Das Zeitalter der Landwirtschaft
Die Vereinigung der Menschheit
Aus einer Vielzahl von menschlichen "Welten"
wurde in der Folge der Erfindung der Landwirtschaft eine Welt. Dazu
trugen im wesentlichen Händler, Eroberer und die Entstehung
missionierender Universalreligionen bei, die erstmals die gesamte
Menschheit in den Blick nahmen: als potenzielle Kunden, Untertanen
oder Gläubige.
Handelskarawane. Der
Handel trug wesentlich mit dazu bei, dass die menschlichen Kulturen
im Laufe der Geschichte zu immer größeren und komplexeren Kulturen
verschmolzen. Gemälde von Edwin Lord Weeks, circa 1882. Aus
wikipedia commons, public domain.
Im Zeitalter der Wildbeuter gab es vermutlich zehntausende von
menschlichen "Welten": Ein Clan von Jägern und Sammlern auf der
iberischen Halbinsel hat nichts von den Menschen östlich des
Mittelmeeres oder in Nordeuropa gewusst. Gelegentlich handelten die
Clans zwar mit benachbarten Gruppen, und mögen dabei auch
Nachrichten von anderen Gruppen, die diese kannten, erhalten haben –
aber irgendeine Bedeutung für ihr Leben hatte das kaum. Mit dem
Entstehen der Landwirtschaft, dem Anwachsen der Bevölkerung, dem
Entstehen der ersten Städte und zunehmender Spezialisierung änderte
sich dies: Zum einen nahm die Bedeutung des Handels zu; zum anderen
entwickelten sich die erfundenen
Ordnungen, mit denen wir Menschen unsere biologischen
Begrenzungen der Zusammenarbeit mit fremden Menschen überwanden, so
weiter, dass sie in den Augen ihrer Anhänger weltweit gültig wurden
(universelle
Ordnungen). Die Anhänger jener Ordnungen waren es, die sich
erstmals die (ihnen bekannte) Menschheit als Einheit vorstellten: Händler,
die alle Menschen als mögliche Kunden sahen; Eroberer,
die alle Menschen als mögliche Untertanen sahen; und Propheten,
die alle Menschen als mögliche Gläubige sahen. Sie sollten – oftmals
auch gemeinsam – dafür sorgen, dass die Zahl der voneinander
getrennten "Welten" immer kleiner wurde und es zum Ende des
Zeitalters der Landwirtschaft im großen und ganzen nur noch eine
Welt gab.
Die Rolle der Händler
Geld war möglicherweise die wirksamste der
erfundenen Wirklichkeiten: es wurde schon früh in der Geschichte der
Menschheit genutzt (siehe Eine kleine
Geschichte des Geldes) und hob die Beschränkungen einer
Wirtschaft auf, die auf gegenseitigen Gefälligkeiten und
Verpflichtungen beruhte. Es machte den Handel mit Fremden möglich –
Geld ist ja ein Versprechen, dass jeder es jederzeit gegen eine
gewünschte Ware eintauschen kann – und nahm daher an Bedeutung zu,
als benötigte Dinge durch Fernhandel beschafft werden mussten. Das
begann schon mit den ersten Städten im Zweistromland: zum einen gab
es dort kein Holz und keine Metalle; und zum anderen stieg mit
steigendem Wohlstand die Nachfrage nach Luxusgütern (die aufgrund
ihres im Vergleich zu ihrem Wert geringen Gewichts leichter und
damit weiter transportiert werden konnten). Der Handel lag
überwiegend in den Händen von selbständigen Kaufleuten,
die auf eigene Rechnung arbeiteten, ihr Geschäft aber in enger
Abstimmung mit den politischen Herrschern vornahmen. Immer dann,
wenn diese Geld für kriegerische Unternehmen brauchten (siehe Die
Rolle der Eroberer), förderten diese die Nutzung von Geld auch
in lokalen Märkten – die Entstehung kommerzieller Märkte und die
Entstehung von Staaten hingen zusammen. Aber zur Vereinigung der
Menschheit trug vor allem der Fernhandel bei. Die Sumerer mögen
zuerst versucht haben, sich die benötigten Waren – etwa Zedern aus
dem Libanon – gewaltsam zu beschaffen (so etwa im Gilgamesch-Epos
nachzulesen); entdeckten aber bald, dass es weniger Leben kostete,
wenn man mit den Völkern, die in den Wäldern lebten, handelte. Schon
früh in der Geschichte verband der Fernhandel etwa die Welten an
Euphrat und Tigris, Nil und Indus (siehe hier).
Mit dem Handel verbreiteten sich nicht nur Waren, sondern auch
Wissen, Wertvorstellungen und Informationen: so führte der Handel
zusätzlich dazu, dass Menschen aus weit entfernten Gebieten sich
annäherten.
Mit Beginn der
Bronzezeit waren es Kupfer und Zinn, die in allen Hochkulturen
– schon weil Bronzewaffen überlegen waren – herbeigeschafft werden
mussten. Von diesem Handel profitierten etwa die neu entstehenden
Handelsstädte an der Levante;
das levantinische Handelsnetz wurde später von den Phöniziern
übernommen und verband Mesopotamien und Ägypten mit dem gesamten
Mittelmeerraum (mehr hier).
Mit der Eroberung Ägyptens durch das Römische
Reich (im Jahr 30 v.u.Z.) hatte Rom direkten Zugang zu den
Handelsrouten nach Asien; und die Pax Romana begünstigte ebenfalls
einen Aufschwung des Fernhandels. Gegen Münzen wurden Luxuswaren wie
Edelsteine und Gewürze aus Indien und Seide auch China importiert;
Bernstein aus Nordeuropa wurde dagegen gegen Wein und Öl getauscht –
die Bernstein- und die Seidenstraße
verdanken diesem Handel ihren Namen. Exotische Gewürze und Seide
hielten Einzug in die Häuser der Reichen. Im 1. Jahrhundert n. Chr.
entdeckten die römischen Seefahrer auch das Geheimnis der
Passatwinde, die einen direkten Seeweg nach Indien ermöglichten,
wodurch das Monopol arabischer Zwischenhändler gebrochen wurde
(zumal Augustus auch die südarabische Handelsstadt Aden angreifen
ließ): Schwarzer Pfeffer wurde so billig, dass nicht mehr nur reiche
Häuser sich ihn leisten konnten. Aus Indien kamen auch viele Waren,
die aus noch exotischeren Regionen stammten – sie gelangten
vermutlich mit malaiischen oder indonesischen Schiffen von den
Gewürzinseln (Molukken) nach Indien.
An der anderen Seite der Seidenstraße – von den Römern Serica,
Land der Seide, genannt – lag das China der Han-Dynastie.
Zuerst waren es wohl Nomaden, die Xiongnu, die von China gezahlte
Tributseide nach Westen weiterverkauften und so die Handelsroute
begründeten, aber ab 133 v.u.Z. erschloss China unter Kaiser Wu die
Handelswege nach Westen für seine eigenen Kaufleute. Die wenigsten
Handelskarawanen reisten jedoch bis Antiochia, wo die Schiffe nach
Rom ablegten, sondern verkauften unterwegs an Zwischenhändler: Parther
und Sogder (letzteres ein in Mittelasien lebendes iranisches Volk,
dessen sogdische Sprache die lingua franca der
Seidenstraße wurde). Ihre erste Blütezeit sollte die Seidenstraße
vom 5. bis 9. Jahrhundert erleben, als China seine Krise nach dem
Ende der Han-Dynastie überwand und der Handel unter der Sui-
und der Tang-Dynastie wieder aufblühte. Neben der
Seidenstraße waren die Häfen Guangzhou und Jiaozhou Chinas Tore zur
Welt: In Guangzhou des 8. Jahrhunderts waren die Hälfte der 200.000
Einwohner Ausländer; Schiffe kamen aus Arabien, Persien, Indien,
Ceylon, Malaysia und Java hierher und brachten Gewürze,
Tropenhölzer, Elfenbein und Perlen mit. In Yangzhou, an der Kreuzung
von Yangzi und Kaiserkanal, den beiden wichtigsten Wasserstraßen des
Reiches, wurden die Waren ins Innere des Reiches weiterverteilt.
Der Handel auf der
"Seidenstraße der Meere" gewann an Bedeutung, da mit der
Ausbreitung des islamischen
Reichs im westasiatischen Teil der Seidenstraße der Handel
schwieriger wurde. Andererseits war der Islam dem Handel gegenüber
positiv eingestellt, Mohammed war selbst ein Händler, Mekka und
Medina Kaufmannstädte an wichtigen Karawanenrouten. Die gemeinsame
Sprache und Religion festigte ein Netzwerk islamischer Kaufleute,
die, nach der ersten Phase militärischer Eroberungen, eine wichtige
Rolle bei der weiteren Ausbreitung des Islam spielten. Ihre Rolle
zeigt sich zum Beispiel darin, dass Indonesien heute der
bevölkerungsreichste muslimische Staat ist, aber niemals militärisch
vom Islam erobert wurde. Bis ins 12. Jahrhundert beherrschten
arabische und persische Kauf- und Seeleute auch die Schiffsroute
nach China.
Dort war es unter der Song-Dynastie
zu einem weiteren Ausbau des Handels gekommen; und die Chinesen
eroberten auch den Seehandel. Die chinesischen Dschunken wurden in
der Song-Zeit zu den größten und besten Schiffen der Welt – und
sollten bis ins 14. Jahrhundert den indischen Ozean und den
Westpazifik beherrschen, also auch während der Mongolenzeit.
Da nun auch die Seidenstraße einem Herrscher unterstand, war auch
der Handel auf dem Landweg selbst für Fremde wieder sicher: so
konnten italienische Händler wie die Polos diesen
Weg nehmen. Unter der Ming-Dynastie
wurde die Freiheit der Händler aber durch einen stärker werdenden
Staat, der die bestehende soziale Hierarchie festigen wollte,
eingeschränkt; der Außenhandel wurde verboten. Die kaiserliche
Marine, die mit sieben spektakulären Fahrten des Admirals Zheng He
zwischen 1405 und 1433, auf denen auch die Küste Ostafrikas erreicht
wurde, noch einmal die chinesische Überlegenheit zur See gezeigt
hatte, wurde abgewrackt. Die Ming konnten ihre Vorstellungen aber
nicht durchsetzen: viele Händler und Seeleute machten als Schmuggler
und "Piraten" weiter. Unter den späten
Ming förderte ein zunehmend spezialisiertes Handwerk in
Südchina – Baumwollproduktion in Songjiang und Jiading,
Seidenproduktion in Suzhou und Hangzhou, Porzellanherstellung in
Jingdezhen, usw. – den Handel. "Piraten" brachten die Waren bis nach
Manila und Nagasaki.
Die nicht zum islamischen Reich gehörenden Teile Westeuropas
hatten nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reichs in diesem
Handelsnetzwerk lange nur eine unbedeutende Rolle gespielt. Erst
die Kreuzzüge führten zu
einem zunehmenden Handel mit dem Osten; hiervon profitierten ab dem
12. Jahrhundert vor allem Kaufleute und Seefahrer aus Genua und
Venedig, später auch aus Florenz, die günstig zwischen dem
"Morgenland" und dem Norden Europas lagen. Um ihr Risiko zu
minimieren, schlossen sich die am Fernhandel beteiligten Kaufleute
oftmals zusammen und schickten ihre Schiffe in Flotten los; in den
Zielorten lebten sie in Kontoren getrennt von der einheimischen
Bevölkerung. An diesem Zusammenschluss beteiligten sich auch Städte:
so entstand in Nordeuropa die Hanse.
In Norditalien wurden neue Finanzinstrumente wie Wechselbrief,
Banken und Staatsanleihen erfunden, die auch in den süddeutschen
Handelsstädten wie Nürnberg und Augsburg übernommen wurden (siehe Eine kleine Geschichte des Geldes);
es entstanden auch erstmals Unternehmen als juristische
Person, die unabhängig von ihrem Eigentümer(n) existierten.
Es waren auch italienische Kaufleute, die zuerst arabische
Zwischenhändler beim lukrativen Gewürzhandel umgehen wollten, die
ihr Wissen über die Erde zu erweitern suchten. Die alten Texte von
Ptolemäus und Strabon wurde mit modernen Erkenntnissen verbunden. Zu den Händlern, die versuchten, direkte Kontakte
nach Asien aufzubauen, gehörten Niccolò und Maffeo Polo. Auf ihrer
zweiten Reise nahmen sie Niccolòs Sohn Marco mit, dessen
Reisebericht weit verbreitet wurde. 1269 kauften genuesische
Kaufleute die Stadt Caffa am Schwarzen Meer, 1291 versuchten Schiffe
aus Genua erstmals, auf dem Seeweg nach Indien zu gelangen. Auch der
Papst nutzte das neue Wissen: ab 1245 schickte er Delegationen zum
mongolischen Großkhan, um mit diesem ein Bündnis gegen die Muslime
zu schmieden. Die Suche nach einem Weg, arabische Zwischenhändler
beim Gewürzhandel auszuschalten, sollte auch zur
Entdeckung der Welt durch europäische Seefahrer führen.
Die Rolle der Eroberer
Aber nicht nur Händler, auch Eroberer sollten die Menschheit
zusammenbringen: Unübersehbar ist die Tendenz in der Geschichte,
dass immer größere politische Einheiten entstanden sind. Über erste
Dörfer und Städte entstanden bald die ersten Stadtstaaten (siehe hier). Diese Stadtstaaten
dehnte ihren Einflussbereich immer weiter aus – hauptsächlich wohl,
um die Kontrolle über die wachsenden Bewässerungssysteme zu
behalten; aber auch, um sich den Zugang zu Bauholz, Steinen und
Erzen zu sichern, die es auf ihrem Territorium nicht gab. Als erstes
Großreich der Geschichte gilt das ab 2.300 v.u.Z. entstandene Reich
von Akkad unter Sargon I., das "die ganze Welt" umfasste – in
Wirklichkeit waren dies der Raum vom Persischen Golf bis zum
Mittelmeer. Das (alt)assyrische Reich, das Reich von Babylon und das
der Hethiter folgten. Großreiche, die den Anspruch hatten, große
Teile der bekannten Welt zu beherrschen – oft auch als "Imperium"
bezeichnet – sollten spätestens vor 2.550 Jahren mit dem Achämenidenreich
unter Kyros dem Großen zur vorherrschenden
Staatsform werden – die meisten Menschen lebten seither in einem
solchen Großreich. Für viele Historiker ist ohnehin erst das
Achämenidenreich ein klassisches Imperium, da Kyros die anderen
Völker nicht einfach unterwarf, sondern den Anspruch erhob, dass
dieses zu ihrem Nutzen erfolgte. So verstand er sich
beispielsweise als König der Juden und erlaubte diesen die Rückkehr
aus babylonischer Gefangenschaft. Den Anspruch, den unterworfenen
Völkern zu helfen, erhoben auch Alexander der Große und seine
Nachfolger.
Auch in Ostasien waren im Gefolge der
Landwirtschaft regionale Kulturen entstanden, "Welten in sich, die
eigenen Sitten und Gebräuchen folgen". Ihnen galten benachbarte
Völker oft wohl nicht einmal als Menschen – so erklären etwa
Sinologen die große Zahl an Menschenopfern, von deren regelrechter
ritueller Schlachtung sowohl archäologische Funde als auch
Orakelinschriften aus der frühchinesischen Shang-Dynastie
berichten, damit, dass die Opfer in den meisten Fällen wohl
Kriegsgefangene gewesen sind, deren Opferung leicht fiel, weil sie
eben nicht als Menschen galten. Das begann sich aber schon
unter den Zhou zu
ändern, unter deren Herrschaft Hierarchien über Clangrenzen hinweg
eine neue Form der Gleichheit schufen, die Fürstentümer des Reichs
"Brüderstaaten" bildete. Das hierdurch entstehende
Zusammengehörigkeitsgefühl war die Grundlage der
Entstehung Chinas; Moral und Anstand als verbindliche
Regeln für das Zusammenleben in einer solchen, nicht mehr durch
verwandtschaftliche Beziehungen geregelten Gesellschaft formulierte
zuerst Konfuzius:
"Was du dir selbst nicht wünscht, das füge auch keinem anderen zu"
(aus dem Lunyu, "Urteile und Aussprüche", der – erst
später aufgeschriebenen – Hauptquelle seiner Lehre). Seine Schüler
und Nachfolger übertrugen diese Lehre auch auf die gesellschaftliche
Organisation – die "Brüderstaaten" hatten nicht aufgehört,
gegeneinander Krieg zu führen, und die Antwort konnte nur ein
vereintes Reich unter einer zentralen Regierung sein. Dieser
Anspruch wurde erstmals unter den
Qin Wirklichkeit, die große Teile Ostasien eroberten und
eindeutig imperialen Anspruch hatten: "In allen Richtungen ist das
Land des Kaisers, ... . So weit menschliche Spuren führen, ist
keiner, der ihm nicht untertan ist" (Shiji, "Aufzeichnungen
des Schreibers" [Sima Qian, Hofastronom des Han-Kaisers Wu], dem
ersten großen chinesischen Geschichtswerk). Ihre Herrscher beriefen
sich auf das "Mandat des Himmels", das sie auch verpflichtete, für
das Wohl ihres Volkes zu sorgen. Für die chinesischen Kaiser war
dieses Mandat durchaus zweischneidig, denn auch jede
Naturkatastrophe konnte so gedeutet werden, dass der Himmel dem
Kaiser das Mandat entzogen hat – und so jeden Aufstand begründen.
Die Qin-Dynastie hielt sich denn auch nicht lange, aber schon bald
sollte unter der Han-Dynastie
das Reich erneut vereint werden; und der Wechsel zwischen Zerfall
und Neubildung des Reiches die weitere chinesische Geschichte
bestimmen. Kulturell prägend waren nicht die Zeiten des Zerfalls,
sondern die der Imperien – so sprechen die meisten Ostasiaten heute
die Sprache des Han-Reiches und nennen sich die Chinesen selbst
"Han-Menschen" ("ethnische Chinesen", die rund 90 Prozent der
Bevölkerung Chinas ausmachen; ethnisch sind jedoch auch diese keine
homogene Gruppen, sondern leiten sich aus einem bunten Sammelsurium
von Völkern ab, die im Laufe der Geschichte vom chinesischen Reich
erobert wurden).
Im Mittelmeerraum war unterdessen ein ebenso großes und mächtiges
Reich entstanden: das Römische
Reich. Die Römer hatte Karthago besiegt und damit Spanien und
Teile Nordafrikas erobert; sie hatte Makedonien zur römischen
Provinz gemacht, die griechischen Stadtstaaten unterworfen und
schließlich Ägypten erobert. Wie schon die Achämeniden, die
Makedonier und die chinesischen Kaiser glaubten auch die Römer, den
sie umgebenden Barbaren das Licht der Kultur zu bringen: den wilden
Germanen Frieden, und allen Theater und römische Philosophie. Die
Großreiche spielten daher eine zentrale Rolle dabei, die Vielzahl
der Völker und Kulturen auf unserer Erde zu weniger, aber größeren
Völkern und Kulturen zu verschmelzen: Zum einen hatten die Imperien
selber ein Interesse daran, etwa Sprachen und Gebräuche in ihrem
Reich zu vereinheitlichen, um das Regieren zu erleichtern, zum
anderen konnten Menschen und ihre Ideen sowie Waren und Technologien
innerhalb eines Imperiums in der Regel leichter und sicherer reisen.
Die entstehende Kultur war in der Regel eine Mischkultur, die auch
den eroberten Völkern viel verdankte: die Amurriter, die das Reich
von Akkad eroberten, übernahmen viel von der Kultur und Lebensweise
der älteren Bewohner und entwickelten diese weiter, genau wie die
nach ihnen kommenden Hethiter und Babylonier; und genauso
profitierte das Römische Reich von den Griechen, die
arabisch-muslimischen Eroberer von den Ägyptern, Persern und Syriern
oder die mongolischen Eroberer vom chinesischen Kaiserreich. Zwar
weigerten sich die Imperien in der Regel, den unterworfenen Völkern
volle Gleichberechtigung zu gewähren, mitunter aber fielen die
Schranken: so saßen gallische Adlige im 1. Jahrhundert n. Chr. im
römischen Senat, im 2. Jahrhundert regierten Kaiser von der
iberischen Halbinsel das Römische Reich. Auch im arabischen Reich,
das bei seiner Ausdehnung Ägypter, Syrer, Perser und Berber
integrierte – die weder Araber noch Muslime waren – übernahmen diese
die Religion und verlangten schließlich im Namen der "gemeinsamen
islamischen Werte" Gleichberechtigung. Schließlich verloren die
ethnischen Araber die Vorherrschaft über ihr eigenes Reich.
Überall übernahmen die unterworfenen Völker zumindest Teile der
Kulturen der Sieger; mitunter wurden sie begeisterte Anhänger. Die
gemeinsame Mischkultur wurden in der Regel auch dann beibehalten,
wenn das Imperium zusammenbrach – auch die Bewohner kleiner
gallischer Dörfer, die den Römern lange Widerstand leisteten,
sprechen heute Französisch, eine vom Latein der Besatzer abstammende
Sprache. Heute beruhen die meisten Kulturen der Erde auf dem Erbe
eines Weltreichs. Wirklich ursprüngliche Kulturen gibt es – wenn
überhaupt – allenfalls noch bei einigen Naturvölkern.
Die Rolle der Propheten
Den dritten großen Beitrag zur Einigung der Menschheit leisteten
Religionen. Mit ihnen wurden gemeinsame Werte geschaffen, die die
entstehenden Reiche zusammenhielten; mitunter waren sie sogar der
Auslöser der imperialen Eroberungen (wie beim arabischen Reich).
Begonnen hat diese Entwicklung mit den missionierenden
Universalreligionen: Religionen, die glauben, für alle
Menschen verbindlich zu sein und die darauf bestehen, dass alle
Menschen daran glauben. Mit der landwirtschaftlichen Revolution
waren wohl auch die animistischen
Religionen der Jäger und Sammler abgelöst worden: Als der
Mensch Tiere und Pflanzen domestizieren konnte, konnte er diese
nicht mehr als ebenbürtig ansehen. An die Stelle der Tiergeister
waren die Götter getreten – wenn der Regen ausblieb, konnte man
jetzt den Regengott beschwören; Kriegsgötter halfen, Schlachten zu
gewinnen. Grundsätzlich sind Polytheisten – Menschen, die an viele
Götter glauben – tolerant: wenn es mehrere Götter gibt, gibt es
keinen Grund, warum alle an den selben Gott glauben sollten. Das
änderte sich erst, als eine monotheistische Religion
– deren Anhänger an nur einen Gott glauben – populär wurde: Die Christen gingen davon aus,
dass ihr Prophet für die Erlösung der Menschheit gestorben war – und
nicht nur der Juden. Die Christen begannen also, ihren Glauben zu
verbreiten – und sollten mit der Bekehrung von Kaiser Konstantin
schließlich die Herrschaft über das Römische Reich erlangen. Im 7.
Jahrhundert entstand auf der arabischen Halbinsel mit dem
Islam die nächste erfolgreiche monotheistische Religion. Der
Islam wurde mit dem Schwert verbreitet, und eroberte in kürzester
Zeit ein Weltreich, das vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean
reichte. Um das Jahr 1000 waren in Europa, Westasien und Nordafrika
die meisten Menschen Monotheisten. Monotheisten sind oftmals
fanatischer als Polytheisten: da sie den wahren Gott zu kennen
glauben, haben andere Religionen keine Existenzberechtigung. (Aus
diesem Grund kommt es mitunter auch zu heftigen Streitigkeiten bei
unterschiedlichen Auffassungen innerhalb einer Religion: In der
"Bartholomäusnacht", dem 23. August 1572, töteten katholische
Christen in einer Nacht mehr protestantische Christen als das
[polytheistische] Römische Reich – das in den Christen eine
politische, keine religiöse Bedrohung sah – bei allen
Christenverfolgungen zusammen.)
Heute sind die meisten Menschen auf der Erde Monotheisten;
Christentum und Islam sind zu Weltreligionen
geworden. Auch die in Indien weit verbreiteten Hindu-Religionen
sind entgegen dem Anschein nicht polytheistisch – die Götter sind
lediglich Ausdruck des einen Gottes oder – je nach Ausrichtung – der
unveränderlichen Realität ("Brahman"). In Ostasien herrschen
Religionen vor, bei denen nicht ein Gott, sondern – wie beim Brahman
– den Naturgesetzen ähnliche allgemeingültige Wahrheiten an
oberster Stelle stehen. Die bekannteste dieser Religionen ist der
in Indien entstandene Buddhismus. Die meisten
Buddhisten leben heute in China; die höchsten Anteil an der
Bevölkerung haben Buddhisten in Thailand, Kambodscha, Myanmar und
Laos.
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