Das Zeitalter der Industrie
Gifte in der Umwelt
Motorroller in Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon): Die unvollständige Verbrennung von Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren ist eine bedeutende Quelle von Umweltchemikalien in Städten. Unter anderem entstehen dabei polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die Atemwege und Augen reizen, einige PAK sind auch krebserregend. PAK entstehen auch bei der Verkokung von Steinkohle, sie werden häufig in Altlasten (>> mehr) gefunden. Bildquelle: Ausschnitt eines Fotos aus dem wikipedia-Artikel >> Ho-Chi-Minh-Stadt (abgerufen 25.1.2008), Lizenz: >> cc 2.5.
Eine Folge der Industriellen Revolution
Mit der >> Industriellen Revolution und der >> Entstehung einer chemischen Industrie nahmen die Zahl und Menge der verwendeten Metalle und Chemikalien zu. Dass diese Stoffe gesundheitsschädlich sein konnten, war bei den Metallen von Alters her bekannt: Die Schäden durch Blei etwa gehören zu den ältesten Erkenntnissen der Arbeitsmedizin; und die Arbeitsmediziner entdeckten auch als erste die gesundheitlichen Folgen vieler Chemikalien. Bereits 1897 wurde beispielsweise entdeckt, dass das als Lösungsmittel in der Gummiindustrie verwendete Benzol das Knochenmark von Beschäftigten schädigte und Blutarmut auslöste; und als Ende des 19. Jahrhunderts mit mit der Elektrolyse die Zeit der Chlorchemie begann, litten in den Fabriken Arbeiter an Chlorakne (>> hier). Allerdings hielten die meisten Arbeitsmediziner die Probleme für gelöst, wenn die Schadstoffe von den Arbeitsplätzen weg in die Umwelt geleitet wurden.
Mitten im Zweiten Weltkriegs begann die Menschheit jedoch, gefährliche Chemikalien gezielt in großen Mengen in die Umwelt auszubringen. Kurz zuvor waren nämlich DDT und andere Pflanzenschutzmittel entdeckt worden (>> mehr); die beiden wichtigsten Gruppen, die Chlorkohlenwasserstoffe und die Phosphorsäureester, erwiesen sich als langlebig und auch für den Menschen giftig. Die Aufdeckung ihrer Folgen durch die amerikanische Biologin Rachel Carson (>> mehr) gilt als Geburtsstunde der Umweltbewegung.
Eine ganz neue Dimension erreichten sowohl Anzahl als auch Menge der hergestellten Chemikalien mit dem Siegeszug der Petrochemie ab Mitte des 20. Jahrhunderts: Seit 1950 wurden etwa 75.000 neue Chemikalien hergestellt, jedes Jahr kommen etwa 2.000 hinzu. Ein Zulassungsverfahren, bei dem neue Chemikalien vor ihrer Vermarktung systematisch auf Risiken für Mensch und Umwelt untersucht werden müssen, gibt es in der EU erst seit 1981 (>> siehe unten). Chemikalien werden heute in allen Bereichen des Lebens eingesetzt: Sie verhindern Körpergeruch (Deodorants), sorgen dafür, dass in Bratpfannen nichts mehr ansetzt (Antihaftbeschichtungen) oder verringern die Feuergefahr in nahezu allen Produkten, die brennen können (Flammschutzmittel). Mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit nahm ihre Produktion zu: Im Jahr 1930 wurden etwa eine Millionen Tonnen organische Chemikalien hergestellt; im Jahr 2000 waren es 1.000 Millionen Tonnen.
Diese Chemikalien gelangen bei der Produktion in die Umwelt; und sie sind in unzähligen Produkten zu finden. Auch die in Produkten verwendeten Chemikalien können in die Umwelt gelangen: Sie gasen etwa aus Plastikartikeln aus oder sie werden durch Reibung aus Kleidung herausgelöst. Giftige Stoffe gelangen auch bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe oder bei der Metallerz-Gewinnung und Verhüttung in bedeutenden Mengen in die Umwelt (>> Luftverschmutzung). Heute können in Menschen eines Industrielandes mehr als 350 verschiedene Chemikalien gefunden werden; fast alle davon auch in der Muttermilch. Die meisten dieser Chemikalien gelten in den üblicherweise gefundenen Mengen als harmlos. Andererseits werden manche dieser Stoffe mit dem Anstieg bestimmter Krankheiten in den vergangenen Jahrzehnten in Zusammenhang gebracht - etwa Blutkrebs oder Gehirntumore bei Kindern. Vorsicht scheint also geraten, zumeist alle heute als gefährlich bekannten Stoffe in der Umwelt lange als unschädlich galten - vom Blei (>> mehr) über DDT (>> mehr) und andere Pestizide (>> mehr) bis hin zu PCBs.
Die Gefahren der Chlorchemie
Als besonders umweltrelevant erwies sich die Chlorchemie (>> mehr). Das weit verbreitete Polyvinylchlorid (PVC; Jahresproduktion in Deutschland zur Zeit etwa 2 Millionen Tonnen) führte bei Arbeitern in PVC-Betrieben zu Chlorakne, einer chronischen Hautschädigung, und anderen Vergiftungen. Heute, nachdem es auch als krebserregend erkannt wurde, darf das Vorprodukt Vinylchorid nur noch in geschlossenen Prozessen verarbeitet werden, Transportunfälle stellen aber immer noch eine Gefährdung dar. Problematisch sind auch die zur Produktion von PVC nötigen Zusatzstoffe, etwa die giftigen, schwermetallhaltigen Phtalate, die als Weichmacher eingesetzt werden; und die beim unkontrollierten Verbrennen von PVC entstehenden Salzsäure und Dioxine.
Eine andere Gruppe, die polychlorierten Biphenyle (PCBs), die aus zwei verknüpften Benzolringen bestehen und bei denen ein oder mehrere Wasserstoffatome (in 209 verschiedenen möglichen Kombinationen) an den Benzolringen durch Chloratome ersetzt sind, erweis sich als noch schlimmer. PCBs sind elektrisch nicht leitend, nicht brennbar, fettlöslich und sehr stabil; sie wurden unter anderem als Isolier- und Kühlflüssigkeit in Transformatoren und Kondensatoren, als Hydrauliköl und als Weichmacher in Lacken und Kunststoffen eingesetzt. Schon 1936 wurden Gefahren durch PCB deutlich, als bei Arbeitern in den Fabriken Chlorakne auftrat. Darauf wurde der Arbeitsschutz verbessert; die damals übliche Verklappung in den Meeren oder die Ablagerung in ungesicherten Müllkippen aber nicht eingestellt. 1968 kam es durch Reisöl, dass bei der Herstellung mit PCBs verunreinigt wurde, in Japan zu einer Massenvergiftung, bei der 112 Menschen starben. Damit war auch klar: Die PCBs waren in der Umwelt angekommen.
Dort wurde ihre Fettlöslichkeit und ihre Stabilität zum Problem: PCBs reicherten sich in der Nahrungskette an; das heißt, von Stufe zu Stufe in der Nahrungskette (>> mehr) traten höhere Konzentrationen im Fettgewebe von Tieren auf. Inzwischen weiß man, dass PCBs nicht nur Chlorakne auslösen, sondern bereits in sehr niedrigen Konzentrationen Embryonen und das Immunsystem schädigen; außerdem stehen sie im Verdacht, Krebs auszulösen. Nach der Vergiftung wurde die Herstellung und der Import in Japan im Jahr 1972 verboten; in Europa im Jahr 1976 die Verwendung von PCB in offenen Systemen (Farben, Lacke etc.) und 1989 generell. In den USA wurden die meisten Anwendungen im Jahr 1979 verboten; seit Inkrafttreten der Stockholmer Konvention ist der Einsatz von PCB eingeschränkt. Insgesamt wurden etwa 2 Millionen Tonnen PCBs hergestellt; und etwa die Hälfte davon befinden sich heute in der Umwelt - sie können überall auf der Welt, selbst in arktischen Fischen, nachgewiesen werden.
Chemisch verwandt sind die PBDEs, polybromierte Diphenylether (bei den die Benzolringe durch ein Sauerstoffatom verbunden und die Wasserstoffatome durch Bromatome ersetzt sind), die als Flammschutzmittel in Kunststoffen verwendet wurden. In Tierversuchen schädigten einige Verbindungen dieser Gruppe sie die Gehirnfunktion und wirkten als künstliche Hormone. Auch sie werden inzwischen, ähnlich den PCBs, überall auf der Welt gefunden. Die beiden gefährlichsten Varianten wurden im Jahr 2009 durch eine Ergänzung der Stockholmer Konvention verboten.
1957 entdeckte der deutsche Chemiker Wilhelm
Sandermann, dass die “Chlorakne” bei der Herstellung von PVC und
PCBs von einer bei der Produktion entstehenden Verunreinigung
ausgelöst wurde, die sich als extrem giftig erwies: Den Dioxinen,
polychlorierten Dibenzodioxinen (PCDD) und Dibenzofuranen (PCDF),
die zudem aufgrund guter Fettlöslichkeit in der Nahrungskette
angereichert und nur langsam abgebaut werden. Vom giftigsten Dioxin,
2,3,7,8 - Tetrachlordibenzdioxin (TCDD) lösen bereits ein Gramm in
einer Million Tonnen Tierfutter bei Ratten Schäden aus; und Dioxine
wurden jahrelang kiloweise mit Holzschutzmitteln und PCBs in die
Umwelt eingetragen. Heute ist aufgrund der Stockholmer Konvention
die Entstehung von Dioxinen durch Verwendung der "besten verfügbaren
Technik" so weit wie möglich zu minimieren, aber immer wieder
tauchen Dioxine auch heute noch in Futter- und Lebensmitteln auf (so
wurden im August 2007 Dioxine in deutschem Joghurt entdeckt, die
vermutlich auf einen in Indien mit Pilzbekämpfungsmittel
verunreinigten Zusatzstoff zurückgingen).
(Siehe auch >> Der
Unfall von Seveso.)
Weitere verbreitet vorkommende Umweltgifte
Neben PCBs und PBDE kommen zahlreiche weitere Stoffe in der Umwelt vor. Dazu gehören Bisphenol A, das bei der Herstellung von Polycarbonat-Kunststoffen (verwendet z.B. für die Herstellung von CDs und Babyfläschchen) verwendet wird und als künstliches Hormon wirkt; die schon erwähnte Phtalate, die als Weichmacher in Kunststoffen und als Lösemittel für Geruchsstoffe oder zur Erzielung der gewünschten Konsistenz in Kosmetika verwendet werden und ebenfalls eine hormonähnliche Wirkung haben und perfluorierte Tenside (PFTs), die die wasserabweisende Oberfläche von Funktionskleidung bewirken, giftig sind, sich im Fettgewebe anreichern und in der Umwelt praktisch nicht abgebaut werden (sie wurden inzwischen auch in der Leber von Eisbären nachgewiesen).
In den 1990er Jahren kam es in Ostasien zu einem Geiersterben, dass auf Indien übergriff, wo nach wenigen Jahren der bis dahin weltweit häufigste Raubvogel, der Bengalische Geier (Gyps bengalensis) vom Aussterben bedroht war. Ohne die Geier, die verstorbene Kühe fraßen, begannen diese zu einem Gesundheitsrisiko zu werden. Als Ursache stellte sich der Entzündungshemmer Diclofenac (Markenname Voltaren) heraus, mit dem Kühe behandelt wurden: dieser wirkte tödlich auf Geier. Seit 2006 ist der Einsatz von Diclofenac bei Tieren verboten, die Bestände der indischen Geier erholen sich langsam wieder.
Zu den verbreiteten Umweltgiften gehören auch Schwermetalle wie Quecksilber. Etwa zwei Drittel des in der Umwelt befindlichen Quecksilbers stammt aus der Kohleverbrennung, der Rest aus quecksilberhaltigen Produkten, wie Amalgam für Zahnfüllungen oder Batterien und wird von dort entweder durch Verbrennung oder Abfallentsorgung in Gewässer freigesetzt. In die Atmosphäre freigesetztes Quecksilber landet irgendwann in Gewässern und dann zum größten Teil im Meer, wo es am Meeresgrund durch Bakterien in das giftige Methylquecksilber umgewandelt wird. Dieses reichert sich in der Nahrungskette an und kommt daher in besonders hohen Konzentrationen in Fischen insbesondere in Fischen am Ende der Nahrungskette vor, etwa in Thunfisch, Schwertfisch und Hai. Seit Beginn der industriellen Revolution hat sich der Quecksilbergehalt in Fischen verdreifacht; in den USA haben Fischesser vier Mal soviel Quecksilber im Körper wie Menschen, die keinen Fisch essen und über zehn Prozent der Bevölkerung überschreiten die empfohlenen Quecksilberwerte der Umweltbehörde EPA. Quecksilber schädigt Nerven, Nieren, Leber und Hoden und insbesondere Föten, weshalb es für schwangere Frauen besonders gefährlich ist.
Auch die Abfälle aus der Chemieproduktion und dem Bergbau (>> mehr) stell(t)en ein gravierendes Umweltproblem dar, viele “Altlasten” liegen heute noch im Boden (>> mehr).