Das Zeitalter der Industrie

Der Atomunfall von Fukushima

Am 11. März 2011 kam es in Japan nach einem Erdbeben der Stärke 9 und einem anschließenden Tsunami zu Ausfällen des Kühlsystems in den Atomkraftwerken Tokai, Fukushima I und Fukushima II. Während es den Mitarbeitern gelang, die Kühlung in Tokai und Fukushima II wieder in Gang zu bringen, schafften sie dies im Atomkraftwerk Fukushima I mit insgesamt sechs Reaktorblöcken nicht: In drei Blöcken kam es zu einer teilweisen Kernschmelze. In der Folge und nach Bränden in zwei Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe wurden erhebliche Mengen Radioaktivität freigesetzt, rund 150.000 Menschen wurden evakuiert und zum Verlassen ihrer Heimat aufgefordert.

Schemazeichnung eines Siedewasserreaktors

Schema eines Siedewasserreaktors. Aus wikipedia, >> Siedewasserreaktor, abgerufen 16.3.2011. Lizenz: >> GNU-FDL 1.2

11. März 2011: Um 14.46 Uhr Ortszeit (6.46 Uhr unserer Zeit) kam es vor der Nordostküste der japanischen Hauptinsel Honshu zu einem Erdbeben der Stärke 9,0 - es war das stärkste Erdbeben, das bisher in Japan gemessen wurde. Zum Zeitpunkt des Erdbebens waren drei der sechs Reaktorblöcke des Atomkraftwerks Fukushima I für Wartungsarbeiten abgeschaltet, die Brennelemente aus Reaktorblock 4 in Abklingbecken im Reaktorblock ausgelagert. Durch das Erdbeben wurden auch die drei in Betrieb befindlichen Reaktorblöcke 1, 2 und 3 automatisch abgeschaltet. Kurz darauf brach in der Region aufgrund zerstörter Leitungen die Stromversorgung zusammen, dadurch wurde auch die externe Versorgung des Atomkraftwerkes gekappt. Die für solche Fälle vorgesehenen Dieselgeneratoren zur Notfallversorgung sprangen planmäßig an; diese ist notwendig, um die aufgrund des weiteren Zerfalls von Spaltprodukten auch nach dem Abschalten weiter Wärme produzierenden (in Fukushima drei bis sieben Prozent eines laufenden Reaktors, das ist etwa die Größenordnung von ein bis zwei mit voller Kraft laufenden Düsentriebwerken) Brennstäbe zu kühlen.

46 Minuten nach dem Erdbeben erreichte ein von dem Erdbeben ausgelöster Tsunami das direkt an der Küste gelegene Atomkraftwerk; eine Flutwelle von über 14 Metern Höhe überspülte einen 5,70 Meter hohen Schutzwall gegen Taifune und überflutete das in zehn Meter über dem Meeresspiegel gelegene Kraftwerk bis in vier Meter Höhe. Dies traf auch die in den Kellern der Maschinenhäuser gelegenen Dieselgeneratoren und elektrischen Schaltanlagen; 12 der 13 Generatoren fielen durch Kurzschluss aus. In den ersten Stunden nach dem Ausfall der Generatoren konnte die Notstromversorgung mit Batterien aufrecht erhalten werden, die eigentlich nur zur Überbrückung der Zeit bis zum Anspringen der Notstromaggregate ausgelegt sind. Der weitere Ablauf konnte dann nicht mehr beobachtet werden, da mit dem Strom auch die meisten Messgeräte ausfielen (weshalb die folgenden Beschreibungen zum Teil auch auf theoretischen Überlegungen basieren). Als im Reaktorblock 1 der Druck stieg, was eigentlich nur durch verdunstendes Wasser infolge des Ausfalls der Kühlung geschehen kann, rief die japanische Regierung um 19.03 Uhr den atomaren Notstand aus. Am 12. März stieg Druck im Sicherheitsbehälter, der den

Schemazeichnung Sicherheitsbehälter eines SiedewasserreaktorsRückhaltesysteme in einem Siedewasserreaktor. Abb. aus wikipedia, >> Sicherheitsbehälter, abgerufen 16.3.2011, Lizenz: >> GNU-FDL 1.2, eigene Beschriftung. Der Sicherheits- behälter der Reaktoren in Fukushima sieht anders aus, das Prinzip ist aber das gleiche.

Reaktorkern mit den Brennstäben umgibt (siehe Abbildung rechts) und der auf maximal 5,28 Bar ausgelegt war, auf über 8 Bar an. Offenbar war der Druckbehälter (durch heiße Schmelzen infolge einer Kernschmelze?) undicht geworden. Ab 5.46 Uhr wurde mit Feuerwehrpumpen Süßwasser in den Druckbehälter eingespritzt, um ihn zu kühlen. Um den Sicherheitsbehälter zu entlasten, wurde ab 10.17 Uhr Dampf in das Reaktorgebäude abgelassen, nachdem im Umkreis von 10 Kilometern um den Reaktor die Menschen evakuiert worden waren. Um 14.53 Uhr waren die Süßwasservorräte erschöpft, und bevor eine Kühlung mit Meerwasser beginnen konnte, kam es um 15.36 Uhr im Reaktorblock 1 zu einer Wasserstoffexplosion: Vermutlich war das Wasser im Reaktorkern soweit verdunstet, dass Brennstäbe freilagen und sich erhitzen konnten. Ab einer Temperatur von 1.200 °C reagiert Wasserdampf mit dem Metall Zirkonium aus der Hülle der Brennstäbe, dabei entsteht Wasserstoff. Im Reaktorgebäude wurde der Wasserstoff gezündet - es ist den Experten bis heute ein Rätsel, warum dieser dieser sich überhaupt ansammeln konnte und nicht wie vorgesehen gefiltert über Entlastungskamine abgegeben wurde. Die Explosion zerstörte das Reaktorgebäude. Den Sicherheitsbehälter hielt man zunächst für intakt, und die Betreiber beschlossen am Abend, ihn durch Flutung des Reaktorgebäudes mit Meerwasser zu kühlen, um eine weitere Beschädigung zu vermeiden. Die Evakuierungszone wurde auf 20 Kilometer rund um das Atomkraftwerk ausgeweitet.

Unterdessen kam es am 12. März auch zu Problemen mit der Kühlung im Reaktorblock 2 und am 13. März zu einem Druckanstieg im Reaktorblock 3. Im Reaktorblock 3 nahmen die Ereignisse zunächst einen ähnlichen Verlauf wie im Reaktorblock 1; am 14. März kam es auch hier (um 11.01 Uhr Ortszeit) zu einer Wasserstoffexplosion, die das Reaktorgebäude zerstört. Allerdings versuchten hier die Betreiber offenbar, nur den Sicherheitsbehälter mit Meerwasser zu kühlen (vermutlich, da die Flutung des Reaktorgebäudes ein weiteres kontrolliertes Ablassen von Dampf aus dem Sicherheitsbehälter erschwert). Vermutlich hielt der Druckbehälter dieser Explosion aber stand. Um 6.10 Uhr des 15. März gab es Explosionsgeräusche im Reaktorblock 2, die zunächst ebenfalls auf eine Wasserstoffexplosion zurückgeführt wurden. Heute wird vermutet, dass die Geräusche auf eine zu dieser Zeit stattgefundene Wasserstoffexplosion im Abklingbecken des Reaktors 4 zurückgingen. Diese riss einen Teil der Außenwand des Reaktors weg - Ursache war wohl, wie heute vermutet wird, dass Wasserstoff aus dem ungenügend abgetrennten Block 3 in das Gebäude gelangt war.

Radioaktive Strahlung ...

... ist die umgangssprachliche Sammelbezeichnung für Strahlung, die von radioaktiven Stoffen (>> mehr) ausgeht. Dabei kann es sich um Teilchenstrahlung (”Alphastrahlung” - hier werden Helium-4-Atomkerne abgestrahlt - oder “Betastrahlung” - hier werden meist Elektronen, seltener auch Positronen abgestrahlt) oder elektromagnetische Strahlung (“Gammastrahlung”) handeln. Die Bezeichnungen spiegeln die Abschirmbarkeit wider: Alphastrahlung lässt sich bereit durch Papier und Stoff abschirmen, Betastrahlung durch Metall, und Gammastrahlung durchdringt selbst dicke Blei- und Gesteinsschichten. Sie alle gehören zur “ionisierenden Strahlung”, so genannt, da sie Elektronen aus Atomen entfernen kann, die dadurch zu Ionen werden. In biologischem Gewebe entstehen dabei reaktionsfreudige Atome oder Moleküle, die weiter reagieren und das Gewebe schädigen, daher ist radioaktive Strahlung gesundheitsschädlich. Bei schwacher Strahlung nehmen durch Veränderungen der DNA bestimmte Krebsarten zu, bei stärkerer Strahlung erkranken Menschen an akuter Strahlenkrankheit. Die Strahlungswirkung wird in der Maßeinheit Sievert gemessen, wobei es sich eher um eine Abschätzung handelt: Bei der üblichen Äquivalentdosis wird die aufgenommene Energiemenge in Joule/kg Körpergewicht mit einem Faktor multipliziert wird, der die Wirksamkeit der verschiedenen Strahlungsarten berücksichtigt.

Die natürliche Strahlenbelastung durch Strahlung aus dem Weltraum oder radioaktive Stoffe im Boden beträgt in Deutschland durchschnittlich 2,1 Millisievert (mSv) pro Jahr. Ab welchem Strahlungswert langfristige Schäden wie Krebs oder Veränderungen der Erbanlagen eintreten, ist umstritten - viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese mit zunehmender Strahlungsbelastung zunehmen, es also keinen “Schwellenwert” gibt. Allerdings sind die Auswirkungen niedriger Strahlung nur statistisch zu erfassen und daher umstritten. Beruflich belastete Personen dürfen etwa Strahlungen von 20 mSv/Jahr (Flugpersonal in der EU) bis 50 mSV/Jahr (Mitarbeiter in amerikanischen Atomkraftwerken) ausgesetzt sein. Ab einer kurzfristigen Belastung von 250 mSv kann akute Strahlenkrankheit (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen) eintreten. Hiervon kann man sich erholen, das Immunsystem betroffener Personen bleibt jedoch oftmals lebenslang geschwächt. Eine kurzfristige Strahlenbelastung von 2.000 mSv kann tödlich sein, eine kurzfristige Belastung von 4.000 mSv ist dies bei 50 Prozent der bestrahlten Personen, und eine von 7.000 mSv ist in jedem Fall tödlich.

Aufgrund der freigesetzten Mengen an radioaktiven Stoffen wurde der Atomunfall von Fukushima am 12.11.2011 von der Internationalen Atomenergieorganisation in die höchste Stufe der internationalen Bewertungsskala für Atomunfälle einstuft: Er gilt seither offiziell als katastrophaler Unfall (das bedeutet u.a.: "mit Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit in einem weiten Umfeld").

Am 16. März flammte das vermutlich am Vortag nicht vollständig gelöschte Feuer im Abklingbecken des Reaktorblocks 4 erneut auf; aus den Reaktorblöcken 1 und 3 stieg weißer Dampf auf. Die Radioaktivität stieg auf dem Gelände des Atomkraftwerks kurzfristig auf Werte bis 1.000 Millisievert/Stunde an, so dass wegen akuter Gesundheitsgefahren für eine Zeit auch die mit der Kühlung beschäftigten 50 Mitarbeiter abgezogen werden mussten. Inzwischen wurde versucht, die Abklingbecken in den Blöcken 3 und 4 aus der Luft mit Hubschraubern zu löschen und wieder unter Wasser zu setzen, dieser Versuch musste aber wegen der Strahlungsbelastung der Piloten zunächst aufgegeben werden, bevor er am 17. März wieder aufgenommen wurde. Nicht nur das Abklingbecken, sondern auch der Reaktorkern in Block 3 drohten zu überhitzen. Eine Freisetzung von radioaktivem Material aus Block 3 wäre besonders kritisch gewesen, da hier ein anderer Brennstoff, sogenanntes Mischoxid mit Plutoniumanteil, verwendet wird. Plutonium ist nicht nur sehr lange radioaktiv, sondern auch hochgiftig. Zusätzlich wurden daher am Abend auch Hochdruckwasserwerfer eingesetzt, um die Reaktoren zu kühlen. Der Erfolg dieser Maßnahmen blieb fraglich, die Strahlung in der Evakuierungszone um das Kraftwerk erhöhte sich deutlich. Die Internationale Atomenergie-Organisation ging davon aus, dass die Brennstäbe der Reaktoren 1,2 und 3 etwa zur Hälfte aus dem Wasser ragten; im Abklingbecken des Reaktors 4 war vermutlich kaum noch Wasser. Dies würde auch die hohen Strahlenwerte erklären, denn Wasser dient nicht nur der Kühlung der Abklingbecken, sondern hält auch die von den Brennstäben ausgehende Gammastrahlung (siehe Kasten oben) zurück. Ab 18. März beteiligte sich auch die Feuerwehr aus Tokio und Löschwagen der US-Armee an den Versuchen, die Reaktorblöcke und die Abklingbecken der Reaktorblöcke 3 und 4 mit Wasserwerfern zu kühlen. 30 Kilometer nordwestlich des Kraftwerkes wurden laut dem japanischen Fernsehsender NHK am zweiten Tag in Folge Strahlungswerte von 150 mSv/Stunde gemessen. Am 19. März wurde im Leitungswasser in der Nähe des Kraftwerks erhöhte - und über den Grenzwerten liegende - Radioaktivität gemessen, die auf radioaktives Jod zurückging; ebenso wurden erhöhte Werte in Trinkwasser in Tokio gemessen, wobei deren Ursache unklar blieb.

Am 20. März konnte nach mehrtägigen Bemühungen die externe Stromversorgung behelfsmäßig wieder her gestellt werden. Dies war die Voraussetzung dafür, die Pumpen des Kraftwerks - deren Funktionsfähigkeit allerdings fraglich war - wieder in Betrieb zu nehmen. Zunächst wurden die Schaltanlagen der Reaktorblöcke 1 und 2 angeschlossen; weiter floss der Strom zunächst nicht, denn es musste noch überprüft werden, ob die Wasserpumpen und die elektrische Installation noch funktionieren - ein Kurzschluss hätte sie endgültig zerstören oder gar eine Explosion auslösen können. Am 21. März konnten die Blöcke 5 und 6, am 22. März Block 4 und am 23. März Block 3 an die externe Stromversorgung angeschlossen werden. In den Blöcken 5 und 6 funktionierte die Kühlung wieder, so dass sie als vergleichsweise unproblematisch galten. Am 24. März konnte die Leitwarte des Blocks 1 an die externe Stromversorgung angeschlossen werden, damit funktionierten die Beleuchtung und einige Instrumente wieder, mehr aber auch nicht. Die Kühlung dieses Reaktorblocks und des Druckbehälters von Reaktorblock 3 wurden am 25. März auf Süßwasser umgestellt, um zu verhindern, dass Salzablagerungen die Kühlung beeinträchtigten. Am gleichen Tag wurde in den Untergeschossen der Reaktorblöcke 1 bis 3 hoch radioaktives Wasser entdeckt, offenbar ist das zum Kühlen verwendete Wasser mit radioaktiven Stoffen in Berührung gekommen. In Reaktorblock 3 waren bereits am 24. drei Arbeiter durch dieses Wasser bei Kabelarbeiten verstrahlt worden. Die Arbeiten an der Stromversorgung des Reaktorblocks 2 mussten wegen der Strahlung eingestellt werden, am 26. März konnte aber die Stromversorgung hergestellt werden, mit ähnlichen Ergebnissen wie im Reaktorblock 1; die Kühlung des Abklingbeckens des Blocks 3 konnte statt mit Wasserwerfern mit einer regulären Einspritzleitung sichergestellt werden. Der Bevölkerung in der 20 bis 30 Kilometer vom Kraftwerk entfernten Zone war am 25. März geraten worden, das Gebiet wegen "Versorgungsengpässen" zu verlassen. Am 29. März wurde die Kühlung des Reaktorblocks 2 von Salz- auf Süßwasser umgestellt. Das Abklingbecken des Blocks 4 wurde seit dem 22. März mit einer Betonpumpe behelfsmäßig gekühlt, am 30. März konnte auch diese Kühlung von Salz- auf Süßwasser umgestellt werden.

Im April bereitete vor allem Block 1 Sorgen: Mit der Behelfskühlung gelang es nicht, den Reaktor zu stabilisieren, der Druck im Druckbehälter stieg weiter an. Vermutlich wurde im Reaktorkern weiter Wasserstoff produziert, und um eine weitere Explosion zu verhindern, wurde der Sicherheitsbehälter mit Stickstoff aufgefüllt. Als Ursache der bereits im März entdeckten radioaktiven Belastung des Meerwassers wurde ein Riss in einem Kabelschacht am Meerwassereinlass des Blocks 2 identifiziert, das erst nach einigen Tagen verschlossen werden konnte. Zudem deuteten hohe Strahlenwerte darauf hin, dass auch im Abklingbecken von Block 2 Brennstäbe beschädigt waren. Radioaktives Wasser aus dem Untergeschoss wurde in das Abfalllager gepumpt; der Wasserstand blieb jedoch unverändert, da durch die laufende Kühlung ständig neues Wasser dazukam. In Block 3, der eigentlich schon als halbwegs stabilisiert galt, stieg Ende April die Temperatur des Druckbehälters plötzlich an, das Problem konnte aber mit verstärkter Kühlung gelöst werden. Tepco bestätigte zudem, dass Brennelemente im Abklingbecken des Blocks 4 beschädigt waren. Einige Orte außerhalb der Evakuierungszone wurden nach Messung erhöhter Strahlungswerte ebenfalls evakuiert; die Evakuierungszone zum Sperrgebiet erklärt.

Im Mai stellte Tepco nach Reparatur der Wasserstandsmessgeräte fest, dass im Block 1 sowohl Druck- als auch Sicherheitsbehälter beschädigt waren. Dadurch lief radioaktiv verseuchtes Kühlwasser aus dem Gebäude, das sich im Untergeschoss des Reaktorgebäudes ansammelte. Auch der ebenfalls geschmolzene Reaktorkern im Block 2 war noch in Bewegung; im Untergeschoss standen 6 Meter radioaktiv verseuchtes Wasser. Am 11. Mai stellte Tepco fest, dass am Block 3 radioaktiv verseuchtes Wasser wie zuvor am Block 3 an einem Kabelschacht ins Meer lief. Nach dem Abdichten dieses Lecks deuteten Messgeräte auf ein weiteres Leck hin, worauf Tepco begann, das Abwasser aus dem Turbinengebäude in das Abfalllager und - nachdem dieses voll war - in Wassertanks abzupumpen.

Im Juni wurde auch in Block 2 wurde der Sicherheitsbehälter mit Stickstoff aufgefüllt, Mitte Juli auch in Block 3. Mitte des Monats ging eine Abwasseraufbereitungsanlage in Betrieb, die Cäsium und andere radioaktive Chemikalien aus Wasser entfernt sollte, um damit die im Abfalllager und in Wassertanks aufgefangenen über 100.000 Kubikmeter radioaktive Wasser zu entseuchen und als Kühlwasser nutzen zu können, ab Ende des Monats wurden die Reaktordruckbehälter der Blöcke 1 bis 3 mit aufbereitetem Wasser aus dieser Anlage gekühlt. Ab Juli wurde begonnen, Block 1 mit einem Stahlgerüst und einer Kunststoff-Schutzhülle zu umgeben, die Strahlung zurückhalten und den Reaktor vor Regen schützen soll; in Block 3 wurde ein Roboter zum Abräumen von radioaktivem Schutt eingesetzt und auch Block 4 konnte an einen neuen Kühlkreislauf für das Abklingbecken angeschlossen werden.

Warum ist die Kühlung so wichtig?

Im schlimmsten Fall hätte es bei nicht ausreichender Kühlung der Brennstäbe zu einer vollständigen Kernschmelze kommen können: Bei dieser hätten sich die sich die Brennstäbe verflüssigt; die heiße, strahlende Flüssigkeit hätte sich am Boden des Reaktordruckbehälters gesammelt und durch diesen und im schlimmsten Fall auch durch den Sicherheitsbehälter und den Boden des Reaktorgebäudes hindurch gefressen und wäre dann so in den Boden gelangen. Wenn die extrem heiße Flüssigkeit auf diesem Weg mit Wasser (z.B. dem hineingepumpten Meerwasser oder mit Grundwasser) in Kontakt gekommen wäre, hätte sie durch eine Dampfexplosion in die Umgebung und die Atmosphäre gelangen können. Ebenso wäre wohl nicht auszuschließen gewesen, dass am Boden des Reaktordruckbehälters eine kritische Masse zusammengekommen wäre, die eine Kettenreaktion mit einer anschließenden atomaren Explosion ermöglicht hätte. In beiden Fällen wären große Mengen Radioaktivität und - vor allem, wenn auch Block 3 betroffen ist - hochgiftiges Plutonium freigesetzt worden. Es waren diese beiden Szenarien, die die Mitarbeiter, die die Reaktoren mit Meerwasser zeitweise alleine kühlten, um fast jeden Preis zu verhindern versuchten. Sie und auch die später dazugekommenen Kollegen, Soldaten und Feuerwehrleute haben dabei unter schwierigsten Umständen - umgeben von Schutt, zeitweise ohne Stromversorgung und Messinstrumente und nicht funktionierenden Kommunikationseinrichtungen - eine hochprofessionelle Arbeit geleistet und sich dabei einer Strahlung ausgesetzt, die die eigentlich zulässige jährliche Strahlenbelastung für Mitarbeiter bereits in einer einzigen Schicht überschritten: diese Mitarbeiter haben ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert, um das Schlimmste zu vermeiden.

Die größte Gefahr war erst im Januar 2012 endgültig gebannt, als die Reaktoren soweit abgekühlt waren, dass sich auch bei einem Ausfall der Kühlung - etwa in Folge eines Nachbebens, das die empfindliche Not-Installation, mit der die Kühlung sichergestellt wurde, beschädigt hätte - nicht mehr zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kommen konnte. Gekühlt werden müssen die Brennstäbe aber weiterhin, und da bisher kein geschlossener Kühlkreislauf installiert werden konnte, fallen hierbei täglich 600 m³ stark radioaktiv kontaminiertes Wasser an.

Im August 2011 begannen die ersten Projekte zur Dekontamination (Beseitigung der Radioaktivität) in einigen weniger verstrahlten Regionen der Evakuierungszone. Im Oktober 2011  begann eine Massenuntersuchung der besonders empfindlichen Schilddrüse (in der sich radioaktives Jod-131 bevorzugt einlagert) von 368.000 Kindern und Jugendlichen aus der Region, die alle zwei Jahre wiederholt werden soll. Im Dezember 2011 stellte die japanische Regierung einen Plan zum Abbau des Atomkraftwerks vor: Angesetzt sind darin alleine für die Bergung der Brennstäbe aus den Reaktoren 1 bis 3, die in zehn Jahren beginnen soll, 20 bis 30 Jahre. Im Januar 2012 versprach die Regierung (diesmal ohne Zeitplan) auch eine "Wiedergeburt der Region Fukushima". Im Februar 2012 wurde bekannt, dass der Betreiber Tepco kurz nach dem Atomunfall überlegt hatte, sein Personal aus dem Atomkraftwerk abzuziehen; die japanische Regierung dann eine Kettenreaktion und eine Evakuierung der Hauptstadt Tokio befürchtet hatte (>> mehr). Im März 2012 wurde festgestellt, dass im Reaktorblock zwei viel weniger Kühlwasser als gedacht vorhanden - es floss - hochgradig radioaktiv - vermutlich durch Lecks im Druckbehälter zumindest teilweise ins Meer.

Im Juli 2012 gelang es, die ersten Brennstäbe aus dem Abklingbecken des Reaktorblocks 4 zu bergen. Im Oktober 2012 gab der Betreiber Tepco zu, die Gefahr durch Tsunamis gekannt zu haben - sie aber verschwiegen hatte, um eine sofortige Abschaltung seiner Atomkraftwerke zu vermeiden. Im Februar 2013 schätzte die Weltgesundheitsorganisation, dass mit dem Atomunfall nur eine geringe Steigerung des Krebsrisikos für die Bevölkerung verbunden sei: So steige für Frauen, die als Kind der Strahlung ausgesetzt waren, das Tumorrisiko um vier Prozent, bei Männern, die als Kind der Strahlung ausgesetzt waren, das Leukämierisiko um sieben Prozent. Bei den Rettungskräften hätte ein Drittel ein "erhöhtes Krebsrisiko". Im Juni 2013 wurde bekannt, dass das Grundwasser am Reaktor stark radioaktiv belastet war - Ursache war ein zunächst unentdecktes Leck im Reaktorgebäude. Im Juli 2013 wurde zudem bekannt, dass das belastete Grundwasser auch ins Meer gelaufen ist. Die Abhilfemaßnahme, eine "chemische Sperre" (Stoffe, die sich im Erdreich verhärten sollten) stellte sich im August 2013 als teilweise unwirksam heraus - es floss weiter radioaktives Grundwasser ins Meer. Zudem flossen dreihundert Tonnen stark radioaktives Kühlwasser aus einem Tank ins Meer - allein dieser weitere Unfall wurde von der Internationalen Atomenergieorganisation als "ernster Störfall" eingestuft. Im September und Oktober kam es zu weiteren Einleitungen ins Meer, im Oktober 2013 bat die Regierung ausländische Experten um Mithilfe bei der Lösung des Problems. Im November 2013 begann die eigentliche Bergung der Brennstäbe aus dem Abklingbecken des Reaktorblocks 4. Im Februar 2014 versickerten nach dem Versagen eines Ventils in einem Lagertank über 100 Tonnen radioaktives Wasser im Boden. Ende 2014 war die Bergung der Brennstäbe aus Reaktorblock 4 beendet. Im April 2015 wurde ein erster Roboter zu Filmaufnahmen in das Reaktorgebäude des Reaktors 1 geschickt, um zu erkunden, wo sich der geschmolzene Brennstoff genau befindet: Aufgrund der hohen Strahlung setzte allerdings die Elektronik aus, bevor er seine Aufgabe erfüllen konnte. Sichere Kenntnisse über den Zustand der Reaktordruckbehälter der Blöcke 1, 2 und 3 und damit die Frage, wo der geschmolzene Brennstoff sich befindet (kam es zu einem Austrag in die Sicherheitsbehälter?, wie beschädigt sind diese?), gibt es damit bis heute nicht.

Wo genau der geschmolzene Brennstoff der Blöcke 1, 2 und 3 sich befindet, ist nach wie vor unbekannt.

Während alleine am Kraftwerksstandort Fukushima I rund 6.000 Menschen mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sind und in weniger verstrahlten Bereichen weiter weg vom Kraftwerk intensiv an der Dekontaminierung gearbeitet wird - was bedeutet, dass alle Bauten intensiv manuell gereinigt und der gesamte Boden mindestens 5 Zentimeter tief abgetragen wird -, ging im August 2015 ging in Japan - nach Umsetzung umfangreicher Sicherheitsauflagen als Konsequenz aus Fukushima - mit dem Atomkraftwerk Sendai der erste Atomreaktor nach dem Atomunfall von Fukushima wieder in Betrieb. Nach Angaben der japanischen Regierung ist es jetzt das "sicherste Atomkraftwerk der Welt" - was allerdings deutsche, französische und amerikanische (und vermutlich noch weitere) Betreiber von ihren Atomkraftwerken auch gerne sagen...

 Weitere Informationen zum Atomunfall in Fukushima:

>> Informationen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu Fukushima
>> Spiegel online - www.spiegel.de/thema/fukushima/
>> ZEIT online - www.zeit.de/themen/gesellschaft/erdbeben-tsunami-japan-2011 /index
>> Quarks & Co - Fukushima: Ende nicht in Sicht (Sendung vom 10.3.2015)

Siehe auch:
>> Eine kleine Geschichte der Atomkraft

Mehr zum Thema Energie:
>> Energie

Hauptseite:
>> Übersicht Industriezeitalter

© Jürgen Paeger 2006 - 2015

Das Atomkraftwerk Fukushima I (oder Fukushima Daiichi) mit sechs Reaktorblöcken steht auf der japanischen Hauptinsel  Honshu rund 60 Kilometer östlich der Präfekturhauptstadt Fukushima und ging zwischen 1971 (Block 1) und 1979 (Block 6) in Betrieb. Bei den sechs Reaktorblöcken handelt es sich um Siedewasserreaktoren. Seit 1997 gab es neben den Blöcken 3 und 4 zudem ein Lagerbecken für abgebrannte Brennelemente. Zum Zeitpunkt das Unfalls befanden sich etwa 480 Tonnen Kernbrennstoff in den Reaktoren und weitere 2.000 Tonnen in den Abklingbecken der Reaktoren sowie dem Lagerbecken. Betreiber des Kraftwerks war die Tokyo Electric Power Company (Tepco).

Was passiert bei der Aufbereitung des Abwasser mit der Radioaktivität? Radioaktive Stoffe werden hierbei nicht vernichtet, sondern als lediglich als radioaktiver Schlamm konzentriert. Dieser Schlamm wird zum Teil des radioaktiven Abfalls, der als Folge des Unfalls zu beseitigen sein wird.