Das Zeitalter der Industrie
Eine kleine Geschichte der Atombombe
Der Atomwaffentest Crossroads
im Juli 1946 wurde von der Sowjetunion als Symbol amerikanischer
Überlegenheit verstanden und löste ein atomares Wettrüsten aus, das
die Erde mehrfach an den Rand eines Atomkriegs brachte. Foto:
US-Army oder US-Navy, gemeinfrei.
Die Vorgeschichte
Als James Chadwick im Jahr 1932 das Neutron
entdeckte (>>
hier), ahnten bereits manche Physiker, dass dies der Schlüssel
für die Freisetzung der gewaltigen, im Atomkern gebundenen Kräfte
sein könnte. 1933 erkannte der ungarische Physiker Leo
Szilard, dass eine Kettenreaktion möglich wäre, wenn es
ein Element gäbe, das zwei Neutronen freisetzt, wenn es eines
aufnimmt. Szilard, der in Berlin studiert hatte, bei Hitlers
Machtantritt aber nach Wien gewechselt war, dachte auch über die
politischen Folgen einer möglichen Freisetzung der Kräfte im
Atomkern nach – was, wenn Leute wie Hitler davon erführen? Er schlug
vor, Forschungsergebnisse vorläufig nicht mehr veröffentlichen. Ohne
Erfolg – den meisten Kollegen schien die praktische Nutzung der
“Atomkraft” ohnehin unmöglich. Als 1934 Enrico Fermi das erste Mal
Atomkerne spaltete, erkannte er dies nicht; er glaubte vielmehr,
durch Neutronenbeschuss von Uran künstliche “Transurane” hergestellt
zu haben. Merkwürdige Ergebnisse, die mit dieser Theorie nicht
übereinstimmten, erhielt vor allem die Pariser Radiumforscherin
Irène Joliot-Curie, die beim Beschuss von Uran mit Neutronen ein dem
“Lanthan sehr ähnliches” Element feststellte. Dieses war, wie Otto
Hahn und Fritz Straßmann 1938 in Berlin
bei der Überprüfung des Versuchs feststellten, Barium. Es dauerte
eine Zeit, bis sie begriffen, was dies bedeutete: das Uranatom muss
beim Beschuss mit Neutronen “zerplatzt” sein (wie Hahn es nannte).
Hahn teilte dieses Ergebnis als erster seiner ehemaligen
Mitarbeiterin Lise Meitner mit, die als
österreichische Jüdin einige Monate zuvor nach Schweden emigriert
war. Meitner und ihr Neffe, der Physiker Otto Frisch,
der gerade zu Besuch war, erkannten die eigentliche Bedeutung des
Bariums: es musste das Ergebnis einer Kernspaltung sein.
Die bei der Spaltung von Atomkernen freigesetzte große Energiemenge
(>> mehr)
konnte praktisch nur dann genutzt werden, wenn bei der Spaltung
eines Urankerns mehrere Neutronen frei würden, die mittels einer Art
Lawineneffekt weitere Atomkerne spalten würden – Szilards
“Kettenreaktion”. Auch wenn die meisten Physiker an eine solche
nicht glaubten, fürchteten andere angesichts der theoretischen
Möglichkeit und der weltpolitischen Situation Anfang 1939 schon eine
deutsche Atombombe: Wie konnte es sonst möglich sein, dass Hitler
die Großmächte herausforderte? Mit einer “Uranbombe” wäre er
tatsächlich fast unbesiegbar... Versuche des inzwischen in den USA
lebenden Leo Szilard sowie von Irène und Frédéric Joliot-Curie in
Paris deuteten zudem bald an, dass eine Kettenreaktion tatsächlich
möglich war. Wieder versuchte Szilard, seine Kollegen von einem
Veröffentlichungsstopp zu überzeugen, wieder scheiterte er. Szilard
und einige Freunde, darunter der seit 1935 in den USA lebende Ungar
Ed Teller, beschlossen daher, wenigstens die amerikanische Regierung
auf die Möglichkeit einer solchen Bombe hinzuweisen, damit Hitler
sie nicht mit einer Atombombe überraschen konnte. Die Amerikaner
zeigten aber kein Interesse an diesen Informationen. Erst als
Szilard auf die Idee kam, Albert Einstein zu bitten, einen Brief an
Präsident Roosevelt zu schreiben, änderte sich dies – im Oktober
nahm Präsident Roosevelt den Brief entgegen. Ein daraufhin
gestartetes Projekt dümpelte aber lange ohne großes Engagement vor
sich hin.
In Deutschland dagegen zeigte das Reichskriegsministerium Interesse
und rief ein “Uranprojekt” ins Leben, dessen Leiter im Herbst 1939
Werner Heisenberg wurde. Heisenberg war einer der
führenden Physiker seiner Zeit, und im Winter 1939/40 verstand er
theoretisch, dass und wie eine Uran-Bombe funktionieren könnte.
Seine Rolle während des Krieges ist unter den Historikern
umstritten. Zahlreiche ausländische Kollegen verstanden nicht, wie
Heisenberg die Leitung des “Uranprojektes” übernehmen konnte.
Heisenberg selbst stellte es Robert Jungk gegenüber, der das Leben
der Atomforscher für sein Buch “Heller als tausend Sonnen” (1964)
recherchierte, so dar, dass er Widerstand leistete, indem er
scheinbar beim Bau der deutschen Atombombe mitmachte, diese aber als
unrealistisch darstellte und so intensivere Anstrengungen
verhinderte. Sein enger Mitarbeiter Carl Friedrich von
Weizsäcker sieht dies ähnlich, ist aber selbst
umstritten: Er hat 1940 ein Papier geschrieben, dem zu entnehmen
war, dass in einem Uranmeiler eine Substanz entstehe könne, die “als
Sprengstoff” zu verwenden war (diese Substanz war das noch
unbekannte, 1941 entdeckte Plutonium). 1941 reisten Heisenberg und
von Weizsäcker nach Kopenhagen, um mit Niels Bohr über die deutsche
Atombombe zu reden – nach ihrer Darstellung: um ihm zu versichern,
dass sie nicht gebaut wird. Aber Heisenberg, der sich überwacht
glaubte, deutete nur an, was er eigentlich sagen wollte, und Bohr
verstand das Gespräch ganz anders – er war danach überzeugt, dass
die Deutschen an der Atombombe arbeiteten. Unterdessen hatte auch
der für die Reichspost (sic!) arbeitende Physiker Fritz
Houtermans herausgefunden, dass man eine Atombombe bauen
könnte, wenn man in einem Uranmeiler genug “Element 94” (Plutonium)
erzeugen könnte, verschwieg diese Entdeckung jedoch. Er traf im
Winter 1941 jedoch Heisenberg und von Weizsäcker und offenbarte
ihnen seine Ergebnisse – alle drei beschlossen, diese gegenüber
Regierungsstellen zu verbergen.
Auch in England hatte der Physiker George P. Thomson
das Luftfahrtministerium auf die möglichen Konsequenzen einer
Kettenreaktion hingewiesen, und bekam den Auftrag, dieses weiter zu
erforschen. Bereits 1940 hatten der mittlerweile nach England
emigrierte Otto Frisch und der aus Berlin stammende Rudolf Peierl,
der als Jude bereits 1933 nach England emigriert waren, gezeigt,
dass eine mit dem spaltbarem Uran-Isotop
Uran-235 gebaute Bombe eine Sprengkraft von mehreren Tausend Tonnen
TNT hätte. Im Juli 1941 stellte Thomson fest, dass es “ziemlich
wahrscheinlich” sei, dass die Bombe noch während des Krieges
hergestellt werden könnte. Dieses Ergebnis beflügelte auch die
Amerikaner, die im Dezember 1941 beschlossen, den Bau dieser Waffe
ernsthaft zu versuchen. 1942 beschlossen Engländer und Amerikaner,
ihre Forschungen zusammenzulegen und gemeinsam in den USA
durchzuführen. Das Projekt erhielt den Decknamen “Manhattan
Engineer District” – bekannt wurde es unter seiner späteren
Abkürzung “Manhattan Project”. Als Niels Bohr 1943 aus
Kopenhagen fliehen musste, bestärkte er aufgrund seines Gespräches
mit Heisenberg und von Weizsäcker die anglo-amerikanischen
Bemühungen, Hitler beim Bau der Atombombe zuvorzukommen.
Das Manhattan Project
Das Manhattan Project wurde zu einem gigantischen Projekt
zur Entwicklung und Bau der Atombombe. Es kostete über zwei
Milliarden Dollar, drei “geheime” Städte – Oak Ridge, Hanford und
Los Alamos – wurden erbaut und beschäftigte in Spitzenzeiten bis zu
150.000 Menschen. Die militärische Leitung des Projektes
erhielt General Leslie R. Groves, der unter anderem beim Bau des
Pentagon Erfahrung mit großen Bauprojekten gesammelt hatte. Leiter
der Forschung wurde der amerikanische Physiker Robert
Oppenheimer, der in Göttingen studiert und promoviert
hatte. Die große Herausforderung beim Bau einer Atombombe bestand
darin, genug spaltbares Material zu gewinnen und zusammenzubringen,
um eine Kettenreaktion auszulösen (die “kritische Masse”). Als
spaltbares Material kam nur Uran-235, die in
geringen Konzentrationen in Natururan vorkommt, oder das künstlich
in Reaktoren gewonnene Plutonium in Frage. Man
konnte es also durch “Anreicherung” aus Natururan gewinnen, oder in
Reaktoren Plutonium erzeugen, das dann durch eine Wiederaufbereitung
aus den Brennstäben herausgetrennt werden musste. Zum Starten der
Kettenreaktion gab es zwei Ideen: zum einen könnte man zwei
kleinere, “unterkritische” Massen an Uran-235 zusammenbringen, zum
anderen eine ausreichende Menge an spaltbarem Plutonium durch eine
konventionelle Explosion zusammendrücken. Ed Teller
entwickelte noch einen weiteren Vorschlag: Wenn man eine solche
Spaltbombe mit den schweren Wasserstoffisotopen Deuterium und
Tritium umgab, sollte die Energie ausreichen, um eine Kernfusion
auszulösen, die die Wirkung der Bombe noch verstärken würde.
Verfolgt wurden zunächst die beiden ersten Ideen. Das
Forschungszentrum mit seinen Laboranlagen und Werkstätten wurde bei
Los Alamos in der Wüste von New Mexico erbaut. In Oak Ridge in
Tennessee wurden Anlagen zur Anreicherung von Uran-235 gebaut und in
Hanford im Bundesstaat Washington drei Uranreaktoren zur Herstellung
von Plutonium und eine Wiederaufbereitungsanlage. Den ersten
Uranreaktor mit einer selbsterhaltenden, gesteuerten
Neutronen-Kettenreaktion hatte der italienische Physiker Enrico
Fermi, der mit einer Jüdin verheiratet und 1938 in die
USA emigriert war, im Dezember 1942 in Chicago fertig gestellt. Mit
so einem Reaktor konnten größere Mengen Plutonium hergestellt
werden; und zeitweise fürchteten amerikanische Atomforscher,
Deutschland könnte ebenfalls über die Technik verfügen. Dann könnte
es, so die Befürchtung, Plutonium aus der Luft über amerikanische
Städte abwerfen – Plutonium ist nicht nur radioaktiv, sondern auch
in kleinsten Mengen hochgiftig.
Als im Herbst 1943 die ersten amerikanischen Truppen in Europa
landeten, befand sich daher in ihrem Gefolge eine
Nachrichteneinheit, die den Stand der deutschen Atomrüstung
herausfinden sollte. Als im November 1944 Straßburg kapitulierte,
fand sie in von Weizsäckers Büro Unterlagen über die deutsche
Atomforschung, aus denen hervorging, dass Deutschland weder über
spaltbares Uran-235 oder Plutonium verfügte und daher auch keine
Atombombe bauen konnte. Die deutschen Forscher hatten stattdessen in
kleinem Maßstab an einem “Uran-Brenner” zur Energieerzeugung
gearbeitet. Diese Anlage stand im Haigerloch am Nordwestrand der
Schwäbischen Alb und wurde im April 1945 von einem amerikanischen
Stoßtrupp gezielt “erobert”. Hätten von Weizsäckers Papiere noch
eine Kriegslist sein können, wurden nun die letzten Zweifel über die
deutsche Atomforschung zerstreut – es gab keine deutsche Atombombe;
es gab auch nicht die Voraussetzungen für ihren Bau.
Damit war einerseits die Begründung für das Manhattan-Project
entfallen. Andererseits: konnte man mehr als zwei Milliarden Dollar
ausgeben, ohne dann auch ein Ergebnis zu präsentieren? Niels Bohr
versuchte Präsident Roosevelt zu überreden, eine Demonstration vor
Vertretern der Alliierten und neutraler Länder sowie Vertretern der
großen Religionen vorzubereiten; Leo Szilard bewegte Albert Einstein
zu einem weiteren Brief – diesmal eine Warnung vor dem Einsatz der
Bombe. Die Militärs, allen voran General Groves,
für den der “Hauptgegner” von Anfang an die Sowjetunion gewesen ist,
wollten dagegen einen Kriegseinsatz, und schonten bereits vier
japanische Städte, um die Wirkung der Atombombe nach ihrem Abwurf an
einer unversehrten Stadt überprüfen zu können. Einsteins Brief lag
unerledigt auf Roosevelts Schreibtisch, als dieser am 12. April 1945
starb. Jetzt musste sein bisher nicht in das Projekt eingeweihter
Nachfolger Harry S. Truman ohne lange Vorbereitung über die Frage
des Einsatzes der drei demnächst fertigen Atombomben entscheiden.
Eine Sachverständigen-Kommission, an deren Sitzungen auch Groves
teilnahm, empfahl den Einsatz gegen Japan. In Chicago, wo einst der
erste Atomreaktor gebaut worden war, versuchten sieben Forscher
unter Führung von James Franck in einem als “Franck-Report” bekannt
gewordenen Bericht noch einmal, der Regierung die Folgen eines
solchen Einsatzes klar zu machen und griffen Bohrs Idee einer
Demonstration in einer Wüste auf. Ohne Erfolg.
Der Einsatz der Atombombe
Am 16. Juli 1945 fand die erste Explosion einer
Atombombe statt: der “Trinity”-Test in
Alamogordo, 430 Kilometer südlich von Los Alamos. Was dort geschah,
übertraf alle Erwartungen der am Bau beteiligten Physiker. Obwohl
die Bombe eher primitiv war, hatte sie mit ihrem nur
apfelsinengroßen, sechs Kilogramm schweren Plutoniumkern eine
Sprengkraft von 21.000 Tonnen TNT. Die meisten Wissenschaftler waren
erschüttert – auch die, die wie Enrico Fermi die frühere Besorgnis
von Szilard und Einstein nicht geteilt hatten. Leo Szilard versuchte
noch einmal, mit einer Petition den Einsatz im Krieg zu verhindern
und die Atombombe unter internationale Kontrolle zu stellen. Wieder
ohne Erfolg: Am 6. August 1945 wurde eine Atombombe über
dem Zentrum von Hiroshima abgeworfen. Etwa 150.000
Menschen waren sofort tot, die gesamte Stadt zerstört. Im Zentrum
Hiroshimas waren Menschen regelrecht verdampft: von ihnen blieb nur
ein Schatten an Häuserwänden. Andere waren derart schnell verbrannt,
dass sie als verkohlte Reste, ihre Kinder noch im Arm, in den
Straßen standen. Am 9. August folgte die zweite Atombombe
gegen Nagasaki. Wegen schlechter Sichtverhältnisse
verfehlte diese Bombe ihr Ziel, die Mitsubishi-Werke, es starben
“nur” 22.000 Menschen sofort. Da sie sich nicht dem Verdacht
aussetzen wollten, so etwas Ähnliches wie chemische Waffen
eingesetzt zu haben, behaupteten die Amerikaner zudem, dass es keine
gefährliche Radioaktivität mehr gäbe. Japanische Berichte über
Strahlenschäden taten sie als “Propaganda” ab. Dieses Vorgehen
brachte die Forscher, die ohnehin gegen den Einsatz der Bombe waren,
zusätzlich gegen die Militärs auf – erlebten sie doch gerade, wie
ihr Kollege Henry Dagnian, der am 21. August bei einem Versuch eine
Überdosis Radioaktivität abbekommen hatte, qualvoll starb. In
Hiroshima und Nagasaki starben weitere 300.000 Menschen an den
Spätfolgen der Bombe, oft nach jahrelangem Siechtum. Die
US-Regierung legitimierte den Abwurf mit der Begründung, er hätte
noch mehr Menschen das Leben gerettet, die ansonsten bei einer
Invasion Japans gestorben wären.
Die Welt am atomaren Scheideweg
Die deutschen Atomforscher, darunter Otto Hahn, Werner Heisenberg
und Carl Friedrich von Weizsäcker, erfuhren von den Bombeneinsätzen
in englischer Gefangenschaft. Insbesondere Otto Hahn war tief
erschüttert darüber, was die von ihm entdeckte Atomspaltung bewirkt
hatte; seine Kollegen fürchteten tagelang, er könne sich das Leben
nehmen. Auch für viele der in Amerika arbeitenden Forscher wie
Szilard und Einstein waren der 6. und 9. August schwarze Tage.
Ihnen und vielen ihrer Kollegen schien es dringlicher denn je, ein
mögliches Wettrüsten mit diesen Waffen zu verhindern. Sie gründeten
die “Federation of Atomic Scientists” (bald umbenannt in Federation
of American Scientists); ihr gelang es im Juli 1946 zu
verhindern, dass die Atomentwicklung in den USA in den Händen des
Militärs verblieb – sie sollte ab dem 1.1.1947 von einer zivilen
Atomenergie-Kommission (Atomic Energy Commission,
AEC) kontrolliert werden. Das ebenfalls 1945 gegründete Bulletin
of the Atomic Scientists wollte Wissenschaftlerkollegen und
Öffentlichkeit über die Gefahren von Atomwaffen informieren. Am
wichtigsten erschien eine internationale Kontrolle der Atomwaffen,
und die USA, die Sowjetunion und Großbritannien schlugen die
Gründung einer UN-Atomenergiekommission vor, die Vorschläge zur
friedlichen Nutzung der Atomkraft und zur Kontrolle und schließlich
dem Verbot von Atomwaffen machen sollte. Den amerikanischen
Standpunkt bereitete Robert Oppenheimer maßgeblich mit vor; er
schlug eine Weltatomenergiebehörde vor, die von
Uranlagerstätten über Bau und Betrieb von Atomreaktoren bis hin zur
Atomwaffenforschung jedes Glied der Atomkette überwachen sollte.
Dieser Plan, der weitgehende Eingriffe in die nationale Souveränität
bedeutet hätte, war aber für konservative Amerikaner nicht
akzeptabel; und eine veränderte Fassung, mit der die Amerikaner in
die Verhandlungen gingen, wurde von der Sowjetunion abgelehnt.
Die sowjetische Ablehnung erfolgte einen Tag nach einem weiteren
amerikanischen Atombombentest. Unbeeindruckt von
den Bedenken der Wissenschaftler hatte nämlich auch das Militär sich
weiter mit der Atombombe beschäftigt. Die Luftwaffe strebte wegen
ihrer Rolle bei Atombombenabwurf in Japan nach Unabhängigkeit von
der Armee (und wurde 1947 zur eigenständigen Air Force), die Marine
fürchtete um ihre künftige Bedeutung und wollte an der Atombombe
teilhaben. Sie trieb darum unter dem Namen Operation Crossroads
neue Atombombentests voran, die im Januar 1946 von Präsident Truman
genehmigt wurde. Die Plutoniumproduktion in Hanford und die
Urananreicherung in Oak Ridge waren auch nach dem Krieg
weitergelaufen, und unter Leitung von General Groves wurden in Los
Alamos Atombomben für diese Tests hergestellt. Sie wurden im Juli
1946 vor Zeugen aus zahlreichen Ländern auf dem Bikini-Atoll im
Pazifik durchgeführt; es wurden zwei Atombomben ("Able"
am 1. Juli und "Baker" am 25. Juli) gezündet. Mit
Operation Crossroads sollte getestet werden, welche
Auswirkungen die Explosion von Atombomben in der Luft und
unter Wasser auf Schiffe der US-Marine hatten. Zahlreiche (zum Teil
alte) Schiffe wurden daher im Zielgebiet in konzentrischen Kreisen
aufgestellt, um die Wirkungen der Atombomben auf sie zu untersuchen.
Ihr erstes Opfer war die Weltatomenergiebehörde. Die Sowjetunion
verstand diesen Test, der zeitgleich zu den Verhandlungen über die
internationale Atomwaffenkontrolle durchgeführt wurde, als
amerikanische Machtdemonstration und als Symbol amerikanischer
Überlegenheit, das sie in der sich >> entwickelnden
Rivalität nicht hinnehmen konnte. Die Amerikaner erkannten
erst bei der zweiten, unter Wasser gezündeten Bombe mit dem
Codenamen "Baker" (>> Foto) die
Dimension der radioaktiven Verseuchung durch eine Atombombe: als die
Wassersäule zusammenfiel, wurden die amerikanischen Zielschiffe von
einem Sprühnebel erreicht, der sie extrem stark radioaktiv belastete
(bei der ersten Explosion in der Luft hatten Winde die
Radioaktivität schnell in der Atmosphäre verteilt). 49 Schiffe mit
15.000 Mann wurden noch am selben Tag zur Untersuchung der Schäden
in die radioaktive Zonen geschickt, mussen aufgrund der hohen
Strahlung aber wieder umkehren. Die Navy war auf die Verstrahlung
der Zielschiffe nicht vorbereitet und versuchte, die Schiffe – von
Matrosen ohne Schutzkleidung – mit Besen, Seifen und Laufe
abschrubben zu lassen, was die Strahlenbelastung aber nicht
ausreichend absenkte, so dass manche Schiffe gleich in der Lagune
versenkt werden musste. Der Rest der Flotte wurde zum Reinigen mit
unbelastetem Wasser zur US-Basis Kwajalein geschleppt. Das Ausmaß
der Strahlenbelastung der Matrosen, die die Schiffe reinigen
mussten, blieb lange unbekannt, da Geigerzähler die Belastung durch
Plutonium nicht erfassen. Eine 1996 von der National Academy of
Sciences der USA durchgeführte Studie zeigte eine deutlich
erhöhte Sterblichkeit unter den Veteranen der Operation Crossroads.
Zuvor hatte am 3. Oktober 1952 auch
Großbritannien auf einer australischen Insel eine eigene
Atombombe gezündet. Es war nahezu eine Kopie der Bombe von Nagasaki,
die am Manhattan-Project beteiligten britischen Forschern hatten ja
das Know-How. Die USA verfügten mittlerweile über ein Testgelände
in Nevada, auf dem 1951 die ersten vier Tests mit
“gewöhnlichen” Atomwaffen stattgefunden hatten, und bis Ende 1953
fünfzehn weitere Tests. Die amerikanische Antwort auf die
sowjetische Wasserstoffbombe sollte jedoch ein im September 1953
gestartetes Programm sein, mit dem
Interkontinentalraketen gebaut werden sollten, die neue,
leichtere Wasserstoffbomben zum Gegner tragen konnten. Die neuen
Bomben sollten statt mit Tritium, das aufwändig gekühlt werden
musste, mit einem Lithium-Isotop gebaut werden, und sie sollte wie
die russische Wasserstoffbombe eine dritte Stufe, in diesem Fall
eine Bombenhülle aus Uran-238, bekommen. Dadurch wurden radioaktive
Spaltstoffe über eine Fläche von 300 Quadratkilometern verteilt. Ein
solche Bombe wurde am 1. März 1954 als erste einer
neuen Serie von Bombentests auf dem Bikini-Atoll getestet: die
Sprengkraft dieser Bombe ("Castle Bravo"), die wesentlich kleiner
als die erste amerikanische Wasserstoffbombe war, betrug 15
Millionen Tonnen TNT – es ist bis heute die größte Bombe, die die
USA jemals gezündet haben. Obgleich der Wind kurz vor dem Versuch
nach Süden gedreht hatte, beschloss der Projektleiter Alvin Graves
(der ohnehin die Gefahren der Radioaktivität für von schwächlichen
Simulanten erfunden hielt – "concocted in the minds of weak
malingerers") den Versuch dennoch zu starten: der Wind trug
die radioaktive Wolke bis zu dem über 150 Kilometer entfernten
Rongelap-Atoll und über einen japanischen Fischkutter, das weit
außerhalb des Sperrgebiets unterwegs war, hinweg. Die Besatzung des
“Glücksdrache Nr. 5” war von der Explosion derart
erschüttert, dass der Kutter sofort in seinen Heimathafen Yaizu
zurückkehrte – als er diesen 14 Tage später erreichte, waren alle 23
Besatzungsmitglieder an akuter Strahlenkrankheit erkannt. Der
Funker verstarb im September, sechs Besatzungsmitglieder starben
seither an Leberkrebs. Der verseuchte Thunfisch an Bord zog weitere
Untersuchungen nach sich: Insgesamt musste der Fang von 683 Booten
wegen radioaktiver Verstrahlung vernichtet werden. Die
Strahlenkrankheit forderte auch unter Rongelaps 236 Bewohnern viele
Opfer; sie wurden erst zwei Tage später auf die Militärbasis
Kwajalein evakuiert, wo die Ärzte wenig für sie tun konnten – sie
begannen aber eine geheime Studie über die Folgen radioaktiven
Fallouts von Atomwaffen auf Menschen. Die Überlebenden wurden 1957
auf die Insel zurückgebracht. (1982 gab die amerikanische
Umweltbehörde zu, dass das Atoll immer noch zu stark verseucht sei,
1985 brachte das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior" die Bewohner
auf deren Wunsch hin wieder nach Kwajalein. Die Amerikaner zahlten
den Marshallinseln 1986 150 Millionen Dollar, um damit alle
Schadenersatzforderungen wegen Strahlenschäden abzudecken.)
Radioaktivität aus diesem Versuch wurde bald im Regen über Japan, im
Schmieröl indischer Flugzeuge und schließlich über der gesamten Welt
festgestellt.
Forderungen nach einem Teststopp
Bis dahin hatten die Militärs die Öffentlichkeit über die
radioaktive Strahlung nahezu unwidersprochen belügen können (“keine
ernsthafte Gefahr”), jetzt änderte sich dies – zivile
Wissenschaftler rechneten vor, wie viele Menschenleben die
Atombombentests kosten würden. Auch Andrei Sacharow in Russland
errechnete 1955, dass die bis dahin erprobten Atombomben etwa
500.000 Menschen das Leben kosten würden – der Beginn seines
Umdenkens über die Atombombe. (Sacharow wurde später aus dem
Atomprogramm entlassen und begann, sich für Abrüstung und
Minderheiten einzusetzen, er erhielt 1975 den Friedensnobelpreis
– den er wegen Ausreiseverbot nicht persönlich in Empfang
nehmen konnte – und wurde 1980 nach Gorki verbannt. Erst Michael
Gorbatschow hob die Verbannung 1986 auf.) Unbeachtet blieb bei der
Diskussion über die Strahlenbelastung, dass zur Radioaktivität auch
Unfälle in den Produktionsstätten beitrugen, die
allerdings geheimgehalten oder von den Behörden heruntergespielt
wurden: So kam es im September 1957 im Ural zu
einer Atomexplosion, als das Kühlsystem eines Speichertanks für
flüssige radioaktive Abfälle ausfiel, und einen Monat später brannte
einer der beiden Reaktoren in der englischen
Wiederaufbereitungsanlage Windscale, wobei größere
Mengen des radioaktiven Jod-131 freigesetzt wurden. Dennoch: In
Japan unterschrieben bis August 1955 32 Millionen Menschen eine
Petition gegen Atomwaffen. Der britische Mathematiker Bertrand
Russell verfasste einen als Russell-Einstein-Manifest
bekannt gewordenen Text, nach dem der Einsatz von Atomwaffen die
Existenz der gesamten Menschheit bedroht, den neben Einstein weitere
bedeutende Wissenschaftler unterzeichneten und der die seit 1957
jedes Jahr stattfindenden “Pugwash-Konferenzen”
begründete, auf denen Wissenschaftler die Gefahren von Atomwaffen
diskutierten. Generalsekretär war bis 1973 der britisch-polnische
Physiker Jozef Rotblatt, der als einziger Physiker
seine Mitarbeit am Manhattan-Project beendet hatte, als klar wurde,
dass Deutschland keine Atomwaffen anstrebt. Er bekam 1995
stellvertretend für die Konferenzen den Friedensnobelpreis. In
Deutschland begann der Friedensnobelpreisträger Albert
Schweitzer, sich intensiv mit Albert Einstein und Otto
Hahn über Atomphysik und Atomwaffen auszutauschen – im Frühjahr 1957
sendete er einen vielbeachteten “Appell an die Menschheit”,
mit dem er sich gegen Atomwaffen aussprach. 18 prominente
Atomforscher, darunter Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl
Friedrich von Weizsäcker, erklärten, dass sie nicht bereit wären,
“sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von
Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen”; 14 Atomforscher aus
der DDR verabschiedeten als Reaktion eine ähnliche Resolution. 1958
sammelte der Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling
11.000 Unterschriften von Wissenschaftlern für ein Atomwaffenverbot,
in Großbritannien wurde die Campaign for Nuclear
Disarmament gegründet und wählte Bertrand Russell
zu ihrem Präsidenten; der erste Ostermarsch fand statt. Auch in
Deutschland fanden Demonstrationen gegen die von der Bundesregierung
angestrebte Atombewaffnung statt.
Um diesem Druck der Öffentlichkeit etwas entgegenzusetzen, sollten
die gewaltigen Kräfte der Atomenergie den Menschen durch zivilen
Nutzen schmackhaft gemacht werden. In den USA stieg unter Präsident
Eisenhower und nach Stalins Tod die Bereitschaft zu einem Abkommen
mit der Sowjetunion; zum anderen wurde Eisenhowers bereits 1953 vor
der UN-Vollversammlung angekündigtes Programm “Atoms for Peace”
umgesetzt. 1957 wurde unter dem Dach der Vereinten Nationen die Internationale
Atomenergie-Organisation (IAEO) gegründet, die “den
Beitrag der Atomenergie zur Frieden, Gesundheit und Wohlstand
weltweit beschleunigen und vergrößern” soll. Die Kritiker des
Programms wiesen darauf hin, dass bei der Stromerzeugung durch
Atomenergie bombentaugliches Material anfällt – auch für friedliche
Atomreaktoren ist angereichertes Uran-238 nötig und auch in ihnen
fällt unvermeidlich spaltbares Plutonium an. Die “Atome für
den Frieden” (>>
mehr) würden also in der Konsequenz die Verbreitung der
Atombomben fördern. Dennoch – bis Ende 1959 lieferten die USA
Versuchsanlagen und Brennstäbe an 42 Länder. Die um ihren Einfluss
besorgte Sowjetunion zog nach, so dass insgesamt hochangereichertes
Uran für über 1.000 Bomben der Hiroshima-Art auf der Welt verteilt
wurde. Gleichzeitig war der Kalte Krieg längst nicht am Ende. So
bereitete Eisenhower die Invasion in der Schweinebucht vor, mit der
Fidel Castro auf Kuba gestürzt werden sollte, und auch die
Atomwaffenversuche gingen weiter – wenn auch jetzt oft, um die
radioaktive Verseuchung zu vermindern, unterirdisch. Nach dem
Sputnik-Schock von 1957 (>>
mehr) machte die CIA eine “Raketenlücke” – einen sowjetischen
Vorsprung bei Interkontinentalraketen – aus, als Reaktion wurde die
Zahl der amerikanischen Atombomben erhöht. Aber Eisenhower hat auch
Zweifel an dieser Strategie, und der Atomphysiker Hans Bethe soll
einen Plan zur weltweiten Abrüstung erarbeiten. Er organisiert im
Sommer 1958 eine internationale Konferenz in Genf, auf der
Wissenschaftler aus Ost und West erarbeiten, wie ein Atomwaffenteststopp
überwacht werden könnte. Bereits im März hatte die Sowjetunion seine
oberirdischen Atomversuche ausgesetzt, die USA und Großbritannien
schlossen sich dem nun an. Als 1960 ein Teststopp unterschriftsreif
war, schoss die Sowjetunion ein US-Spionageflugzeug über ihrem Land
ab; für die Sowjets war ein Abkommen mit der Regierung Eisenhower
danach undenkbar. Erschüttert wurde die Welt auch durch einen
französischen Atomwaffenversuch.
Frankreich, dessen Forscher im britischen Team des
Manhattan-Projekts mitgearbeitet hatten, hatte ebenfalls bereits
1945 ein Commissariat à l’Energie Atomique (CEA)
gegründet. 1956 ging in Marcoule bei Avignon ein Reaktor ans Netz,
der Plutonium für Atomwaffen erzeugen sollte. Der Öffentlichkeit
wurde jedoch erzählt, dass er der Stromerzeugung diene; und 1958
machte sich das Wissenschaftsmagazin Sciene & Vie über
einen Reaktor lustig, der ein wenig extrem teuren “Kaviarstrom” und
“zu nichts taugende Schlacke” erzeuge – es wusste nicht, dass
Frankreich nach seiner Niederlage in Vietnam unter strenger
Geheimhaltung den Bau der Atombombe beschlossen hatte, die
“Schlacke” also der eigentliche Zweck des Reaktors war. 1959 wurde
Charles de Gaulle zum Präsidenten gewählt, und gut ein Jahr später,
am 13. Februar 1960 testete Frankreich seine erste
Atombombe – im besetzten Algerien. Für de Gaulle war eine eigene
Atomstreitmacht (“force de frappe”) unverzichtbar, damit
das Land neben den Angelsachsen bedeutsam blieb.
Die Welt vor dem Atomkrieg
In der 1961 beginnenden Amtszeit von John F. Kennedy
verschärfte sich die Situation zunächst. Erst scheiterte die von
Eisenhower vorbereitete Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht,
die Blamage der Amerikaner nutzte die Sowjetunion unter
Chruschtschow, um Ost-Berlin abzuriegeln. Im Juli forderte Kennedy
die Amerikaner in einer Fernsehansprache auf, sich auf einen
Atomschlag gegen die Sowjetunion gefasst zu machen. Diese nahm im
September ihre Atomtests wieder auf, und zündete im Oktober eine
Wasserstoffbombe mit der Sprengkraft von 50 Millionen Tonnen TNT;
und auch die Amerikaner nahmen ihre Tests sowohl in Nevada als auch
im Pazifik wieder auf. Kennedy, der mit der “Raketenlücke” Wahlkampf
gemacht hatte, stellte nach seiner Wahl fest, dass es diese gar
nicht gab; vielmehr hatten die USA nicht nur mehr Raketen, sondern
diese standen auch in Deutschland, Großbritannien, Italien und der
Türkei, was der Sowjetunion nur eine sehr kurze Reaktionszeit ließ.
Dies wusste auch Chruschtschow, und 1962 begann er, sowjetische
Atomraketen auf Kuba zu stationieren. Als die Amerikaner
dies entdeckten, gab Kennedy die Entdeckung in einer
Fernsehansprache bekannt und kündigte eine Seeblockade Kubas an, um
weiteren Nachschub zu unterbinden. Zwei Tage später wurde die
strategische Luftstreitmacht – wie sich später herausstellte, unter
Umgehung von Präsident Kennedy – zum ersten und bisher letzten Mal
nach dem Zweiten Weltkrieg in höchste Einsatzbereitschaft (defense
condition [DEFCON] 2; die noch höhere Stufe DEFCON 1 bedeutet
praktisch Krieg) versetzt. Schließlich lenkte Chruschtschow ein und
die sowjetischen Frachter mit dem Nachschub drehten ab, aber während
der Kubakrise stand die Welt mehrmals – vor allem wegen
Eigenmächtigkeiten von Militärs – vor dem Atomkrieg. Angesichts der
Tatsache, dass der Kalte Krieg die Welt an den Rand des Abgrunds
geführt hatte, wollte Kennedy diesen beenden, die “Strategie der
Vernichtung” durch eine “Strategie des Friedens” ersetzen. Zwischen
Washington und Moskau wurde eine direkte Telefonverbindung
eingerichtet, um zukünftig Fehlwahrnehmungen zu vermeiden; und im
August 1963 unterzeichneten die USA, die Sowjetunion und
Großbritannien ein Abkommen, das oberirdische Atomtests
verbot. Dabei hatten sie auch ein anderes Problem im
Blick: immer mehr Länder versuchten, ebenfalls Atomwaffen zu
bekommen.
Immer mehr Atommächte
Als wahrscheinlichste Kandidaten für die Atombombe galten vor allem
Israel, Indien und China; aber auch Südafrika, Taiwan, Brasilien und
Argentinien arbeiteten an Atomwaffen. In Israel
sah Premierminister David Ben-Gurion die Atombombe als
Überlebensgarantie, und hatte 1953 ein Abkommen mit Frankreich zur
Kooperation bei der Atomforschung abgeschlossen. 1957, nach der
Suezkrise, sagte Frankreich Unterstützung beim Bau eines Reaktors
bei Dimona in der Negev-Wüste zu. Indien gründete
1954 eine Atomenergiebehörde und hatte 1955 von Kanada und den USA
mit der Verpflichtung, diesen nur für friedliche Zwecke zu
verwenden, aber ohne Inspektionsvereinbarungen, die Zusage zur
Lieferung eines Natururanreaktors erhalten. Im selben Jahr beschloss
Mao Tse-tung, dass auch China – das sich in Korea
amerikanischen atomaren Drohungen ausgesetzt gesehen hatte – sich um
Atomwaffen kümmern solle: mit Hilfe der damals noch verbündeten
Sowjetunion wurde ein atomares Forschungs- und Entwicklungszentrum
in Mianyang (Provinz Sichuan) aufgebaut. Nach dem Bruch mit der
Sowjetunion im Jahr 1960 machte China alleine weiter, und im
Oktober 1964 zündete das Land seine erste Atombombe in
der Uigurischen Autonomen Republik Xinjiang. China hatte (wie
Frankreich) das Atomtestabkommen nicht unterzeichnet, und
Rüstungslobbyisten und Militärs in den USA und der Sowjetunion
forderten und erhielten zusätzliche unterirdische Atomwaffentests
– da diese teurer waren, stiegen die Ausgaben für Atomtest
sogar in, in den USA auf eine Milliarde Dollar jährlich. Aber die
USA setzte jetzt auf einen Atomwaffensperrvertrag,
der weiteren Ländern den Erwerb von Atomwaffen verbieten sollte. Im
Gegenzug dazu sollten sie Zugang zu “friedlicher Atomtechnik”
bekommen.
Der Atomwaffensperrvertrag wurde 1968 verabschiedet und von den
USA, der Sowjetunion, Großbritannien und 59 anderen Staaten
(zunächst aber nicht von Frankreich und China) unterzeichnet und
trat 1970 in Kraft. Seine Einhaltung wird von der IAEO überwacht,
deren Wirksamkeit bis heute an ihrer Doppelrolle leidet: einerseits
soll sie die Atomenergie fördern, andererseits überwachen. Da
friedliche und militärische Atomtechnik kaum zu unterscheiden ist
und die “friedliche Nutzung” unklar definiert war – in den USA
plante man etwa, Kanäle und Tunnel mit Atombomben anzulegen, und so
erklärte auch Indien seine 1974 gezündete Atombombe zu einer
“friedlichen” – trug der Zugang zur Atomtechnik zu einer Verbreitung
der Bombentechnik bei. Hierzu trug nicht zuletzt Deutschland bei,
das gegen den Atomwaffensperrvertrag war, der eine “Entmachtung der
deutschen Industrie” – so Adenauer 1967 – wäre. Um Deutschlands
Zustimmung zu erhalten, wurde ein Passus aufgenommen, nach dem auch
solche Staaten Atomtechnologie weiterverkaufen, die Atomwaffen
herstellen “könnten”. Die deutsche Industrie machte dies unter
anderem in Südafrika, Argentinien und Brasilien. Alle Programme, die
neuen Staaten zu Atomwaffen verhalfen, waren der IAEO Jahre vorher
bekannt – sie konnte keines verhindern. Israel, Indien und Pakistan,
heute allesamt im Besitz der Bombe, unterzeichneten den Vertrag erst
gar nicht. Der Artikel VI, in dem es um die Abrüstung der
bestehenden Atomwaffen ging, enthielt zudem keinen Zeitplan – das
Wettrüsten der bestehenden Atommächte ging auch weiter.
Dass Israel heimlich an der Atombombe arbeitete,
wussten die USA spätestens seit 1960. Sie drängten auf Inspektionen
in Dimona, fanden dort aber nichts – die Israelis hatten, wie sich
später zeigte, geheime Teile der Anlage einfach zugemauert, wenn die
Inspektoren kamen. Ohnehin würde der Bau der israelischen Atombombe
Stoff für einen Film liefern: offenbar wurden sowohl in den USA als
auch später in Europa Uran gestohlen (>> hier).
Montiert wurden die ersten Atombomben kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg
1967. 1969 akzeptierten die USA die israelische
Atombombe faktisch und beendeten ihre Inspektion in Dimona (der
Preis hierfür wurde später im Irak, Libyen und demnächst im Iran
fällig). Die Öffentlichkeit ahnte von der Bombe erst, als eine
vermutlich israelische Atombombe 1979 in Südafrika getestet wurde.
Ein US-Gutachten behauptete zwar, die von einem Satelliten
gesendeten Bilder seien möglicherweise dadurch entstanden, dass ein
kleiner Meteorit den Satelliten getroffen hatte, aber am 5.
Oktober 1986 veröffentlichte die Londoner Sunday Times nach
sorgfältiger Prüfung geheime Unterlagen, die der israelische
Atomphysiker Mordechai Vanunu, der neun Jahre in
Dimona gearbeitet hatte, aus dem Land geschmuggelt hatte. Aus den
Unterlagen ging hervor, dass Israel 100 bis 200 Atombomben besaß.
(Vanunu wurde kurz von der Veröffentlichung entführt und tauchte in
einem israelischen Gefängnis wieder auf, in dem er 18 Jahre, davon
11 in Isolationshaft verbrachte. 2004 entlassen, steht er unter
Hausarrest und darf weder Handy noch Internet benutzen. Wegen
Verstoß gegen die Auflagen – Kontakt mit ausländischen Staatsbürgern
– musste er seither weitere Haftstrafen absitzen.)
Wenig ist über das Atomwaffenprogramm Südafrikas
bekannt. 1975 hatte westlich von Pretoria eine aus Deutschland
gelieferte Urananreicherungsanlage den Betrieb aufgenommen, und
Südafrika arbeitete offenbar mit Israel beim Bau von Atomwaffen
zusammen – daher der vermutete gemeinsame Test im Jahr 1979. 1993
verkündete Frederik Willem de Klerk, dass Südafrika sechs Atombomben
gebaut, aber (vor der Machtübernahme durch den ANC) wieder
demontiert habe.
In Indien begann die Arbeit an der Atombombe
spätestens 1964, nach dem chinesischen Atomtest. Um die Pazifisten
im Land und die Weltöffentlichkeit zu beruhigen, redeten die Inder
von einer friedlichen Atombombe, um “Berge für Industrieparks
wegzusprengen”. Die schlechte Infrastruktur verzögerte die
Fertigstellung, außerdem konnte Indien nicht selber Uran anreichern.
Aber am 18. Mai 1974 zündete Indien in Rajasthan
seine erste Atombombe; damit hatte jetzt das erste Schwellenland
eine Atombombe. Das Uran dafür stammte teilweise aus dem
kanadisch-amerikanischen Reaktor, der nur für friedliche Zwecke
verwendet werden durfte, aber die USA erlaubten dennoch weitere
Lieferungen angereicherten Urans nach Indien. So konnte das Land,
dass den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hatte,
unkontrollierte Bombenbestände aufbauen. 1976 reichten daher
Umweltgruppen eine Petition ein, Brennstoffexporte nach Indien zu
verbieten, und Jimmy Carter machte den Atomwaffensperrvertrag in den
USA zum Wahlkampfthema. 1978 wurde der Nuclear Nonproliferation Act
verabschiedet, mit dem Atomexporte an Länder, die nicht dem
Atomwaffensperrvertrag angehörten und ihre Kraftwerke nicht
kontrollieren ließen, verboten wurden. (Angesichts des neuen,
pazifistischen indischen Premierministers Morarji Desai legte Carter
aber 1980 sein Veto gegen einen Exportstop nach Indien ein.
Eingestellt wurden die Lieferungen erst 1982 – und 2008 unter George
W. Bush – und zwar ohne Kontrollen – wieder aufgenommen.)
Die indische Atombombe musste Reaktionen in Pakistan
auslösen. Pakistans Präsident Zulfikar Ali Bhutto hatte schon als
Außenminister verkündet, dass Pakistan nachziehen werde, wenn Indien
eine Atombombe baut, “und dafür notfalls nur noch Gras und Laub
fressen oder sogar hungern.” Nach der Zündung der indischen Bombe
stahl Abdul Qadeer Khan, Mitarbeiter an der
deutsch-britisch-holländischen Uran-Anreichungsanlage in Almelo,
Blaupausen und Dokumente und setzte sich, nachdem er entdeckt wurde,
nach Pakistan ab und leitete ab 1975 das Forschungsprogramm zur
Urananreicherung. Die USA, die das pakistanische Militär seit langem
als Bollwerk gegen die Sowjetunion betrachteten, waren angesichts
der Rivalität zwischen Indien und Pakistan beunruhigt und
verhinderten 1978 die Lieferung einer französischen
Wiederaufbereitungsanlage, ließen dem Land aber nach der
sowjetischen Invasion Afghanistans 1979 freie Hand. Wann Pakistan
die Atombombe besaß, ist unklar: da Pakistans Außenminister 1983 an
einem chinesischen Atomtest teilnahm, könnte schon hier eine
pakistanische Bombe gezündet worden sein. Im Frühjahr 1990 stand die
Welt während des Kaschmir-Konflikts zwischen
Indien und Pakistan näher an einem Atomkrieg als während der
Kubakrise, so der ehemalige CIA-Vizedirektor Richard Kerr. Das Land
selbst gab den Besitz von Atomsprengköpfen offiziell erst 1997
bekannt. (Indien reagierte 1998 mit weiteren Atombombenexplosionen.)
Das Ende des Kalten Krieges
Unterdessen war nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan
im Jahr 1979 (>>
mehr) das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion
wieder aufgeflammt. Im gleichen Jahr noch beschloss die Nato mit
einem ”Nachrüstungsbeschluss” die Stationierung
neuer Mittelstreckenraketen in Europa; US-Präsident Ronald Reagan
ließ ab 1981 die Neutronenbombe bauen (die so
konstruiert ist, dass die Neutronen möglichst ungehindert
entweichen können – eine solche Bombe tötet Menschen und andere
Lebewesen, lässt Gebäude aber weitgehend intakt) und kündigte 1983
seine Strategische Verteidigungsinitiave an, die als “Star
Wars” bekannt wurde. 1986 erreichte die Zahl der atomaren
Sprengköpfe weltweit mit etwa 70.000 ihren bisherigen Höhepunkt.
1985 hatte aber in der Sowjetunion Michael Gorbatschow
sein Amt angetreten, und bereits im Oktober 1986 vereinbarten Reagan
und Gorbatschow die Beseitigung aller Mittelstreckenwaffen in Europa
und die Reduzierung der strategischen Waffen um 50 Prozent. Im
November 1989 fiel die Berliner Mauer, das Symbol
der Spaltung der Welt in Ost und West. Am 31. Juli 1991 vereinbarten
Russland unter Boris Jelzin und die USA mit dem
START (Strategic Arms Reduction Treaty) I-Abkommen einen
weiteren Abbau strategischer Atomwaffen, zwei Jahre später folgte
START II. Die russische Duma stimmte dem Vertrag aber lange nicht
zu, erst wegen des Irakkriegs und schließlich wegen des Streits um
die NATO-Osterweiterung; endgültig gescheitert war er, als die USA
2002 den 1972 geschlossenen ABM-Vertrag (der Raketenabwehrsysteme
einschränkte) aufkündigten. Das als Ersatz von George W. Bush und
Wladimir Putin geschlossene SORT (Strategic Offensive Reduction
Treaty)-Abkommen von 2002 enthält jedoch weder Kontrollen
noch einen Zeitplan; beide Länder besaßen nach wie vor ausreichend
Atomwaffen, um die Welt mehrfach zu zerstören. Im Jahr 2010
schlossen Barack Obama und Dmitri
Medwedew einen New START genannten Vertrag, nach dem bis
zum Jahr 2020 die Zahl der Sprengköpfe auf je 1.550 reduziert werden
soll. In beiden Ländern sind in den Jahren seit dem Ende des Kalten
Krieges auch die katastrophalen Folgen deutlich geworden, die die
teils unter starkem Produktionsdruck laufende Atomwaffenproduktion
und die Atomwaffentests auf die Umwelt und die in ihrer Umgebung
lebenden Menschen hatten; in beiden Ländern wurden auch gezielte
Menschenversuche gemacht, um die Folgen der Radioaktivität zu
erforschen. Bill Clintons Energieministerin Hazel O’Leary, die einen
Teil der Unterlagen veröffentlichte, sagte, zu manchen der Versuche
sei ihr “nur noch Nazideutschland eingefallen”. Auch in der
ehemaligen Sowjetunion wurden Soldaten von der Schweigepflicht
befreit, die ihnen auferlegt wurde, nachdem sie ohne Schutzkleidung
in Atomtestgebiete geschickt wurden, um zu sehen, ob sie dort noch
kampffähig wären. In beiden Ländern sind weiträumige Testgelände
nach wie vor radioaktiv verseucht.
Atomwaffen im Nahen Osten und in Nordafrika
Der damals noch mit dem Westen verbündete Irak
unter Saddam Hussein hatte 1977 damit begonnen, außerhalb von Bagdad
einen von Frankreich gelieferten Atomreaktor zu bauen. Frankreich
lieferte auch spaltbares Uran für den Reaktor. Bevor dieser
allerdings mit Brennelementen bestückt werden konnten, wurde er am
7. Juni 1981 durch einen gezielten Angriff der
israelischen Luftwaffe zerstört. Der Reaktor war zwar von der IAEO
kontrolliert worden, aber der Kontrolleur Roger Richter erklärte
später vor dem auswärtigen Ausschuss des US-Senats, dass der Irak
bestimmte, wann und wo Inspektionen stattfanden. Der Washington Post
erklärte er, dass die Kontrolleure nicht berechtigt waren, nach
undeklariertem Material zu suchen, “wir dürfen lediglich
nachprüfen, ob die Buchführung über das deklarierte Material
stimmt.” Israel war jedenfalls davon überzeugt, dass der Reaktor dem
Bau von Atomwaffen dienen sollte. Nach dem ersten Golfkrieg, in dem
der vom Westen unterstützte Irak Chemiewaffen einsetzte, untersuchte
eine UN-Sonderkommission geheime Waffenprogramme im Irak; und als
diese 1991 Calutrone – eine veraltete, aber zur
Urananreicherung geeignete Technik – entdeckte und beim Versuch,
die LKW, die diese gerade abtransportieren wollten, zu verfolgen,
auch noch beschossen wurde, war klar, dass der Irak weiter an der
Atombombe arbeitete. Ohne westliche Unterstützung kam er aber nicht
entscheidend voran, und nach dem Irakkrieg 2003 fanden die
Amerikaner keine Atomwaffen.
Der Iran hatte bereits 1975 unter dem Schah bei
Buschehr am Persischen Golf mit dem Bau zweier von der
deutschen Kraftwerk Union (ein Tochterunternehmen von Siemens und
AEG) gelieferten Atomreaktoren begonnen, der Iran beteiligte sich
zudem mit 15 Prozent an einer großen Uranmine in Namibia. Nach der
Machtübernahme Ayatollah Chomeinis, für den die Atomkraft nicht mit
dem Islam zu vereinbaren war, wurde der Bau jedoch eingestellt und
später im Krieg mit dem Irak beschädigt. Offenbar wurde aber
heimlich doch am Atomprogramm weitergearbeitet, 1982 soll der Iran
nach Angaben der IAEO 531 Tonnen Uran aus Namibia erhalten haben.
Nach Chomeinis Tod startete das Programm in jedem Fall durch, Ende
der 1980er Jahre verkaufte Abdul Q. Khan dem Land
seine Pläne für Gaszentrifugen. Weitere Techniken kamen aus China,
und der Iran baute eine Urananreicherungsanlage in Natanz. Dort
fanden IAEO-Inspekteure 2003 waffentaugliches Uran, der Iran gab
Kontamination bei der eingeführten Ausrüstung als Ursache an. 2009
gab der Iran zu, bei Qom eine zweite, bis dahin geheim gehaltene
Urananreicherung zu bauen. Nach iranischen Angaben dienen die
Anreicherungsanlagen nur zivilen Zwecken – 1995 hatte Russland die
Fertigstellung eines der Reaktoren bei Buschehr übernommen, dieser
ging im September 2011 ans Netz –; allerdings sind die Anlagen auch
zur Herstellung waffentauglichen, hochangereicherten Urans
geeignet. Seit langem gibt es daher Bemühungen, Iran auf
diplomatischem Wege von der Urananreicherung abzuhalten, etwa durch
die Lieferung angereicherten Urans für sein Atomkraftwerk und die
Rücknahme verbrannter Brennstäbe unter Leitung der Internationalen
Atomenergieorganisation IAEO. Bisher waren diese Bemühungen
vergeblich.
Libyen hatte bereits Mitte der 1970er Jahre den
Bau eines russischen Atomreaktors geplant (die Planung wurde später
gestoppt); nach der Explosion einer israelischen Atombombe 1979
erklärte Muammar al-Gaddafi, auch eine Atombombe
bauen zu wollen. Das Land kaufte zwei russische Reaktoren und
besorgte sich Pläne und Zentrifugen von Abdul Q. Khan
in Pakistan, 2003 wurden nach einem anonymen Hinweis Bauteile für
Atomanlagen auf einem chinesischen Frachter mit Ziel Libyen
gefunden. Muammar al-Gaddafi, der sich damals um eine Aufhebung der
Sanktionen nach dem Anschlag auf ein Passagierflugzeug über
Lockerbie bemühte, kündigte daraufhin an, die Entwicklung von Atom-
und Chemiewaffen zu beenden, und übergab im Januar 2004 die Baupläne
an Großbritannien und die USA (offenbar so, wie sie geliefert
wurden: in einer Plastiktüte von Abdul Q. Khans Schneider in
Islamabad. Als dieser davon erfuhr, soll er das Kundenfoto Khans aus
seinem Atelier entfernt haben.) Als die USA Pakistan mit dem in
Libyen gefundenen Material konfrontierte, musste Khan im Fernsehen
öffentlich Abbitte leisten und wurde unter Hausarrest gestellt.
Auch Syrien scheint ein geheimes Atomprogramm zu
besitzen: Nachdem Israel am 6. September 2007 eine
vermutete Atomanlage bombardierte, wurden dort Spuren von Uran
gefunden. Der Reaktor wurde vermutlich mit nordkoreanischer
Unterstützung gebaut. Da Saudi-Arabien das
pakistanische Atomprogramm finanziell unterstützte, wird zudem
vermutet, dass das Land Zugriff auf pakistanische Atomwaffen hat.
Weitere Atombomben und -aspiranten
Nordkorea betreibt seit 1965 mit sowjetischer
Hilfe Atomforschung. 1993 verweigerte das Land den Inspektoren der
IAEO den Zutritt zu seiner Forschungsanlage, verpflichtete sich aber
1994 aufgrund des internationalen Drucks dazu, sein
Atomwaffenprogramm aufzugeben. 2002 warfen die USA Nordkorea
aufgrund von Geheimdienstberichten vor, weiter an Atomwaffen zu
arbeiten, 2003 trat Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag aus.
2005 gab Nordkorea bekannt, einsatzfähige Atomwaffen zu besitzen,
und am 9. Oktober 2006, einen Bombentest
durchgeführt zu haben. Dieser war jedoch so schwach, dass viele
Experten ihn für einen Fehlschlag hielten. Am 25. Mai 2009
wurde ein weiterer, etwa 40 Mal stärkerer, Test durchgeführt. Allen
internationalen Bemühungen zum Trotz baut das bitterarme Land sein
Atomarsenal weiter aus (>>
hier).
In Argentinien und Brasilien
hatten die Militärregierungen seit 1978 an Atomprogrammen
gearbeitet, mit den demokratischen Regierungen ab 1983 bzw. 1985
wurden diese aber beendet. 1995 bzw. 1998 traten beide Länder dem
Atomwaffensperrvertrag bei. Brasilien verweigerte jedoch 2004
IAEO-Inspektoren den Zutritt zur Urananreicherungsanlage in Resende,
2007 verkündete Präsident Lula, dass Brasilien atomgetriebene
U-Boote bauen will, und im September 2009 sprach sich aber
Brasiliens Vizepräsident Alencar für brasilianische Atombomben aus:
Brasilien brauche sie wegen seiner 15.000 Kilometer Grenze und
seiner Offshore-Ölvorkommen zur “Abschreckung”, und sie könne die
internationale Bedeutung Brasiliens erhöhen. Manche Fachleute, wie
Hans Rühle, von 1982 – 1988 Leiter des Planungsstabs im
Bundesverteidigungsministerium, vermuten, dass Brasilien längst
insgeheim an der Atombombe arbeitet (>> hier).
Weiter Länder, die möglicherweise im Geheimen an der Atombombe
arbeiten, sind (Foreign Policy Oktober 2009) Kasachstan,
Bangladesch, Burma, Vereinigte
Arabische Emirate und Venezuela.
Alptraum Atomterror
Neben den Staaten beunruhigt die Fachleute aber vielleicht noch
stärker die Möglichkeit, dass Terroristen an einen
Teil der großen Bestände an spaltbarem Material – insgesamt etwa
3.000 Tonnen, davon 1.000 Tonnen aus zivilen Atomkraftwerken – in
vielen Ländern der Erde kommen. Bereits mit einen winzigen Teil
hiervon könnten sie eine primitive Atombombe bauen. Experten, wie
der am Belfer Center der Harvard Universität tätige Rolf
Mowatt-Larssen, fürchten dabei vor allem die Situation in
Pakistan, wo gewalttätige Extremisten, eine instabile
politische Situation und wachsende Menge spaltbaren Materials
zusammentreffen; außerdem werden sowohl Militär als auch
Geheimdiensten Kontakte zu al-Qaida nachgesagt. Nordkorea
hat höchstwahrscheinlich bereits Atomtechnologie nach Syrien
geliefert, und diese Verbindung wurde von den Geheimdiensten erst
kurz vor der Fertigstellung des Reaktors entdeckt. Dies lässt sowohl
daran zweifeln, ob die Geheimdienste wirklich alle Atomanlagen auf
der Welt auch nur kennen, und ob Nordkorea nicht – ähnlich wie zuvor
Abdul Q. Khan in Pakistan, dessen Netzwerk noch immer nicht komplett
bekannt ist – auch mit anderen Ländern in Kontakt steht.
Mowatt-Larrsens Kollege Prof. Graham Allison, der an der Sicherung
des spaltbaren Materials in den Nachfolgestaaten der
Sowjetunion mitarbeitete und 2004 ein Buch über “Nuclear
Terrorism: The Ultimate Preventable Catastrophe” schrieb,
schätzte in diesem die Wahrscheinlichkeit eines atomaren
Terroranschlages in den nächsten 10 Jahren auf über 50 Prozent, der
ehemalige amerikanische Verteidigungsminister William Perry nannte
diese Schätzung “möglicherweise zu niedrig” (>> mehr).
Auch Barack Obama nimmt die Gefahr ernst: im April 2010 nannte er
atomaren Terrorismus Amerikas größte außenpolitische Bedrohung, er
lud 47 Staaten zu einem “Nuclear Security Summit” nach
Washington ein. Die Staaten vereinbarten, bisher unzureichend
geschützte Bestände spaltbaren Materials innerhalb von vier Jahren
zu schützen und mit besserer Zusammenarbeit illegalen Handel mit
spaltbarem Material zu erschweren.
Literatur zum Thema:
Kai Bird, Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer: Die
Biographie. “Brilliante Biografie” (Rezension des
SPIEGEL, >> hier).
Propyläen 2009, List Taschenbuch 2010.
>> Bulletin of Atomic
Scientists (englischsprachig)
Stephanie Cooke: Atom. Die Geschichte des
nuklearen Irrtums. Kiepenheuer & Witsch 2010.
Robert Jungk: Heller als tausend Sonnen. Auch wenn
dieses Buch ursprünglich von 1956 ist (1958 überarbeitet), liest es
sich immer noch gut und beschreibt den Zwiespalt vieler
Atomforscher, die aus Angst vor einer deutschen Atombombe trotzt
moralischer Zweifel am Bau der Atombombe mitarbeiteten. Leider nur
noch antiquarisch erhältlich.
Norbert F. Pötzl/Rainer Traub (Hrsg.): Der kalte Krieg.
DVA 2009 (Spiegel-Buch).
Stern Extra Nr. 1/2011: Die Geschichte der Atomkraft.
Simon Winchester: Pacific. HarperCollins 2015.
Das erste Kapitel dieses Buches über den Pazifik beschäftigt sich
mit den Atombombenversuchen in diesem (englischsprachig).