Hintergrundinformation

Eine kleine Geschichte der Menschheit

Die ersten Grünen
Alexander von Humboldt und seine wichtigsten Schüler

Alexander von Humboldt, Gemälde von Friedrich Georg Weitsch 1806

Porträt Alexander von Humoldts von Friedrich Georg Weitsch, 1806,
aus >> wikipedia, abgerufen 18.12.2016, gemeinfrei).

Alexander von Humboldt

Jugend und Reiseträume

Alexander von Humboldt, am 14. September 1769 als zweiter Sohn einer reichen preußischen Adelsfamilie geboren, interessierte sich bereits früh für Pflanzen, Tiere und Steine: in seiner Familie wurde er der „kleine Apotheker“ genannt, weil nach Streifzügen in die Wälder des Familienbesitzes bei Berlin seine Taschen gerne  voll mit Insekten und Pflanzen waren, die er gesammelt hatte. Diese Ausflüge, und die Lektüre der Bücher von James Cook und  Louis Antoine de Bougainville, die beide die Welt umsegelt hatten, waren die Flucht vor dem strengen Regime der als herrisch und gefühlskalt, aber ehrgeizigen Mutter (der Vater war 1779 gestorben), in deren Auftrag der Berater und Erzieher Gottlob Johann Kunth und Hauslehrer aus dem Kreis der Berliner Professoren ein „pädagogisches Schreckensregime“ (> Biermann 2008) mit ständigem Lernzwang und perfekter Kontrolle führte. Die Interessen der Söhne interessierten sie weniger, diese nannten den Familiensitz Schloss Tegel unter sich „Schloss Langweil“. Der Unterricht war ganz auf den zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm zugeschnitten und überforderte Alexander, der zudem (oder deshalb) ständig krank war. Was die Hauslehrer vermittelten, waren immerhin die Ideale der >> Aufklärung: Humboldt wurde in eine Zeit geboren, in der die letzten weißen Flecken von den Landkarten verschwanden, in Amerika Revolutionäre >> ihre Unabhängigkeit erklären und neue Technologien wie die (von James Watt in Humboldt Geburtsjahr patentierte verbesserte) Dampfmaschine die >> Industrielle Revolution einleiteten – der Mensch begann, die Natur zu unterwerfen. Als Benjamin Franklin Mitte des 18. Jahrhunderts den Blitzableiter erfand, war sogar der Blitz gezähmt, der bis dahin als Ausdruck göttlichen Zorns galt. Die Welt, so dachten die Aufklärer, war durch genaue Beobachtung, gezielte Experimente und die Gesetze der Mathematik zu verstehen, und Humboldt war ein Kind dieses Zeitalters. Über einen seiner Lehrer lernte er den jüdischen Arzt Marcus Herz kennen, und wurde gern gesehener Gast im Salon seiner Frau Henriette; er suchte jetzt auch selber Kontakt zu Leuten, die er kennenlernen wollte, so zu dem Botaniker Karl Ludwig Willdenow, der eine Flora Berlins verfasst hatte und wurde ein „enthusiastischer Botanist“.

Die exotischen Pflanzen, die er im Berliner Botanischen Garten sah, weckten in Humboldt den Wunsch, die Welt zu sehen. Die Mutter wollte indes, dass er in den Staatsdienst eintreten sollte. Nach einem Semester an der Universität in Frankfurt an der Oder, wo er die Buchführung der öffentlichen Verwaltung studierte, ging er nach Göttingen, wo auch sein Bruder Wilhelm studierte, und belegte Naturwissenschaft, Mathematik und Sprachen. In seiner Göttinger Zeit machte er eine Reise in die Pfalz und lernte in Mainz Georg Forster kennen, einen deutschen Naturforscher, der an Cooks >> zweiter Weltumsegelung teilgenommen hatte und hierüber ein Buch („Reise um die Welt“) veröffentlicht hatte. Mit Forster unternahm Humboldt ein Jahr später eine viermonatige Europareise, die ihn über Flandern und Holland nach London führte: Auf dieser Reise sah Humboldt zum ersten Mal das Meer; in London traf er unter anderem Sir Joseph Banks, den Botaniker von Cooks erster Weltumsegelung. Die Schiffe, die unablässig Waren aus fernen Ländern in den Hafen brachten, beflügelten seine Sehnsucht weiter, tropische Länder zu sehen. Im Juli kamen Humboldt udn Forster zur Feier des Jahrestages der französischen Revolution in Paris an, und die revolutionäre Begeisterung, die er hier sah, machte aus Humboldt endgültig einen Verfechter der Menschenrechte. Nach der Reise wechselte Humboldt an die Handelsakademie in Hamburg, und auch in dieser Stadt nährten die zahlreichen Handelsschiffe sein Fernweh weiter. Aber zwischen ihm und den erträumten Tropen stand seine Mutter. Um sich wie gewünscht auf den Staatsdienst vorzubereiten, studierte er an der Bergakademie in Freiberg, hatte dabei aber Hintergedanken: als Bergbaufachmann, so wusste er, würde er auf der ganzen Welt ein begehrter Fachmann sein, auch in den „heißen Landstrichen“.

Humboldt schloss das eigentlich dreijährige Studium in nur neun Monaten ab (von seiner früheren Kränklichkeit keine Spur mehr) und wurde mit 22 Jahren preußischer Bergassessor. Diese Stellung erlaubte ihm zumindest, zu reisen, um Böden, Stollen und Erzlager zu inspizieren. Im Mai 1793 wurde er zum Oberbergmeister von Franken befördert. Neben seiner Arbeit, der er sich intensiv widmete, beschäftigen ihn weiterhin die Naturwissenschaften, so beschäftigte er sich intensiv mit der „tierischen Elektrizität“, die der Italiener Luigi Galvani als Ursache für die Kontraktion von Muskeln, die durch Berührung mit Metallen hervorgerufen werden konnte, vermutete. Als er 1794 seinen Bruder Wilhelm in Jena besuchte, lernte er Goethe kennen. Humboldt und Goethe freundeten sich infolge ihres gemeinsamen Interesses an den Naturwissenschaften an. Die beiden Humboldt-Brüder, Goethe und der in Jena lehrende Schiller diskutierten während dieses und weiterer späterer Besuche Fragen, die damals die Naturphilosophen beschäftigten: War das vorherrschende mechanische Naturmodell überhaupt zutreffend? Tiere und Pflanzen gehorchten offenbar anderen Gesetze als unbelebte Materie – gab es vielleicht eine „Kraft“, die aus toter Materie Leben macht? Und wie kann man die Natur am besten verstehen – mittels Vernunft und rationalem Denken (die Haltung der „Rationalisten“) oder mittels Beobachtungen und Experimenten (die Meinung der „Empiristen“)? Oder hatte Immanuel Kant recht, der in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ eine Position zwischen diesen Polen einnahm: Der Mensch könne niemals ein „Ding an sich“ verstehen, weil dieses immer auch in der (subjektiven) Innenwelt wahrgenommen würde. Humboldt faszinierte noch eine andere Ansicht Kants, dass nämlich zur umfassenden Erkenntnis Dinge immer in einen größeren Rahmen eingefügt werden müssen, um Sinn zu ergeben – ein  Ansatz, der Humboldts Denkweise zutiefst prägen sollte. Fortan versuchte er, exakte wissenschaftliche Daten mit seiner emotionalen Reaktion auf das Beobachtete zu verbinden – mit der reinen Klassifikation von Pflanzen, Tieren und Steinen, schrieb er an Goethe, lasse sich die Welt nicht verstehen. 1795 schlug er das Angebot aus, die Gesamtleitung des schlesischen Bergbaus zu übernehmen, und handelt im Gegenteil das Recht aus, sich für Studienreisen beurlauben zu lassen. Das nutzt er schon im Sommer, um die geologischen Verhältnisse in den Alpen kennenzulernen.

1796 starb Humboldts Mutter, und die Erbschaft machte die Brüder reich. Humboldt kündigte seine Stelle als Oberbergmeister und machte den größten Teil seiner Erbschaft flüssig, indem er das ererbte Gut Ringenwalde verkaufte. Er wollte sich von jetzt an intensiv auf eine Expedition vorbereiten, auf der er endlich ferne Länder kennenlernen wollte. Er reiste durch Europa, um seine Kenntnisse der Naturwissenschaften zu erweitern und neue Instrumente auszuprobieren – und las alle Reiseberichte, die er finden konnte. Aber Europa litt unter den napoleonischen Kriegen; diese verhinderten unter anderem, dass Humboldt in Italien an Vesuv und Ätna den Vulkanismus studieren konnte. Sie drohten auch seine Expedition scheitern zu lassen. Ende April 1798 ging Humboldt nach Paris, wo Wilhelm und seine Frau Caroline mittlerweile wohnten. In Paris lernte er den Weltumsegler Louis-Antoine de Bougainville kennen, der mit 70 Jahren eine neue Reise um die Welt plante und der Humboldt einlud, ihn zu begleiten. Zu den Wissenschaftlern der Expedition gehörte auch der knapp vier Jahre jüngere Mediziner und Botaniker Aimé Bonpland, mit dem Humboldt sich anfreundete. Aber die Leitung der Expedition wurde dem jüngeren Kapitän Nicolas Baudin übertragen und sie scheiterte schließlich daran, dass Frankreich die vorgesehen Mittel für einen neuen Feldzug brauchte.

Die amerikanische Reise

Humboldt und Bonpland beschlossen, die geplante Expedition gemeinsam anzugehen. Als ihr  Versuch scheiterte, mit dem schwedischen Konsul nach Nordafrika zu reisen, von wo aus sie über Land nach Ägypten weiterreisen wollten (die vorgesehene Fregatte wurde in einem Sturm schwer beschädigt), gingen Humboldt und Bonpland nach Madrid. Hier hatte Humboldt endlich Glück: der sächsische Gesandte Baron Philip von Forell führte ihn bei Hofe ein und Humboldt schaffte es 1799, Pässe für sich und Bonpland (als „Begleiter und Sekretär“) für eine Reise durch die spanischen Kolonien in Südamerika und die Philippinen zu erhalten. Am 5. Juni 1799 liefen Humboldt und Bonpland mit der Fregatte Pizarro von La Coruña aus. Nach einem Zwischenstopp auf Teneriffa, bei dem sie den Pico del Teide bestiegen, erreichten sie am 16. Juli Cumaná, die Hauptstadt Neuandalusiens (2510). Humboldt und Bonpland entschieden sich, schon hier (anstatt wie geplant erst auf Kuba) die Pizarro zu verlassen (2512). In einem Brief an einen Freund beschrieb Humboldt das Ziel seiner Expedition damit, „das Zusammen- und Ineinanderweben aller Naturkräfte zu untersuchen, den Einfluss der toten Natur auf die belebte Tier- und Pflanzenschöpfung“ – das war Kants „Einfügen in einen größeren Rahmen“ angewandt auf die Natur.

Zunächst blieben Humboldt und Bonpland vier Monate in Cumaná, um sich in dem als gesund geltenden – weil trockenen – Klima von der Überfahrt zu erholen und sich in der Umgebung in die reiche tropische Natur einzuarbeiten, die sie anfangs überforderte (Humboldt: „Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher“; Bonpland: „Ich komme von Sinnen, wenn die Wunder nicht bald aufhören“). Für ihren Aufenthalt mieteten sie ein Haus am Marktplatz, und sie unternahmen Ausflüge in die Umgebung: Der erste führte sie auf die Halbinsel Araya, die einst für ihre Perlenfischerei bekannt war, der zweite nach Caripe, wo sie eine Höhle erkundeten, in der Fettschwalme nisteten – das Fett dieser Vögel wurde von den Indios und den Missionaren genutzt, um daraus Speise- und Lampenöl zu gewinnen. Die farbenprächtige tropische Natur begeisterte die beiden Forscher, geschockt war Humboldt dagegen vom Sklavenhandel, den er von dem gemieteten Haus aus sehen konnte: es gehe zu „wie auf dem Pferdemarkt“. Mit dem in Paris erworbenen Glauben an die Gleichheit der Menschen war er nicht vereinbar, und Humboldt wurde hier zum entschiedenen Gegner des Sklavenhandels (2515). Auch erkannte Humboldt erste Beispiele dafür, dass der Mensch bei seinen Eingriffen die Natur keineswegs immer (wie man damals im Zuge der Aufklärung allgemein glaubte) verbesserte, sondern sie auch schädigten konnte: die unkontrollierte Perlenfischerei hatte die Austernbänke an der venezolanischen Küste zerstört.

In Cumaná entscheiden sich Humboldt und Bonpland, einem seit einem halben Jahrhundert bestehendem Gerücht nachzugehen, dass der Río Casiquiare die beiden größten Flusssysteme Südamerikas, den Orinoco und den Amazonas, miteinander verbinde. Am 19. November reisten sie daher nach Caracas ab, der Hauptstadt des Generalkapitanats Venezuela, die damals 40.000 Einwohner zählte. Hier wollten sie das Ende der Regenzeit abwarten. Sie blieben zehn Wochen, in denen sie den vor den Toren der Stadt liegenden La Silla (2.631 m) bestiegen – offenbar als Erste überhaupt. Am 7. Februar 1800 brachen sie zum Orinoco auf, machten jedoch einen Umweg, um die Täler von Aragua,  eine der reichsten landwirtschaftlichen Regionen in den Kolonien, zu besuchen. In diesem Tal lag der 400 Quadratkilometer große Valencia-See. Die Pflanzer erzählten Humboldt, dass sein Wasserspiegel seit Jahren beständig sank – und vermuteten einen unbekannten Abfluss. Humboldt untersuchte die Frage, und bestätigte, was die einheimischen Indios vermuteten: Grund war, dass die Pflanzer die umliegenden Wälder abgeholzt hatten; das Abholzen habe eine Abnahme der Quellen zur Folge. Humboldt Analyse war die erste wissenschaftliche Untersuchung, die die ökologischen Folgen der Abholzung von Wäldern betonte (die ökonomischen Folgen hatten die Menschen insbesondere in den Bergbauregionen, wo große Mengen Bau- und Feuerholz benötigt wurden, schon früher beschäftigt): die durch den fehlenden Unterwuchs beschleunigte Bodenerosion und die fehlende Rückhaltung der Niederschläge, „welche nun die Felder verwüsten“, und eben das Versiegen der Quellen und das Sinken des Wasserspiegels. Nach drei Wochen am Valenciasee ging es durch die Llanos, die riesigen Ebenen im Norden Südamerikas (wo Humboldt Zitteraale untersuchte, die ihre Beute mit Hilfe elektrischer Schläge betäubten oder töteten [2520]), nach San Fernando am Río Apure, einem der großen Quellflüsse des Orinoco, wo sie am 27. März ankamen.

Nach nur dreitägiger Vorbereitung starteten sie am 30. März und fuhren mit einem gemieteten Segelkanu den Río Apure hinab zum Orinoco, den sie am 4. April erreichten, und dann den Orinoco hinauf. Dieser führt durch immer dichter werdenden tropischen Regenwald – eine Welt, die Humboldt und Bonpland trotzt aller Gefahren faszinierte. Der Orinoco war ein mythischer Fluss: Schon 1530 hatte die Welser und 1595 Sir Walter Raleigh hier nach dem sagenhaften El Dorado gesucht; und das Gerücht einer Verbindung zum Amazonas hielt sich hartnäckig, obgleich europäische Geographen sie für unmöglich hielten, da Flusssysteme von einer Wasserscheide getrennt werden. Schon auf dem ersten Stück fingen Humboldt und Bonpland Vögel und Affen, die fortan die kleine Reisegruppe begleiteten. Paradiesisch war die Fahrt aber nicht, vor allem Mücken und Schnacken plagten die kleine Reisegruppe sehr. Sie mussten außerdem die Wasserfälle von Atures und Maypures überwinden (wozu sie ihr Segelkanu gegen ein kleineres Boot eintauschen mussten, das durch die Wasserfälle gehievt und zur Not um diese herum getragen werden konnte), und nach drei Wochen auf dem Orinoco paddelten sie weitere zwei Wochen über Zuflüsse entlang des Río Atabapo und – nachdem das Boot zwölf Kilometer über Land dorthin getragen wurde – des  Rio Negro, bis sie am 11. Mai den Zugang zum Río Casiquiare fanden. Auch hier, wo der Mensch den Lauf der Natur kaum störte, erkannte Humboldt die Auswirkungen der Menschen: Missionare, die ihre Kirche am Orinoco mit Öl aus Schildkröteneiern beleuchteten, hatten die lokale Schildkrötenpopulation dezimiert. Zu Humboldts Enttäuschung wussten die Missionaren, die er in der Region traf, zudem längst, dass der Casiquiare den Orinoco mit dem Río Negro (und damit dem Amazonas) verband: die Indios nutzen die Verbindung seit ewigen Zeiten. Für Humboldt blieb "nur" noch, den genauen Verlauf des Flusses zu kartieren, den sie nun hinauffuhren (2530). Nach zehn Tagen auf dem Casiquiare erreichten sie wieder den Orinoco, das Gerücht und die Kenntnisse der Missionare waren damit bestätigt. Humboldt erkannte auch, wie diese Verbindung möglich war: Die Wasserscheide lag unter Wasser im Orinoco selbst, weshalb an der Gabelung ein Teil des Flusswassers nach Westen abgedrängt wird und in den Río Negor fließt. Nach weiteren drei Wochen, die sie den Orinoco flussabwärts folgten, kamen sie am 13. Juni in die kleine Stadt Angostura (heute Ciudad Bolívar), wo ihre Flussfahrt nach 2.200 Kilometern endete. Nach einem Monat Pause (Bonpland, der sich unterwegs die Malaria eingefangen hatte, litt unter schwerem Fieber) reisten sie durch die Llanos zurück nach Cumaná, wo sie Ende August ankamen.

Sobald sich Humboldt und Bonpland von dieser Reise erholt hatten, brachen sie am 24. November nach Kuba auf, von wo aus es nach Mexiko weitergehen sollte. Sie erreichten Havanna, das Wirtschaftszentrum der Antillen, am 19. Dezember. In Havanna arbeitete Humboldt viel in den königlichen Archiven. (Er sollte später einen "Essai politique sur l'île de Cuba" verfassen, die erste moderne Länderkunde überhaupt. Hier wird auch seine Ablehnung der Sklaverei deutlich: Er berichtet, dass auf den Zuckerrohrplantagen jedes Jahr von 100 Sklaven 15 bis 18 sterben, und manche Pflanzer berechnen, was billiger ist: die Sklaven etwas weniger hart arbeiten zu lassen, damit sie länger leben, oder aber in Neukäufe zu investieren. Die Sklaverei sei "das größte aller Übel, welche die Menschheit bisher geprägt haben."[2535])

Aber Anfang 1801 erhielt Humboldt Nachricht, dass Baudins Expedition doch noch aufgebrochen sei. Er vermutete, dass Baudin Ende des Jahres in Lima ankommen würde, und wollte sich der Weltumsegelung dort anschließen: so änderten Humboldt und Bonpland ihren Reiseplan und beschlossen, nach Lima zu reisen. Sie ordneten eilig ihre Sammlungen und fertigten Abschriften ihrer Notizen und Manuskripte an, und bestiegen Mitte März 1801 ein Schiff nach Cartagena (im heutigen Kolumbien). Hier entschieden sich Humboldt und Bonpland für den Landweg entlang der Anden. Die hier gesammelten Pflanzen würden nicht so schnell aufgrund von Feuchtigkeit vergammeln oder von Insekten gefressen (wie Humboldt und Bonpland in Kuba für die in den Tropen gesammelten feststellen mussten), und in Bogotá lebte der berühmteste Botaniker Südamerikas, José Celestino Mutis (2538). Südlich von Quito lockte zudem der Chimborazo, der damals mit über 6.300 Metern als höchster Berg der Welt galt. Die Reise begann am 6. April. Der erste Abschnitt führte zum Río Magdalena, mit großen Boot in strapaziösen 55 Tagen nach Honda und von dort hinauf auf die 2.600 Meter hoch gelegene Ebene, in der Bogotá liegt, wo sie am 8. Juli ankamen. Sie blieben hier zwei Monate, in denen sie intensiv mit Mutis zusammenarbeiteten. Daneben besuchten sie unter anderem den Guatavita-See, einem der möglichen Ursprünge der Legende von El Dorado (2539). Am 8. September brachen sie zum zweiten Abschnitt auf: über den Quindíopass und schmale Bergpfade ging es nach Quito, wo sie am 6. Januar 1802 eintrafen.

Im März bestiegen sie mit dem Antisana den ersten Vulkan und erreichten nach Humboldts Messungen 5.407 Meter Höhe, wo sie aus Sauerstoffmangel die Besteigung abbrechen mussten. Mitte April bestiegen sie den Guagua-Pichincha und den Rucu-Pichincha, die beiden Gipfel des erloschenen "Hausvulkans" von Quito. Dann erhielt Humboldt einen vor anderthalb Jahren abgeschickten Brief, im dem ihm mitgeteilt wurde, dass Baudin gar nicht über Südamerika, sondern um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Australien gesegelt war – so dass Humboldt jetzt genug Zeit hatte, die anderen großen Vulkane der Anden zu besteigen. Vulkane waren für Humboldt der Schlüssel zum Verständnis der Erdentstehung, und Ende April machte er eine Exkursion zum Cotopaxi; scheiterte aber aufgrund der Steile und des Schnees an der Besteigung. Der dritte Abschnitt der Reise begann am 9. Juni, über den Chimborazo ging es weiter nach Lima (Humboldt hatte beschlossen, auch ohne Baudin dorthin zu gehen, um ein Schiff nach Mexiko zu finden). Auf dem Weg kamen sie an weiteren Vulkanen wie dem Tungurahua und dem El Altar vorbei; Humboldt nannte die Strecke "Avenue der Vulkane". Hier wurde Humboldt zum "Plutonisten", glaubte also daran, dass es magmatische Vorgänge im Erdinneren waren, die die Erdkruste und die Gebirge hatten entstehen lassen (2540). Am 22. Juni waren sie am Chimborazo.

Gemälde: Humboldt und Bonpland am Chimborazo

Humboldt und Bonpland am Chimborazo. Gemälde von Friedrich Georg Weitsch, 1806.
Abb. aus >> wikipedia commons (abgerufen 19.12.2016), gemeinfrei.

Die Besteigung am 23. Juni scheiterte aber: Humboldt und Bonpland mussten, unter Höhenkrankheit leidend, auf einem Grat, der plötzlich endete, aufgeben. Dennoch erreichten sie bei diesem Versuch mit 5.920 Metern vermeintlich die höchste Höhe (2550), die bis dahin ein Mensch in den Bergen erreicht hatte (vermeintlich, denn später stellte sich heraus, dass die Inka ihren Sonnenkult in den südlichen Anden auf Gipfeln ausgeübt hatten, die höher waren).

Humboldt erkannte bei diesem Versuch, dass die Veränderung der Vegetation mit der Höhe der zu den Polen hin entsprach, die Pflanzendecke einer Region also von ihrem Klima und anderen Standortfaktoren abhing (2553). Auf einer später als „Naturgemälde“ veröffentlichten und berühmt gewordenen Zeichnung stellte er seine Erkenntnisse dar – Humboldts Ansatz (der allerdings auf Vorarbeiten des Schweizer Geologen und Botanikers Horace-Bénédicte de Saussure zurückging, der dieses in seinem Werk "Voyages dans les Alpes", das von 1779 bis 1796 in vier Bänden erschien, für die Alpen auch schon beschrieben hatte) prägt noch heute unser Verständnis von den Vegetationszonen der Erde. Auf ihrem weiteren Weg stießen Humboldt und Bonpland auf Reste der Inka-Sonnenstraße (auf Teilstücken war sie noch gut erhalten ["gleich den schönsten Heerstraßen der Römer"]) und auf die Inka-Ruine von Ingapirca. Über Cuenca gelangen sie nach Loja, wo sie den Botaniker Vicente Olmedo trafen, einen der "bedeutendsten Wissenschaftler Amerikas": er ließ hier den Chinchonabaum anbauen, dessen "Chinarinde" das einzige Mittel gegen Malaria war (2555). Entlang des Río Huancabamba und des Chamaya kamen sie an den Río Marañón, einem der Quellflüsse des Amazonas. Dann ging es wieder ins Hochland: Vorbei am Cerro Hualgayoc (der nach Potosí reichsten Silbermine Amerikas, die Humboldt für den Vizekönig und die spanische Regierung untersucht – er schlug vor, diese aus Privathand in Gesellschaften zu überführen und die Bergleute gut auszubilden) ging es nach Cajamarca, einer Residenzstadt des Inka Atahualpa, der hier 1533 Francisco Pizarro >> in die Hände gefallen war. Von hier ging es ein letztes Mal am Alto de Huangamarca über die Anden, vom Pass aus sahen sie die "Südsee" (wie man den südlichen Pazifik damals nannte) – von hier aus stiegen sie zur Küste des Pazifik hinab.

Hier fiel Humboldt auf, dass das Wasser nur 16 Grad warm war, mehr als 10 Grad weniger als sonst in diesen Breiten. Er besuchte die Reste von Chan-Chan, der Hauptstadt des präkolumbianischen Chimú-Reichs (das um 1470 von den Inka unterworfen worden war). Danach ging es einige Wochen durch eine Wüste direkt am Meer immer nach Süden. Dabei kamen sie an einem ungewöhnlichen Naturreichtum vorbei: Die Inseln vor der Küste waren reich an guano, trockenem Vogelmist, mit dem schon die Inka ihre Felder gedüngt hatten. Humboldt nahm Proben davon mit nach Europa, er erwies sich als sehr stickstoff- und phosphorreich; bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden etwa 100 Millionen Tonnen zur Düngung der Felder in Europa und Nordamerika exportiert (2558). Am 23. Oktober erreichen sie Lima. Hier blieben sie gut zwei Monate. Auf Ausfahrten mit Fischern entdeckte Humboldt, dass die ungewöhnlich niedrigen Wassertemperaturen, die er im Pazifik gemessen hatte, durch eine kalte Meeresströmung vom Südwesten verursacht wurden (2560). Heiligabend 1802 reisten sie mit dem Schiff weiter nach Guayaquil, wo sie am 4. Januar 1803 eintrafen und von wo aus sie am 17. Februar nach Mexiko abreisten (Humboldt war schon aufgebrochen, um den frisch ausgebrochenen Cotopaxi, der nur 200 Kilometer Luftlinie entfernt lag, zu besteigen, brach den Ausflug aber ab, als er durch einen Eilboten Bonplands von dem Schiff erfuhr).

Auf dem Weg vom Hafen in Acapulco nach Mexiko-Stadt erkannte Humboldt auf einmal, dass die Gesteine unabhängig von der Gestalt des Geländes in parallelen Schichte abgelagert sind, die Gebirge also erst nach der Ablagerung entstanden sein können. Für ihn "vielleicht die wichtigste Entdeckung, die ich gemacht habe". Am 12. April 1803 erreichten sie Mexiko-Stadt, die Hauptstadt des Vize-Königreichs Neuspanien. Hier verbrachten Humboldt und Bonpland mehrere Monate, in denen Humboldt vor allem die Kolonialarchive und -bibliotheken durchstöberte (die hier eingesehenen Dokumente wurden zur wesentlichen Grundlage für seine spätere Länderkunde "Essai politique sur le royaume de La Nouvelle-Espagne"). Zwischendurch machten Humboldt und Bonpland zwei Ausflüge in den Norden: Der erste führte ihn zu den Silberbergwerken von Pachuca, der zweitezu den Minen bei Guanajuato, dem "Freiberg Mexikos". Die Arbeitsverhältnisse dort ("unmenschliche Sorglosigkeit") machten ihn wütend – zumal er wusste, dass sie viel besser sein könnten. Am 20. Januar 1804 brachen sie nach Veracruz auf, wo die Heimreise beginnen sollte. Auf dem Weg besuchten sie die Pyramide von Cholula.

Die Heimreise führte über Havanna, wo er den amerikanischen Konsul kennenlernte, der ihm einen Abstecher in die USA vorschlug. Da Humbolt angesichts der napoleonisch-britischen Kriege gerne auf ein (neutrales) amerikanisches Schiff umstieg, nahm er die Einladung an – und kam beinahe um, als das Schiff vor Florida in einen Hurrikan geriet. Aber am 22. Mai 1804 segelten sie heil in die Mündung des Delaware. Von Philadelphia aus nahmen sie die Postkutsche nach Washington, wo Humboldt und Bonpland Thomas Jefferson kennenlernten, den dritten Präsidenten der Staaten und ebenfalls begeisterter Naturforscher (er bereitete seinen Privatsekretär Meriwether Lewis zwei Jahre lang auf die Erforschung des Westens vor; als Humboldt in Washingston war, waren Lewis und sein Partner Clark gerade zu der später berühmt gewordenen >> Lewis-Clark-Expedition gestartet). Jefferson interessierte sich aber auch für Humboldts Kenntnisse über Mexiko, war doch Mexiko nach Jeffersons Kauf der französischen Gebiete im „Louisiana Purchase“ zum unmittelbaren Nachbarn der Vereinigten Staaten geworden. Am 30. Juni 1804 schifften Humboldt und Bonpland sich auf der französischen Fregatte Favorite ein, um das letzte Stück der Heimreise anzutreten. Am 1. August erreichte die Favorite Bordeaux, von hier aus ging es per Kutsche nach Paris (2565).

Auswertung – das "amerikanische Reisewerk"

Paris, die nach London zweitgrößte Stadt Europas, war im August 1804 das Zentrum der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Welt. Zum Zentrum der wissenschaftlichen Welt war sie geworden, da die katholische Kirche mit der Französischen Revolution an Macht verloren hatte und die Naturforscher nicht länger mit orthodoxen Dogmen behinderte. Humboldt wurde hier als Entdecker des Casiquiare und Bezwinger des Chimbarazo gefeiert. Hier wollte Humboldt bleiben, sich mit den neuesten wissenschaftlichen Theorien vertraut machen und über seine Reisen und Forschungsergebnisse berichten. Er hielt Vorträge an der Académie des Sciences (wie sie vor der Revolution und ab 1816 wieder hieß, zu Zeiten Humboldts war sie Teil des Institut national des sciences et des arts, des Staatlichen Instituts der Wissenschaften und Künste) und diskutierte seine Erkenntnisse mit anderen Forschern, freundete sich mit einem jungen Bolivianer namens Simón den Bolívar an und begann, seine Erlebnisse und Erkenntnisse niederzuschreiben. Humboldt plante, das erworbene Wissen in elf Bänden darzustellen (es sollten am Ende 34 Bände werden [2568]), wobei er die botanischen Bücher Bonpland überlassen wollte, für den er sich intensiv um eine staatliche Förderung bemühte (und erreichte, dass Bonpland eine Pension von jährlich 3.000 Franc erhielt, die für ein Leben in Paris reichte).

Im März 1805 reiste Humboldt nach Rom, um seinen Bruder Wilhelm, damals preußischer Resident beim Heiligen Stuhl, wiederzusehen (in Rom traf er auch Bolívar wieder [2569]); und von dort über Florenz, Bologna und Mailand nach Berlin, wo ihn König Friedrich Wilhelm III. zu sehen verlangte. Humboldt wurde zum Kammerherrn ernannt und erhielt eine jährliche Pension von 2.500 Talern – ohne irgendeine verpflichtende Gegenleistung. Aber Preußen erklärte Frankreich den Krieg, und Humboldt saß in Berlin fest. Die nationalen deutschen Leidenschaften konnte er, ähnlich wie Goethe, nicht verstehen, er stürzte sich in die Arbeit und stellte den ersten Band seines „amerikanischen Reisewerks“ fertig, die „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen“, der das „Naturgemälde“ enthielt und im Grunde ein einziger Kommentar zu diesem Bild war.

Das Naturgemälde von Alexander von Humboldt

Das "Naturgemälde" von Alexander von Humboldt zeigt den Querschnitt Südamerikas vom Pazifik bis zum Amazonasbecken.
Links der Chimborazo, dahinter (rauchspeiend) der Cotopaxí. In dem weißen Feld sind die Pflanzen nach ihrer Höhenlage eingetragen.
Im Jahr 2017 fand eine Gruppe französischer und ecuadorianischer Botaniker, die Humboldts Route nachgingen, heraus, dass viele der
verzeichneten Pflanzen am Cotopaxí gar nicht vorkommen – Humboldt hat offenbar die Pflanzen, die er auf dem Antisana gesammelt
hat, hier eingetragen. Abb. aus "Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer" (Paris 1805),
>> wikipedia commons (abgerufen 19.12.2016), gemeinfrei.

Humboldt zeigte in diesem Buch nicht nur, wie die Pflanzendecke mit ihrer Umwelt zusammenhing (und daher quer über den Globus verlaufende Vegetationszonen ausbildet), sondern verband auch die menschliche Kultur mit dieser Pflanzendecke. Aufgrund ähnlicher Pflanzen an den Küsten Afrikas und Südamerikas vermutete er zudem eine „ehemalige Verbindung“ zwischen beiden Kontinenten – lange vor der Entdeckung der Plattentektonik. Im deutschen Vorwort dieses Buchs verwies er auf Schellings „Naturphilosophie“ – der in Jena lehrende Naturphilosoph hatte vorgeschlagen, die Natur insgesamt als lebendigen Organismus zu begreifen, dessen Teile (wie die Teile eines Tieres) nur in Beziehung zueinander funktionieren; eine Ansicht, die in den 1970er Jahren mit James Lovelocks >> GAIA-Hypothese wieder aufgegriffen wurde. Ebenfalls in Berlin schrieb er seine „Ansichten der Natur“, die zum Bestseller und in elf Sprachen übersetzt wurden. Er begründete mit diesem Buch eine neue Form der Naturbeschreibung – wissenschaftlich exakte Darstellungen in lebendiger Form und schöner Sprache dargeboten. (Die umfangreichen und detaillierten wissenschaftlichen Darstellungen waren in Anmerkungen am Ende der Kapitel enthalten und ließen sich daher für den weniger wissenschaftlich interessierten Leser leicht umgehen.) In diesem Buch zeigte Humboldt auf, wie sich die Natur auf unser inneres Leben auswirkt: dass etwa ein blauer Himmel eine andere Stimmung auslöst als tief hängende, dunkle Wolken – das erscheint uns heute selbstverständlich, war aber für Humboldts Leser eine Offenbarung. Zu den begeisterten Lesern des Buches gehörten Goethe (der es mehrmals las), de Chateaubriand, Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Charles Darwin und Jules Verne.

1807 sandte Friedrich Wilhelm III. Humboldt als Berater seines jüngeren Bruders Prinz Wilhelm nach Paris, um dort die preußischen Reparationslasten aus dem Frieden von Tilsit zu senken. Die Mission blieb ohne Erfolg, aber Humboldt durfte in Paris bleiben, weil es dort mehr Verleger und Künstler sowie Wissenschaftler gab, die er für seine Veröffentlichungen brauchte (seine Pension erhielt er weiter). In Paris arbeitete Humboldt intensiv an weiteren Veröffentlichungen – 1810 schloss er den zweiten Teil der „Vue des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique“ ab, eine prachtvolle Folioausgabe mit 69 Stichen (2570). Gleichzeitig schaffte er es, an einem Abend fünf Salons zu besuchen, ganz Paris lag ihm zu Füßen (nur Napoleon mochte Humboldt nicht [2572]). Humboldte plant inzwischen eine neue Reise: In Paris waren mittlerweile Nachrichten über den Himalaya eingetroffen, und Humboldt wollte diesen besuchen (und gleich noch den Kaukasus, den Baikalsee, die Vulkane von Kamtschatka, die Philippinen, Java, Indien und Ceylon – die Reise sollte nach Humboldts Schätzungen sieben bis acht Jahre dauern). Der russische Zar Alexander hätte die Reise finanziert, aber Napoleons Russlandfeldzug machte die Pläne zunichte. Als sich ab 1812 das Blatt wendete und nachdem Napoleon 1814 bei Leipzig und 1815 bei Waterloo wichtige Schlachten verlor und verbannt wurde, kamen auch wieder englische Wissenschaftler nach Paris – neue Kontakte für Humboldt. Mit diesen neuen englischen Kontakten versuchte Humboldt insbesondere, die >> Ostindien-Kompagnie, die Indien damals praktisch beherrschte, zur Zustimmung für eine Expedition zum Himalaya, zu gewinnen. Aber Humboldts Angriffe auf den Kolonialismus in Lateinamerika waren bei der Kompagnie nicht unbemerkt geblieben, und ihre Direktoren gestatteten die Reise nie – trotzt mehrerer Versuche Humboldts.

Unterdessen kam Bonpland, der zum Vorsteher der kaiserlichen botanischen Gärten geworden war, mit seinem Teil des Werkes für Humboldt nicht schnell genug vor. 1816 ging er nach Südamerika zurück (wo er 1821 ins Gefängnis musste, da er in Paraguay Mate-Tee angebaut hatte, auf den der Diktator von Paraguay ein Monopol hatte. Selbst Humboldt gelang es – wie auch den Regierungen von Brasilien und Großbritannien – nicht, seinen Freund vorzeitig aus dem Gefängnis zu befreien). Das botanische Werk wurde von zuerst von Willdenow und später von Sigismund Kunth (einem Neffen des früheren Humboldt'schen Verwalters) betreut. Bonpland wurde 1829 freigelassen, nach Europa wollte er nicht zurückkehren – er wollte seine neue Freiheit nicht mit der "Gefangenschaft in einer Pariser Wohnung" tauschen. Er lebte mit einer indianischen Ehefrau an der Grenze zwischen Uruguay und Brasilien, 1850 siedelte er in die Provinz Corrientes im Nordosten Argentiniens über, wo er 1858 starb.

Die russische Reise

1827 kehrte Humboldt auf Druck Friedrich Wilhelm III. nach Berlin zurück, wo er eine höchst populäre Vortragsreihe an der Universität hielt. Seine Reiseträume gab er aber nicht auf, und als ihn der deutschstämmige russische Finanzminister von Cancrin um Informationen über die kolumbianische Platinwährung bat, fügte er seiner Antwort den Hinweis auf seinen Wunsch, den asiatischen Teil Russlands zu besuchen, bei. Weniger als einen Monat später hatte Humboldt eine Einladung von Zar Nikolaj I., der auch alle Kosten der Reise übernahm. Im April 1826 startete Humboldt nach sorgfältiger Vorbereitung seine neue Expedition. Zar Nikolaj. I. hoffte, von Humboldt zu erfahren, wie er Gold, Platin und andere Edelmetalle gewinnbringender abbauen konnte; Humboldt wollte das Altai-Gebirge – nach dem Himalaya die nächstbeste Gelegenheit, ein zentralasiatisches Hochgebirge kennenzulernen – besuchen. Er reiste über Sankt Petersburg und Moskau nach Jekaterinburg und Tobolsk in Sibirien und von dort – anders als vereinbart – zum Altai-Gebirge. Obgleich er den Belucha, den höchsten Gipfel des Altai, wo schon Schnee gefallen war, nicht besteigen konnte, war dieser Abstecher für Humboldt der Höhepunkt der Reise. Der Rückweg führte ihn über Omsk und Orenburg an das Kaspische Meer, bevor er über Moskau nach Sankt Petersburg zurückkehrte, wo er am 13. November 1829 eintraf. Am 28. Dezember war er zurück in Berlin. Über die russische Reise schrieb er zwei Bücher (1841 und 1843 veröffentlicht).

Charles Darwin

1831 lief in Plymouth die HMS „Beagle“ zu einer Weltumsegelung aus. An Bord war der zweiundzwanzigjährige Charles Darwin. Dieser war zutiefst von Humboldt beeinflusst, und führte Humboldts „Personal Narratives“, die seine Reiselust geweckt hatten, auf der Reise mit. Darwins späterer Bericht über „Die Reise der Beagle“ war erkennbar von Humboldt inspiriert (und Humboldt, dem Darwin sofort nach Erscheinen ein Exemplar schickte, erklärte das Werk zu einem „der bemerkenswertesten Werke, die veröffentlicht zu sehen ich im Laufe eines langen Lebens das Vergnügen hatte“). Humboldts „Netz des Lebens“ wurde von Darwin zum Lebensbaum erweitert, von dem alle Organismen abstammten, womit er unser Bild vom Leben nachhaltig veränderte (mehr: >> Charles Darwin). Persönlich trafen beide sich im Januar 1842 in London im Haus des Geologen Sir Roderick Murchison. In seiner Autobiografie berichtet Darwin darüber nur, dass Humboldt sehr ausgelassen gewesen sei und viel geredet hat – "Humboldt was very cheerful and talked much".

1834, im Alter von 65 Jahren, begann Humboldt damit, ein Werk zu schreiben, das „die ganze materielle Welt“, vom Sternenhimmel bis zur Entwicklung der Dichtkunst, darstellen sollte. Der „Kosmos“ folgte locker seiner Berliner Vortragsreihe; aber zusätzliche Informationen ganzer Heerscharen von Helfern flossen in das Werk ein, das zwischen 1845 und 1862 in fünf Bänden erschien. Band 1 (der 1845 erschien) beschrieb nach einer Einleitung, die die Welt als ewiges „Treiben und Wirken lebendiger Kräfte“ darstellte, die Himmelserscheinungen, die Erde und das organische Leben. Neu war, dass Humboldt die Zusammenhänge in den Vordergrund stellt, das Klima etwa als komplexes Ergebnis des Zusammenspiels von Atmosphäre, Meeren und Landmassen.

Henry David Thoreau

Zu denen, die vom „Kosmos“ beeinflusst wurden, gehörte Henry David Thoreau. Thoreau war 1845 in eine am Walden Pond nahe seiner Heimatstadt Concorde (die wiederum 20 Kilometer von Boston entfernt war) gezogen, um darin ein naturnahes Leben zu führen – eine Reaktion auf die Abholzung der Wälder Neuenglands zugunsten der Landwirtschaft, für Bau- und Brennholz und für die Eisenbahn (die Concorde 1844 erreicht hatte). In den gut zwei Jahren, die er dort blieb, führte er Tagebuch und schrieb eine erste Fassung seines Werkes „Walden“, das ihn berühmt machen sollte. Diese erste Fassung schreib er nach seiner Rückkehr nach Concorde zweimal um, aber erst Humboldts Werke, die er damals intensiv studierte, wiesen ihm einen Weg: nach dreijähriger Pause von 1849 bis 1852 wandte er sich erneut dem Manuskript zu, und wie Humboldt betonte er jetzt die Zusammenhänge zwischen den Elementen der Natur. Auch sonst eiferte er Humboldt, der nach Thoreau elegante Prosa und lebendige Beschreibungen mit wissenschaftlicher Analyse verband, nach, und „Walden“ wurde zu einem „Kosmos“ im Kleinen. Die siebente Fassung von 1854 war dann reif für eine Veröffentlichung, es wurde zu einem der einflussreichsten Bücher der amerikanischen Literaturgeschichte.

Unterdessen hatte sich Humboldt entschlossen, den ursprünglich auf zwei Bände angelegten Kosmos zu erweitern. 1850/51 erschien in zwei Hälften der dritte Band (er behandelte kosmische Erscheinungen – Stern, Planeten und Kometen), 1857 folgte der vierte Band (er behandelte die Erde) und 1862 (posthum) der fünfte Band (eine Art Fortsetzung des vierten mit weiteren Informationen über die Erde und die Verteilung der Pflanzen über die Erde), den er wenige Wochen vor seinem Tod an seine Verleger geschickt hatte – 1859 war Humboldt im Alter von 89 Jahren verstorben. Zwei Tage nach Humboldts Tod (von dem er noch nicht wusste) präsentierte in New York der amerikanische Maler Frederick Edwin Church mit großem Erfolg sein von Humboldt inspiriertes Gemälde „The Heart of the Andes“, für das er zu Fuß und per Maultier Humboldt Route in Südamerika gefolgt war – als ersten von vielen, die noch folgen sollten.

George Perkins Marsh

Zutiefst von Humboldt beeinflusst war auch der amerikanische Jurist und Naturfreund George Perkins Marsh. Marsh wollte wie Humboldt die Welt kennenlernen, und nachdem er 1849 zu amerikanischen Gesandten in Konstantinopel bestellt wurde, nutzte er den Posten zu Reisen durch die Türkei, nach Österreich und Italien, Griechenland, Kleinasien und Ägypten. Hier fiel ihm auf, dass die Böden alter Kulturlandschaften von Jahrtausender landwirtschaftlicher Nutzung durch den Menschen geprägt worden waren – genauer: dass diese den Böden tiefe Wunden beigebracht hatte. Was Humboldt in seinen Werken immer wieder erwähnt und was Thoreau an den Walden Pond getrieben hatte, die Folgen der Abholzung der Wälder, wurde zum zentralen Thema für Marsh: Er begann, systematisch Materialien zu den Folgen der menschlichen Tätigkeiten auf die Natur zu sammeln. Nach seiner Rückkehr 1853 sah er diese auch in Amerika: Industrieabfälle verschmutzten die Flüsse, Wälder wurden abgeholzt, die Landwirtschaft wurde industrialisiert. 1860 begann Marsh, seine Erkenntnisse in dem Werk „Man and Nature“ zusammen zu schreiben, einer Geschichte der menschlichen Naturzerstörung. 1861 wurde Marsh Gesandter im neu gegründeten Königreich Italien, 1863 war das Manuskript fertig und 1864 wurde es veröffentlicht. Man and Nature beeinflusste die amerikanische Politik: Gifford Pinchot, der erste Direktor der amerikanischen Forstverwaltung (US Forest Service), nannte es „epochemachend“, es bereitete den Boden für das Forest Reserve Act von 1891, mit dem der Präsident Wälder unter Schutz stellen konnte, und selbst in Neuseeland beeinflusste es die Gesetzgebung.

Ernst Haeckel

Und auch in dem deutschen Zoologen Ernst Haeckel war durch die Lektüre der Bücher Humboldts die Liebe zur Natur geweckt worden. Humboldts Vision der Einheit von Natur und Kunst hatte Haeckel lange zweifeln lassen, ob er besser Wissenschaftler oder Künstler werden sollte. Im Grunde wurde er beides: Zoologieprofessor in Jena und Autor von Werken wie „Kunstformen der Natur“, die die Künstler des Jugendstils anregten – der französische Architekt René Bidet etwa gestaltete das Eingangstor der Pariser Weltausstellung 1900 nach Haeckels Zeichnungen der Strahlentierchen (Radiolarien). Als 1859 Darwins „Entstehung der Arten“ erschien, wurde Haeckel sofort zum glühenden Verfechter der neuen Evolutionslehre; sie lieferte ihm „Antwort auf alle noch so verwickelten Fragen“, die er sich gestellt hatte. 1866 erschien Haeckels „Generelle Morphologie der Organismen“, ein großes Werk über Aufbau und Gestalt der Organismen – und eine detaillierte Darstellung der Evolutionstheorie. Kritikern derselben bescheinigte er, im „wissenschaftlichen Halbschlaf“ zu leben. In diesem Buch prägte er auch den Begriff „Oecologie“ (heute „Ökologie“) für die Untersuchung der Wechselwirkungen der Organismen der Erde. Wie Humboldt und Darwin scheute auch Haeckel keine Anstrengung, diese Ökologie zu verstehen: noch 1900, mit 66 Jahren, ging er auf eine Expedition nach Java. Sein 1899 veröffentlichtes Buch „Die Welträtsel“ war ein sehr erfolgreiches populärwissenschaftliches Buch – die „Göttin der Wahrheit“ lebte für Haeckel im „Tempel der Natur“; die Menschheit brauche keine Kathedralen und Priester, sondern Künstler und Wissenschaftler (2580).

John Muir

1867 brach in Indianapolis der amerikanische Botaniker John Muir auf den Spuren Humboldts zu einer Reise nach Südamerika auf. Er ging zu Fuß – rund 1.500 Kilometer – nach Florida, wo er an Malaria erkrankte. Er schiffte sich noch nach Kuba ein, litt aber an Fieberschüben, so dass er seine Reise abbrach, um sich im milderen Klima Kaliforniens zu erholen. Hier traf er im März 1868 ein. Das nach den Goldfunden von 1848 zur Großstadt gewordene San Francisco gefiel ihm nicht, und so zog er durch das damals noch blumenreiche Central Valley in die Sierra Nevada. Hier faszinierte ihm vor allem das 1864 zu einem von Kalifornien verwalteten Park gemachte Yosemite Valley und der 30 Kilometer hiervon entfernte Mariposa Grove mit seinen Riesenmammut-Bäumen. Immer wieder kehrte er in den folgenden Jahren in das Valley zurück und untersuchte nach Humboldts Vorbild seine Entstehung und die Verteilung der Pflanzen. Muir bemerkte aber auch die Veränderungen der Landschaft: Mit dampfbetriebenen Erntemaschinen und Mähdreschern wurde die Landwirtschaft industrialisiert, die Eisenbahn erschloss das Land. Muir versuchte, mit Büchern und Artikeln der zunehmenden Entfremdung der Amerikaner von ihrer Natur entgegen zu wirken. Er setzte sich dafür ein, das Yosemite Valley nach dem Vorbild des 1873 gegründeten Yellowstone-Nationalparks zu schützen. 1890 wurde der Nationalpark gegründet, allerdings ohne das weiterhin von Kalifornien (nach Muirs Ansicht unzureichend) beaufsichtigte Yosemite Valley. 1892 gründete Muir mit einigen Professoren aus San Francisco den Sierra Club, heute die größte Naturschutzorganisation der USA, und blieb bis 1914 deren Präsident. 1903 wollte Präsident Roosevelt das Tals in Begleitung des inzwischen gekannt gewordenen John Muir besuchen, und der nutzte die Gelegenheit, Roosevelt davon zu überzeugen, auch das Yosemite Valley in den Nationalpark einzugliedern. Roosevelt hielt Wort, seit 1906 ist das Valley Teil des Nationalparks. Aber als das (ebenfalls 1906) durch ein Erdbeben zerstörte San Francisco wiederaufgebaut wurde, sollte das Hetch-Hetchy-Valley im Nationalpark für die Wasserversorgung der Stadt aufgestaut werden; die Proteste des Sierra Club und von Tausenden Bürgern blieben erfolglos – aber gelten als Beginn einer landesweiten Naturschutzbewegung. (Und John Muir reiste 1911, nunmehr 73 Jahre alt, doch noch nach Südamerika.)

Literatur

Biermann, Werner: „Der Traum meines ganzen Lebens“. Rowohlt Berlin Verlag 2008. Detaillierte Darstellung der Vorbereitung und der amerikanischen Reise.

McIntyre, Loren A.: Die amerikanische Reise. Verlag Gruner + Jahr, 3. Aufl. 1990. Mit vielen Fotos ausgestatteter GEO-Bildband mit informativem Text, nur noch antiquarisch erhältlich.

Wulf, Andrea: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C. Bertelsmann Verlag 2016. Aktuelle Biographie, die sich insbesondere mit den Folgen von Humboldts Werken beschäftigt. (Bei der Auswahl der fünf wichtigsten "Schüler" Humboldts in dem Beitrag folge ich diesem Buch.)

Werke von Alexander von Humboldt:

Ansichten der Natur (3. Ausgabe 1849). Reclam 1986. Humboldts zuerst auf Deutsch erschienenes Lieblingsbuch. (Sehr schön ist die antiquarisch erhältliche Ausgabe der "anderen Bibliothek" [Franz Greno 1986].)

Die Reise nach Südamerika. Lamuv Verlag 1990. Neubearbeitung der von Humboldt autorisierten vierbändigen deutschen Fassung der „Relation historique du voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent“ von 1859/1860, gekürzt um die wissenschaftlichen Exkurse und Abhandlungen, die heute weitgehend nur noch historische Bedeutung haben. Nur noch antiquarisch erhältlich.

Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Eichborn 2004 ("Die andere Bibliothek"). Deutsche Erstausgabe der "Vue des Cordillères ...". Die – den technischen Möglichkeiten der Zeit geschuldete – Trennung von Bild- und Textteil der Originalausgabe wurde hier aufgehoben, die 69 Bildtafeln sind den entsprechenden Kapiteln zugeordnet.

Kosmos. Eichborn 2014 ("Die andere Bibliothek"). Humboldts Lebenswerk: Alle fünf Bände in der Originalfassung, vereint in einem Band.

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>> Die Industrialisierung der Landwirtschaft

© Jürgen Paeger 2006 – 2019

Wilhelm von Humboldt wurde als Kultur-wissenschaftler, Bildungsreformer und Gründer der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin ebenfalls berühmt: Es dürfte wohl kaum ein anderes Brüderpaar gegeben haben, dass die Geschichte ihrer Zeit so prägte wie die Brüder Humboldt.

Bei seiner Arbeit zeigte sich früh Humboldts Engagement für die Menschenrechte: Um  Arbeitsbedingungen und Fachkenntnisse der Bergleute zu verbessern, erfand er eine Sicherheits-Grubenlampe und eine „Respirations-maschine“ ähnlich der heutigen Gasmaske. Er gründete sogar mit eigenem Geld eine Bergschule und schrieb ein Lehrbuch – Bergbauminister Heinitz erlaubte dieses nachträglich und erstattete Humboldt das Geld zurück. 

Als Führer diente ihnen dabei Carlos del Pino, ein Indianer, den die Pizarro als Lotse vor der Küste an Bord genommen hatte, und der mit seinen Geschichten das Interesse Humboldts und Bonplands weckte. Er sollte sie 16 Monate lang begleiten, bis Humboldt und Bonpland nach Kuba abreisten.

Vor dem zweiten Ausflug heuerte Humboldt einen Diener an, José de la Cruz, Sohn eines Spaniers und einer schwarzen Sklavin. Er wird sich als zäher und zuverlässiger Reisegefährte erweisen und Humboldt und Bonpland die gesamten fünf Jahre ihrer amerikanischen Reise begleiten, in denen er sich vor allem um den wertvollen Chronometer (von dessen Verlässlichkeit viele andere Messungen abhängen) kümmern