Strategien für die Zukunft

Den Klimawandel begrenzen

Die Folgen des Klimawandels sind heute schon spürbar; die möglichen Folgen eines weiteren Klimawandels potenziell katastrophal. Daher haben fast alle Länder der Welt mit dem Pariser Übereinkommen von 2015 vereinbart, die Erwärmung der Erde auf deutlich unter zwei Grad Celsius – wenn möglich auf 1,5 Grad Celsius –, zu begrenzen. Warum diese Grenze gewählt wurde und was diese für unsere Zukunft, vor allem für unsere zukünftigen Treibhausgas-Emissionen, bedeutet, wird auf dieser Seite dargestellt.


Warum deutlich unter zwei Grad?

Ausgangspunkt des Pariser Übereinkommens ist die UN-Klimarahmenkonvention von 1992, in der vereinbart wurde, “die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene [vom Menschen verursachte, der Autor] Störung des Klimasystems verhindert wird.” Basierend auf den Erkenntnissen der Klimaforscher – die regelmäßig in den Berichten des UN-Weltklimarates zusammengefasst werden – wurde über 20 Jahre lang diskutiert (siehe die Seite Klimapolitik), was diese Aussage konkret bedeutet. Früh wurde eine Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius vorgeschlagen – in Deutschland etwa vom Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU, 802) –, und dieses wurde auch zum ersten politischen Ziel. Auf der 16. UN-Klimakonferenz 2010 wies aber vor allem die Allianz kleiner Inselstaaten (AOSIS) darauf hin, dass eine Erderwärmung um zwei Grad Celsius aufgrund des damit verbundenen Anstiegs des Meeresspiegels das Ende vieler Inselstaaten bedeuten würde. Neben den Befürchtungen der Inselstaaten spielten dabei auch neuere Erkenntnis der Klimaforschung eine Rolle, wonach eine Erwärmung um zwei Grad Celsius unter anderem bedeuten, dass 10 Millionen Menschen zusätzlich von Fluten an den Küsten betroffen wären; dass zahlreiche Korallenriffe abstürben; im Mittelmeerraum und im südlichen Afrika 20 bis 30 Prozent weniger Wasser verfügbar wäre und die Ernten in tropischen Regionen um 10 bis 20 Prozent zurückgehen würden (siehe: Womit wir in Zukunft rechnen müssen und 5. UN-Klimareport). Und: das Erreichen der befürchteten "Kipppunkte" im Klimasystem, das zu abrupten Klimaänderungen führen würde, wäre ebenfalls bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius deutlich wahrscheinlicher wäre als bei 1,5 Celsius (810). Den aktuellen Stand unseres Wissens zu diesen Kippelementen fasst die folgende Abbildung zusammen:

Kippelemente im Klimasystem und ihr Zusammenhang mit dem Klimawandel

Kippelemente des Klimasystems und ihr Zusammenhang mit der Erderwärmung. Der Temperaturbereich, in dem der jeweilige Kipppunkt liegt, ist als Säule dargestellt. Dabei steht WAIS für Westantarktisches Eisschild, THC für thermohaline Zirkulation, ENSO für El Niño-Southern Oscillation und EAIS für Ostantarktisches Eisschild. Lesebeispiel: Das arktische Sommermeereis kann bei einer Erderwärmung von 1 bis 3 Grad Celsius abschmelzen. Die untere Kurve bildet den Temperaturverlauf der letzten 22.000 Jahre ab und die Erderwärmung, die aus vier verschiedenen Szenarien (RCP steht für Representative Concentration Pathway), mit denen die Klimaforscher arbeiten, ergibt. Mehr dazu im folgenden Text. Abb. nach Schellnhuber, Rahmstorf, Winkelmann (504).

Die Abbildung oben zeigt zweierlei: Zum einen lässt sich für die Kippelemente mit dem heutigen Wissen kein genauer "Kipppunkt" angeben, sondern lediglich ein Temperaturbereich, in dem das Eintreten zunehmend wahrscheinlicher wird (was mit der dunkler werdenden Färbung dargestellt ist). Zum anderen kann selbst mit Einhalten der Pariser Ziele nicht ausgeschlossen werden, dass einige Kipppunkte erreicht werden (die "Kipppunkte innerhalb der Pariser Temperaturgrenze" in der Abbildung); so warnt der IPCC in seinem Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre von 2019 davor, dass die tropischen Korallenriffe bereits bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius schwer geschädigt werden – bis hin zu ihrem Untergang. Bereits in seinem Sonderbericht 2018 (siehe unten, deutsche Übersetzung der Zusammenfassung) hatte der IPCC darauf hingewiesen, dass auch der Anstieg des Meeresspiegels bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius weiter andauern würde (was u.a. auf die oben dargestellten Kippelemente Grönland- sowie Westantarktisches Eisschild [genauer: deren Abtauen] zurückzuführen ist) und auf Dauer auch bei einer Begrenzung zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius mehrere Meter betragen könnte.

Warum wird dann nicht gefordert, den Klimawandel auf "sichere" ein Grad Celsius zu begrenzen? Ganz einfach: Dafür haben wir zu lange gewartet. Das ist schlicht nicht mehr möglich, denn die Erde hat sich bereits um 1,1 Grad erwärmt und eine weitere Erwärmung um 0,3-0,4 Grad Celsius ist schon in der Pipeline (020): aufgrund der Trägheit des Klimasystems haben die heutigen Treibhausgase ihr "Potenzial" noch gar nicht realisiert, sondern werden mittelfristig zu einer Temperaturerhöhung von 1,4 Grad Celsius führen. Die Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ist – bei unverzüglichen und drastischen Maßnahmen – das beste, was heute (vielleicht) noch möglich ist. Mit der Machbarkeit des Zwei-Grad-Ziels hatte sich der IPCC bereits in seinem fünften Klimareport beschäftigt und gefunden, dass die notwendigen Maßnahmen dringend, aber wirtschaftlich gut verkraftbar seien. Auf dem Pariser Klimagipfel wurde der IPCC nun beauftragt, auch die Machbarkeit der Pariser Ziele – namentlich die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C – zu untersuchen, was er in einem 2018 vorgestellten Sonderbericht tat. Zentrales Ergebnis: Bis 2030 müssen die globalen Treibhausgasemissionen um etwa 45 Prozent zurückgehen, bis 2050 müssen sie auf netto null (d.h., es dürfen nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als von natürlichen Ökosystemen – und/oder ggf. bis dahin entwickelten technischen Systemen – aufgenommen werden können) reduziert werden. Dies erfordert schnelle und weitreichende, in ihrem Ausmaß beispiellose Systemübergänge in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur- (einschließlich Verkehr und Gebäude) sowie in Industriesystemen. (Auch andere Treibhausgase, sowie die Emissionen von Ruß,  müssen ebenfalls einschneidend vermindert werden; hier kommen auch noch andere Mitspieler wie die Landwirtschaft [Methan- und Lachgasemissionen] ins Spiel.)

Vision 350 ppm

Die Ziele des Pariser Übereinkommens sind ein globaler Kompromiss – wie oben auch zu lesen, verhindern sie nicht das Eintreten schwerer Folgen des Klimawandels. Zwar dürfte kurzfristig mehr nicht möglich sein, längerfristig aber schon: Die vom amerikanischen Umweltjournalisten Bill McKibben initiierte Initiative 350.org setzt sich dafür ein, durch aktive Maßnahmen der Kohlenstoffspeicherung etwa in Böden und durch die Forstwirtschaft die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre wieder auf 350 ppm zu senken. Mehr: >> www.350.org.

Ohnehin wäre bei einer Zielerreichung – also netto null im Jahr 2050 – das Thema noch nicht vorbei: denn zu den Ökosystemen, die etwa ein Viertel des freigesetzten Kohlendioxids aufnehmen, gehören die Weltmeere. Dadurch werden diese saurer, ihr pH-Wert sinkt. Um dieses zu beenden, muss der Ausstoß von Kohlendioxid durch den Menschen komplett beendet werden.


Was bedeuten 1,5-2 °C für künftige Emissionen?

Das Kohlenstoffbudget

Einmal freigesetztes Kohlendioxid bleibt lange in der Erdatmosphäre: nach 1.000 Jahren ist noch etwa die Hälfte der freigesetzten Menge in der Erdatmosphäre zu finden. Für unsere Überlegungen heißt das: wie hoch die Konzentration in der Erdatmosphäre wird, hängt weitgehend von der schnellen Freisetzung ab, die viel langsamere Entfernung können wir vernachlässigen. Daher hängt der Anstieg Konzentration in der Erdatmosphäre und der davon ausgelöste Anstieg globale Mitteltemperatur der Erde in erster Linien von der Menge des im Industriezeitalters freigesetzten Kohlendioxids ab. Diesen Zusammenhang zeigt die folgende Abbildung:

Anstieg der mittleren Temperatur der Erdoberfläche in Abhängigkeit von der Gesamtmenge an freigesetzem Kohlendioxid

Anstieg der mittleren Erdoberflächentemperatur in Abhängigkeit von der Gesamtmenge an Kohlendioxid, das durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre freigesetzt wurde/wird (Achtung: Zahlenangaben in Kohlenstoff. Da 1 Tonne Kohlenstoff 3,667 Tonnen Kohlendioxid ergeben, muss der Wert mit 3,667 multipliziert werden). Schwarz dargestellt sind Messwerte, farbig dargestellt die Freisetzung, die aus den vier Emissionsszenarien folgt. Die farbige Fläche gibt den Unsicherheitsbereich an. Quelle der Abbildung: Abbildung 2.3 aus IPCC: Klimaänderung 2014: Synthesebericht. Deutsche Übersetzung durch Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Bonn, 2016.

Da die Erderwärmung aufgrund der langen Verweildauer wesentlich – aber nicht alleine (siehe Der Klimawandel) – vom Kohlendioxid abhängt, stellt sich die Frage, wieviele Emissionen denn noch erlaubt sind. Eine erste Untersuchung haben im Jahr 2009 der Klimaforscher Malte Meinshausen von Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Kollegen veröffentlicht (830): Um mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent die Zwei-Grad-Obergrenze einzuhalten, dürften ab dem Jahr 2010 bis zum Jahr 2050 nur noch rund 750 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden. Diese Überlegung nahm der WBGU in seinem Sondergutachten 2009 "Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz" auf. Er wies darauf hin, dass diese "Budget" (von 750 Milliarden Tonnen) bei dem damaligen Emissionsraten in 25 Jahren aufgebraucht sein, bei steigenden Emissionen sogar noch schneller. Daher sei es wichtig, mit dem Zurückfahren der Emissionen so schnell wie möglich zu beginnen, damit spätere Verringerungen nicht zu drastisch ausfallen müssen. Diesen Zusammenhang zeigt die folgende Abbildung:

Kohlendioxid-Emissionen 2010 bis 2050, bei der die Erderwärmung auf 2 Grad begrenzt bliebe

Möglicher Verlauf der Kohlendioxid-Emissionen 2010 bis 2050, bei denen
weltweit insgesamt 750 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen würden
und die Erderwärmung auf 2 Grad beschränkt bliebe. Je später die Wende
beginnt, desto stärker muss später reduziert werden - und desto unwahrscheinlicher
wird die Einhaltung der 2-Grad-Grenze. Abb. aus WBGU Sondergutachten 2009.

Leider sind die Emissionen seither auf aktuell 42 Milliarden Tonnen (834) angestiegen, stärker als vom WBGU im schlimmsten Fall angenommen – und das Budget ist bei einer Begrenzung der mittleren Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst zwei Grad Celsius daher kleiner: der IPCC geht in seinem Sonderbericht 2018 von 580 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus, wenn die Erderwärmung mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll (und nur 420 Milliarden Tonnen, wenn das Ziel mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll, wobei beide Werte mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind [838]). Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom PIK (der am WBGU Sondergutachten 2009 beteiligt war), geht etwas großzügiger von 600 Milliarden Tonnen aus, aber selbst dann ist die daraus folgende Emissionsminderungskurve (siehe Abbildung unten) mittlerweile viel drastischer als die von 2009: das ist der Preis dafür, dass wir bisher nicht so gehandelt haben, wie die Dimension des Klimawandel es erfordert hätte.

Emissionsverläufe, die mit dem Pariser Übereinkommen vereinbar sind

Emissionsverläufe, die mit dem Pariser Übereinkommen vereinbar sind:
je länger wir ernsthafte Maßnahmen herauszögern, umso drastischer
wird der Handlungsbedarf. Abb.: Stefan Rahmstorf, cc by-sa 4.0.

Vor allem zeigt die neue Kurve, dass der Übergang zu einer Netto-Null-Kohlendioxidemission mittlerweile deutlich vor dem Jahr 2050 erfolgen muss. Eine Alternative, wenn wir dieses nicht hinbekommen, sind sogenannte "Überschuss-Szenarien" – dabei wird ein Überschreiten des Emissionsbudgets und der des Pariser Ziels in Kauf genommen, die dann später (bei diesem Wort graut es dann allerdings vielen, die sich an die bisherige Einhaltung von für "später" versprochenen Maßnahmen erinnern) durch Maßnahmen zur Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft (Aufforstung, noch zu entwickelnde technische Lösungen) ausgeglichen werden sollen. Damit werden natürlich "übergangsweise" auch die Folgen der zusätzlichen Erwärmung in Kauf genommen. Aber grundsätzlich ist die Zielerreichung auch ohne solche "Überschuss-Szenarien" immer noch möglich, wie der IPCC in seinem Sonderbericht 2018 und andere Überlegungen zeigen; mit diesem Thema beschäftigen wir uns auf der nächsten Seite.

Vorher wollen wir uns an dieser Stelle aber noch mit zwei weiteren Fragen beschäftigen, die für die Begrenzung des Klimawandels von zentraler Bedeutung sind:

  1. Warum sind wir bisher eigentlich einem Weg gefolgt, der uns überhaupt in die heutige Lage gebracht hat? Was ist falsch gelaufen, und was können wir ändern, damit es in Zukunft besser wird?
  2. Bisher haben wir immer nur von den globalen Treibhausgas-Emissionen gesprochen, ohne deren Verteilung zu betrachten. Aber historisch haben nicht alle Länder im gleichen Ausmaß (oder entsprechend ihrem Anteil an der Weltbevölkerung) zu der heutigen Situation beigetragen, und auch die Folgen des Klimawandels werden sehr ungleich sein: manche Regionen der Welt sind stärker betroffen als andere, und arme Länder haben weniger Möglichkeiten, sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen als reiche Länder. Was müssen wir unter dem Aspekt der (globalen) Gerechtigkeit beachten (nicht nur aus moralischen Gründen, sondern weil ohne eine gerechte Lösung wahrscheinlich nicht die ganze Welt an einem Seil ziehen wird)?


Die Preise sagen nicht die Wahrheit

Bereits im Jahr 2006 hat der Ökonom Sir Nicolas Stern, der im Auftrag des britischen Schatzkanzlers die Kosten des Klimawandels untersucht hat (zentrales Ergebnis damals: effektiver Klimaschutz würde ein Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung kosten; weiter zu machen wie bisher fünf bis zwanzig Mal so viel), den Klimawandel als "gigantisches Marktversagen" bezeichnet: Die Kosten, die der Klimawandel verursachen wird – und die, das ist die Schwäche eines rein ökonomischen Ansatzes, auch Menschenleben umfassen, die nicht in Geld umzurechnen sind – spiegeln sich nicht in den Preisen wieder.

In der Tat: diejenigen, die etwa mit fossilen Brennstoffen ihr Geld verdient haben und immer noch verdienen, die Ölkonzerne und die Stromkonzerne etwa, die mit Kohlekraftwerken ihr Geld verdienen, mussten und müssen für die meisten Folgekosten nicht aufkommen, sondern überlassen diese der (im Falle des Klimawandels: globalen) Gesellschaft. Die muss mit den Folgen umgehen und bezahlen, und zwar ganz unabhängig davon, wie sie am Verbrauch teilgenommen und damit die Annehmlichkeiten genossen hat oder nicht. Würden die Kosten des Klimawandels (und anderer Umweltverschmutzungen) von den Verursachern zu tragen – und das wäre letztendlich immer der Kunde, denn die Ölkonzerne und Stromkonzerne würden die Kosten natürlich ihren Kunden weiterbelasten – wäre zumindest dem ansonsten im Umweltschutz angestrebten Verursacherprinzip Folge getan: wer den Nutzen hat, soll auch die Kosten tragen. Wie hoch die "Klimaschadenkosten" für den Ausstoß von Treibhausgasen wären, hat das Umweltbundesamt im Jahr 2019 ausgerechnet (842): im Jahr 2016 haben sie für den Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid-Äquivalent 180 Euro betragen, im Jahr 2030 205 Euro. So hoch müsste also ein "gerechter" Preis, der die Nutzer belastet, sein; ein Preis von 180 Euro bedeutet zum Beispiel, dass ein Liter Benzin um 52 Cent teurer würde (843). Ein solcher Preis würde dazu führen, dass die Verbraucher am Preisschild (auch) erkennen, welche Umweltbelastung mit einem Kauf – um beim Beispiel zu bleiben: mit jedem Tanken – verbunden ist. Damit würde er zum einen dazu führen, dass umwelt-/klimafreundlichere Alternativen im Vergleich billiger würden; zum anderen würde die Entwicklung klimafreundlicherer Technologien attraktiver (da diese voraussichtlich mehr Käufer finden würden).

CO2-Preis: Emissionshandel oder Steuer?

Ein Versuch, die Preise wenigstens etwas aussagekräftiger zu machen, stellt der Emissionshandel (siehe Beispiel europäischer Emissionshandel) dar. Weltweit gibt es 38 Länder, in denen es Emissionshandelssysteme gibt, dazu kommen 27 regionale Systeme (854). Bei diesen steht nicht das Verursacherprinzip, also eine an den Klimaschadenskosten orientierte Bepreisung, sondern die Vermeidungskosten im Vordergrund: Aus den Klimazielen werden "Emissionsrechte" abgeleitet, für die Emissionsberechtigungen vergeben werden. Diese können gehandelt werden, wodurch der Markt dafür sorgen wird, dass Maßnahmen dort durchgeführt werden, wo sie am billigsten sind – das einzelne Unternehmen wird sich ja immer fragen, ob es billiger ist, Emissionsberechtigungen zu kaufen oder seine Emissionen zu verringern. Die Einhaltung der Ziele kann zudem über die Menge der ausgegebenen Emissionsberechtigungen sichergestellt werden. Viele Ökonomen (wie die Wirtschaftsweisen in ihrem Sondergutachten 2019 "Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik") halten daher eine Ausweitung des EU-Emissionshandels auf alle relevanten Sektoren wie Verkehr und Wohnungsheizung für den besten – weil mit den insgesamt geringsten Kosten verbundenen – Weg, die Erreichung der EU-Klimaziele sicherzustellen (und sehen einen umfassenden globalen Emissionshandel als den besten Weg an, die globalen Ziele zu erreichen). Andere Wege, wie ein nationaler Emissionshandel (der zum Beispiel dazu verführen könnte, Emissionen in das Ausland zu verlegen; ein als "carbon leakage" bekanntes Problem, das auch beim EU-Emissionshandel besteht und wogegen letztendlich nur ein – zur Zeit aber wohl kaum umsetzbarer – globaler Emissionshandel) oder eine Steuer auf Kohlendioxid sind für sie allenfalls eine Übergangslösung.

Die Anhänger einer Kohlendioxid-Steuer sehen die bessere politische Steuerbarkeit als Vorteil: so kann nur eine Steuer die Klimaschadenskosten abbilden und damit konsequent das Verursacherprinzip umsetzen, eine Steuer kann zudem für einzelne Sektoren unterschiedlich hoch sein (etwa für Kraft- und Brennstoffe). Konjunkturschwankungen, die zum Rückgang der Zertifkatepreise und damit der Anreize für eine Verminderung der Emissionen führen (ein Problem, unter dem der europäische Emissionshandel lange litt), wirken sich auf eine Steuer weniger direkt aus (aber natürlich kann im Fall einer Wirtschaftskrise auch der politische Druck für eine Steuersenkung steigen). Die Auswirkung einer Steuer auf die Emissionsminderung müsste aber im Vorfeld bestimmt werden und ist daher unsicherer; eine Nachsteuerung ist jedoch immer möglich. Die Höhe einer Steuer ist dafür vorhersehbarer als ein Marktpreis für Emissionszertifikate, was Planungen und etwaig notwendige Maßnahmen gegen soziale und wirtschaftliche Härten leichter macht. Schließlich ist eine Steuer einfacher umzusetzen: Börsen etc. für den Zertifikatehandel werden nicht benötigt. CO2-Steuern sind ebenfalls weit verbreitet: es gibt sie in 25 Ländern und 4 regionale CO2-Steuern (854).

Welcher Weg auch immer gegangen wird: es besteht ein zunehmender Konsens darüber, dass ein Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen ein zentrales Element bei der Begrenzung des Klimawandels ist. Zuletzt haben mehr als 3.500 US-Ökonomen in einem Aufruf eine Kohlendioxid-Steuer gefordert, darunter alle vier noch lebenden Ex-Präsidenten der Federal Reserve und 27 Wirtschaftsnobelpreisträger (855). Und mit dem Klimapaket 2019 ist auch die Bundesregierung (wenn auch aufgrund eines niedrigen Steuersatzes sehr zögerlich) in die Kohlendioxid-Besteuerung eingestiegen.


Die globale Gerechtigkeit

Weder Ursachen noch Folgen des Klimawandels sind gleichmäßig über die Welt verteilt: Für den Klimawandel zahlen diejenigen am meisten, die am wenigsten dazu beigetragen haben (Die Folgen des Klimawandels). Das tief liegende Bangladesh etwa leidet besonders unter dem ansteigenden Meeresspiegel; aber ein durchschnittlicher Bewohner von Bangladesh produziert eine Viertel Tonne Kohlendioxid im Jahr, ein Deutscher rund 10 Tonnen. Die alten Industrieländer sind ohne Frage die Verursacher des heute stattfindenden Klimawandels – aber heute ist China der weltgrößte Verursacher von Kohlendioxid-Emissionen. Lange haben beide Seiten (alte Industrieländer und aufstrebende Schwellenländer) diese Situation genutzt, um sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben – und nichts zu tun. Um den Stillstand zu überwinden, musste eine Lösung gefunden werden, die sowohl die historische Verantwortung der alten Industrieländer anerkennt (die besteht darin, die ärmeren Länder bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels zu unterstützen), als auch die künftigen Emissionen gerecht zu verteilen. Was aber ist gerecht? Mittlerweile besteht weitgehend Einigkeit: jeder Mensch auf der Erde hat das gleiche Recht auf Kohlendioxid-Emissionen. Das heißt dann: das verbleibende Kohlendioxid-Budget muss gleichmäßig auf jeden Kopf der Weltbevölkerung verteilt werden. Jedes Land der Erde erhält also einen Anteil, der so groß ist, wie es seiner Bevölkerung entspricht (857). Die Frage nach der gerechten Aufteilung des Kohlendioxid-Budgets ist nicht mehr so relevant, da seit dem Pariser Übereinkommen ja ohnehin keine verbindlichen nationalen Beiträge mehr vorgegeben werden, sondern freiwillige Beiträge zu leisten sind. Aber sie ist nach wie der Hintergrund für die Beantwortung der Frage, ob die nationalen Beiträge der einzelnen Vertragsparteien dann ihrer Verantwortung angemessen sind.

Daher wollen wir einmal einen Blick darauf werfen, welche Kohlendioxid-Emissionen denn den einzelnen Ländern bis zum Erreichen des "netto-null"-Zieles noch (moralisch) "erlaubt" wären. Dazu sehen wir uns eine Abbildung aus dem Sondergutachten 2009 des WBGU an:

"Erlaubte" Kohlendioxid-Emissionen bei gleichen Emissionsrechten pro Kopf

Geschätzte Emissionen an Kohlendioxid aus fossilen Brennstoffen im Jahr 2008 und mittleres
"erlaubtes" Jahresbudget
nach WBGU Option II (siehe Text). Abb. 5.3-2 aus WBGU
Sondergutachten 2009.

In dem Gutachten sind zwei Optionen für eine gerechte Verteilung der Emissionsrechte untersucht werden, uns interessiert hier die Option II, die gleiche Verteilung pro Kopf der Weltbevölkerung. Die Abbildung stammt – wie gesagt – aus dem Jahr 2009, der WBGU ist damals noch davon ausgegangen, dass Zeit bis zum Jahr 2050 ist, hat also das Emissionsbudget 2010-2050 (750 Mrd. Tonnen Kohlendioxid) pro Kopf der Weltbevölkerung verteilt. Die Abbildung zeigt das Ergebnis als "mittleres Jahresbudget". Es zeigt sich, dass Länder, die heute pro Kopf viel Kohlendioxid produzieren (Ländergruppe 1, Staaten wie die USA, Deutschland oder Japan), ihre Emissionen sehr stark reduzieren müssen. Auch die Schwellenländer mit mittlerem Pro-Kopf-Verbrauch (Ländergruppe 2; besonders relevant: China, Staaten wie Argentinien, Chile und Mexiko) würden ihre Politik ändern müssen. Die Länder mit heute niedrigen Kohlendioxid-Emissionen (Ländergruppe 3, besonders relevant: Indien) dürften sogar noch mehr Kohlendioxid emittieren als heute. Das trägt den Entwicklungsinteressen solcher Länder, in denen heute z.B. vielen Menschen noch immer keinen Stromanschluss haben und mit Holzfeuern kochen, Rechnung. Als Konsequenz ergab sich, dass die "gerechten" Emissionsreduzierungen sehr unterschiedlich verlaufen würden:

Mögliche Kohlendioxid-Emissionsverläufe verschiedener Ländergruppen mit und ohne Emissionshandel

Emissionsverlauf von Ländern der Ländergruppen 1, 2 und 3 (siehe Text) mit und ohne
Emissionshandel. Abb. 5.3-5 aus WBGU Sondergutachten 2009.

(Der WBGU hat auch untersucht, welche Auswirkungen ein globaler Emissionshandel auf die Entwicklung hätte – durchgezogene Linie: Die Länder der Ländergruppe 3 könnten Emissionsrechte an die Länder der ersten beiden Gruppen verkaufen und damit sowie mit Technologietransfers ihre Entwicklung auf einer klimaverträglichen Grundlage beschleunigen und finanzieren. Der Charme dieser Lösung: Die Industrie- und Schwellenländer hätten ein eigenes Interesse daran, Ländern wie Indien, Bangladesch, Pakistan oder Äthiopien dabei zu helfen, denn nur so blieben ausreichend Emissionsrechte über, mit denen der drastische Emissionsrückgang bei den heutigen Klimasündern abgefedert werden könnte. Um den Ausgleich von Emissionsrechten zu organisieren und die jeweiligen nationalen “Fahrpläne” auf Plausibilität und Umsetzbarkeit prüfen zu können, schlägt der WBGU eine “Weltklimabank” vor. Diese könnte auch einen Fonds für Anpassungsmaßnahmen verwalten und Kredite für Klimaschutzmaßnahmen vergeben. Ergänzend zu den Regelungen für fossile Brennstoffe müssten nach den Vorstellungen des WBGU Regelungen in Bezug auf Landnutzungsänderungen getroffen werden.)


Weiter mit:

Strategien gegen den Klimawandel
Auf dieser Seite erfahren Sie, was getan werden muss, um den Klimawandel wirksam zu begrenzen: Wir brauchen in erster Linie effiziente Energiedienstleistungen – Energie muss also effizient erzeugt, verteilt und genutzt werden –, erneuerbare Energiequellen und den Schutz von Wäldern und Böden, damit diese Kohlendioxid aufnehmen können.

Website zum Thema

Umweltbundesamt: Seiten Klima/Energie

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen

The Climate Group – Gemeinnützige Organisation, die Städte und Firmen zu klimafreundlichem Verhalten anregt (englischsprachig).


© Jürgen Paeger 2006 – 2019

 

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