die Art auch die Einheit der Evolution. Neue Arten entstehen, wenn die Reproduktionsgemeinschaft geteilt wird, also etwas die Fortpflanzung von einem Teil der Gruppe mit einem anderen wirksam verhindert. Einen ersten Hinweis auf mögliche Mechanismen lieferten ähnliche Arten, die räumlich getrennt waren. Wenn die Vorkommen einer Art räumlich getrennt sind (wie etwa die Spottdrosseln auf Galapagos), lernten die Biologen, kann die natürliche Auslese jeweils in verschiedene Richtungen führen und schließlich auch die gemeinsame Fortpflanzung unmöglich machen: Im Laufe der Zeit können so verschiedene Arten entstehen (wie von Darwin auf den Galapagos-Inseln entdeckt). Die Biologen nennen diesen Vorgang, den wichtigsten bei der Entstehung neuer Arten, geographische Artbildung. Die geogra­phische Artbildung verknüpft die Entstehung der Artenvielfalt auf der Erde eng mit der Naturgeschichte derselben: Die Trennung von Kontinenten, die Entstehung von Gebirgen, von Gletschern, von Wüsten etc. isolierte Teile einer Art von anderen Teilen und führten im Laufe der Zeit zu den heutigen vielen Millionen Arten. Sie erklärt auch das häufige Vorkommen endemischer Arten auf abgelegenen Inseln – ist eine Art erst einmal dort angekommen, war sie in der Regel isoliert vom Rest der Art.

Aber die räumliche Trennung ist nicht die einzige Möglichkeit, in verschiedenen Umwelten zu leben: Arten können auch durch Anpassung an verschiedene ökologische Nischen (>> mehr) entstehen – Tiere, die sich zufällig in bestimmten Merkmalen von ihren Konkurrenten unterscheiden und dadurch andere Ressourcen nutzten können, gedeihen genauso gut wie die ursprüngliche Art, wodurch sich auf Dauer verwandte Linien auseinanderentwickeln können. Dieser Vorgang scheint bei Tieren sehr selten zu sein, da gemeinsame Nachkommen die Unterschiede immer wieder verwischen. Bei Pflanzen kommt die “sympatrische Artbildung” (so der Fachausdruck für die Entstehung neuer Arten ohne geographische Trennung) aufgrund eines besonderen genetischen Mechanismus (“Polyploidie” – die Verdoppelung der Chromosomen) aber häufiger vor. Da Biologen von einer neuen Art sprechen, wenn sich die Individuen nicht mehr fruchtbar miteinander vermehren können, ist dies natürlich bei Fossilien nicht mehr direkt zu überprüfen, und sie müssen auf äußerliche Unterschiede zurückgreifen. Die Veränderungen, die zu neuen Arten führen, sind also graduell, neue Arten sind über eine direkte Abstammungslinie aus “Zwischenformen” mit der Vorläuferart verbunden. Diese Zwischenformen führen bei Fossilien manchmal zu langen Diskussionen um die “richtige” Einordnung, zumal die Antwort je nach untersuchtem Merkmal unterschiedlich ausfallen kann. Bei genügend langen Zeiträumen entstehen durch allmähliche Veränderungen auch ganz umwälzende evolutionäre Neuigkeiten, wie in der Vergangenheit die Anpassung der Vierbeiner an das Landleben oder die Flügel der Vögel.

Im Rückblick auf die Evolution lässt sich eine Tendenz zu immer komplexeren Organismen erkennen – vom einfachen Bakterium bis hin zum Menschen mit dem komplexesten Organ überhaupt, dem menschlichen Gehirn (mehr darüber >> hier). Biologen sehen diese Entwicklung nicht als “zielgerichtete Höherentwicklung”, sondern als eine Folge der immer feineren Anpassung an ökologische Nischen – die Nischen der kleinen, einfachen Lebewesen waren eben zuerst besetzt. Die Fossilienfunde stützen diese Theorie, denn sie zeigen, dass die meisten früheren Arten heute ausgestorben sind: Die Anpassung an enge ökologische Nischen ist zunächst ein Vorteil, da sie die Konkurrenz reduziert; wenn sich die Umwelt aber ändert, sind gerade ökologische Spezialisten oft zum Aussterben verurteilt. In der Evolution zählt eben nur der augenblickliche Vorteil. Was im Nachhinein wie eine geradlinige Entwick­lung scheint, ist eher ein ziellosen Suchen, wenn man die ausgestorbenen Arten einbezieht. (Was die “Höherentwicklung” angeht, ist auch keineswegs klar, dass die komplexen Orga­nis­men “besser” sind: Sowohl was Biomasse und Artenvielfalt angeht, sind etwa die Bakterien den Menschen überlegen, und sie leben auch schon viel länger auf der Erde.)

Koevolution und Kooperation

Da zu den Umweltfaktoren und zur “ökologischen Nische” eines Lebenswesens immer auch andere Lebewesen gehören (die Beute für den Räuber, die Blüte für das bestäubende Insekt), ist die Veränderung eines jedes Lebewesens durch die natürliche Auslese immer auch eine Veränderung der Umwelt anderer Lebewesen: Wenn Strandmäuse heller werden (siehe oben), heißt dies für die Raubvögel, dass ihre Nahrung schwerer zu finden ist. Und dies bedeutet entweder weniger Futter oder, wenn die Variabilität der Raubvögel eine Basis dafür bietet, eine natürliche Auslese besser sehender Vögel.

Die Evolution –  Leichen pflastern ihren Weg

Gelingt einer Gruppe von Lebewesen die Anpassung an veränderte Umweltfaktoren nicht, stirbt sie aus: Alle nur noch als Fossilien bekannte Arten haben dieses Schicksal erlitten; der weitaus größte Anteil aller Arten, die jemals auf der Erde gelebt haben, ist heute ausgestorben. Ein besonderer Fall sind sehr schnelle, katastrophale Umweltveränderun­gen, die in der Vergangenheit zu mehreren >> Massenaussterben geführt haben; für solche Ereignisse ist die Evolution blind, wodurch der Zufall seine Chance bekommt (>> unten).

Die Veränderung einer Art als Folge der Veränderung einer anderen Art wird Koevolution genannt. Schon Darwin hat die Anpassung von Orchideen an die Bestäubung untersucht; und heute weiß man, dass viele der chemischen Stoffe, die in Pflanzen zu finden sind, eine Abwehr gegen Fressfeinde, zum Beispiel Schmetterlingsraupen, sind – und viele Schmetter­linge wiederum Anpassungen an bestimmte Gifte entwickelt haben, die es ihnen erlauben, von bestimmten Pflanzen doch zu leben (mit dem Vorteil, dass dort keine anderen Arten fressen). Ganze Ökosysteme können das Ergebnis von Koevolution sein: So sind etwa die Grassteppen eine Anpassung an die Herden von Pflanzenfressern (>> hier); und die Einlagerung von Silikatstrukturen in Blätter (als Fraßschutz) führte bei manchen Pflanzen­fressern zur Ausbildung dicker, abnutzungsresistenter Zähne. Eine extreme Form der Koevolution ist die Entstehung von Symbiosen. Die Entstehung der Eukaryoten durch Endosymbiose (>> hier) ist ein Beispiel dafür. Viele weitere Symbiosen prägen heute das Leben: Schwämme bauen mit Hilfe von Algen Korallenriffe auf, Bäume leben in Symbiose mit zahlreichen Pilzen in ihren Wurzeln und gelangen so an Nährstoffe, die ihnen alleine nicht zugänglich wären, Kühe können die Cellulose in ihrer Nahrung nur mit Hilfe von Bakterien und Protisten im Pansen zerlegen. Auch wir Menschen beherbergen Milliarden Bakterien im Darm, die dort bei der Verdauung helfen.

Und schließlich kann die Evolution auch Kooperation fördern: Diese wird sich durchsetzen, wann immer Individuen gemeinsam bessere Chancen im “Kampf ums Dasein” haben als alleine. Eine extreme Ausprägung, die zeigen, wie weit dies führen kann, sind die soge­nannten Superorganismen: Arten, bei denen einzelne Individuen Rollen übernehmen, die zu einer Leistung führen, die wesentlich größer ist, als es ohne diese Spezialisierung möglich wäre. Beispiele sind Termiten oder Blattschneiderameisen: bei den letzteren zerkleinern die nach der Königin größten Tiere die Blätter auf den Bäumen, andere Tiere tragen diese ins Lager, von dort wieder andere ins Nest, wo sie von jeweils einer Gruppe weiter zerkleinert, zu Kugeln geformt und mit Pilzen bepflanzt werden. Die kleinsten Ameisen kümmern sich um die Pilze. Daneben gibt es "Müllarbeiterinnen", die Abfälle beseitigen, "Bestatterinnen", die tote Ameisen begraben und "Kriegerinnen", die das Nest verteidigen. Das alles geschieht ohne zentrale Steuerung; die "Ameisensprache" besteht aus einer Gruppe von Chemikalien, den Pheromonen, die die Zusammenarbeit steuern: Indem jede Gruppe in bestimmter Weise Pheromone freisetzt oder auf bestimmte Pheromone reagiert, entsteht scheinbar "intelli­gentes" Verhalten.

Ein anderes Beispiel ist der >> Mensch, der sich in der Gruppe besser gegen große Tiere verteidigen und diese nur gemeinsam erlegen konnte: Daher sind beim Menschen nicht nur ein Streben nach eigenem Nutzen, sondern auch ein tief verankerter Sinn für Fairness und Gerechtigkeit zu finden. Diese Anlage ermöglichte dem Menschen, immer komplexere Gesellschaften aufzubauen (>> mehr), die ohne Vertrauen in andere gar nicht möglich gewesen wären, bis hin zu heutigen globalen Marktwirtschaft (>> mehr). Adam Smiths Arbeitsteilung hätte er auch von den Blattschneiderameisen abgucken können. Bilder wie das vom “egoistischen Gen” widersprechen dem nicht, denn Prozess und Produkt sind nicht das gleiche (siehe >> Beethoven-Fehler): der “Kampf ums Dasein” kann auch zu einer friedlichen Kooperation führen und hat dies in vielen Fällen auch getan. Entscheidend ist der Erfolg, und komplexe, arbeitsteilige (kooperative) Gesellschaften haben historisch beim Aufeinandertreffen mit einfacheren Gesellschaften zumeist gesiegt, weshalb sie heute vorherrschen.

Natürlich hat auch das Leben in einem Superorganismus (und man kann ja auch die mensch­liche Zivilisation als einen solchen verstehen) Folgen für die Evolution: Da jedes einzelne Individuum eine spezialisierte Rolle übernimmt, werden nicht mehr benötigte Fähigkeiten auch immer weniger ausgebildet. So haben Haustiere kleinere Gehirne und weniger scharfe Sinne als ihre wilden Vorfahren; und auch die einzelnen Menschen werden immer inkompetenter: die meisten von uns könnten sich längst nicht mehr selbst ernähren (ohne gekaufte Werkzeuge!), beschützen oder behausen. Es gibt Untersuchungen, nach denen das menschliche Gehirn seit Erfindung der Landwirtschaft schrumpft: wir haben uns selbst zum Haustier gemacht.

Zufall und Notwendigkeit

Eine weitere Antwort der modernen Evolutionsforschung ist die auf die alte Frage nach Zufall oder Notwendigkeit als Antrieb der Evolution. Zu Beginn hielten viele Darwinisten die Anpassung (also die Notwendigkeit) für die treibende Kraft der Evolution; mit der Ent­deckung der Mutationen als Quelle der Vielfalt und der Rolle katastrophaler Einschnitte (>> Massenaussterben) wurde klar, das auch der Zufall eine gewaltige Rolle spielt: Er be­herrscht die Entstehung der Variabilität. Zufall und Notwendigkeit beeinflussen also die Evolution. Würde man die Uhr zurückstellen und die Evolution noch einmal ablaufen lassen, würde das Leben aufgrund des Einflusses zufälliger Ereignisse ganz anders aussehen – dies glauben jedenfalls die meisten Biologen; eine überzeugende Darstellung findet sich etwa in Stephen Jay Goulds Buch “Zufall Mensch”. Andere, etwa Simon Conway Morris (“Jenseits des Zufalls”), aber glauben, aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Anpassung an die ökologischen Nischen der Erde würde sich das Leben wieder in eine ähnliche Richtung entwickeln, dafür würde die natürliche Auslese sorgen. Unabhängig von dieser Frage, ist die natürliche Auslese als solche nicht zufällig: Sie wählt immer die Organismen aus, die am besten überleben können. Damit hat sie auch dazu beigetragen, dass die Kette des Lebens seit über drei Milliarden Jahren niemals abgerissen ist.

Literatur:
Eine aktuelle Darstellung der Evolution bietet >> Ernst Mayr: Das ist Evolution; eine gute Einführung Richard Dawkins’ “Die Schöpfungslüge. Warum Darwin Recht hat.” (Ullstein TB, 2012). (Der schönere Originaltitel lautet: “The Greatest Show on Earth. The Evidence for Evolution”.)

 Weiter mit:
>> Die Geschichte des Lebens auf der Erde

© Jürgen Paeger 2006 – 2021

Siehe auch:
Hintergrund >> Charles Darwin und die Evolutionstheorie.

Zur Evolution der Wale gab es einen Bericht in der (englisch­sprachigen) Ausgabe des National Geographic -Magazine vom August 2010: Valley of the Whales, dazu gibt es eine ansprechende Animation (leider nur Abonnenten zugäng­lich).

Die Konvergenz, das voneinander unab­hängige Entstehen sehr ähnlicher Formen – weitere Beispiele sind Kolibrischwärmer (ein Schmetterling) und Kolibris, die beide in der Luft stehend Nektar aus Blüten saugen, die Giftstachen von Quallen und Skorpionen oder die mehrfache Entstehung von Augen – ist so etwas wie das Gegen­teil der Homolo­gie (>> oben), worunter der ähnliche Grundbauplan bei scheinbar sehr ver­schiedenen Körper­tei­len, etwa der Vogel­flügel, der menschlichen Arme und der Fisch­flos­sen verstanden wird, die alle vom selben Or­gan eines gemeinsamen Vorfahren abstammen. Ein weiteres Beispiel ist die menschliche Lunge, die der Schwimmblase der Fische entspricht.