Das Zeitalter der Industrie

Naturparadies und Hölle
Tiefe Gräben in Ostafrika

Ostafrika wird von tiefen Gräben durchzogen: Geologisch ist dies der ostafrikanische Grabenbruch, gesellschaftlich der Graben zwischen Hutu und Tutsi. Wie die natürlichen Voraussetzungen, koloniales Erbe und skrupellose Politiker zum Völkermord von Ruanda im Jahr 1994 führten, zeigt dieser Beitrag.


Die Entstehung des ostafrikanischen Grabenbruchs begann vor 30 bis 25 Millionen Jahren, als sich die arabische Platte von der afrikanischen Platte (>> mehr) zu lösen begann. Seither ziehen geologische Kräfte auch an den anderen Platten, die sich eine Milliarde Jahre zuvor zur afrikanischen Platte zusammengeschlossen hatten, und es entstand ein vom Roten Meer bis nach Mosambik reichender Grabenbruch, an dem in ferner Zukunft – vielleicht in zehn Millionen Jahren – die Somalische Platte abbrechen dürfte. Im zentralen Teil ist dieser Grabenbruch in einen östliche und einen westlichen Arm gespalten, die das uralte Tansania-Kraton mit dem Viktoriasee umgeben, der in Zukunft möglicherweise eine Halbinsel im Osten Afrikas bilden könnten. Der östliche Arm ist durch Afrikas höchste Vulkane, den 5.895 m hohen Kilimandscharo und den 5.199 m hohen Mount Kenia gekennzeichnet, der westliche Arm durch eine Seenkette, die vom Albertsee zum 1470 m tiefen Tanganjikasee reicht. Auch hier gibt es hohe Gebirge, wie den Ruwenzori mit 5.109 m Höhe. Im Süden des Grabenbruchs schließt der Malawisee die Kette der Afrikanischen Großen Seen ab. Der Norden des ostafrikanischen Grabenbruchs ist eine der Wiegen der Menschheit, insbesondere in der Olduvai-Schlucht wurden einige der ältesten Funde gemacht. Die Entstehung der Gebirge entlang des Grabenbruchs hat die feuchten Winde aus dem westafrikanischen Regenwald abgehalten,

so dass in Ostafrika eine Savannenlandschaft entstanden ist, die zur Entwicklung des aufrechten Gangs beigetragen haben könnte (>> mehr). An den Ufern des Viktoriasees lebten seit 8.000 Jahren Menschen. Es war eine gute Gegend: Es gab dank der Vulkan fruchtbare Böden, ausreichend Regen und in der Höhe sogar Schutz vor Malariamücken und der Tsetse-Fliege, die die Schlafkrankheit überträgt. Hier entwickelte sich ein sehr artenreiches Naturparadies, in dem im Osten Bergwälder und darüber eine alpines Moorland, im Bereich der Großen Seen neben den Seen auch andere Feuchtgebiete und im Westen eine Baumsavanne vorherrschte. In den Bergwäldern kommen die meisten endemischen Arten vor, die bekannteste ist der hier lebende Berggorilla. In dem ab 3.500 Meter Höhe vorherrschenden alpinen Moorland gibt es baumgroße Heidearten und prachtvolle Lobelien, während


Alpines Moorland im Ruwenzori mit Erica (der flechtenüberwachsene Baum
im Hintergrund und Lobelien im Vordergrund. Foto: Manuel Werner,
Lizenz: >> cc 2.5, aus >> wikipedia: Ruwenzori-Gebirge.

die Feuchtgebiete eine artenreichen Fisch- und Vogelwelt beherbergen. Die Baumsavanne bietet charakteristischen Arten wie Elefanten, Giraffen und Löwen einen Lebensraum. Der Schutz dieser Vielfalt begann im Jahr 1925 mit der Gründung des zum Schutz der Berggorillas eingerichteten Albert Nationalparks, der heute in den Virunga Nationalpark im Kongo und den Vulkan Nationalpark in Ruanda geteilt ist. Letzter wurde durch Dian Fosseys Forschungen zum Berggorilla bekannt.

Foto eines Berggorillas
Berggorilla. Foto: TKnoxB, Lizenz: >> cc 2.0, aus >> wikipedia: Berggorilla.

 Vor 3.000 Jahren brachten diese paradiesischen Zustände Bantu-Völker aus Westafrika dazu, sich in der Region niederzulassen (>> hier). Vor 2.500 Jahren waren ursprüngliche Bewohner und Neuankömmlinge zu einer einzigen Gesellschaft verschmolzen, die ähnliche Bantu-Sprachen redeten. Sie lebten sowohl vom Ackerbau als auch von der Viehzucht. Ab dem 14. Jahrhundert entstanden hier hoch organisierte Königreiche wie Ruanda und Bunyoro. In diesen gelangten die Hirten, die sich von Fleisch, Blut und Milch ernährten, zu besonderem Status. Als im 19. Jahrhundert der englische Afrikaforscher John Hanning Speke auf der Suche nach den Quellen des Nils auf diese Königreiche traf, konnte er sich deren hohe Entwicklung nur dadurch erklären, dass die Hirten von aus dem Norden stammenden „hamitischen“ Völkern abstammen, die die einheimischen Bantu-Völker unterworfen hätten. Das war zwar Unsinn, die Idee einer „höheren Abstammung“ wurde von den Hirten aber gerne aufgenommen. Diese Spaltung der Bevölkerung kam auch den europäischen Kolonialmächten entgegen, die Ende des 19. Jahrhunderts Ostafrika unter sich aufteilten. Sie unterschieden „Tutsi“ (für die Hirten) und „Hutu“ (für die Ackerbauern), und ließen die Tutsi als Mittelsmänner die Regierungsgewalt ausüben. Da die angeblichen Unterschiede zwischen Tutsi und Hutu aber nicht zu erkennen waren, gaben die Belgier, die nach dem ersten Weltkrieg die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika als Ruanda-Urundi zugesprochen bekamen, im Jahr 1933 Ausweise aus, die die Zugehörigkeit festlegten - diese Ausweise sollten noch beim Völkermord 1994 über Leben und Tod entscheiden.

Die künstlich geschaffene Spaltung der einheimischen Bevölkerung verschärfte nämlich einen Konflikt, der im rechten Arm die hervorragenden natürlichen Bedingungen zum Fluch werden ließ: immer mehr Menschen lebten hier. Anfangs konnte die Fläche für den Ackerbau noch ausgeweitet werden, indem Bergwälder abgeholzt und Sümpfe trockengelegt wurden. Im Jahr 1960 wurde der Kongo und 1962 Ruanda-Urundi als Burundi und Ruanda sowie Uganda unabhängig. Insbesondere in den beiden kleinen Staaten Burundi und Ruanda kam es zu Spannungen zwischen Tutsi und Hutu: die Hutu wollte die Vorherrschaft der Tutsi brechen. In Burundi schafften es die Tutsi, an der Macht zu bleiben, in Ruanda gewannen jedoch die Hutu die Obermacht. Unterdessen wuchs die Bevölkerung in der Region weiter schnell an, die Wachstumsrate gehört zu den höchsten der Welt. Die Äcker für die einzelnen Familien wurden immer kleiner; außerhalb der Naturparks wurde 1985 jede mögliche Parzelle beackert. 1989 sanken dann noch die Kaffee- und Teepreise, und stürzten viele kleine Farmer in die Armut. Die von Tutsi dominierte Ruandische Patriotische Front (RPF) versuchte von Uganda aus, die von der Hutu-Mehrheit gestellte Regierung zu stürzen. Nachdem am 6. April 1994 das Flugzeug mit dem ruandischen Präsidenten bei der Landung in der Hauptstadt Kigali abgeschossen wurde (es ist bis heute nicht bekannt, wer dafür verantwortlich war), kam es zu einem über drei Monate anhaltenden Völkermord, in dem die Mehrheit der Hutu etwa drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi tötete. Die Täter kamen aus Armee, Polizei und Milizen, aber auch Teile der Hutu-Zivilbevölkerung beteiligten sich daran, währen moderate Hutu genau wie Tutsi getötet wurden. Insgesamt starben mindestens 800.000, wahrscheinlich aber über eine Million Menschen. Der französische Ostafrikaforscher Gérard Prunier, der diesen Völkermord in seinem Buch „The Rwanda Crisis“ (1995) untersuchte, hält die Situation auf dem Land („zu viele Menschen auf zu wenig Land“) für eine der wesentlichen Ursachen vor allem für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an diesem Völkermord. Auch Jared Diamond, der sich in seinem Buch „Kollaps“ (2005) mit dem Thema befasste, beschrieb den Bevölkerungsdruck als das Pulver im Pulverfass, dass zynische Politiker, die an der Macht bleiben wollten, dann zünden konnten.

Das Schlachten endete erst, als die RPF, die anlässlich des Völkermords ihren militärischen Kampf gegen die Hutu-Regierung wieder aufnahm, diese vertrieben und RPF-Anführer Paul Kagame selbst die Regierung übernommen hatte. Auch die RPF tötete bei ihrem Vormarsch mehrere zehntausend Hutu. Nach der Machtübernahme flohen Hunderttausende Hutu in den Osten Zaires, wo der Konflikt bis heute anhält. Zunächst aber half die neue Regierung Ruandas den Tutsi-Gegnern von Zaires Diktator Mobutu, diesen zu stürzen. Rebellenchef Kabila wurde 1997 Präsident und benannte Zaire in Demokratische Republik Kongo (kurz Kongo) um. Im Osten des Landes, in dem es reiche Vorkommen von Gold, Kupfer und Coltan (ein Erz, aus dem das in der Mikroelektronik verwendete Metall Tantal gewonnen wird) gibt, versuchten jedoch Milizen, die Macht an sich zu reißen – bald auch unterstützt von Kabilas ehemaligen Verbündeten in Ruanda und von Uganda. Zwischen 1998 und 2003 kam es erneut zum Krieg, in dem fünf Millionen Menschen zumeist an Krankheiten und Hunger starben – es war der tödlichste Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit Unterstützung Angolas und Simbabwes gelang es Kabila, sich an der Regierung zu halten; der Osten Kongos ist aber nach wie vor in der Hand von paramilitärischen Gruppen und Milizen. Dass diese systematisch Frauen vergewaltigen, interessierte die Weltöffentlichkeit allenfalls kurz im August 2009, als US-Außenministerin Hillary Clinton die Region besuchte. Auch die Nationalparks kommen nicht ungeschoren davon: 2007 wurden im Virunga Nationalpark sieben Berggorillas getötet, 2011 forderten 100.000 Anwohner in einer Petition, den Nationalpark deutlich zu verkleinern.

Ruandas Präsident Paul Kagame gilt heute als Reformer, der sein Land zu einem sicheren, wirtschaftlich erfolgreichen Musterstaat in der Region macht. Eine echte Opposition ist aber nicht zugelassen; vor den letzten Wahlen 2010 wurden Oppositionspolitiker und Journalisten ermordet, und Kagame erhielt über 93 Prozent der Stimmen. Außerdem: Ruanda ist weiter das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas, 40 Prozent sind unter 14 Jahre alt. Selbst wenn es gelingt, das Bevölkerungswachstum wie geplant zu stoppen, würde die Bevölkerung dreimal so groß werden wie vor dem Völkermord. Wie das Land so eine Bevölkerung ernähren soll, weiß niemand.

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© Jürgen Paeger 2006 - 2011