Das Zeitalter der Industrie

Eine kleine Geschichte der Abfälle

Abfall

Abfälle können Boden und Grundwasser verunreinigen; sie stellen aber auch eine Quelle wertvoller Rohstoffe dar. Ausschnitt einer Abbildung aus den >> wikipedia commons, Original von der >> EPA.

Abfälle sind so alt wie die Menschheit: Die Abfälle der frühesten menschlichen Aktivitäten sind eine wichtige Erkenntnisquelle für die Archäologen. Mit der Entstehung der Städte wurden die Abfälle bedeutsamer, frühe Städte wurden oft auf den Abfallbergen aus niedergerissenen Häusern älterer Städte errichtet (eine “Erhebung, die durch wiederholte Besiedlung entstand” [wikipedia], wird von den Archäologen "Tell" genannt).

In den mittelalterlichen Städten waren es vor allem die Fäkalien von Last-, Zug- und Reittieren (und der Menschen) sowie die Leichen verstorbener Tiere, die oft einfach auf den Straßen liegen blieben und dort entweder vom Regen in die Flüsse gespült wurden (>> Wasserverschmutzung) oder von Schweinen gefressen wurden. 1830 fielen in Großbritannien etwa drei Millionen Tonnen tierischer Exkremente an, mit zunehmenden Warentransporten wuchs diese Menge bis 1900 auf etwa zehn Millionen Tonnen. Im selben Jahr musste New York 15.000 Pferdeleichen entsorgen.

Die Abfälle der Industriegesellschaft

Mit zunehmender Warenproduktion, wie sie sich im >> Rohstoffverbrauch widerspiegelt, fielen auch immer mehr Abfälle an. Die industriell preiswert hergestellten Waren wurden so billig, dass ganz neue Verhaltensweisen entstanden: “Ex und hopp” wurde zum Schlagwort für Einwegware, die einmal verwendet und dann weggeworfen wurde. Damit wuchs die Abfallmenge ähnlich stark an wie der Rohstoffverbrauch.

Beispiel Deutschland

In Deutschland entstanden im Jahr 2004 340 Millionen Tonnen Abfälle, davon waren über 48 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle (Hausmüll und “haushaltsähnliche Gewerbeabfälle). Zur Beseitigung der entstehenden Abfallflut hatte jedes Dorf, jede Stadt eine Müllkippe, üblicherweise ohne Schutzmaßnahmen; viele Abfälle wurden auch einfach in die Landschaft geschmissen (“wilde Müllkippen”), Industrieunternehmen vergruben ihre Abfälle oft einfach auf dem Betriebsgelände. (Abfälle in Gewässer zu werfen, war seit 1957 durch das Wasserhaushaltsgesetz verboten). Rechtsvorschriften gab es nur als seuchenpolizeiliche Vorschriften, die im Kampf um bessere Stadthygiene und gegen Krankheiten wie Cholera (>> mehr) eingeführt worden waren. Erst 1972 gab es mit dem Abfallbeseitigungsgesetz eine bundesweite Regelung; in der Folge wurden die ungesicherten kleinen Deponien durch moderne Deponien ersetzt, bei denen die entstehenden Sickerwässer und Gase erfasst wurden. Heute müssen Abfälle vor einer Deponierung zudem vorbehandelt werden, was sie weniger schädlich machen soll.

Ein immer größerer Anteil der im Müll steckenden Rohstoffe wird auch verwertet: In Deutschland stieg die Menge der verwerteten Siedlungsabfälle von 1990 bis 2004 von 5 Millionen Tonnen auf 20 Millionen Tonnen. Allerdings umfasst die Verwertung auch die “energetische Verwertung”, also die Verbrennung zum Zweck der Energieerzeugung (die rechtlich von der Verbrennung als Abfallbeseitigung unterschieden wird). Dabei werden jedoch die Rohstoffe nicht als Rohstoffe, sondern nur als Energiequelle genutzt.

Eine Herausforderung war (und ist) aber nicht nur die reine Menge der und Erhaltung der enthaltenen Rohstoffe in den Abfällen, sondern viele Abfälle sind besonders gefährlich. Gefährliche Stoffe als Produkte oder in den Produkten blieben auch als Abfall gefährlich.

Gefährliche Abfälle

1970 produzierten die USA 9 Millionen Tonnen gefährlicher Abfälle, im Jahr 2000 waren es bereits 400 Millionen Tonnen. Der sorglose Umgang mit gefährlichen Abfällen hat in der Vergangenheit in vielen Fällen gesundheitliche Probleme ausgelöst und zahlreiche “Altlasten” entstehen lassen (>> mehr). Mit diesen Problemen wuchs das Bewusstsein, und ab den 1980er Jahren entstanden neue Verfahren zum Umgang mit gefährlichen Abfällen: Nach einer Vorbehandlung werden diese in Deponien verbracht, die mit mehreren Schichten (Barrieren) das Austreten von Schadstoffen möglichst lange verzögern sollen oder in alten Bergwerken eingerichtet werden (Untertagedeponien). Alternativ werden diese Abfälle verbrannt.

Eine sichere Beseitigung gefährlicher Abfälle ist jedoch teuer. Daher kam es immer wieder vor, dass Firmen oder skrupellose Abfallentsorger gefährliche Abfälle in Länder exportierten, die entweder nicht ahnten, was sie taten oder wo diesen korrupten Politikern und Beamten egal war. 1988 bot sich Guinea-Bissau an, 15 Millionen Tonnen Giftmüll gegen die Zahlung von 600 Millionen US-$ zu “entsorgen”. 1992 wurden 2.000 Tonnen deutsche Pestizide in Rumänien entdeckt, wo sie teilweise bereits ins Grundwasser versickerten. Die Baseler Konvention von 1989 (in Kraft seit 1992) erzwang wenigstens, dass die Empfängerländer die Zusammensetzung der Abfälle kennen müssen, seit 1998 verbietet sie den Müllexport von OECD-Ländern in Nicht-OECD-Ländern - die Konvention wurde allerdings vom wichtigsten Produzenten von Giftmüll, den USA, bis heute nicht ratifiziert.

Als Reaktion auf die öffentliche Kritik an der bestehenden Beseitigungspraxis und den Diskussionen um die Baseler Konvention wird seit den 1990er Jahren Abfall zunehmend zum Recycling exportiert. Damit wurde wenig besser, der Autor dieser Zeilen hat beispielsweise in einem Batterierecyclingbetrieb in Tunesien mitansehen dürfen, wie gebrauchte Autobatterien mit einer Spitzhacke auf dem Hof aufgehackt wurden und die Batteriesäure im Boden versickerte. In vielen Ländern werden Batterien, PCB-haltige Öle oder asbesthaltige Materialien ohne Schutzausrüstung recycelt.

Im Augenblick boomt das Geschäft mit Elektronikschrott. Zwar soll Elektronikschrott nach der Baseler Konvention eigentlich im Entstehungsland recycelt werden, aber dieses lässt sich umgehen, indem man gebrauchte Geräte “zur weiteren Verwendung” exportiert. Vor Ort stellt sich dann heraus, dass drei Viertel nicht funktionstüchtig sind - die müssen dann entsorgt werden. Nachdem Geräte so jahrelang vor allem nach Indien und China gelangten, wird mit zunehmender Aufmerksamkeit dort jetzt Afrika als Markt “entdeckt”.

Webtipp:
>> High Tech Trash: Eine Reportage aus dem amerikanischen National Geographic, Ausgabe Januar 2008, über Elektronikschrott-Exporte (englischsprachig).

Ähnliche Praktiken herrschen beim Abwracken von Schiffen: Zahlreiche Schiffe werden in Schiffsverschrottungszentren wie dem indischen Alang zerlegt, wo 40.000 Arbeiter ohne Schutzausrüstung Schiffe zerlegen, die Asbest, PCB und hochgiftige Anstriche enthalten. (Frankreich hat 2006 versucht, den Flugzeugträger Clemenceau in Alang zu entsorgen, musste ihn aber nach Protesten von Greenpeace nach Frankreich zurückholen.)

Weitere Seiten zum Industriezeitalter:
>> Hintergrund: Die industrielle Revolution
>> Rohstoffe
>> Energie
>> Wassernutzung
>> Wasserverschmutzung
>> Luftverschmutzung
>> Klimawandel
>> Gefährdung der biologischen Vielfalt

Zur >> Übersicht

© Jürgen Paeger 2006 - 2009