Strategien für die Zukunft

Was macht Menschen
wirklich glücklich?

Der materielle Reichtum durch die industrielle Revolution hat die Menschen nicht glücklicher gemacht. Heute wissen wir: zum Glück trägt die Herstellung von Gütern nur bei, solange sie der Grundversorgung dienen. ist diese gesichert, werden andere Bedürfnisse wie gute soziale Beziehungen wichtiger – die aber durch das Wirtschaftswachstum gefährdet werden. Das Ende des Wirtschaftswachstums kann also eine Chance sein, glücklicher zu werden.

  Grafik, die den Zusammenhang zwischen Einkommen und Glück darstellt

Das Einkommen steigt, das Glück nicht: Das Beispiel USA. (Einkommen nach US Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, Glück bis 1971 American Institute of Public Opinion (AiPO), ab 1972 US-General Social Survey (GSS); nach >> Layard 2005.)

Als die Wirtschaftswissenschaften entstanden, war das Glück noch ein Thema: Der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748 – 1832) etwa begründete die Theorie vom Nutzenprinzip (Utilitarismus), nach der bei jeder Handlung der Nutzen im Vordergrund stehen sollte. Nutzen war für Bentham die “Schaffung von Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutem oder Glück”, anzustreben das “größtmögliche Maß an Glück”. Benthams Schüler John Stuart Mill entwickelte die Theorie weiter: gut war für ihn eine Handlung, die das Glück befördert; schlecht eine, die zu Leiden führt. Mill wies auch darauf hin, dass damit nicht das Luststreben gefördert wurde (wie den Utilitaristen oft vorgeworfen), sondern in erster Linie geistige Erfüllung und “happiness” (dauerhaftes Glück im Sinne von Lebenszufriedenheit, im Gegensatz zur körperlichen “pleasure”) gemeint sei. Dieses Glück war aber als psychologische Größe nicht objektiv messbar; und daher setzte sich in den Wirtschaftswissenschaften eine andere Definition des “Nutzens” durch: Als Maß für die Fähigkeit, die Bedürfnisse eines wirtschaftlichen Akteurs zu befriedigen. Dem Nutzen stehen die Kosten entgegen. Entscheidet sich also jemand, 150 Euro für ein Paar Schuhe auszugeben, ist ihr Nutzen damit objektiv in einer leicht vergleichbaren Einheit festgelegt. Was dem Menschen gut tut, konnte man messen, indem man zusammenzählte, wofür er Geld ausgab. Heute wird aber immer deutlicher, dass rein finanzielle Messinstrumente uns in die Irre führen (mehr); und inzwischen glauben Wissenschaften wie die Psychologie und die Hirnforschung Zufriedenheit und Glück ausreichend genau messen zu können, um bedeutungsvolle Aussagen ermöglichen zu können.

Wachstum ist nicht gleich Glück, und der Mensch kein Homo oeconomicus

Subjektive Werte wie Zufriedenheit und Glück werden am einfachsten gemessen, indem man die Menschen – mit verschieden komplexen Methoden – selber fragt. Dass diese Aussagen ziemlich verlässlich sind, legen Vergleiche der Ergebnisse mit anderen Messgrößen nahe, etwa der Aussage von Ehepartnern oder Freunden oder von Stressanzeigern wie Frequenz des Herzschlags oder Blutdruck. In jüngster Zeit kommen Untersuchungen der Hirnaktivität dazu: Aussagen über Zufriedenheit und Glück stimmen recht gut mit EEG-Messungen der Gehirnaktivitäten in Regionen überein, die bei angenehmen Erlebnissen tätig werden. Vor allem zwei Ergebnisse dieser Forschung widersprechen den Annahmen der klassischen Wirtschaftswissenschaft. Erstens: die Befriedung von Bedürfnissen führt keineswegs immer zu höherer Zufriedenheit und mehr Glück; und zweitens: der Mensch weiß nicht immer, was ihn glücklich macht, kann also gar nicht objektiv handeln (was zudem ein Grund ist, den objektiven Charakter der modernen Nutzendefinition zu hinterfragen).

  • Zu 1: Fragt man die Menschen, wie glücklich sie sind, zeigen beispielsweise die Ergebnisse in den USA seit den 1950er Jahren keine Steigerung, obwohl das Pro-Kopf-Einkommen sich seither verdreifachte, siehe Abbildung oben. (Diese Stagnation wurde erstmals in einem 1974 von Richard Easterlin veröffentlichten Aufsatz gezeigt; seine Untersuchung gilt heute als der Auslöser einer ganzen Serie von Nachfolgeuntersuchungen.) In anderen reichen Industriestaaten sieht es ähnlich aus; in Deutschland stieg die Zufriedenheit seit 1975 nicht mehr. Zwar sind solche Befragungen heikel, man soll ja in Minuten (die das Interview dauert) die Bilanz von Jahrzehnten Leben ziehen, aber Tendenzen dürften wohl stimmen – zumal sich im Vergleich armer und reicher Staaten ein anderer Verlauf zeigt. In armen Staaten steigt das Wohlbefinden mit steigendem Einkommen – bis die Grundversorgung gesichert ist. Ab einem Jahreseinkommen von 10.000 US-$ knickt die Kurve ab, der Zusammenhang ist nicht mehr eindeutig; ab einem Jahreseinkommen von etwa 20.000 US-$ gibt es keinen Zusammenhang mehr zwischen Wohlbefinden und Einkommen. Solange materielle Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, Kleidung nicht befriedigt sind, ist eine wachsende Wirtschaft für das menschliche Wohlbefinden hilfreich; danach aber wird bald eine Grenze erreicht, an der die negativen Seiten (siehe unten) den Einfluss auf Zufriedenheit und Glück übertreffen (ähnlich dem “unwirtschaftlichen Wachstum, siehe hier). Daher finden sich die glücklichsten Menschen nach verschiedenen Untersuchungen auch nicht in den reichsten Ländern, sondern etwa in der Karibik und in Skandinavien.
  • Zu 2: Seit längerem bestehen Zweifel, ob der Mensch wirklich der rationale, auf der Grundlage vollständiger Informationen objektive Entscheidungen treffende Homo oeconomicus ist, von dem die klassischen Ökonomen ausgehen. In Experimenten zeigte sich, dass der Mensch nicht immer rational entscheidet: So fürchten Menschen etwa Verluste mehr, als sie auf Gewinne hoffen; auch beeinflussen verzerrte Wahrnehmungen ihre (Kauf-)Entscheidungen. Für diese Einbeziehung psychologischer Erkenntnis in die Ökonomie erhielt der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman im Jahr 2002 gemeinsam mit dem amerikanischen Ökonomen Vernon L. Smith den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Kahneman beschäftigte sich auch mit dem Glück, und fand heraus, dass auch unsere Glückserwartungen nicht objektiv sind. Fragt man Menschen, überschätzen sie vor allem den Nutzen von materiellen Gütern. So wird das Glück überschätzt, das ein höheres Gehalt oder ein Lottogewinn, ein größeres Haus oder ein größeres Auto mit sich bringen. Umgekehrt wird der Nutzen sozialer Beziehungen unterschätzt. Auch bei den Glückserwartungen haben wir also verzerrte Wahrnehmungen. Außerdem fanden Kahneman und Kollegen heraus, dass Kaufentscheidungen oftmals überschlägig – ohne sorgfältige Abwägung aller Alternativen – getroffen werden. Der rationale Homo oeconomicus war wohl eine Fiktion.

Was macht uns glücklich?

Zum einen müssen, siehe oben, die materiellen Grundbedürfnisse erfüllt sein: Ohne ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Nahrung und Wasser sind Menschen messbar unglücklicher. Sind diese sichergestellt, sind Aktivitäten wichtiger als Dinge, wirken sich Erlebnisse positiver aus als Anschaffungen. Dann bestimmen die “psychischen Grundbedürfnisse” unser Wohlbefinden: Das wichtigste ist Liebe und Freundschaft – Menschen müssen in soziale Beziehungen eingebunden sein, brauchen den Austausch und Vertrautheit oder Freundschaft mit anderen Menschen. Danach kommen Selbstbestimmung und das Gefühl, etwas sinnvolles zu tun. Damit in Zusammenhang stehen Selbstwirksamkeit – Menschen wollen sich selbst als erfolgreich und wirksam erleben – und Autonomie – Menschen müssen in Übereinstimmung mit eigenen Werten und Einstellungen leben können. Daher sind Menschen in Ländern mit hoher Toleranz und Mitbestimmungsmöglichkeiten glücklicher als in Ländern, wo beides weniger verbreitet ist. Arbeitslosigkeit zum Beispiel macht unglücklich, da bei der Arbeit soziale Kontakte gepflegt und das Selbstwertgefühl gestärkt werden können – auch dies übrigens ein Widerspruch zu den Annahmen vieler klassischer Ökonomen, die die Arbeit nur als Last sehen, die man gegen angemessene Entschädigung (Bezahlung) auf sich nimmt. Was bei Aktivitäten – auch bei der Arbeit – ebenfalls glücklich machen kann, ist der von Mihaly Csikszentmihalyi “Flow” genannte Zustand, bei dem man völlig in seiner Tätigkeit aufgeht.

Was braucht der Mensch?

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 steht: “Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet...” – Wasser in diese Liste aufzunehmen, darum wird seit den 1990er Jahren gekämpft. Was aber für das Wohlbefinden sonst noch nötig ist und zu den notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gehört, hängt auch von der Kultur ab, in der man lebt: Der Mensch vergleicht sich immer mit seinen Mitmenschen, und in Konsumgesellschaften bestimmen materielle Güter den Status. In Deutschland etwa gehören Telefon, Fernseher und Internet längst zu den materiellen Grundbedürfnissen. Da es um Status geht, sind materielle Bedürfnisse nicht zu stillen, macht ihre Befriedigung nicht wirklich froh. Oder sie sollen – aber können nicht – etwas ersetzen, das wirklich fehlt.

Einer der ersten, der diese These vertrat, war im Jahr 1976 Erich Fromm mit seinem Buch “Haben oder Sein”. Fromm vertrat die Ansicht, dass die wahren Bedürfnisse des Menschen nur durch produktives Tätigsein zu erfüllen wären, und ist damit ein Vorläufer von heutigen Philosophen wie Martha Nussbaum, für die zu einem gelingenden Leben (und damit Wohlergehen) in erster Linie die Entfaltung von Fähigkeiten gehören, die in der menschlichen Natur angelegt sind. Zu diesen Fähigkeiten gehören unter anderem die Fähigkeit, seine Sinne und seine Phantasie zu gebrauchen, Beziehungen zu Dingen und Menschen außerhalb unser selbst einzugehen, andere Menschen zu verstehen und Anteil an ihrem Leben zu nehmen, zu lachen, zu spielen und sein eigenes Leben zu leben (Martha Nussbaum 1999: Gerechtigkeit oder Das Gute Leben).

Warum Wirtschaftswachstum uns nicht glücklich machen kann – und sein Ende uns nicht unglücklich machen muss

Die zahlreichen Güter, die uns die Industriegesellschaft zur Verfügung stellt, machen uns aus zwei Gründen nicht glücklicher: Erstens gewöhnen wir uns an sie. Was vor zwei oder drei Jahrzehnten noch ein Luxus für wenige war, ist heute für alle mehr oder weniger selbstverständlich – man vergleiche nur die Ausstattung heutiger Kleinwagen mit der Oberklasse von 1970. (Gewöhnung ist hilfreich, wenn sich unsere Situation verschlechtert – sie ist eine Art Versicherung gegen Unglücklichsein.) Zweitens sind manche Dinge, die tatsächlich dauerhaft das Wohlbefinden erhöhen, von Natur aus knapp: Eine höhere Position im Beruf etwa kann nicht jeder haben – sie ist relativ zu den anderen Positionen und kann nicht vermehrt werden. Auch ein größeres Auto ist nicht dauerhaft – haben meine Nachbarn und Kollegen gleichgezogen, ist das größere Auto “normal” – auf zur nächsten Runde! Alle anderen brauchen das größere Auto dann aber nicht, um ihr Glück zu steigern, sondern um in der sozialen Hierarchie nicht zurückzufallen und sich dadurch schlechter zu fühlen.

Es gibt Forscher, z.B. Richard Layard, Direktor an der London School of Economics, die aus den oben genannten Gründen eine Umorientierung der Politik fordern: Nicht Wirtschaftswachstum, sondern das größtmögliche Glück für alle sollten zum obersten Ziel der Politik werden (siehe sein Buch Die glückliche Gesellschaft). In armen Ländern könnte dieses Wirtschaftswachstum bedeuten, bis die materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind; in reichen Ländern stünden aber andere Maßnahmen an: Etwa Steuern auf Arbeit, damit sich diese weniger lohnt – dieses würde den Statuswettlauf beenden und die Familien stärken.

Diese Vorstellung ist durchaus umstritten. Wie könnte ein solcher Staat im internationalen Wettbewerb bestehen? (Waren nicht immer in der Weltgeschichte fanatische, militante Verächter des größten Glücks der größten Zahl den Reichen und Zufriedenen überlegen, wie Wolf Schneider sagt?) Was ist mit anderen Staatszielen, wie Solidarität und Verantwortung? Wie lässt sich verhindern, dass nach Glück für alle strebende Politiker sich irren? Gar eine Diktatur des Glücks entsteht? (“Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste.” – Karl Popper). Aber in den Diskussionsprozess einfließen und die bisherige einseitige Orientierung am Wirtschaftswachstum ergänzen sollten diese Erkenntnisse in jedem Fall. Für das Thema dieser Webseite sind sie insofern aufschlussreich, dass eine zukunftsfähige, nicht auf unendliches Wachstum basierende Wirtschaft nicht heißen muss, dass es uns anschließend schlechter geht – im Gegenteil, sie wäre eine Chance, uns wieder mehr auf solche Aktivitäten zu konzentrieren, die wirklich zu unserem Glück beitragen.

Die Erfüllung der psychischen Grundbedürfnisse steht nämlich oft in Konflikt mit den Anforderungen des materiellen Wohlstands: Wie soll man Freundschaften pflegen, wenn im Beruf Mobilität gefragt ist? Wie kann man sich selbst als wirksam erleben, wenn man ein kleines Rad in einem globalen Konzern ist? Außerdem sind viele Menschen im Beruf in etwas gefangen, das die Glücksökonomen “Statustretmühle” nennen: Um auch nur mithalten zu können, müssen sie immer mehr arbeiten – und werden immer gestresster und unfähiger, das Leben zu genießen. Und so kommt es, dass Menschen, die ihr Leben vor allem dem Gelderwerb gewidmet haben, in besonderem Maße an Angstzuständen und Depressionen leiden. Die Autoren einer kürzlich erschienen Studie, die Psychologen Richard Ryan und Tim Kasser, nannten ihre erste Studie zum Thema “die Kehrseite des amerikanischen Traums”. Sie gilt nicht nur in Amerika, sondern die Ergebnisse bestätigten sich auch in 11 anderen Ländern. Und allen Anstrengungen zum Trotz nimmt die soziale Ungleichheit zu: In den USA besitzen die reichen 5 Prozent der Bevölkerung mehr als die übrigen 95 Prozent zusammen; verdienen Unternehmenschef über 500-mal soviel wie ihre Mitarbeiter. Eines haben aber alle von diesem Fortschritt: das Leben wird immer weiter beschleunigt, es fehlen Ruhe und Zeit für Geselligkeit und Kreativität. Beides trägt dazu bei, dass soziale Indikatoren in vielen Industriestaaten ein Anwachsen der Probleme anzeigen: der Zahl der Selbstmorde, die Häufigkeit von Depressionen, des Ausmaßes des legalen und illegalen Drogenkonsums.

Wir brauchen eine kulturelle Revolution

Wenn dies so ist, warum ändern wir dann unser Verhalten nicht? Warum tun wir nicht das, was uns glücklich macht? Wer das Verhalten von uns Menschen verstehen will, muss sich unsere Entwicklungsgeschichte (hier) in Erinnerung rufen. Unser wichtigster Vorteil gegenüber anderen Tieren war unser Gehirn, unser “Überlebensorgan” (mehr). Das Gehirn ist auch der Entstehungsort positiver Gefühle: Mit positiven Gefühlen wird Verhalten belohnt, das im Laufe der Evolution unser Überleben sicherte. Ein Beispiel: zur Fortpflanzung des Menschen braucht es Sex – also wird Sex mit intensiven Glücksgefühlen “belohnt”. Der Mensch konnte große Tiere nur erlegen, wenn er sie nicht alleine jagte, sondern in der Gruppe – und daher können Psychologen heute soziale Beziehungen als psychisches Grundbedürfnis entdecken. Der Mensch entwickelte sich aber in einer Zeit, in der mit konkurrierenden Sippen und knappen Ressourcen leben musste – nehmen, war zu kriegen war, war eine gute Überlebensstrategie. Instinktiv essen wir daher gerne – in einer Zeit des Überangebots kann dieses aber zu epidemischer Fettsucht führen. Und so gilt “mehr ist besser” fast immer – und hat fast immer negative Folgen. Die Evolution bietet dafür keine Lösung; der Mensch kannte während seiner Evolution eben kaum Situationen, wo die Gefahr eines Zuviel bestanden hätten. 250 Jahre Industrielle Revolution sind nur ein Augenblick für die Evolution, sie konnten kaum Spuren hinterlassen.

Dazu kommt: Unser Gehirn arbeitet äußerst ökonomisch. Psychologen wissen längst, dass die menschliche Informationsverarbeitung nicht nur bei Kaufentscheidungen (siehe oben), sondern eigentlich immer nur auf ausgewählten, verzerrten Wahrnehmungen beruht. Das Gehirn vermeidet etwa, bereits gelernte Inhalte in Frage zu stellen – das spart Arbeit, und hat sich in der Evolution offenbar bewährt. Das führt dazu, dass wir Unsicherheiten – etwa bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Umweltveränderungen – gerne so interpretieren, dass sie zu unseren Voreinstellungen passen: Wer die Situation ohnehin verharmlost, fühlt sich bestätigt – und wer dramatisiert, auch! Diese Tendenz führt aber insgesamt dazu, dass wir Veränderungen (die ja unser bisheriges Wissen in Frage stellen) eher ablehnen; wir ziehen ein bekanntes Übel dem Unbekannten in der Regel vor. Selbst wenn es besser wäre. (Schon unser Urteil über das Glück vergangener Zeiten ist meist unzutreffend, da von heutigen Werten beeinflusst – Jacob Burckhardt: Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte). Auch die Furcht vor Verlusten, die größer ist als die Hoffnung auf Gewinne, hält uns von Veränderungen ab.

So gesehen ist unsere biologische Ausstattung eher konservativ. Aber andererseits: Unsere Stärke ist die Flexibilität, die das Gehirn möglich macht. Der aus den Savannen Afrikas kommende Mensch hat so gelernt, Auto zu fahren und Flugzeuge zu fliegen. Die Geschichte hat gezeigt, dass wir sogar Opfer bringen, wenn wir die Gründe verstehen und wenn die Einschränkungen gerecht verteilt werden. So wurden in England die Einkommensverluste während des zweiten Weltkriegs akzeptiert. (Aber wie George Orwell schrieb, “eine Lady im Rolls-Royce kann schlechter für die Moral sein als Görings Bomber” – diese Akzeptanz gilt nur, solange alle gleichermaßen betroffen sind.) Wir sollten also auch in der Lage sein, “natürliche” Verhaltensweisen wie das “immer mehr” als aus anderen Zeiten kommend zu erkennen und mittels unserer Kultur unter Kontrolle zu bringen (siehe auch >> hier). Genauso wie wir lernen können, dass zuviel Zucker nicht gut für unsere Gesundheit ist, können wir lernen, dass noch mehr Dinge uns nicht glücklich machen, aber unsere Lebensgrundlagen zerstören können – und unsere politischen Zielsysteme diesen Erkenntnissen anpassen. Dabei können wir nur gewinnen – weniger unliebsame Überraschungen durch die Zerstörung der Grundlagen unseres Lebens zum einen; ein besseres Leben zum anderen – und das gute Gefühl, das wir so die Bedürfnisse aller Menschen anerkennen, unsere gegenseitigen Abhängigkeiten verstehen und wirklich zu einer Menschheit werden, gibt es noch dazu.

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Handeln für eine bessere Zukunft

© Jürgen Paeger 2006 – 2018

Auf dieser Seite:

• Wachstum ist nicht
  gleich Glück

• Was braucht der
  Mensch? Was
  macht uns glücklich?

• Das Ende des
  Wachstums muss uns
  nicht unglücklich
  machen.

Für Güter, die wir nicht wirklich brauchen, aber haben wollen, gibt es in der Ökonomie kein eigenes Wort – sie sind wertfrei einfach Nachfrage. Anders ein Kinderbuch: In “Der Lorax” werden sie Thneed genannt. Der Lorax kämpft gegen einen Unternehmer, der Bäume fällt, um daraus Thneeds herzustellen.

Diesen Hinweis verdanke ich  >> Peter Barnes, Kapitalismus 3.0. Der Lorax ist auf Deutsch leider nur noch antiquarisch erhältlich.