Buchbesprechung

Peter Barnes: Kapitalismus 3.0

Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter

Der Kapitalismus ist, wie Peter Barnes in diesem Buch zeigt, als eine Art “Betriebssystem” der Industriellen Revolution entstanden: Die neuen Maschinen und Fabriken waren teuer, so dass zu Beginn der Industrialisierung vor allem reiche Grund- und Bodenbesitzer in diese investieren konnten. Deren Reichtum stammt aber aus der Aneignung von Gemeinbesitz: lange hatten nämlich Grund und Boden allen gehört, und wurden zum Beispiel von der Dorfgemeinschaft gemeinsam genutzt. Die Privatisierung und Einhegung von Grundbesitz galt deshalb dem Historiker Karl Polanyi als Grundlage der Moderne. Bald reichte aber selbst die Kapitalkraft der Grundeigentümer, um die immer leistungsfähigeren und größeren Maschinen zu erstehen, und so schlug die Stunde der Kapitalgesellschaften. In diesen schlossen sich mehrere Eigentümer zusammen, um ihr Kapital zu bündeln; entsprechend dirigierten Kapitalgesellschaften große Geldmengen. Diese Gesellschaften hatten letzlich nur eine Aufgabe: Sie sollten des Kapital ihrer Eigentümer vermehren.

Diese Entwicklungen waren damals sinnvoll: Güter waren knapp, Kapital ebenfalls; und Kapital war eine Voraussetzung, um mit Hilfe der neuen Maschinen der Güterknappheit abzuhelfen. Barnes nennt diese Phase Kapitalismus 1.0. Dieser brachte aber auch Elend, Verzweiflung und Krankheit hervor – die der englische Ökonom John Ruskin Illth nannte, abgeleitet von Wealth, Wohlstand. Die nächste Stufe, der Kapitalismus 2.0, war dann der Überflusskapitalismus, der entstand, als Güter nicht mehr knapp waren. 1958 schrieb der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith das Buch “The Affluent Society”, und darin schrieb er “... dass heute der einzelne oft gar nicht mehr weiß, was er sich eigentlich noch wünschen soll. Das, was er ‘will’, muss erst durch Werbung und tüchtige Verkäufer künstlich geweckt, muss ihm nahegebracht, muss geradezu hochgepäppelt werden.” (Die Dinge, die wir dann haben wollen, ohne sie wirklich zu benötigen, nannte Dr. Suess in seinem Kinderbuch “Der Lorax” Thneeds; dieses schöne Wort hat sich leider nicht durchgesetzt.)

Was die Versorgung mit Güter angeht, war der Kapitalismus also sehr erfolgreich. Unübersehbar ist aber inzwischen erstens auch geworden, dass die Natur und natürliche Ressourcen nicht mehr – wie zur Entstehung des Kapitalismus – im Überfluss vorhanden sind, sondern zwischenzeitlich selber zu einem knappen Gut geworden sind: Die riesigen Mengen an Kohlendioxid etwa, die von Fabriken, Kraftwerken, Heizungen und Autos in der Atmosphäre deponiert wurden, verändern unser Klima, um nur ein Beispiel zu nennen. Zweitens führt der Kapitalismus, auch wenn die schlimmsten Auswüchse des Frühkapitalismus inzwischen abgefedert sind, alleine durch die Zuteilung der Gewinne an die schon reichen Kapitaleigentümer zu einer zunehmenden sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft; und drittens mussten wir inzwischen entdecken, dass der wachsende materielle Wohlstand die Menschen nicht glücklicher macht (>> mehr).

Die Lösung sieht Barnes in einer Anpassung des “Betriebssystems” an die heutige Situation – Kapitalismus 3.0. Barnes glaubt nicht, dass der Staat die Umwelt retten kann – dafür denken Politiker zu kurzfristig und ist der Einfluss der Kapitalgesellschaften und der von ihnen bezahlten Lobbyisten zu groß. Er glaubt auch nicht, dass die Privatwirtschaft dies tun kann: Der Kapitalismus ist gut darin, knappe Güter zu verteilen, aber nicht, diese zu schützen. Wenn ein Unternehmen die Natur auf Kosten der Rendite schützt, wird sie auf dem Kapitalmarkt bestraft; und hier liegen die Grenzen allen “verantwortlichen Unternehmertums”. Barnes Vorschlag ist daher die Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter: Wenn Eigentumsrechte für die Güter, die Gott nach John Locke “allen Menschen gegeben” hat (>> hier) – also etwa saubere Luft und sauberes Wasser – einer ihrem Schutz verpflichteten Organisation übertragen würden, könnte diese für die Nutzung Regeln aufstellen und Geld verlangen. Damit würde die Nutzung einen Preis bekommen und in die Berechnungen der Ökonomen und der Wirtschaft eingehen. Das eingenommene Geld könnte a) dazu verwendet werden, weitere ehemalige Gemeinschaftsgüter zurückzukaufen, und/oder b) allen Bürgern als den eigentlichen Besitzern dieser Gemeinschaftsgüter eine Dividende zu zahlen. Damit würde zum einen der Preisanstieg, der sich aus dem Preis für die Nutzung bisher kostenloser Gemeinschaftsgüter ergäbe, kompensiert; zu anderen auch die wachsende soziale Ungleichheit abgemildert, käme doch zu den Einkünften aus Arbeit und Kapital eine dritte Säule hinzu, an der jeder Bürger kraft “Geburtsrecht” einen gleichen Anteil hätte. Für die Verwaltung dieser Gemeinschaftsgüter stellt sich Barnes die Schaffung von Treuhandgesellschaften vor, die den Interessen der Natur und der nachfolgenden Generationen verpflichtet wären. Ähnlich wie die Bundesbanker oder Richter könnten die Treuhänder, einmal gewählt, relativ unbeeinflusst von politischen Tagesinteressen und wirtschaftlichem Druck ihrer Aufgabe nachgehen.

Barnes denkt aber nicht nur an die natürlichen Gemeinschaftsgüter, sondern auch an gesellschaftliche und kulturelle. So profitieren etwa Unternehmer davon, dass es ein funktionierendes Rechtssystem gibt, denn dieses verstärkt Vertrauen in freie Märkte. Warum also, überlegt Barnes, sollen reiche Menschen nicht am Ende ihres Lebens einen Teil ihres Vermögens nicht ihren eigenen Kindern hinterlassen, sondern einer Treuhand, die der Chancengleichheit von Kindern verpflichtet wäre? Oder warum sollen Frequenzbereiche für private Fernsehsender kostenlos sein? Man könnte sie versteigern, und mit dem Erlös eine Treuhand für nicht-kommerzielle Kultur finanzieren.

Alles interessante Ideen. Die entscheidende Frage ist freilich noch nicht beantwortet: Warum sollten diejenigen, die sich heute beispielsweise gegen strengere Regelungen für den Umweltschutz wehren, diese Aufgabe von ihnen kaum zu kontrollierenden, der Natur und nachfolgenden Generationen verpflichteten, Treuhandgesellschaften übergeben? Diese Frage beantwortet auch Barnes nicht. Er redet etwas nebulös davon, dass ein- oder zweimal im Jahrhundert für kurze Zeit nichtunternehmerische Kräfte die Macht übernehmen, und diese Chance müsse genutzt werden. Damit bleibt auf jeden Fall noch etwas Zeit, Elemente dieses Konzeptes auszuprobieren: Vom Gemeinschaftsgarten in der Stadt bis zum globalen Emissionshandel für Kohlendioxid. Barnes nennt auch einige schon bestehende Beispiele. Eine anregende Lektüre ist das Buch allemal.

Peter Barnes: Kapitalismus 3.0. Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. VSA-Verlag, Hamburg 2008; 216 S., 18,80 €. Im Internet >> hier (pdf, 950 kB) frei verfügbar.

Webtipp

Bei der Heinrich-Böll-Stiftung gibt es weitere Informationen und Materialien zum Thema Gemeinschaftsgüter >> hier. Dort können zum Thema auch die Broschüre “Der Gemeingüter-Report. Wohlstand durch Teilen” (Silke Helfrich, Rainer Kuhlen, Wolfgang Sachs und Christian Siefkes, Heinrich-Böll-Stiftung 2010) und das Buch “Wem gehört die Welt?” (Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stifung (Hrsg.), oekom Verlag 2009, bestellt oder heruntergeladen werden.

Siehe zum Thema auch auf diesen Seiten: >> Wirtschaften auf einem endlichen Planeten

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© Jürgen Paeger 2006 – 2010

Buchcover Peter Barnes: Kapitalismus 3.0
Peter Barnes: Kapitalismus 3.0. Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. VSA-Verlag, Hamburg 2008; 216 S., 18,80 €. Im Internet >> hier (pdf, 950 kB) frei verfügbar.

Das Buch in Kürze: Interessante Ideen, wie wir unsere Gemeinschaftsgüter – etwa funktionsfähige Ökosysteme – am besten schützen könnten.