Das Zeitalter der Industrie

Die Kosten des Klimawandels
Eine Zusammenfassung des "Stern-Reports" aus dem Jahr 2006

(Sir Nicolas Stern: The Economics of Climate Change. Ein Bericht im Auftrag des britischen Schatzkanzlers, veröffentlich am 30. Oktober 2006, im Internet >> hier verfügbar)

Sir Nicolas Stern war von 2000 bis 2003 Chefökonom der Weltbank; und das machte die Brisanz seines Berichts im Jahr 2006 aus: Hier hatten nicht die “üblichen Verdächtigen” die Kosten des Klimawandels untersucht, sondern ein renommierter, als neutral geltender Wirtschaftswissenschaftler. Sein Ergebnis: Effektiver Klimaschutz würde ein Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung kosten; weiter zu machen wie bisher fünf bis zwanzig Mal so viel - die Auswirkungen des Klimawandels wären viel teurer als konsequente Gegenmaßnahmen.

Bei der Berechnung der Kosten des Klimawandels stellen sich drei zentrale Fragen:

  • Welche Auswirkungen wird der zukünftige Ausstoß von Treibhausgasen haben?
  • Was werden diese Auswirkungen kosten?
  • Was kosten und nutzen die Maßnahmen, die den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren können?

Die Antworten auf jede dieser Fragen sind mit Unsicherheiten behaftet. Die Auswirkungen der Treibhausgase auf die Temperatur der Erde und die Folgen dieser

Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre und mögliche Temperaturveränderung

Abb. 1: Wahrscheinlichkeiten der Temperaturveränderung je nach Niveau der
Stabilisierung der Treibhausgase; die senkrechte Linie zeigt eine Wahrscheinlichkeit
von 50 Prozent an. Die gestrichelte Linie zeigt den Bereich aus 11 neuen Studien.
Eigene Übersetzung, Grafik aus STERN REPORT, figure 2.

Die Folgen des Klimawandels

Abb. 2: Die Folgen der Temperaturerhöhung. Die Wahrscheinlichkeit steigt von
Gelb zu Rot. Die Abbildung fasst die aktuelle wissenschaftliche Literatur zusammen.
Eigene Übersetzung, Grafik aus STERN REPORT, figure 2.

Temperaturerhöhung werden zwar immer klarer, sind aber aufgrund der Komplexität des Klimasystems noch nicht exakt zu berechnen (>> Klimawandel). Bei der Fortsetzung des gegenwärtigen Trends würde im Jahr 2035 eine CO2-Äquivalent-Konzentration (CO2e) von 550 ppm erreicht, der vermutlich eine Temperaturerhöhung von knapp 3 °C entspräche. Am Ende des Jahrhunderts hätten wir Treibhausgaskonzentrationen, die einer Temperaturerhöhung von 5 °C entsprächen. Die von Stern als realistisch akzeptierten Folgen entsprechen denen, die auf dieser Seite bereits dargestellt sind (>> Die Folgen des Klimawandels).

Die Kosten dieser Auswirkungen zu berechnen ist eine “wirkliche Herausforderung”: Ein Ausblick über die Jahrhundertwende hinaus ist in den ökonomischen Modellen mit großen Unsicherheiten verbunden; und zudem müssen die Auswirkungen etwa auf die menschliche Gesundheit oder auf natürliche Ökosysteme monetär (in Geld) bewertet werden, wobei sich schwierige technische und ethische Fragen ergeben: Wie können Todesfälle bei den Kosten des Klimawandels angemessen berücksichtigt werden? Die Ergebnisse sind also mit Vorsicht zu genießen und werden umstritten bleiben, aber die Richtung ist sehr deutlich:

  • Die rein monetären Kosten werden über die nächsten beiden Jahrhunderte bei mindestens 5 Prozent des globalen Pro-Kopf-Einkommens liegen;
  • Berücksichtigt man dazu die Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit, steigen die Kosten auf 11 Prozent des globalen Pro-Kopf-Einkommens;
  • Berücksichtigt man auch noch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Rückkoppelungen und die Tatsache, dass die Regionen der Welt unterschiedlich betroffen sind, steigen die Kosten auf 20 Prozent des globalen Pro-Kopf-Einkommens.

Die Kosten liegen also irgendwo zwischen 5 und 20 Prozent, nach Stern “vermutlich eher am oberen Ende” - um deutlich zu machen, was dieses bedeutet, macht er den viel zitierten Vergleich mit den Kosten der beiden Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise.

Die Alternative zu diesen Kosten liegt in Maßnahmen, die den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren können. Und deren Kosten liegen wesentlich niedriger. Eine langfristige Stabilisierung von Treibhausgasen in der Atmosphäre erfordert eine Reduktion der jährlichen weltweiten Emissionen auf 5 Milliarden Tonnen CO2e (soviel können die natürlichen Ökosysteme aufnehmen). Die Berechnungen des Reports untersuchen die Kosten einer Stabilisierung im Bereich von 450 bis 550 ppm CO2e; für eine Stabilisierung bei 450 ppm CO2e müsste der weitere Anstieg der Emissionen in den nächsten 10 Jahren gestoppt werden und dann um gut 5 Prozent jährlich fallen, für eine Stabilisierung bei 550 ppm CO2e müsste die Rate um ein bis drei Prozent jährlich fallen - je nachdem, wann der Anstieg endet. Dies ist mit vier Maßnahmengruppen möglich:

  • Die Nachfrage nach energieintensiven Gütern und Dienstleistungen zu reduzieren;
  • Bessere Nutzung der Energie (höhere Energieeffizienz; >> Energie für morgen));
  •  Maßnahmen zu den Treibhausgasen, die nicht aus der Verbrennung stammen (etwa: die Vernichtung von Wäldern bekämpfen);
  • Übergang zu Energiequellen, die nicht auf Kohlenstoff beruhen (>> Energie für morgen)).

(Zu den Abhilfemaßnahmen siehe auch auf diesen Seiten: >> Strategien gegen den Klimawandel.)

Die Berechnungen ergaben, dass diese Maßnahmen für eine Stabilisierung bei 500 - 550 ppm CO2e bis zum Jahr 2050 ein Prozent des Bruttosozialprodukts kosten werden. Das ist viel Geld, aber mit weiterer wirtschaftlicher Entwicklung vereinbar - im Gegenteil zu den Kosten des ungebremsten Klimawandels. Auch bei diesen Kosten sind die Unsicherheiten groß: Wer kann schon sagen, was neue Energiequellen in ein paar Jahrzehnten kosten? Wie entwickeln sich die Preise fossiler Brennstoffe? Wie reagieren die Menschen auf höhere Energiepreise?

Diese eine Prozent sind aber ein Durchschnittswert - es wird höhere Kosten für bestimmte Branchen geben; und andere Branchen werden zu den Gewinnern gehören: Den Markt für Energieerzeugung ohne kohlenstoffhaltige Brennstoffe im Jahr 2050 schätzt Stern auf 500 Milliarden US-Dollar im Jahr. Wer die richtigen Produkte und Dienstleistungen anbietet, wird also gewinnen. Und: Durch den Rückgang der Luftverschmutzung gibt es auch andere Vorteile; diese werden in der Studie nicht betrachtet.

Der erste Teil des Berichts zeigt also, dass entschiedenes Handeln angesagt ist: Die Auswirkungen des Klimawandels wären viel teurer als konsequente Gegenmaßnahmen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, welche Politik den notwendigen Wandel einleiten könnte. Stern sieht drei zentrale Elemente einer Politik, die erfolgreich Gegenmaßnahmen einleitet:

Freigesetzter Kohlenstoff muss einen Preis bekommen, kohlenstofffreie Technologien müssen gefördert werden, und die Hindernisse für Verhaltensänderungen müssen beseitigt werden. Freigesetzter Kohlenstoff muss einen Preis bekommen: egal ob durch Emissionshandel, durch Steuern oder gesetzliche Regelungen. Dabei ist dieser Mechanismus umso effizienter je gleicher der Preis überall auf der Welt ist - dann werden die Maßnahmen dort umgesetzt, wo sie am preiswertesten sind. Das Emissionshandelssystem der EU ist schon ein richtiger Ansatz; wichtig sei es, mit klaren Rahmenbedingungen deutlich zu machen, dass das System beibehalten und ausgebaut wird (erst wenn die Entscheider dieses akzeptieren, werden sie Kohlenstoffpreise auch wirklich bei ihren Entscheidungen berücksichtigen) und zudem auf weitere Sektoren auszudehnen, etwa die Luftfahrt.

Kohlenstofffreie Technologien zur Energieerzeugung müssen gefördert werden, da damit die Entwicklung beschleunigt werden kann, die über die Lernkurve und Mengeneffekte zu wettbewerbsfähigen Preisen führt. Stern glaubt, dass eine Verdoppelung der heutigen Forschungsgelder auf 20 Milliarden Dollar weltweit pro Jahr reiche Früchte tragen würde, und schlägt für die Markteinführung weitere Anreize in Höhe von weltweit 34 Milliarden Dollar pro Jahr vor.

Kostensenkungen durch Mengeneffekte und zunehmender Erfahrung

Abb. 3: Beispiel von Kostensenkungen anhand der Stromerzeugung:
Mit zunehmender Erfahrung und aufgrund von Mengeneffekten sinkt
der Preis neuer Technologien unter dem bestehender Technologien
(an Punkt A). Eigene Übersetzung, Grafik aus STERN REPORT, figure 5.

Für die Umsetzung ist es zudem notwendig, Verhaltensbarrieren zu beseitigen, die heute zum Beispiel bewirken, dass kosteneffektive Maßnahmen zur besseren Energienutzung nicht umgesetzt werden. Nötig seien etwa Mindeststandards für Energieeffizienz, bessere Informationen über Energieverbräuche und über die aktuellen Möglichkeiten zur besseren Energienutzung.

Darüber hinaus sind weitere Aktivitäten notwendig, um die bereits unwiderruflich eintretenden Folgen des Klimawandels abzumildern (Anpassungsstrategien); nur dürfen diese Strategien nicht gegen die notwendigen Gegenmaßnahmen ausgespielt werden, da sonst die Kosten der Anpassungsstrategien dramatisch steigen werden. So haben die Industrieländer als Verursacher des Klimawandels die moralische Pflicht, den Entwicklungsländern zu helfen, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben, aber am meisten unter seinen Folgen leiden werden und zudem oft kein Geld haben, selber die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zu bezahlen.

Dieser Punkt und der Wunsch nach weltweit in etwa gleichen Preisen für freigesetzten Kohlenstoff zeigen schon: Klimapolitik ist globale Politik. In vielen Regionen der Welt werde schon in die richtige Richtung gearbeitet - vom Emissionshandel der EU über die Energieeffizienz-Strategie in China und die Integrierte Energiepolitik in Indien; aber eine weltweite Koordination könne die Effizienz dieser Maßnahmen erhöhen. Dazu müssten bestehende Institutionen gestärkt werden (so sei etwa der aus dem Kyoto-Protokoll hervorgegangene Clean Development Mechanismus heute der wichtigste formale Förderer von kohlenstoffarmen Technologien in Entwicklungsländern) und neue Institutionen geschaffen werden, etwa ein Rahmenprogramm für Investitionen in saubere Energien durch die Weltbank. Diese Politik umfasst auch finanzielle und technische Unterstützung für die Länder, die ihre natürlichen Wälder erhalten wollen.

Es gibt also auch gute ökonomische Runde, dem Klimawandel unverzüglich entgegenzusteuern: Jedes Zögern erhöht nicht nur die Risiken, sondern auch die Kosten der notwendigen Gegenmaßnahmen und Anpassungsstrategien. In Sterns Worten: "Verzögerungen sind gefährlich und teuer”.

Quelle: STERN REVIEW: The Economics of Climate Change, im Internet verfügbar unter >> Stern Review Index Page (abgerufen am 03.11.2006)

Die Grenzen der Ökonomen

Sterns Bericht hat seinerzeit hohe Wellen geschlagen: Umweltschützer freuten sich, dass jetzt auch renommierte Ökonomen die Tragweite des Klimawandels untersuchen; die “Klimaskeptiker” versuchten, den Bericht zu widerlegen. Und natürlich kann man sich über vieles streiten: Ökonomische Analysen sind, wie jeder Unternehmer weiß, nur so gut wie die zu Grunde liegenden Annahmen. Das betrifft sowohl ökonomische Faktoren wie die Abzinsung (also die Frage, wie der heutige Wert künftiger Klimaschäden zu bewerten ist) als auch Annahmen über die Umwelt, sei es Käuferverhalten beim Unternehmer oder eben Folgen des Klimawandels beim Stern-Report. Über lange Zeiträume wirken sich auch kleine Änderungen der Annahmen zu großen Unterschieden im Ergebnis aus; auch dieses kennt jeder aus dem täglichen Leben: Würden Sie 10.000 Euro für ihre Ur-Urenkel anlegen, könnten Sie denen nach 99 Jahren 1.250.000 Euro hinterlassen, wenn Sie einen Zins von 5 Prozent erzielen; bei 6 Prozent schon 3.200.000 Euro. Und im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind die Zusammenhänge sehr komplex: Müsste nicht auch berechnet werden, wie viel es wert ist, dass Energiesparen auch unsere Abhängigkeit vom Erdöl mindert und all die damit verbundenen Kosten? Und wo hören wir dann auf?

Noch viel kritischer aber: Für die Berechnung der Kosten des Klimawandels müssen auch Dinge mit einem Geldwert angesetzt werden, die mit Geld nicht zu bezahlen sind. Wie viel sind funktionierende Ökosysteme wert? Wie viel ein menschliches Leben? Wie hoch sind die Kosten für die Zerstörung einer Stadt wie New Orleans anzusetzen, einschließlich der ertrunkenen Menschen? Mit den Worten des britischen Journalisten George Monbiot: Wer glaubt, darauf eine Antwort zu haben, hat zu viel Zeit mit seinem Taschenrechner zugebracht, und zu wenig mit Menschen. Was wirklich wichtig ist, kann man nicht kaufen und nicht berechnen.

Die Entscheidung über unsere Haltung zum Klimawandel ist keine ökonomische, sondern eine moralische. Wir müssen Orte als Orte schützen, und Menschen als Menschen. Das macht Untersuchungen wie die von Stern nicht überflüssig. Immerhin hat er es geschafft, uns daran zu erinnern, dass auch das Nichthandeln Geld kosten wird; wenn wir seinen Annahmen folgen, sogar viel mehr als schnelles und entschiedenes Handeln. Glücklicherweise ist das, was richtig ist, auch noch wirtschaftlich vorteilhaft. Das mag bei der Entscheidung helfen. Aber eine reine Kostenrechnung sollte nicht darüber entscheiden, ob wir unser Klima schützen oder nicht. Die zentrale Annahme der Ökonomen, mit Geld könnten alle anderen Güter erworben werden, stimmt eben nicht.

Weblinks:
>> Stern Review Index Page (hier gibt es unter anderem eine kurze und eine lange Zusammenfassung: über “full report” zu “executive summary (full)” bzw. “executive summary (short)” sowie den Gesamtbericht zum download; englischsprachig (unter “other language versions of the executive summary” findet sich aber eine deutschsprachige kurze Zusammenfassung).

Ebenso im Jahr 2006 erschien ein Studie von James Hansen, die unter >> Die Erwärmung der Erde zusammengefasst ist.

Die aktuellste Studie des >> IPPC zum Klimawandel:
>> Der 5. UN-Klimareport (2013)

 

Klimawandel gefährdet die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme

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© Jürgen Paeger 2006 - 2015

Aktuell: >> Der 5. UN-Klimareport